Christian Holst

Kulturmanagement :: Kulturmarketing :: Digitale Transformation


Blog

  • Atrophie statt Kulturinfarkt: Warum wir ein Kulturmanagement des demographischen Wandels brauchen

    Zur Zeit wird viel über die Polykrise in der Kultur geschrieben: LongCovid, Publikumsschwund, Machtmissbrauch, Klimakrise, die nur schleppend vorangehende digitale Transformation usw. Trotz der einschüchternden Dimension dieser Krisen ist der Optimismus, sie in den Griff zu bekommen, bemerkenswert unerschütterlich. Beispielhaft ist mir das kürzlich an zwei Debattenbeiträgen zur Wiener Kulturszene aufgefallen. Im Standard wurden mit Statements von Fabian Burstein und Veronica Kaup-Hasler zwei scheinbar gegensätzliche Positionen einander gegenüber gestellt. Bei näherem Hinsehen besteht allerdings kaum ein Gegensatz. Es sind eher unterschiedliche Sichtweisen darauf, was zu tun ist. Kaup-Hasler ist als Funktionärin naturgemäß etwas optimistischer als Burstein, der gerade seine Streitschrift  „Eroberung des Elfenbeinturms“ bewirbt. Kaup-Hasler sieht hier und da noch Optimierungspotenzial, aber meint, dass die Richtung stimmt. Burstein liefert vier Vorschläge, wie sich die Krise bewältigen ließe: mehr Publikumsorientierung, mehr Bezug zur Lebensrealität, mehr Gegenwartsbezug, bessere Governance. In seinem Buch weitet er es dann auf 23 Thesen aus, was die Sache vielleicht ein bisschen komplexer aber nicht an sich aussichtslos macht. Burstein wendet sich dagegen, „Publikumsschwund und Relevanzverlust als schicksalhafte Konsequenz ‚äußerer Umstände‘“ einzuordnen, „als ob vorher alles gut gewesen wäre.“

    In Bezug auf Publikumsschwund und Relevanzverlust mag Burstein hier einen Punkt haben. Ich persönlich bin allerdings skeptischer, da mir keine Strategien bekannt wären, die Publikumsschwund oder Relevanzverlust wirklich nachhaltig und replizierbar aufzuhalten vermögen, d.h. über Erfolgsgeschichten einzelner Leitungsäras oder Fallbeispiele hinaus. Soweit ich das überblicke, gibt mir die empirische Forschung bei dieser Einschätzung recht, auch wenn ich gerne bereit bin, mich vom Gegenteil überzeugen zu lassen. Wie dem auch sei, endgültig machtlos sehe ich Kultureinrichtungen gegenüber einer Entwicklung, die sich auf der organisationalen Ebene zu einer Herausforderung mindestens der Größenordnung von Klimaneutralität, zeitgemäßen Organisationsstrukturen oder der Gewährleistung der gesellschaftlichen Relevanz von Kultur ausweiten wird. Trotz (oder gerade wegen?) dieser gewaltigen Dimension wird dieses Thema in der aktuellen Debatte um die multiplen Krisen meist als Randnotiz abgehandelt: Es geht um den demographischen Wandel. 

    Das Problem des demographischen Wandels wird sich als erstes im Personalmanagement niederschlagen. Dass diese Domäne im Kulturmanagement lange vernachlässigt wurde und oftmals immer noch wird, dürfte sich schon sehr bald sehr bitter rächen. Bereits jetzt zeigt sich allerorten Personalmangel. Dabei geht der demographische Wandel erst los. Stefan Schulz rechnet in seinem Buch „Die Altenrepublik“ mit Bezug auf Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit vor, dass in den nächsten zehn Jahren jährlich (!) durchschnittlich 400.000 mehr Menschen in Rente gehen, als in den Arbeitsmarkt eintreten. Über zehn Jahre gesehen werden also 4 Millionen Menschen im Arbeitsmarkt fehlen. Auch wenn es wenig Anzeichen dafür gibt, dass Richard David Precht mit seinen Prognosen Recht hat, dass die Automatisierung uns die Arbeit abnehmen wird, man kann angesichts dieser Zahlen eigentlich nur hoffen, dass er doch nicht ganz so daneben liegt, wie es derzeit aussieht.

    Nun kann man einwenden, dass die Arbeit im Kultursektor für viele Menschen attraktiv ist, weil sie u.a. Status und Selbstverwirklichung verspricht, der Kultursektor also weniger stark betroffen sein wird als die Sektoren Handwerk, Erziehung oder Pflege, die jetzt schon auf dem letzten Loch pfeifen. Allerdings hat Kulturbereich als Arbeitsfeld massiv an Attraktivität eingebüßt aufgrund vergleichsweise schlechter Bezahlung, Familienunfreundlichkeit und mitunter toxischen Arbeitsbedingungen. Von Dirk Schütz von Kulturpersonal, einer „Headhunting“-Agentur für den Kultursektor, ist zu hören, dass es bereits heute schwierig ist, Leitungspositionen im Kulturbereich zu besetzen. Das Problem dürfte sich massiv verschärfen. 

    In Bezug auf den Publikumsschwund könnte der demographische Wandel zunächst eher für Entspannung sorgen (oder sollte man es eher trügerische Sicherheit nennen?). Die „Boomergeneration“, die in den kommenden zehn Jahren in Rente geht, wird das erste Jahrzehnt ihrer Rentenzeit unternehmungslustig sein, über mehr Geld verfügen als folgende Rentnergenerationen und genügend Bezug zu den Angeboten haben, die Kultureinrichtungen derzeit so machen. Darin könnte sogar eine vorübergehende Chance für die Kultureinrichtungen liegen. In zehn bis fünfzehn Jahren wird diese Generation dann zunehmend als Publikum fehlen. Diese Entwicklung werden keine Publikumsorientierung, kein Lebensweltbezug, kein Gegenwartsbezug, keine Governance, kein Audience Development, kein Outreach und kein Marketing auffangen. Das Problem ist hier nicht (in erster Linie) soziale Abschottung oder Ausgrenzung, sondern simple Bevölkerungsstatistik – und damit durchaus „schicksalhafte Konsequenz äußerer Umstände“. Einzelne Einrichtungen werden härter oder weniger hart getroffen sein, smarter oder weniger smart damit umgehen. Internationalisierung mit Hilfe von digitalen Angeboten kann für große Kulturmarken eine Strategie sein, die Größe ihres Publikums zu halten. Hier und da wird es vielleicht gelingen, die Publikumszahlen durch Diversifizierung oder Popularisierung des Programms stabil zu halten. Aber der eh schon harte Kampf ums Publikum wird sich zuspitzen. Zum einen, weil die geburtenstarken Jahrgänge als Publikum verloren gehen, zum anderen, weil die dann folgenden Rentnergenerationen später in Rente gehen, weniger Geld zur Verfügung haben werden und vielleicht auch bevorzugt Formen von Kultur rezipiert, die nicht von den klassischen Einrichtungen angeboten werden können.

