Diversität

Veröffentlicht von Christian Holst am

Identitätspolitisch inspiriertes Kulturmanagement ist gerade hoch im Kurs. Das VAN Magazin berichtete kürzlich über eine Anti-Rassismus-Klausel für Theaterverträge. Diese Klausel soll es Künstlern ermöglichen, aus ihren Verträgen auszusteigen, wenn sie Opfer rassistischer Äußerungen und Handlungen werden (oder der Ansicht sind, dass sie es geworden sind) und die Theaterleitung nicht mit Awareness-Workshops darauf reagiert. Die Staatsoper Hannover, das Thalia-Theater und das Theater Bielefeld haben kürzlich Stellen für «Agent*innen für Diversität» ausgeschrieben. Viele Museen haben solche «Agent*innen» bereits. Laut Ausschreibung sollen diese Agenten zwar nach NV Bühne angestellt, aber in Anlehnung an TVÖD 13 bezahlt werden, womit sie zu den bestbezahlten Mitarbeitern in den Theatern gehören dürften. Man kann daraus ableiten, welchen Stellenwert dem Diversitätsmanagement zugemessen wird. Diversität war auch ein Leitthema der Jahrestagung des Fachverbands (kulturmanagement.net hat einen guten Rückblick auf die Tagung), und beim Kulturpolitischen Kolloquium in Loccum war es immer wieder Thema. Auch bei neuen Intendanzen wird der Fokus auf Diversität ins Feld geführt, zumindest solange die künstlerischen Pläne noch nicht spruchreif sind.

In den Kontexten, in denen ich von diesem Thema höre, fehlt mir oftmals die nüchterne Reflektion, was mit diesem Schlagwort eigentlich genau bezeichnet werden soll und wie Diversität als Qualitätskriterium für Kultureinrichtungen begründet wird. Denn stillschweigend gemeint ist in aller Regel die Diversität in Bezug auf Geschlechterverteilung und Zuwanderungsgeschichte, manchmal auch Alter – also drei von x denkbaren Kriterien, an denen man Diversität festmachen könnte. kulturmanagement.net schreibt in der oben verlinkten Konferenzbesprechung, dass «der Wert von Vielfalt (…) von einem zunehmenden Teil der Gesellschaft grundsätzlich in Frage gestellt» würde und spielt damit auf die von rechts her identitätspolitisch inspirierte Kulturpolitik der AfD an, die freilich gefährlich ist. Genauso muss man aber feststellen, dass der Wert von Vielfalt vom anderen Teil der Gesellschaft, also eher dem linken Milieu zugeneigten Menschen, nicht differenziert begründet wird. Eine echte, d.h. auch kontroverse Diskussion, in Bezug auf welche Merkmale es tatsächlich ein Diversitätsproblem in Kultureinrichtungen gibt, vermisse ich daher. Vor diesem Hintergrund will ich hier mal ein paar Gedanken zu dem Thema zur Diskussion stellen.

Eine ganz grobe Systematisierung des Feldes unternimmt der Beitrag von kulturmanagement.net indem er zwischen Diversität innerhalb der Belegschaft und Diversität innerhalb des (Stamm-)Publikums unterscheidet. Was die Diversität in den Kultureinrichtungen angeht: Abseits der Binse, dass immer Luft nach oben ist, stehen viele Häuser meines Erachtens sehr viel besser da, als die aktuelle Diskussion in der Kulturszene vermuten lässt. Das Opernhaus Zürich erwähnt in seinem Geschäftsbericht 14/15, dass 38 verschiedene Nationalitäten in der Belegschaft vertreten sind (S. 46). Ein Wert, der in den meisten anderen Opernhäusern mit eigenem Chor und Orchester, ebenso bei Top-Orchestern, vermutlich nicht viel anders ausfallen dürfte. Und ein Wert, den vermutlich kaum ein anderes mittelständisches Unternehmen mit 600 Mitarbeitern erreicht. In Hinblick auf ethnische und sprachliche, nationale Diversität sind diese Kultureinrichtungen ziemlich vorne mit dabei. In Museen, Bibliotheken und anderen Kultureinrichtungen mag die Diversität nicht so hoch sein wie in Theatern, wobei das auch erst einmal genauer zu überprüfen wäre. Schließlich sind diese Einrichtungen in aller Regel auch deutlich kleiner, das heißt sie erfüllen mit deutlich weniger Personen schon ähnliche Quoten wie Theater. In einem Gespräch habe ich neulich jedenfalls erfahren, dass in den großen renommierten Museen durchaus auch international rekrutierte Expertise vertreten ist.

