Christian Holst

Kulturmanagement :: Digitale Transformation :: Künstliche Intelligenz


Blog

  • Peymann gewinnt im Preiskampf

    preiskampf

    «Preiskampf» – so ist die hier zu sehende Jurysitzung zur Vergabe des 3sat-Preises beim Theatertreffen 09 betitelt gewesen. Wahrscheinlich wurde Claus Peymann in die Jury berufen, um sicher zu stellen, dass es auch wirklich ein Kampf wird. Dass Peymann ihn gewonnen hat, wundert nicht. Wenngleich er seinen «Sieg» natürlich weniger einem konsensfähigen Vorschlag als vielmehr seiner Streitlust und Starrköpfigkeit verdankt.

    Interessant in dieser Diskussion ist in meinen Augen vor allem die Auseinandersetzung zwischen ihm und der Theaterkritikerin Eva Behrendt (ab Min. 34:45). Während sie immer wieder dafür plädiert, «originelle Regiekonzeptionen und -handschriften» zu würdigen und die Jury sogar als «feige» bezeichnet, dass sie sich genau dies nicht traue, fordert Peymann, große Spieler auszuzeichnen, die Geschichten vermitteln können. Das Theater funktioniere schließlich nicht ohne die Schauspieler, adjutiert C. Bernd Sucher. Die ewige Suche nach neuen Regiehandschriften sei bloß etwas für eine Jury «von überdrüssigen, gelangweilten Theaterkritikern» und zeuge nur von deren «Snobismus», poltert Peymann weiter. Jawoll!

    Ich finde es bezeichnend, dass die Theaterrevolutionäre von vor 40 Jahren (Peymann, Stein, Zadek) auch heute diejenigen sind, die die unkonventionellen und unbequemen Gedanken in die Theaterszene bringen. Denn dass jüngere Regisseure es allzu oft darauf absehen, überreizte Kritiker auf sich aufmerksam zu machen und deren blasierter Dünkelhaftigkeit Nahrung zu bieten, mag zwar ein pauschaler Vorwurf sein, aus der Luft gegriffen ist er aber nicht.

    P.S.: Interessant in diesem Zusammenhang ist auch ein Interview der Berliner Zeitung mit Peymann von vor 2 Jahren.

  • Das Web: kein Wohlfühlort für Intellektuelle

    Mein Güte! Adam Soboczynskis Artikel Das Netz als Feind in der gerade noch aktuellen Ausgabe der Zeit hat die Blogosphäre ganz schön aufgemischt und zu zahlreichen Repliken angeregt (s. z.B. hier, hier, hier oder hier), die den Autor Lügen strafen sollen in Bezug auf seine Behauptung, dass das Web den Intellektuellen zum Schweigen bringe. Ich bin so überhaupt erst aufmerksam geworden auf den Artikel.

    Die Aufregung kann ich dabei nicht so ganz nachvollziehen. Natürlich ist der Untertitel «Warum der Intellektuelle im Internet mit Hass verfolgt wird» ebenso effektvoll übertrieben wie der gesamte Artikel eine wohlkalkulierte Provokation gegenüber überzeugten Webverfechtern ist. Neben Sex and Crime ist Provokation das Mittel der Wahl, um Aufmerksamkeit zu erzeugen und gerade den Wettstreit um Aufmerksamkeit bezeichnet Soboczynski als charakteristisch für das Web. Dass er nicht wisse, wovon er rede, kann man ihm daher schwerlich vorwerfen: Die Blogosphäre ist dankbar auf die Provokation eingestiegen.

    Wie auch immer. Im Grunde verknüpft Soboczynski zwei recht banale Sachverhalte. Der erste besagt, dass Popularität und inhaltlicher Anspruch einen grundsätzlichen Gegensatz bilden. Das ist adornitisches Grundwissen, dessen prinzipielle Richtigkeit jeden Tag in allen Medien zu beobachten ist. Ausnahmen bestätigen die Regel. Das zweite ist die Erkenntnis, dass das Internet kein Medium ist, das sich für jede Art der Kommunikation gleichermaßen eignet. Die Aufregung, die dieser Artikel ausgelöst hat, scheint sich aber gerade aus der Überzeugung zu speisen, das Internet müsse alles können und für alles gut und geeignet sein.