    Vor diesem Hintergrund denke ich, dass die Zeiten eines Kulturmanagements vorbei sind, das von einem hemdsärmeligen „Wir kriegen das schon hin, wenn wir nur vier oder sieben oder 23 oder wieviel auch immer Grundsätze beachten“ ausgeht und damit einem Wachstums- oder zumindest Stabilitätsoptimismus anhängt, die es bei anderen zu Recht kritisieren würde. Auch der Kultursektor unterliegt Grenzen des Wachstums. Diese Grenzen liegen allerdings nicht in den Rohstoffen am Anfang der Wertschöpfungskette, sondern an der schrumpfenden Ressource an deren Ende: dem Publikum. Insofern ist es gar nicht in erster Linie der vor zehn Jahren diagnostizierte Kulturinfarkt, an dem der Kultursektor krankt, sondern eher Atrophie, Gewebeschwund. Erst werden die Mitarbeiter verloren gehen, dann das Publikum und das ist nicht kompensierbar. Die Therapie könnte trotzdem ähnlich aussehen, wie damals für den Kulturinfarkt vorgeschlagen: Einen (Groß-)Teil des Kulturetats aus der derzeitigen Verwendung lösen und neu verteilen. Zur Unterstützung von Institutionen, Formaten und Projekten, die bisher zu kurz gekommen sind und zur besseren Ausstattung der weiterhin bestehenden Häuser. In quantitativer Hinsicht wird das ein Rückbau werden, der vermutlich hart und schmerzhaft verhandelt werden muss. Wenn allerdings gut verhandelt wird, kann diese Entwicklung in qualitativer Hinsicht für die Kunst, die Mitarbeitenden und das Publikum aber durchaus ein Gewinn sein.

  • Was ich geschrieben habe…

    Nach langer Zeit möchte ich mich mal wieder zu Wort melden. Dass es so lange gedauert hat, hatte u.a. damit zu tun, dass ich zwischenzeitlich vor allem an anderen Texten gearbeitet habe.

    So etwa an einem Buchkapitel zu dem Band Managing the Cultural Business. Avoiding Mistakes, Finding Success, der von Michela Addis und Andrea Rurale herausgegeben wird. Das Konzept des Buches ist sehr reizvoll, weil Kulturmanagement anhand von 10 typischen Missverständnissen/Fehlern erläutert wird, jeweils mit der Auflösung, wie man es denn richtig machen kann. Gemeinsam mit Giulia Miniero durfte ich das Kapitel »Corporate Communications and the Arts: The Mistake of Not Engaging« verfassen. Das Buch ist mittlerweile erschienen, eine italienische und eine chinesische Übersetzung sind in Arbeit.

    In der kommenden Ausgabe der Zeitschrift für Kulturmanagement und Kulturpolitik wird zudem eine Fallstudie erscheinen, die ich gemeinsam mit Anne Aschenbrenner und Sebastian Huber vom Wiener Burgtheater geschrieben habe. In dieser Fallstudie untersuchen wir anhand des virtuellen Theaterabends #vorstellungsänderung, inwiefern Co-Creation geeignet ist, digitalen Kulturangeboten das gewisse Etwas zu verleihen, das ihnen noch so oft fehlt. »Vorstellungsänderung. Co-Creation in digitalen Theaterformaten« heißt das Stück.

    Und schließlich durfte ich (endlich!) einen Beitrag für das fast schon legendäre Handbuch Kulturmanagement schreiben. Thema ist (na klar!) Co-Creation im Kultursektor.

    Für das kommende Jahr gibt es bereits ein paar weitere Ideen und Pläne, so dass es hier im Blog vorerst wahrscheinlich etwas ruhiger bleiben wird. Ich werde euch aber über die weiteren Veröffentlichungen auf dem Laufenden halten.

  • Kultur im Shutdown – Teil 2: Was reimt sich auf Corona?

    Im ersten Teil dieses Beitrags zu #KulturinZeitenvonCorona ging es um die Frage, ob Kultureinrichtungen derzeit einfach vorübergehend ins digitale Exil gehen oder den Shutdown vielleicht auch zum Anlass nehmen, den digitalen Raum zu einer zweiten Heimat zu machen. In meinem Verständnis würde das heißen, digitale Medien nicht nur für kommunikative Zwecke, sondern auch für künstlerische Angebote und Experimente zu nutzen. Ich hatte die Hoffnung formuliert, dass dies nun passieren könnte und angekündigt, mich im zweiten Teil des Beitrags mit den Voraussetzungen zu beschäftigen, die dafür nötig sind.

    Die Euphorie weicht der Ernüchterung

    Wie generell in der Corona-Pandemie haben viele Aussagen nur eine extrem kurze Halbwertszeit. Und somit ist in Bezug auf die Hoffnung des ersten Beitrags bereits eine gewisse Ernüchterung eingetreten. Zahllose digitale Künstler-Home-Stories deuten darauf hin, dass es eben doch vor allem darum geht, ein paar Grüße aus dem Exil zu schicken, also irgendwie im Gespräch zu bleiben, bis man alles wieder so machen kann, wie man es gewohnt ist. Speziell ernüchternd finde ich auch, dass vor allem gesendet, gesendet, gesendet wird, anstatt wenigstens auf interaktive Kommunikationsformate zu setzen und den echten, ehrlichen Austausch mit dem Publikum zu probieren. (Keine Regel ohne Ausnahme: Das Staatstheater Augsburg hatte da eine nette Idee mit Wünsch dir was.)

    Im Tagesanzeiger erschien eine unterhaltsam zu lesende Glosse zu diesem Thema, in der gefordert wird, den Shutdown lieber als kreative Pause und für die stille Arbeit am Meisterwerk zu nutzen. Auch das VAN-Magazin beschäftigte sich mit der Problematik: Hartmut Welscher sieht ebenfalls eher den digitalen Kampf um Aufmerksamkeit und Reichweite im Vordergrund. Also letztlich Kommunikation und Marketing statt künstlerische Arbeit und künstlerisches Experimentieren (die beliebte alte vermeintliche Dichotomie). Die großen Akteure, die bereits Reichweite haben, sieht er im klaren Vorteil gegenüber den kleinen Akteuren, die momentan sowieso ganz andere Sorgen haben, als digitale Formate zu entwickeln. Die Digitalisierung funktioniere daher nach dem kapitalistischen Prinzip: wer hat, dem wird gegeben. Allerdings mit dem unkapitalistischen Nebeneffekt, dass dem mittlerweile recht großen Angebot von Streaming-Angeboten nur eine sehr übersichtliche Nachfrage gegenüberstünde, die jetzt nur shutdown-bedingt einen Ausschlag erlebe.