Aber warum ist das so? Weil man in diesen Einrichtungen Diversität zum Programm erklärt hätte? Weil man Diversität für einen Qualitätsausweis hält? Nach der Logik der aktuellen Debatte könnte man das denken. De facto funktioniert es aber genau anders herum. Nicht Diversität sorgt für Qualität, sondern Qualitätsorientierung sorgt für Diversität. Im Orchesterbereich wurden in den 1970er Jahren die «blind auditions» eingeführt, das Vorspielen hinter dem Vorhang. Mit dem Ergebnis, dass der Frauenanteil seitdem rasant angestiegen ist, ebenso der Anteil an asiatischen Musikern. Zunehmende Diversität in Bezug auf die Herkunft ist hier eine Folge von Qualitätsorientierung, nicht aber dessen Voraussetzung. Wie alle Institutionen, die Hochleistung erbringen müssen, fahren Kultureinrichtungen gut damit, wenn sie konsequent Qualifikation und Qualität zum zentralen Entscheidungskriterium machen. Damit das gelingt muss man freilich versuchen, alle anderen Entscheidungsfaktoren, die bewusst oder unbewusst in eine Entscheidung einfließen, soweit wie möglich auszuschließen. Je besser das gelingt, umso größer wird automatisch die Diversität werden.

Ein anderer Aspekt betrifft das eher einseitige Verständnis von Diversität. Wie oben bereits geschrieben, geht es in der Debatte meist um Geschlecht, Herkunft und ggf. Alter. Andere Aspekte, an denen Diversität ebenfalls festgemacht werden könnte – zum Beispiel soziale Herkunft (war in den 70er Jahren mal ein Thema), Bildungsabschluss, politische und religiöse Ausrichtung, Familienstand und -größe, Persönlichkeitsmerkmale (zum Beispiel Introvertiertheit versus Extrovertiertheit) und so weiter – spielen in dieser Debatte selten eine Rolle. Dieses einseitige Verständnis ist insofern bedauerlich, als empirische Forschung nahelegt, dass die positiven Effekte von Diversität bei den so stark propagierten Kriterien Geschlecht, Herkunft, Alter deutlich überschätzt werden. Bei einer aufgabenbezogenen (also inhaltlich begründbaren) oder persönlichkeitsbezogenen Diversität sieht das anders aus. Der Blick in ein klassisches Orchester verdeutlicht das sofort: Ob ein Geiger aus Japan oder Deutschland kommt, dürfte in Hinblick auf seine kulturellen Werte und Überzeugungen relativ egal sein: Beide lieben die klassische europäische Musik, haben eine sehr ähnliche Ausbildung genossen und ähnliche Erfahrungen bei Meisterkursen, Wettbewerben, Jugendorchestern usw. gemacht. Dass sie unterschiedliche Sprachen gelernt haben und sich in Bezug auf gewisse Merkmale ihres Erscheinungsbildes (vermutlich) unterscheiden, ist ebenso unerheblich wie ihr Geschlecht. Etwas anderes anzunehmen wäre offenkundig rassistisch bzw. sexistisch.

