Erwartungen übertreffen

Veröffentlicht von Christian Holst am

Dass Kultureinrichtungen sich etwas einfallen lassen müssen, um ihre Relevanz und damit auch ihren Fortbestand zu sichern, ist mittlerweile Konsens. Konsens war bislang aber auch, dass neues Publikum über Vermittlung, professionalisiertes Marketing und Update oder Aufhebung der alten Rituale (Kleidung, Verhaltenskodex etc.) gewonnen und gebunden werden muss, damit die programmatischen Entscheidungen nach rein künstlerischen Kriterien getroffen werden können. Dass ein fundamentales Problem der öffentlich finanzierten Kultureinrichtungen gerade in diesem hermetischen Deutungsanspruch über das Repertoire bestehen könnte, wurde bisher kaum zugestanden. Insofern fand ich ein Interview von Birgit Mandel mit der taz sehr interessant. Mandel sagt dort:

Ich selbst bin zunächst davon ausgegangen, dass man die Sache einfach anders verkaufen muss: mit neuen Kommunikationsweisen, schönen Rahmenbedingungen. Aber das stimmt nicht, es ist ziemlich deutlich, dass man ein neues Publikum nur dann dauerhaft gewinnen wird, wenn es das Gefühl hat: Die Programme, die gezeigt werden, haben etwas mit meinem Leben zu tun. Und da wird es heikel.

Warum?

Da heißt es bei den Machern: Sollen wir uns von Kulturnutzern die Programmpolitik schreiben lassen? Und machen wir dann nur noch Mainstream und verlieren alle Qualitätsansprüche?

Das Argument, dass künstlerische Qualität und Publikumserfolg in aller Regel nicht zusammengehen, ist zwar schon etwas fadenscheinig geworden, aber scheinbar trotzdem noch fest in den Köpfen der Kulturmacher verankert. Mandel lässt hier die Fadenscheinigkeit zwar anklingen, indem sie zu verstehen gibt, dass es wohl nicht reichen wird, die Sache einfach anders zu verpacken ohne auch den Inhalt mit den Interessen des Publikums in Einklang zu bringen. Wirklich abrücken von diesem Anspruch mag sie aber auch nicht, wenn sie im Weiteren sagt:

Die Lösung besteht wahrscheinlich darin, dass man seine eigene Mission, seinen eigenen Anspruch an die Arbeit nicht aufgibt, nur um dem Publikum das zu geben, was es schon immer will. Das ist auch total langweilig. Sondern, dass man bei dem, was man ohnehin machen möchte, andere Nutzergruppen stärker mit einbezieht.

Ist es wirklich langweilig, dem Publikum zu geben, was es schon immer wollte? Ich denke, was das Kulturpublikum schon immer will, ist gerade, sich nicht zu langweilen. Und langweilig wird es da, wo Kulturveranstalter nicht über die Minimalerwartungen des Publikums hinausgehen, ihm also nur geben, womit es sich gerade so zufrieden gibt. Auch wenn es ein viel strapaziertes Beispiel ist, sei hier auf Steve Jobs verwiesen, der meinte: «Meistens wissen die Leute nicht, was sie wollen, bis man es ihnen zeigt.» Das ist nicht nur ein gutes Motto für den Innovationswillen herkömmlicher Unternehmen. Es gilt überall da, wo Kreativität den Kern des Geschäfts ausmacht. Übertragen auf die kulturunternehmerische Arbeit heißt das in meinen Augen: Versuche, die Erwartungen des Publikums nicht (nur) zu erfüllen, sondern in einer Weise zu übertreffen, die es nicht erwartet.


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