    Da ist zweifellos etwas dran. Trotzdem ist es in meinen Augen zu kurz gesprungen. Musik wurde ja auch vor Corona durchaus sehr gern und viel virtuell und digital konsumiert (Spotify, Amazon unlimited, Youtube Music etc.). Nur lässt sich der virtuelle Musikkonsum heute nicht mehr mit Geschäftsmodell hinterlegen. Das ist das eine Problem. Das andere ist, dass damit auch die Motivation fehlt, digitale Möglichkeiten nicht nur als Chance auf mehr Sichtbarkeit und Reichweite zu verstehen, sondern als Experimentierfeld und Plattform auch für künstlerisch-ästhetische Formate. So verstanden würde ich mir die jetzige Situation als Innovations-Katalysator wünschen: Nicht nur Reichweite aufrecht erhalten oder ausbauen, bis man aus dem Exil in die Heimat zurückkehren kann, sondern auch jenseits des Reichweitenkalküls es als ureigenen Auftrag zu verstehen, auszuprobieren, was mit digitalen Mitteln so geht. Beim Spielen zeitgenössischer Musik steht schließlich auch nicht die Befriedigung irgendeiner Nachfrage im Vordergrund, sondern künstlerische Erwägungen und die Lust am Neuen. Diese Lust auf Neues wird oftmals als Teil des ureigenen Auftrags, auch als Legitimation der öffentlichen Finanzierung verstanden. Warum sollte das also nicht auch für neue künstlerische Möglichkeiten im digitalen Raum gelten? Die kommunikativen Möglichkeiten der digitalen Medien sind mittlerweile einigermaßen erprobt und professionalisiert worden. Die künstlerischen noch lange nicht. Die Corona-Krise könnte und sollte dafür ein Schubser sein. Es ist klar, dass man hier nicht innerhalb von zwei Wochen etwas Geniales hervorzaubert. Also ist die Empfehlung der Tagi-Glosse vielleicht gar nicht schlecht, den Shutdown als kreative Pause zu nutzen und in einem Jahr oder wann auch immer mit einem «richtigen Meisterwerk» um die Ecke zu kommen…  

    «The Collapse of Sensemaking»

    Genug der Vorrede. Jetzt zu dem Thema, das ich ursprünglich für diesen zweiten Teil vorgesehen hatte und das theoretisch erklärt, welche Aspekte auf Organisationsebene wichtig sind, um Krisensituationen zu überstehen und im Idealfall noch etwas Neues aus ihnen entstehen zu lassen. Es ist ein Gemeinplatz, dass Krisen und Katastrophen immer auch die Chancen für neue Entwicklungen mit sich bringen. Etwas weniger banal hat der Organisationspsychologe Karl E. Weick dieses Phänomen in seiner Analyse «The Collapse of Sensemaking in Organizations» vom Mann Gulch Disaster beschrieben. Bei dem Desaster handelte es sich um einen zunächst scheinbar eher harmlosen Waldbrand, der sehr plötzlich außer Kontrolle geriet. Von 16 Feuerwehrmännern, die zu seiner Bekämpfung im Wald abgesetzt worden waren, überlebten nur drei. Jahrzehnte nach dem Brand analysierte Weick die Ereignisse insbesondere in Hinblick auf die Frage, welche Auswirkungen die Katastrophe auf die Funktionsfähigkeit des Teams hatte und was die drei Überlebenden anders gemacht hatten als der Rest der Gruppe.

    Weick nutzt den Begriff des «sensemaking», der laut Wörterbuch mit «Sinnstiftung» übersetzt werden müsste. Wirklich übersetzen lässt sich dieser Begriff aber kaum. Ich finde, dass er am besten mit der deutschen Formulierung «sich einen Reim auf etwas machen» übersetzt werden kann, denn es betont wie der englische Begriff den Aspekt des Machens, des Produzierens. Handeln und Reflektion sind in diesem Begriff eng ineinander verzahnt und bedingen sich wechselseitig: Eine Reflektion über eine Situation legt eine bestimmte Handlung nahe, die Ausführung der Handlung wiederum zieht Reflektion nach sich, die wiederum eine Folgehandlung nahelegt usw. Um Sensemaking zu verstehen, hält Weick es für besonders aufschlussreich, Verhalten in Krisensituationen zu beobachten. Denn in Krisensituation taugen bewährte Routinen und Überzeugungen nichts mehr und die Betroffenen müssen sich eben einen Reim auf das machen, was gerade passiert, also Sensemaking betreiben.

    Weick erläutert das Konzept anhand des besagten Waldbrands. Das Feuer verhielt sich anders als erwartet, die verinnerlichten Routinen und Denkmuster der Feuerwehrmänner griffen nicht bei der Bekämpfung und es gelang den Männern nicht, sich einen Reim auf die Situation zu machen. Natürlich ist es besonders schwierig, in Stresssituationen gewohnte Verhaltensweisen abzulegen und Denkmuster zu hinterfragen. Dabei sind es aber oftmals gerade kontraintuitive Ideen, durch die eine Krise erfolgreich gemeistert werden kann. So forderte der Kommandeur der Gruppe die anderen Männer beispielsweise auf, ihr (schweres) Gerät abzuwerfen, um schneller und beweglicher zu sein und besser vor dem Feuer fliehen zu können. Die Männer verstanden den Sinn der Aufforderung nicht (warum sollte sich ein Feuerwehrmann angesichts eines solchen Feuers auch noch seiner Hilfsmittel entledigen?) und folgten ihr nicht. Das Feuer holte sie ein.

    Was die Überlebenden laut Weicks Analyse gerettet hatte war, dass sie es schafften, aus ihren Routinen als Organisationseinheit und ihren professionellen Denkmustern auszubrechen. Der Kommandeur legte ein Gegenfeuer, kurz bevor die Feuerwand ihn erreichte. Eine kontraintuitive Idee, Feuer mit Feuer zu bekämpfen. Aber so konnte er sich in den Aschefleck des Gegenfeuers legen und wurde vom Waldbrand verschont, weil es in diesem Aschefleck für das Feuer nichts mehr zu holen gab. Seine Kameraden verstanden nicht, was er vorhatte und rannten weiter bergauf vor dem Feuer davon. Zwei anderen gelang es, zusammen zu bleiben und sich in eine Felsspalte zu retten, wo das Feuer nicht hinkam. Sie schafften es, die nicht mehr funktionierende Organisationsstruktur des Teams durch eine neue, kleinere Organisationseinheit zu ersetzen und sich gegenseitig zu unterstützen.