    Ich habe vor einiger Zeit geschrieben, die Kommunikation im Web 2.0 sei typischerweise «unverbindlich, unkonzentriert, lakonisch, redundant und mitunter leichtfertig» und habe versucht zu zeigen, dass das strukturell begründet ist. Der Preis für die Vergesellschaftung von Kommunikationsmedien ist eben, dass Niveau nicht garantiert werden kann (genauso wenig freilich per se verhindert wird) und vermehrt mentaler Dünnpfiff dokumentiert wird, der vormals nur mündlich verbreitet wurde. Einem anspruchsvollen Diskurs ist solche offene Struktur abträglich. Für ihn braucht es Zugangsbeschränkungen und Qualitätskontrollen, die der Idee von Social Media entgegenstehen. Deswegen finde ich den Gedanken sehr nachvollziehbar, dass das Internet tatsächlich kein Wohlfühlort für Intellektuelle ist.

  • stART.hilfe: Qual der Wahl

    Die stARTconference vergibt zusammen mit den Duisburger Philharmonikern und Upload eine «stART.hilfe» für ein herausragendes Kunst-Kultur-Web-Projekt. Die stART.hilfe besteht dabei aus dem Umsatz eines Konzertkartenkontingents, dass die Duisburger Philharmoniker für den Ring ohne Worte am 28. Mai zur Verfügung gestellt haben. Alle Infos zu der Aktion und dem Konzert gibt es im Blog der Duisburger Philharmoniker.

    Die Nominierungsfrist für die Projekte ist heute Mittag ausgelaufen. Wegen Kurzurlaubs am Bieler See (wunderschön!) hatte ich keine Gelegenheit mehr, rechtzeitig darauf hinzuweisen. Jetzt aber stehen eine Handvoll Projekte zur Auswahl und ihr habt die Qual der Wahl. Qual deshalb, weil es alles herausragende Projekte sind, von denen jedes einzelne die stART.hilfe verdient hätte.

    Welcher Kandidat soll die
    stART.hilfe bekommen?
    (web polls)

  • Buchtipp: Tristanakkord

    Für meinen Trip nach Cardiff über das vergangene Wochenende habe ich mich bei der Suche nach geeigneter Reiselektüre für Tristanakkord von Hans-Ulrich Treichel entschieden, ein Buch, das ich vor einiger Zeit schon einmal mit ziemlichem Vergnügen gelesen hatte. Dieses Mal war das Vergnügen nicht kleiner, denn das Buch ist eine wunderbar treffsichere Tragikomödie über die Eitel- und Abgründigkeiten des klassischen Musikbetriebs.

    Durch einen Zufall erhält der frisch absolvierte, unbedarfte Germanist Georg Zimmer einen Job bei dem weltberühmten und weltläufigen Komponisten Bergmann. Er soll dessen Memoiren durchsehen und ein Personenverzeichnis erstellen und folgt Bergmann dazu auf die Hebriden, nach New York und schließlich nach Sizilien. Später wird ihm sogar die Ehre zuteil, eine Hymne für die neue Komposition des großen Komponisten schreiben zu sollen. Aber natürlich ist es viel weniger die Geschichte, als die lakonisch erfassten Situationen und die glaubwürdige Schilderung des Künstlermilieus und dessen Selbstbespiegelung, die dieses Buch auszeichnen:

    Obwohl Georg Bergmann sagte, daß das Personenverzeichnis eines Buches alle in dem Buch erwähnten Namen aufführen müsse, ganz gleich, ob diese Personen dem Verfasser sympathisch seien oder nicht, versuchte Bergmann ihn davon zu überzeugen einige Namen aus dem Verzeichnis herauszunehmen. Darauf sagte ihm Georg, daß er zwar die Namen tilgen könne. Doch wenn er die Namen aus dem Verzeichnis tilge, dann müßten sie auch aus dem Text getilgt werden. Sonst würde es sich nicht mehr um ein echtes Personenverzeichnis handeln, sondern eher um so etwas wie eine umgehkehrte Tabul gratulatoria, (…) also ein Verzeichnis, welches die in ihm aufgeführten Personen dadurch ehrte und würdigte, daß sie in diesem Verzeichnis vorkämen. «Sehr gut», sagte Bergmann, «wunderbar, das machen wir».

