Wagner oder Verdi? Wagner!

Veröffentlicht von Christian Holst am

Zum Start ins Verdi- und Wagner-Jubiläumsjahr fragte die ZEIT zehn Opernintendanten, wen der beiden sie für den größeren Komponisten hielten. Das Ergebnis ist nicht überraschend, wenngleich doch interessant. Acht der zehn hielten es für am diplomatischsten, beiden die gleiche Größe und Bedeutung beizumessen und liessen allenfalls noch ihre private Vorliebe durchblicken.

Zwei Intendanten allerdings schlugen sich eindeutig auf Seiten Verdis. Sie finden seine Opern kürzer, humaner, ehrlicher, konstruktiver. Peter de Caluwe kommt sogar zu der Einschätzung, bei Verdi handele es sich um «Geschichten aus dem Leben». Als hätten die etwas in der Oper verloren. Interessanterweise sind es aber nicht die Vorzüge und Qualitäten Verdis, die sie zu dieser Einschätzung bringen: Adjektive wie «kürzer» oder «konstruktiver» sind nicht gerade erste Wahl für eine ernst gemeinte Lobeshymne. Es ist vielmehr das Missbehagen an Wagner. Das merkt man daran, dass gegen ihn verbal richtig aufgerüstet wird und es dröhnt und donnert wie bei Wagner selbst nur selten: da ist von geistiger und handwerklicher Onanie die Rede, von narzisstischem Gewaber, von Berechnung, von Leitmotiven, die uns indoktrinieren und vergewaltigen. Adornos Wagner-Kritik für BILD-Leser.

Wagner mochte sich schon zu seinen Lebzeiten nicht mit den ästhetischen und technologischen Grenzen des Theaters abfinden und widmete sich als Musiktheoretiker, Künstler und Theatermanager der Reform des gesamten Theatersystems, mit Ambition und Weitblick, die von der Opernwelt zu Unrecht belächelt und vorgeführt wird. Immer wieder wurde die Parallele zwischen dem Wagnerischen Gesamtkunstwerk und dem Kino gezogen. Friedrich Kittler sprach von Wagners Werk als einem «Hollywood avant la lettre», einem Hollywood also, bevor es den Begriff gab. Und tatsächlich: In den 137 Jahren seit Gründung der Bayreuther Festspiele hat sich die Welt radikal geändert. Das gilt auch für Medien, mittels derer dramatische Geschichten erzählt werden. Kürzlich sah ich mit «Life of Pi» das erste Mal einen Film in 3D; bei allen Schwächen, die diese Technologie noch hat, zeigt sie doch, wie sehr Wagners Ästhetik der Illusion und Unmittelbarkeit tatsächlich Hollywood avant la lettre, antizipierte Medienästhetik und -technologie des 21. Jahrhunderts ist. Kein Wunder also: Die Lobbyisten eines Theaters, das in seiner vorgestern, gestern und heute praktizierten Form genügen und gleichzeitig als Reflexionsfabrik einer modernen Gesellschaft seine öffentliche Finanzierung rechtfertigen soll, müssen sich durch Wagners Anspruch in die Ecke gedrängt fühlen. Wagners Musikdramen sind auch heute noch zu gross, zu avanciert, zu ambitiös für das gebrechliche, altmodische Medium Theater. Auch wenn das Theater es gern so verkauft, als würde Wagner am Theater scheitern, ist es doch eigentlich anders herum.

Verdi gebührt anlässlich seines 200. Geburtstags Ruhm und Ehre für eine Unzahl hübscher Werbejingles Melodien und die Top Five der unglaubwürdigsten Bühnentode im Sinne von Ottos «Gern hab‘ ich die Fraun gekößt». Wagner gebührt Ruhm und Ehre für die Neuerfindung des Theaters und den Anspruch, dessen Grenzen bis an die der Fantasie dehnen zu wollen. Dass dieser Anspruch bei manchem Opernintendanten Stress und Abwehrreflexe auslöst, ist verständlich. Es spricht aber für Wagner, nicht gegen ihn.


2 Kommentare

Abarca · 8. März 2013 um 12:09

ich finde ganz oder gar nicht: also wagner!

kulturblog.net – Wagner als Vordenker eines neuen Theaters · 25. September 2013 um 21:52

[…] im Frühjahr auf einer Tagung der Wagner-Gesellschaft halten durfte. Er greift im ersten Teil einen Blogpost aus dem März auf. Wenn man etwas weiterliest, kommt aber auch noch […]

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