    Vier Erkenntnisse von Weick

    Weick leitet vier Aspekte aus dem Fall ab, die in seinen Augen den Kollaps des Sensemakings in Krisen- oder Katastrophensituationen verhindern können:

    • Improvisation und Bricolage: Wenn gewohnte Maßnahmen nicht mehr funktionieren, gilt es, mit den einfachen verbleibenden Mitteln, neue Lösungen zu improvisieren. Diesen Punkt leitet Weick vor allem aus der Idee mit dem Gegenfeuer ab. Mit ein paar Streichhölzern und einem guten Gedanken gelang es dem Kommandeur der Gruppe, sich aus einer schier ausweglosen Situation zu befreien.
    • Virtuelle Rollensysteme: Wenn jeder jederzeit einen Überblick darüber hat, welche Verantwortlichkeiten in der Gruppe bestehen, ist es erheblich einfacher, eine zerfallende Organisationseinheit funktionsfähig zu halten, weil nicht mehr abgedeckte Aufgaben zumindest notdürftig ersetzt werden können. Zuviel Spezialistentum und Elfenbeinturm-Wissen sind in einer Krise, in der Fachwissen plötzlich nicht mehr viel Wert ist, nicht hilfreich.
    • Weisheit als Haltung (Attitude of wisdom): Um in Krisensituation reagieren zu können, ist es wichtig, sich der Voreingenommenheit und der Begrenztheit der eigenen Überzeugungen und Erfahrungen bewusst zu sein. Diese Haltung kann dabei helfen, dass man in schwierigen Situationen erkennt, alles ganz anders machen zu müssen, als man es bisher getan hat, dass bisheriges Wissen und Kompetenzen auf einmal nichts mehr wert sein können. Weisheit sei damit eher eine Haltung gegenüber Wissen und Erfahrung (über das man natürlich auch verfügen sollte) als die Summe aus Wissen oder Erfahrung selbst, so Weick.
    • Respektvolle Interaktion: Als Einzelkämpfer hat man es in Krisensituationen schwer. Es gilt also, Gruppen zu erhalten oder neue Einheiten zu bilden, wenn eine bewährte Organisationsstruktur angesichts einer Katastrophe zerfällt, weil man dann nicht auf sich allein gestellt ist, sich einen Reim auf die neue Situation zu machen. Zwar hat man wenig Zeit und Möglichkeiten, seine Mutmaßungen wirklich zu erhärten, aber immerhin kann man Lösungen intersubjektiv prüfen.

    Was reimt sich auf Corona?

    Diese Aspekte lassen sich auch auf die Krisensituation beziehen, in denen sich Kultureinrichtungen gerade befinden. Und bei vielen der gerade entstehenden Lösungen, lassen sich die Aspekte auch wiedererkennen: So sind die Hauskonzerte von Igor Levit ein schönes Beispiel für Improvisation und Bricolage: Mit einfachen Mitteln versucht er, weiterhin Musik für andere Menschen machen zu können. Akustisch ist das Ergebnis sicher nicht befriedigend und mit einem Konzertbesuch oder auch dem Hören einer CD zu vergleichen. In den Tweets rund um diese Konzerte wird aber auch deutlich, dass es darum gar nicht in allererste Linie geht. Es geht vielmehr darum, gemeinsam mit anderen Kunst erleben zu können. Interessant fand ich in der Hinsicht auch das Angebot des Mannheimer Nationaltheaters. Das Haus bietet keine Streamings von ganzen Aufführungen, sondern ca. halbstündige Zusammenschnitte aktueller Produktionen (hier z.B. Carmen). Zur Einstimmung gibt es ein paar O-Töne von beteiligten Künstlern und dann wird offenbar einfach mit der Bühnentotale gearbeitet, die normalerweise eigentlich nur für interne Zwecke aufgezeichnet wird. Mit Überblendungen, Schnitten, Farbeffekten und ähnlichem mehr wird dieses Material ästehtisch aufgewertet. So entsteht aus einem reinem Arbeitsdokument ein Dokument, das man in der aktuellen Situation auch veröffentlichen kann.

    Der Punkt mit den virtuellen Rollensystem schließt hieran an: Der eigentlich dokumentarisch arbeitende Video-Mitarbeiter produziert plötzlich ein künstlerisches Produkt über ein künstlerisches Produkt. Die klare Arbeitsteilung eines Theaters in künstlerische, administrative und technisch-handwerkliche Aufgaben verschwimmt. Silke Oldenburg erzählt im Interview mit Martin Zierold ebenfalls, wie sich im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg das Areiten in Silos auflöst. Kuratoren arbeiten in der Online-Redaktion mit, weil der neue Ausstellungsraum digital ist oder weil sie in ihrem eigentlichen Arbeitsfeld vorübergehend keine Aufgabe haben. Ich habe bereits vor einiger Zeit schon einmal versucht darzulegen, warum ein strategisches Verständnis von Marketing meines Erachtens auch die künstlerische Ausrichtung mit einschließt und dass es gut ist, manche Funktionsbereiche als Querschnittsaufgabe zu verstehen. Die aktuelle Krise bestätigt das: Es ist nützlich und produktiv, wenn man die Grenzen zwischen den «Arbeitssilos» fließend halten kann.

    Den Punkt «Weisheit als Haltung» finde ich am schwierigsten auf die aktuelle Situation zu beziehen. Im «Wie geht’s?»-Podcast  hört man viel die Meinung, dass sich sehr Grundlegendes ändern müsse und ändern werde und man nach der Krise nicht einfach so weitermachen könne, wie bisher. Sehr deutlich wird das z.B. im Gespräch mit Tina Heine. Auch könnte man argumentieren, dass der Kunst- und Kulturbereich eine Kernkompetenz darin hat, einen «anderen Blick» auf die Dinge zu werfen, gesellschaftlich relevante Themen und Fragen anders zu sehen und kontextualisieren, als man es gemeinhin tut und auf diese Weise die Begrenztheit und Voreingenommenheit unserer eingeübten Denkwege herausfordert. Vor diesem Hintergrund steht der Kultursektor per se für «Weisheit als Haltung» im Sinne Weicks. Und so gesehen hat auch der etwas phrasenhafte Ausspruch, dass Kultur in der Krise wichtiger denn je sei, durchaus seine Berechtigung. Gleichzeitig kommt darin aber auch all das allzu selbstgewisse Traditions- und Sendungsbewusstsein des Kulturbetriebs zum Ausdruck, das einer «Weisheit als Haltung» zumindest dem eigenen Tun und der eigenen Bedeutung gegenüber auch hinderlich sein dürfte. Die Lust am wirklich Neuen, scheint mir aktuell (noch) nicht sehr ausgeprägt zu sein (s.o.). Genau die gilt es aber, so habe ich Tina Heines Aussagen interpretiert, gemäß dem Prinzip «Weisheit als Haltung» zu nutzen und zum Tragen kommen zu lassen: Bestehende Erfahrungen und bestehendes Wissen unter den geänderten Voraussetzungen zu erproben und anzuwenden.

    Respektvolle Interaktion zu pflegen ist sicher zu jeder Zeit ein guter Tipp. Ich denke, das ist ein Modus, den Kultureinrichtungen und ihre Vertreter, Künstler und Kreative in vielen Fällen auch sehr gut beherrschen. Das zeigen die zahlreichen, sich permanent wandelnden Netzwerke und Vernetzungen, also die Fähigkeit, situativ Organisationseinheiten zu bilden, in denen Sensemaking stattfindet und gelingt. Nachholbedarf besteht in dieser Hinsicht in meinen Augen aber mit Blick auf das Publikum und die Öffentlichkeit: Die werden in meinen Augen bislang noch viel zu wenig als Ressource von Kultureinrichtungen begriffen und in die Netzwerke einbezogen. Wie oben geschrieben, kommt der Routinemodus «Senden, senden, senden» in der Krise scheinbar besonders zum Tragen. Da lässt sich gut die Parallele zu den Feuerwehrmännern ziehen, die an ihren Geräten festhalten, die ihnen nichts mehr nützen, sondern sie nur noch behindern. Auf digitale Medien und digitalen Kontakt zum Publikum zurückgeworfen zu sein, ist in meinen Augen eine große Chance, auch die Besonderheiten der Medien zu nutzen, also deren Interaktivität und Konnektivität. Wie gesagt verfolgt das Staatstheater Augsburg da eine interessante, kurzfristig realisierbare Idee.