    Ein Maß an Realitätsverlust, dass Bergmann gerade noch vor psychiatrischer Behandlung bewahrt, auch wenn es bei Licht betrachtet schon pathologisch ist. Aber diese Mechanismen würden nicht funktionieren, wenn Leute wie Georg nicht mitspielen würden:

    Und er war auch gerührt, daß Bergmann ihm die Partiturseiten von «Pyriphlegethon für großes Orchester» ( 🙂 ) zugeschoben und ihn gebeten hatte, die Seiten ohne Umstände auf den Fußboden zu legen. (…) Das Stück war ein Auftragswerk, das im New Yorker Lincoln Center uraufgeführt werden sollte. «Und ich», dachte Georg, «habe es auf den Teppich gelegt.»

    Aber nicht nur die Personen, auch die neunmalklugen Irrläufe der Musikwissenschaften, die diesem Treiben wort- und kenntnisreich Tiefe verleihen wollen, werden aufs Korn genommen:

    Der Tristanakkord, hatte er gelernt, sei aus sich selbst heraus gar nicht verständlich. Er würde aber verständlicher werden, wenn man sich Aeneas‘ ersten Auftritt in Purcells «Dido und Aeneas» vergegenwärtige. Noch verständlicher würde er werden, wenn sich darüber hinaus das 4. Rezitativ aus Bachs Kantate Nr. 82, die den Titel «Ich habe genug» trägt, einmal anschaue. (…) Je länger Georg die Stewart-Stern-Debatte studierte, um so klarer wurde ihm, daß die Tristanakkord-Forschung die Tendenz hatte, zu einer Forschung über alles mögliche zu werden.

    Künstler und Kulturschaffende zeichnen sich nicht unbedingt durch die Fähigkeit aus, über sich selbst und das, was sie tun, lachen zu können. Die, die es doch können, werden aber helle Freude an diesem Buch haben.

  • Kultur vs. Wirtschaft

    Zwischen Kunst und Wirtschaft besteht ein vermeintlich tiefer Graben. Während man die Kunst allein dem Guten, Schönen, Wahren verpflichtet glauben möchte und Kulturschaffende diese Vorstellung gern nähren, wird oftmals leichtfertig unterstellt, in der Wirtschaft gehe es allein um nackte Erfolgskennzahlen und kurzsichtiges Gewinnstreben. Je mehr Kunst und Wirtschaft jedoch in ihr jeweiliges Klischee-Extrem verfallen und damit Fehlentwicklungen sichtbar werden lassen, umso deutlicher wird die gegenseitige Verstrickung beider Bereiche. Die Vorstellung, dass Kunst in einem wirtschaftsfreien Raum stattfinden sollte, ist allerdings eine, die sich erst in direkter Wechselwirkung mit dem Ausbau weitreichender öffentlicher Finanzierung durchsetzen und etablieren konnte. Je mehr wirtschaftliche Überlegungen dadurch jedoch ausgeblendet werden konnten, umso deutlicher wurde, dass sie auch in der Kulturproduktion nicht fehlen sollten. Und je mehr und konsequenter Unternehmen sich allein auf monetären Gewinn und an naturwissenschaftlich-deterministischen Modellen ausrichteten, umso deutlicher wurde und wird mittelfristig der kulturelle, soziale und ökologische Preis der für diese Art Erfolg gezahlt werden muss. Interessanterweise sind aber beide Phänomene noch nicht allzu alt. In der Wirtschaft schufen z.B. die Zünfte und Berufsethen einen kulturellen Rahmen, der erst mit der Industrialisierung verloren ging. Nur wenig später wurde durch Künstler wie z.B. Beethoven und Wagner eine bedingungslose Alimentierung der Kunst um ihrer selbst Willen eingefordert. Paradoxerweise wiederum aus einem durchaus sehr ökonomischen Denken heraus. Andere Gallionsfiguren der nicht-ökonomisierbaren Kunst wie z.B. Mozart, Haydn oder Bach haben diesen Graben zwischen Kultur und Wirtschaft sicher nicht gesehen.