Was diese aufgabenbezogene Diversität angeht, können Theater und insbesondere Opernhäuser wieder als leuchtende Vorbilder gelten: In dem oben verlinkten Geschäftsbericht des Opernhauses Zürich wird auf Seite 56 erwähnt, dass im Haus 146 verschiedene Berufe ausgeübt werden. Vom exotischen Handwerksberuf über Verwaltungsfachleute, diverse akademische Berufe vom Juristen über den Betriebswirt bis zum Geisteswissenschaftler, allerlei technische Berufe bis hin zu den diversen künstlerischen Tätigkeiten – unterschiedlichste Arbeitskulturen werden hier integriert. In welchen anderen vergleichbar großen Unternehmen wäre solch eine interdisziplinäre Diversität vorzufinden?

Ein ganz grundsätzliches Problem des Diversitätsdenkens ist es darüber hinaus, dass es Kategorien reproduziert, die es eigentlich abschaffen möchte: «When people divide into categories to illustrate the idea of diversity, it reinforces the idea of the categories» schreibt Peter Bregman in einem Artikel des Harvard Business Review. Siehe dazu auch diese differenzierte Betrachtung mit Verweis auf verschiedene weitere Forschungsergebnisse. Eine (schon etwas ältere) Meta-Studie legt sogar nahe, dass Bemühungen, die Aufmerksamkeit auf Diversität zu lenken, nicht nur wirkungslos, sondern sogar kontraproduktiv sein können, wenn bestimmte Rahmenbedingungen nicht beachtet werden. Das Fazit auch hier: Biologische Merkmale, für die man nichts kann, sollten keine Rolle spielen. Entscheidend sollte immer die persönliche Eignung sein. Anzunehmen, auf die individuelle fachliche Eignung ließen sich über Merkmale wie Geschlecht oder Ethnie Rückschlüsse ziehen, sind offenkundig sexistisch bzw. rassistisch und haben somit in einem Auswahlprozess eh nichts verloren. Das gilt freilich in positiv diskriminierender Hinsicht ebenso wie in negativ diskriminierender Hinsicht. Warum also nicht viel mehr darüber reden, wie man Auswahlprozesse so gestalten kann, dass nach Leistung und fachlicher Eignung ausgewählt werden kann (siehe «blind auditions»)?

Und zu guter Letzt frage ich mich nach der Begründung für die meist nicht explizit geäußerte, aber in der Forderung nach Diversität mitschwingenden Idee, dass einzelne öffentliche Kultureinrichtungen die gesamte Gesellschaft repräsentieren müssen? Ist das ein vernünftiger Anspruch an ein Opernhaus oder ein Sinfonieorchester, dessen Kanon und Repertoire nun einmal in einem dezidiert europäischen Kulturverständnis verankert ist? Wäre es hier nicht viel konsequenter im Sinne der Kulturinfarkt-Thesen, die Kulturförderung ganz neu aufzustellen? D.h. die eine Hälfte der öffentlichen Kulturförderung gänzlich neu zu verteilen, um die Vielfalt der Gesellschaft durch die Förderung unterschiedlicher Einrichtungen abzubilden anstatt zu versuchen, die großen Häuser diverser zu machen, deren  DNA aber bis in die Strukturen hinein durch die europäische oder deutsche Kulturgeschichte geprägt ist? Das erscheint mir nicht nur effektiver, sondern auch weniger anmaßend und übergriffig gegenüber kulturellen Ausdrucksformen, die nicht in der europäischen Kulturtradition wurzeln und damit auch nicht unbedingt in der Struktur «Stadttheater» oder «Kulturhistorisches Museum» den passenden Rahmen finden.

Soviel zur internen Diversität. Die zahlreichen Bemühungen, die Diversität des Publikums zu erhöhen, wären in meinen Augen mit spezifischeren Räumen im Sinne des vorigen Absatzes sowie dem kleinen 1×1 eines strategisch verstandenen Kulturmarketings zu lösen. Da reicht es einfach, das eigene Publikum zu kennen bzw. eine genaue Vorstellung des eigenen Zielpublikums zu entwickeln, um dann auch passende Angebote machen und in passender Weise auf diese Angebote hinweisen zu können. Hier steht den Kultureinrichtungen aber eher ihr immer noch angebotsorientiertes Selbstverständnis viel mehr im Wege als ein unterentwickeltes Bewusstsein für die Bedeutung von Diversität.

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