    «Drop your tools»

    Auf der theoretischen Ebene können Weicks Ausführungen also durchaus etwas beitragen zum Verständnis, worauf es jetzt in den Kultureinrichtungen ankommt. Ob die vier Aspekte bereits erschöpfend sind, weiß ich nicht. Wahrscheinlich würden sich auch weitere Aspekte finden lassen. Mich interessiert zum Abschluss des Beitrags eher noch die Frage, was diese Erkenntnisse denn auf der praktischen Ebene bedeuten? Was sind kontraintuitive Ideen und Techniken, die hilfreich sein könnten, um den Kultursektor jetzt einerseits aus der Krise zu führen, andererseits aber auch insgesamt weiterbringen könnten? Was sind die konkreten Entsprechungen zu dem Gegenfeuer oder dem Aufruf «Drop your tools»? Ein etwas ketzerischer, aber nach Weick durchaus folgerichtiger Ansatz könnte es sein, zu schauen, was die Kultureinrichtungen traditionellerweise machen würden und sich dann zu überlegen, was das genaue Gegenteil davon wäre. Das wiederum wären dann vielleicht interessante Reaktionen auf die aktuelle Situation. Ich starte mal mit einer kleinen Thesen-Liste, die auf diesem Gedanken aufbaut:

    • Die Idee von «l’art pour l’art» hat ausgedient. Wie man jetzt merken kann, braucht Kunst das Publikum, das sie wertschätzt mindestens so sehr wie das Publikum die Kunst braucht.
    • Zuhören und interagieren ist das neue Senden und Monologisieren.
    • Digitale Medien sind nicht nur Werbekanäle, sondern auch virtuelle Bühnen, Ausstellungsräume, Lesesäle, Treffpunkte usw., müssen als solche aber auch begriffen und gestaltet werden.
    • Das heißt zum Beispiel, dass Kultureinrichtungen neue, formatgerechte künstlerische Experimente entwickeln sollten anstatt einfach die Archive zu plündern oder die Kunst aus den traditionellen Formaten einfach virtuell abzubilden.
    • Aufgaben der Kuration und der Kommunikation verschmelzen hier. Klare strukturelle Trennungen zwischen den Arbeitsbereichen, ebenso wie etwas übergeordneter zwischen Kultur und Management generell, sind nicht mehr funktional. Organisationsstrukturelle Grenzen verflüssigen sich.
    • Das gilt ähnlich in Hinblick auf das Publikum. Es sollte nicht mehr vor allem Objekt des Managementhandelns einer Kultureinrichtung sein, sondern Partner, d.h. als Bestandteil des Netzwerks einer Einrichtung auch als dessen Ressource verstanden werden.

    Wenn euch noch mehr Dinge einfallen oder ihr widersprechen wollt, tut das gern auf Facebook. Ich bin gespannt.

  • Kultur im Shutdown – Teil 1: Digitales Exil oder zweite Heimat?

    Die Virologin Karin Mölling sagte neulich in einem Interview (das Radio Eins im Nachhinein in einer höchst peinlichen Art und Weise „einordnete“) Viren seien „Antreiber der Evolution“ (Min 4:03). Das soll jetzt angesichts der schwierigen Situation nicht sarkastisch klingen, aber im übertragenen Sinne lässt sich diese Aussage auch auf die Digitalisierung kultureller Angebote beziehen: Während sich viele Kultureinrichtungen jahrelang damit schwertaten, digitale Programme zu entwickeln, gilt es jetzt, schnell zu sein und in kurzer Zeit digitale Angebote bereitzustellen, damit eine Art kulturelles Leben aufrechterhalten werden kann.

    Für Einrichtungen, die sich schon länger digitale Angebote im Programm haben, war das erstmal relativ einfach: Die Berliner Philharmoniker machen ihre Digital Concert Hall vorübergehend frei zugänglich, Opern- und Konzerthäuser und Orchester, die es können, stellen Aufzeichnungen kostenlos zur Verfügung. Eine (nicht vollständige) Übersicht für den Sektor klassische Musik hat die NZZ. Bei der Augsburger Allgemeinen gibt es eine Liste mit Schwerpunkt auf Angeboten von Museen.

    Daneben entstanden aber auch viele spontan improvisierte Lösungen wie Igor Levits Hauskonzertreihe, die er via Twitter und Facebook live überträgt, die Lesungen von Saša Stanišić auf Twitch oder die Instagram-Führungen des Museums für Kunst und Gewerbe in Hamburg. Auf Twitter habe ich neulich eine ko-kreativ verfasste Corona-Geschichte entdeckt, leider aber den Link nicht direkt gespeichert. Besonders bewegend fand ich ein Video des Bachfestival Malaysia, bei dem Künstler und Freunde des Festivals online gemeinsam „Befiehl du deine Wege“ sangen und spielten. Das Schöne: Dass das Video gleich hält, was der Text des Chorals – geistlich oder ungeistlich interpretiert – verspricht: „Irgendwie wird es weitergehen“. (Ein ähnliches Video haben die Bamberger Symphoniker auf Instagram gepostet.) Das sind freilich nur wenige und völlig willkürliche Beispiele. Regelmäßig über das Angebot informieren kann man sich im täglichen Krautreporter-Newsletter, der jetzt eine Rubrik mit Kulturtipps für den virtuellen Raum hat. Erwähnenswert für Menschen, die sich für Kulturmanagement in Zeiten des Corona-Virus‘ interessieren, finde ich außerdem noch den Podcast „Wie geht’s?“ des Hamburger Instituts für Kultur- und Medienmanagement, in dem Martin Zierold mit Leuten aus dem Kultursektor darüber spricht, wie der Shutdown ihren Arbeitsalltag verändert.

    Es passiert also gerade einiges. In einem Bericht über diese neuen Angebote bin ich neulich allerdings über eine aufschlussreiche Formulierung gestolpert. Dort hieß es nämlich, viele Künstler seien ins „digitale Exil“ ausgewandert. Interessant ist diese Formulierung insofern, als sie impliziert, dass die „Heimat“ der Künstler, die Bühne, der Ausstellungsraum, eben die analoge Welt ist. Die Shutdown-Maßnahmen sind damit quasi eine „Vertreibung“ aus dem natürlichen und angestammten Lebensraum; der digitale Raum ist – auch 2020 noch – ein fremder Raum, in den man durch äußere Umstände gezwungen wird, der aber nicht aus intrinsischer Motivation heraus erkundet wird.