  • Steingart stellt die Machtfrage

    Gesine Schwan hat kürzlich geäußert, die Demokratie könne durch die aktuelle Krise in Gefahr geraten und die Kritik, dass diese Befürchtung wohl etwas überzogen ist, ist wohl nicht von der Hand zu weisen. Oder aber man muss die Frage so zuspitzen wie Gabor Steingart in seinem aktuellen Buch «Die Machtfrage. Ansichten eines Nichtwählers» und fragen, wie demokratisch unsere Demokratie überhaupt noch ist (auch ohne Krise). Steingarts Analyse fällt recht ernüchternd aus. Er zeigt schlüssig und anekdotenreich, dass in Deutschland eben nicht das Volk regiert, sondern die Parteien, die sich in ihrer politischen Grundausrichtung praktisch nicht mehr unterscheiden. Sie sind auf ihren Machterhalt ausgerichtet, nicht auf die nachhaltige Vitalisierung der Demokratie. Steingarts Fazit: Die Demokratie erstarrt mehr und mehr und verliert, zumindest in ihrer jetzigen Form als indirekte Parteiendemokratie, ihren Rückhalt in der Bevölkerung. Zur Bundestagswahl 1972 gab es eine Wahlbeteiligung von über 91%, bei der letzten waren es nur noch knappe 78%. Das Nichtwählen ist für Steingart die einzige Möglichkeit des Wählers, seine grundsätzliche Unzufriedenheit über das System indirekte Parteiendemokratie auszudrücken.

    Das Buch liest sich wie ein sehr langer Stern-Artikel, auch wenn Steingart eigentlich für den Spiegel schreibt: locker-flockig, pointiert, aber recht oberflächlich. Es ist eine wohlkalkulierte Provokation, um jetzt vor der Bundestagswahl in möglichst viele Talkshows eingeladen zu werden. Nichtsdestotrotz ist es eine wichtige Debatte, in die Steingart mit diesem Buch einsteigt und die er damit popularisiert. Denn so geeignet die Parteiendemokratie für Deutschland nach dem 2. Weltkrieg war, so wenig zeitgemäß ist sie heute noch, wo Deutschland bewiesen hat, dass es Demokratie kann. Jetzt steht es an, eine neue, direktere demokratische Kultur in Deutschland und Europa zu entwickeln.

    Eine detaillierte Kritik zum Buch gibt’s beim Spiegelfechter.

  • Unspielbar

    Dass visionäre Kunstwerke zunächst als «unspielbar» gelten, kam und kommt gelegentlich vor. Berühmte Beispiele ist u.a. Schuberts Große C-Dur-Sinfonie oder Wagners Tristan und Isolde. An Wagners Musikdrama haben sich 1863 keine geringeren als die Wiener Philharmoniker in 77 Proben die Zähne ausgebissen und es dann doch sein gelassen. Sowohl bei Tristan als auch bei der Schubert-Sinfonie hat sich später herausgestellt, dass die Beschränkung in den Köpfen der Aufführenden lag, nicht in der Partitur. Das ist bei Rachmaninows Klavierwerken nicht anders, wie man in diesem Clip sehen kann:

  • Kunst ist immer Risiko!

    In Bern stößt man früher oder später auf Mani Matter, eine Berner Liedermacher-Legende, 1972 bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Seine Lieder sind aber bis heute beliebtes didaktisches Material, nicht nur in den Bärndütsch-Kursen der Migros-Klubschulen, sondern auch an den normalen Schweizer Schulen.

    Die Lieder sind durchwegs kurze, simpel gestrickte Ohrwürmer, die man über Tage nicht mehr aus dem Kopf bekommt, die Texte sehr schweizerisch-charmant, dezent und humorvoll. Zum Beispiel im Lied vom Eskimo, der durch sein Cembalo-Spiel einen hungrigen Eisbären auf sich aufmerksam macht und damit sein eigenes Schicksal besiegelt. Matters Schlussfolgerung sollten sich alle Künstler und Kulturschaffenden zu Herzen nehmen: Kunst ist eben Risiko!

    Wer nie länger als vier Wochen am Stück in der Schweiz war und als erste(r) den gesamten Text entschlüsseln kann, der gewinnt übrigens eine Einladung zum Käsefondue. Und wer dann noch den genialen Refrain von «Ds Heidi» übersetzen kann, bekommt zum Nachtisch noch ein «Glace». 🙂