    Bislang wurde der Nutzen digitaler Aktivitäten vor allem als Erweiterung der Kommunikationsmöglichkeiten gesehen. Damit ist die Digitalisierung im öffentlich finanzierten Kulturbereich zuerst und vor allem im Marketing sichtbar geworden. Als Erweiterung der ästhetischen Möglichkeiten und Ausweitung des ästhetischen Raumes spielte die digitale Sphäre nur eine nachrangige Rolle. Vielleicht, weil es bisher wenig Anreiz gab, sich den digitalen Raum zu erschließen. Tragfähige digitale Geschäftsmodelle für nischige Kunst (ich meine damit die „klassische Kultur“ insgesamt) konnten bislang nicht entwickelt werden – Long Tail hin oder her. Selbst Leuchtturmprojekte mit internationaler Ausstrahlung und einem klaren Business-Case wie die Digital Concert Hall der Berliner Philharmoniker bewegen sich – auch viele Jahre nach der Gründung und je nachdem mit wem man spricht – entweder nur sehr knapp oder immer noch nicht in den schwarzen Zahlen. Hier kann man allerdings einwenden: Tragfähige Geschäftsmodelle gibt es für öffentlich finanzierte Kultur in aller Regel auch nicht im analogen Raum und sind bei den derzeit aufkeimenden digitalen Aktivitäten ja auch kein Hinderungsgrund mehr.

    Wie gesagt dienten digitale Inhalte in aller Regel zu Marketingzwecken, sie sollten veranschaulichen, was man in den Häusern vor Ort erleben kann. Gerade bei verbal schlecht vermittelbaren Angeboten wie zum Beispiel einem abstrakten Tanzstück ist das natürlich auch sinnvoll. Trotzdem sind die Inhalte immer nur ein Abbild der „eigentlichen“ Inhalte für Marketingzwecke, nicht als eigenständige künstlerische Ausdrucksform gedacht. Andere bewährte Einsatzgebiete sind die Imagebildung, z.B. um die eigene Pionierrolle zu unterstreichen (Berliner Philharmoniker), oder das Audience Development, wo versucht wird, insbesondere junge Menschen im digitalen Raum „abzuholen“ und über kurz oder lang in die Häuser zu locken. Digitale Angebote als genuine, den traditionellen Formaten gleichgestellte Angebote zu sehen, das war und ist die Ausnahme – insbesondere in den Performing Arts. Teilweise wird das ausschließlich klassische analoge Kulturerlebnis sogar noch immer bewusst als Gegenwelt zu virtuellen Angeboten positioniert, die keine physische Präsenz an einem bestimmten Ort erfordern. Unter den Museen gibt es einige, die ihren Auftrag des Forschens, Sammelns, Bewahrens, Ausstellens und Vermittelns auch digital umsetzen und zum Beispiel keine Unterscheidung mehr zwischen Besuchern vor Ort und in den digitalen Ausstellungsräumen machen (vgl. dazu z.B. das Interview mit Silke Oldenburg im „Wie gehts’s?“-Podcast). Common Sense ist das nach meiner Wahrnehmung aber noch nicht.

    Man kann den Kultureinrichtungen jetzt sicher nicht den Vorwurf machen, in den zwei Wochen seit dem Shutdown noch keine genuin digitalen künstlerischen Formate entwickelt zu haben. Man kann aber fragen, warum es nicht schon lange vor den Maßnahmen zur Bekämpfung von Covid-19 passiert ist – von den allseits bekannten Ausnahmen abgesehen. Offenbar braucht es den Druck durch eine externe Entwicklung, wie er jetzt durch den Shutdown entstanden ist. Das ist zwar einerseits etwas konsternierend, zumal die aktuelle Situation ja voraussichtlich massive Konsequenzen haben wird (s. dazu z.B. die Artikel im VAN-Magazin oder der Zeit, die Petition für Hilfen für Freiberufler und Künstler sowie den Spendenaufruf der Deutschen Orchester-Vereinigung). Andererseits lässt sie sich aber – wie eingangs gesagt – auch als Antreiber der Evolution verstehen und nutzen: Die aktuelle Situation ist ein guter Anlass zu überlegen, wie der digitale Raum nicht nur Exil, sondern zu einer zweiten Heimat für Kultureinrichtungen werden kann. Im zweiten Teil soll es deswegen darum gehen, was die Voraussetzungen sind, damit das gelingt.

  • Den Takt vorgeben: Was man beim Dirigieren über Leadership lernen kann

    Im vergangenen Sommer war ich auf Einladung des Siemens Arts Programme auf Bloggerreise in Salzburg. Neben der netten Gesellschaft und der perfekten Organisation war ein Highlight dieser Reise ein Dirigier-Workshop – mit Stephan Frucht als Leiter und den Salzburg Soloists als ebenso stoischem wie nachsichtigem Experimentiergegenstand. Angelika Schoder, Christian GriesAxel Kopp und die Kulturflüsterin haben über diesen Workshops bereits ausführlich in ihren Blogs berichtet. Durch neuen Job, stARTcamp und ein paar andere Dinge kommt mein Bericht erst jetzt.

    Gedacht ist das Seminar normalerweise nicht für Kulturblogger, sondern für die Managementkräfte von Siemens, die damit zur Reflektion über das eigene Führungsverhalten in puncto Auftreten, Präsenz etc. angeregt werden sollen. Und dafür ist dieser Workshop auch zweifelsfrei geeignet, denn Orchester zu führen ist in mancherlei Hinsicht prototypisch für das Führen in großen, stark arbeitsteiligen Organisationen mit eher hoher Leitungstiefe. Die Metapher „den Takt vorgeben“ kommt nicht von ungefähr. Frucht machte das in seinen Erläuterungen deutlich, in denen er auf die Herkunft des Dirigenten aus der Militärmusik verwies. Über diese Analogien hinaus regte der Workshop aber auch zum Nachdenken über Führung allgemein an. Denn freilich besteht die Aufgabe des Dirigenten nicht darin, Kommandos zu geben. Als Dirigent, so Frucht, sei man vielmehr zuständig für
    – den Blick aufs große Ganze,
    – das Qualitätsmanagement und
    – die Motivation der Mitarbeiter.
    Dinge, die eine gute Führungskraft ebenfalls auszeichnen. Darüber hinaus sollten Dirigent wie Manager gute Zuhörer und in Gedanken ihren Mitarbeitern immer zwei Schritte voraus sein. Insofern lassen sich viele Parallelen ziehen, die als Denkanstoß aufschlussreich sein können.

    Erstaunlich war für mich zu sehen, wie unterschiedlich das Orchester klang und reagierte, je nachdem, wer von uns gerade vor ihm stand. Und das, obwohl es noch gar nicht um musikalische Feinheiten ging, sondern wir nur Tonleitern und ein einfaches «Freude schöner Götterfunke»-Arrangement dirigierten. Somit könnte man schlussfolgern, dass sich die Persönlichkeit einer Führungsperson immer auch im Ergebnis widerspiegelt und dieses immer etwas anders ausfallen kann, ohne dadurch aber besser oder schlechter zu sein. Es gibt ja eine viel zitierte Anekdote über den Klang der Berliner Philharmoniker unter Wilhelm Furtwängler. Und zwar soll ein Gastdirigent mit dem Orchester geprobt und sich irgendwann während der Probe gewundert haben, warum das Orchester auf einmal ganz anders klang. Bis er sich umdrehte und feststellte, dass sich Wilhelm Furtwängler hinten in den Saal gesetzt hatte. Kann gut sein, dass das eine Urban Legend ist, aber nach der Erfahrung im Workshop kam sie mir doch ein ganzes Stück glaubwürdiger vor.

    Die Schlussfolgerung, dass es bestimmter Persönlichkeitsmerkmale oder Eigenschaften bedarf, um ein guter Dirigent oder eine gute Führungskraft zu sein, halte ich allerdings auch nach dem Workshop noch für vorschnell. Fredmund Malik betont in seinen Büchern gerne, dass es nicht entscheidend ist, wie jemand ist. Im Workshop wurde das durch eine kleine Fotoanalyse verschiedener großer Dirigenten in typischen Posen verdeutlicht: Der eine wirkt sympathisch und freundlich, der andere skurril und exzentrisch und der nächste herrisch und schlecht gelaunt – herausragende Dirigenten waren sie trotzdem alle. Man sollte also die Falle vermeiden, zu sehr von Äußerlichkeiten oder persönlichen Eigenschaften auf Leadership-Qualitäten zu schließen. Itay Talgam ist meines Erachtens in seinem berühmten TedTalk daher ziemlich auf dem Holzweg, wenn er genau solche Äußerlichkeiten «analysiert» und meint, auf dieser Basis weitreichende Rückschlüsse über Führungsprinzipien ziehen zu können: Empathie macht Führen überflüssig, wer den Raum beherrscht, beherrscht die Leute, wer zuviel Macht ausübt, entmachtet sich selbst. Nee, ist klar. Es sind völlig unsystematisch zusammengestellte Youtube-Schnipsel, die Talgam präsentiert und deren Aussagekraft gegen Null geht. Kleiber ist nicht der bessere Dirigent als Muti, weil er lächelt anstatt grimmig zu gucken. Und Bernsteins Gag, einen Haydn-Satz nur mit Mimik zu dirigieren ist zwar lustig, aber auch nicht der Grund, warum Bernstein ein toller Dirigent war und funktioniert auch nur bei bestimmter Musik. Es spielt keine Rolle, ob ein Dirigent das Orchester anlächelt (zumal wenn er gerade Strausswalzer dirigiert) oder mal grimmig guckt (während er eine düstere Mozart-Ouvertüre dirigiert), ob die Bewegungen weich oder zackig sind. Die eigentliche Kunst liegt darin, in der Partitur etwas zu entdecken, was andere so nicht finden und es den Musikern vermitteln zu können, eine neue Sicht auf etwas Altbekanntes zu ermöglichen.

    Da hilft eher das Konzept der transformationalen Führung weiter, also das Wecken und Orchestrieren (!) der intrinsischen Motivation vieler Individuen. Dieses Konzept lässt sich an Dirigenten insofern besonders gut zeigen, als sie im Konzert tatsächlich nur «transformierend» einwirken können. Jede direkte Steuerung, jedes direkte Eingreifen ist ihnen verwehrt. Was transformationale Führung ausmacht hat Bernard M. Bass anhand von «vier Is» beschrieben:

    • Idealized influence meint authentisches Verhalten der Führungskraft, durch das sie Respekt und Vertrauen gewinnt und zur Identifikationsfigur wird.
    • Inspirational motivation meint, dass die Führungskraft die Bedeutung von Zielen und Aufgaben vermitteln kann, so dass Motivation nicht über externe Anreize erfolgt, sondern durch persönliche Identifikation mit diesen Zielen.
    • Intellectual stimulation bedeutet, dass die Mitarbeiter auf intellektueller Ebene angeregt, Gewohnheiten und Routinen zu hinterfragen, Neues zu lernen und aktiv neue Erkenntnisse und Einsichten anzustreben, die zum Gelingen des Ganzen beitragen können.
    • Individualized consideration schließlich heißt, dass die Führungskraft individuell auf die Mitarbeiter eingeht und sie gemäß ihrer individuellen Stärken fördert und fordert.

    In anderen Modellen werden diese Punkte noch ergänzt um Zukunftsvision und hohe Leistungserwartung, wovon zumindest letzteres im Orchesterbereich sicher auch als selbstverständliche Voraussetzung angesehen wird. Ich würde die These wagen, dass sich diese vier Punkte in der Arbeitsweise praktisch aller großen, heute lebenden Dirigenten wird finden können – unabhängig von allen Unterschieden in der Persönlichkeit, im Stil, in musikalischen Vorlieben und Auffassungen. Früher mag das etwas anders gewesen sein, wo die Rolle des Dirigenten noch autokratischer verstanden wurde, der Dirigent das Orchester mehr als sein Instrument verstand als eine Gruppe von Menschen. Der Trend von der transaktionalen Führung (Zielvereinbarung) zur transformationalen Führung lässt sich somit wahrscheinlich auch im Orchesterbereich nachvollziehen.

    Im Nachgang des Workshops stellte ich mir aber auch die Frage, wo die Grenzen des Transfers von der Orchesterwelt in die sonstige Arbeitswelt liegen. Schließlich ist es nicht der Normalfall in der gewöhnlichen Arbeitswelt, dass es sehr detaillierte Ausführungsanweisungen für 80 Personen gibt, die eine Person in wochenlanger Vorbereitung alle akribisch durchgearbeitet hat, um sie dann in einer bestimmten Situation koordinieren zu können. Es gibt sie bestimmt hier und dort. Zum Beispiel beim Militär, Flugverkehr oder in der Chirurgie und anderen Bereichen, wo strikt standardisierte Abläufe und strenge Hierarchien nach wie vor sinnvoll sind. Insgesamt wird heute aber eher darüber nachgedacht, wie solche Strukturen aufgelöst werden können, so dass die einzelnen Personen im Rahmen gröberer Leitlinien und Zielsetzungen nach ihrem besten Wissen und Gewissen arbeiten und sich entfalten und einbringen können. Gerade wenn es keine detaillierten Ausführungsanweisungen gibt oder geben kann, etwa, weil man sich in unsicheren, dynamischeren Umfeldern bewegt, ist wohl eher die improvisierende Jazzband ein geeignetes Vorbild für Kooperation und Führung: Eine eher kleine Gruppe, in der alle mehr oder weniger gleichgestellt sind, ihre Funktion in der Gruppe und die Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit kennen, aber innerhalb dieses Spielfelds sehr spontan und frei agieren können, in der jeder die Gelegenheit hat zu brillieren und wo nicht von vornherein klar ist, wie das Arbeitsergebnis am Ende aussehen wird.