  • Im Kino: Der Knochenmann

    Die ersten beiden Filme aus Wolf Haas‘ Krimi-Reihe über Detektiv Brenner waren super: «Silentium» noch besser als sein Vorgänger «Komm, süßer Tod». Jetzt gibt’s mit dem «Knochenmann» den dritten im Kino, der allerdings ziemlich «over the top» ist. Als sei er von Tatort-Autoren auf Speed verfasst worden. Ländliche Beschaulichkeit, ein Sohn, der nicht aus dem Schatten des Vaters entkommt, ein paar kauzige Typen und einen sympathisch unkonventionellen Ermittler – das alles sind typische Zutaten für einen schönen Tatort. Hier wird das Ganze mit ein paar dramaturgischen Tischfeuerwerken aufgemotzt: Rotlichtmilieu, Kannibalismus (zwar ahnungsloserweise, aber immerhin), Mundart, Transsexualität und ein Knochenhechsler im Dauereinsatz. Man wundert sich fast, dass der besagte Sohn am Ende nicht noch sein Coming out hat, ein Inzestfall ans Licht kommt und ein verloren geglaubtes Kind wieder auftaucht. Ich fand es allerdings auch ohne das schon ein bisschen zu viel des Guten.

    Spannend ist der Film trotzdem und natürlich gibt’s auch wieder den ebenso trockenen wie schwarzen Humor – Brenner-Darsteller Josef Hader hat schließlich wieder am Drehbuch mitgeschrieben. Unterm Strich will der Film aber einfach zu viel und bei dem Lärm, der mit dramatischen Mitteln gemacht wird, war die Geschichte für meinen Geschmack zu vorhersehbar und zu wenig raffiniert.

  • Lohengrin meets Lehman Brothers

    Das scheinbar Antiaufklärerische, das in Lohengrin im sog. Frageverbot zu Tage tritt, ist vermutlich schon in tausenden von Inszenierungen kritisiert und auseinandergedröselt worden. Jetzt, wie es scheint, einmal mehr in der Neuinszenierung an der Staatsoper Unter den Linden. Regisseur Herheim entblödet sich nicht, es gar «faschistoid» zu nennen.

    Natürlich muss es einem gebildeten Mitteleuropäer zu Beginn des 21. Jahrhunderts komisch vorkommen, dass Lohengrin seiner Braut Elsa verbietet, nach seinem Namen und seiner Herkunft zu fragen und diese sich zunächst darauf einlässt. Geschenkt. Das ist aber so offenkundig und oberflächlich, dass es inzwischen einfach nichts mehr hergibt. Entsprechend: Wer wäre denn so blöd, die Menschheit im Rahmen einer Märcheninterpretation mit der Erkenntnis erleuchten zu wollen, dass es sprechende Wölfe oder Feen, die drei Wünsche erfüllen, in Wirklichkeit gar nicht gibt und hier nur Döntjes erzählt werden?

    Das Ganze ist umso einfältiger, als die eigentliche Frage in Lohengrin eine hochbrisante, hochaktuelle und auch gar nicht so schwer erkennbare ist, vorausgesetzt, man verbaut sie sich nicht durch pseudo-aufklärerische, neunmalkluge Voreingenommenheit. Es ist ganz simpel die Frage von Vertrauen, die Wagner in dieser Oper dramatisiert. Ein Vertrauen übrigens, das Lohengrin nicht nur einer notleidenden Person als Preis für seine Hilfe abringt, sondern eines, das Elsa vorschießt, als sie sich mit «inbrünstigem» Gebet gegen die Verleumdung durch Telramund verteidigt.

    Und weil Theater ja immer «heutig» sein soll: Diese eigentliche Frage im Lohengrin ist eine, die zur Zeit die gesamte ökonomische Welt in ihren Grundfesten erschüttert und überhaupt eine ganz zentrale Frage in offenen Gesellschaften ist. In diesem Kontrast zeigt sich, dass Elsas Vertrauen zumindest auf den zweiten Blick auch nicht naiver ist als dasjenige, das viele gebildete Mitteleuropäer zu Beginn des 21. Jahrhunderts in die «unsichtbare Hand» bzw. die «Selbstheilungskräfte» des Marktes setzen.

    Wie auch immer. Diese Überlegung ist jetzt sicher nicht als Idee zu verstehen, Lohengrin in der nächsten Neuinszenierung an der Wallstreet statt in Brabant spielen zu lassen und aus Elsa eine toughe Brokerin und aus Lohengrin einen spendierfreudigen Finanzpolitiker zu machen. Es ist ein Plädoyer dafür, Lohengrin (für andere Opern gilt das entsprechend) und indirekt auch das Publikum nicht für so dumm und reaktionär zu halten, wie sie definitiv nicht sind.