    Auch in der Orchesterwelt haben solche Ideen inzwischen Einzug gehalten. Manche (kleinere) Orchester spielen ohne Dirigenten – eines davon ist die Berner Camerata. Louis Dupras, der ehemalige Leiter der Camerata, sagte mir vor längerem mal in einem Interview, dass er den Erfolg des Ensembles auch darin vermute, dass das Modell des Orchesters unserer Zeit und unseren heutigen Vorstellungen von Zusammenarbeit sehr entspräche:

    Es ist eine Hypothese von mir, aber ich könnte mir vorstellen, dass es mit der Art und Weise zu tun hat, wie wir mit klassischer Musik umgehen, wie wir sie spielen. Im 19. Jahrhundert waren die Industrien sehr hierarchisch und sehr arbeitsteilig aufgebaut. Das spiegelt sich in der Struktur eines Sinfonieorchesters, das etwa parallel zur Industrialisierung entstanden ist und mit ihr seine Blüte hatte. Heute sind viele Unternehmen kollegialer, teamorientierter aufgestellt. Das spiegelt sich in der Art und Weise wieder, wie die Camerata musiziert. Ich kann mir gut vorstellen, dass sich viele Leute heute eher mit einem Modell identifizieren können, wie wir es praktizieren, weil sie merken, da sind Leute auf der Bühne, die etwas zusammen machen, weil sie Freude daran haben. Jeder kann und muss etwas entscheiden, jeder gibt sein Bestes, keiner kann sich in der Masse verstecken und niemand ist nur ein austauschbares Rädchen im Getriebe. Die Identifikationsmöglichkeiten sind da viel aktueller. Das ist ein Aspekt, der leider nur selten diskutiert wird, aber ich denke, das spielt auf einer übergeordneten Ebene eine wichtige Rolle für den Erfolg der Camerata.

    https://www.instagram.com/p/B0ojod9nwPL/?utm_source=ig_embed

    Neben der aufregenden Erfahrung, einmal selbst vor einem Orchester stehen zu dürfen bietet ein solcher Workshop somit jede Menge Anregungen, über Führung und Zusammenarbeit nachzudenken. In Bezug auf die Parallelen, die sich zweifellos ziehen lassen ebenso wie in Bezug auf Aspekte, wo die Übereinstimmungen gerade nicht festzustellen sind. In diesem Sinne noch einmal sehr herzlichen Dank für die Einladung, liebes Siemens Arts Programme!

  • „Hello, we’re from the internet“ – Beitrag im Dossier Digitalisierung auf kubi-online.de

    Die Plattform kubi-online.de hat für ihr Dossier „Digitalisierung“ einen Aufsatz von mir angenommen, der kürzlich veröffentlicht wurde. In dem Text geht es hauptsächlich um die Frage, warum Kultureinrichtungen ihr Selbstverständnis angesichts der digitalen Transformation hinterfragen und anpassen sollten. Ausgangspunkt meiner Überlegungen ist, dass die Theorie und Praxis des Kulturmanagements stark angebotsorientiert ist. Die öffentliche Finanzierung macht es möglich, weil sie die Einrichtungen vor den Dynamiken des Marktes schützt. Sie schützt jedoch nicht vor den Dynamiken der Digitalisierung, durch die immer mehr Menschen zu kulturellen Akteuren und Multiplikatoren werden, die sich Kulturangebote nach ihren eigenen Regeln aneignen. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung sollten Kultureinrichtungen sich nicht nur als Kulturproduzenten verstehen, sondern zu Drehscheiben in der Auseinandersetzung mit kulturellen Themen werden.

    Im Dossier Digitalisierung sind insgesamt 14 Aufsätze enthalten, die sich mit der Digitalisierung insbesondere in der kulturellen Bildung beschäftigen.

  • Gerade erschienen: Kultur in Interaktion

    Das Thema des stARTcamps 2018 war „Co-Creation im Kultursektor“. Da dieses Thema bislang kaum aus der theoretischen Perspektive bearbeitet wurde, entstand die Idee, die Themen, die am Camp verhandelt wurden, auch noch einmal in einem Buch zu dokumentieren. Dieses Buch mit dem Titel «Kultur in Interaktion. Co-Creation im Kultursektor» ist jetzt gerade im Springer Gabler Verlag erschienen. Es versammelt elf Beiträge von denen einige auf Sessions und Themen des stARTcamps 2018 basieren. Andere sind aber auch erst nachträglich dazugekommen. Gemeinsam ist ihnen jedoch, dass sie sich um die Frage drehen, wie Co-Creation, Partizipation und Interaktion in Kultureinrichtungen gestaltet werden können, insbesondere vor dem Hintergrund der Digitalisierung, die wie ein Katalysator auf diese Prozesse wirkt.

    Der offene, partizipative, man könnte auch sagen unsystematische Charakter von stARTcamps, bei dem sehr unterschiedliche Perspektiven, Ansätze, Formate und Menschen zusammen finden, schlägt sich auch in diesem Band nieder. Das heißt, die Zugänge zu dem Thema sind in Form und Inhalt sehr unterschiedlich: Bei manchen Beiträgen handelt es sich um theoretisch-wissenschaftliche Aufsätze, andere sind praxisbezogene (Erfahrungs-)Berichte, bei zwei Beiträgen handelt es sich um Gespräche. Den roten Faden bildet die Erkenntnis, dass digitale Technologien zwar helfen können, Co-Creation, Partizipation und Interaktion zu ermöglichen. Ob solche Aktivitäten allerdings erfolgreich sind, ist vor allem eine Frage der Herangehensweise und der Denkhaltung. Eine Denkhaltung, mit der Kultureinrichtungen sich oftmals schwertun. Oftmals, aber nicht immer, wie dann auch einige Fallbeispiele deutlich machen.

    Der Band beginnt mit einem Beitrag von Annette Jagla und Tobias Knoblich, in dem sie über die Rahmenbedingungen sprechen, die zu „Kultur in Interaktion“ führen und sie ermöglichen können. Jagla bringt dabei die Perspektive einer Organisationsentwicklerin mit ein, Knoblich die eines Kulturpolitikers. Die dahinterliegende Frage ist, welche Akteure auf welche Weise zu einem gelingenden Wandel beitragen können, auf dessen Basis mehr Interaktion, Ko-Kreation und Teilhabe möglich wird.

    In meinem eigenen Beitrag beschäftige ich mich mit der Frage, wie die Idee von Co-Creation mit dem meist angebotsorientierten Selbstverständnis von Kultureinrichtungen zu vereinbaren ist. Die Antwort in kurz: Kultureinrichtungen müssen die Kunst nicht verraten, aber sollten sich mehr als Moderator denn als Kurator in künstlerischen Aushandlungsprozessen positionieren.

    Helge Kaul beleuchtet das Thema Co-Creation aus der Kulturmarketing-Sicht. In einer groß angelegten Studie (s. auch hier) hat er untersucht, wie neue Beteiligungsformen zum Einsatz kommen und auf empirischer Basis vier verschiedene Kooperationstypen im Kulturpublikum ermittelt. Indem Kultureinrichtungen verstehen, wie diese verschiedenen Typen in die interaktive Wertschöpfung einbezogen werden können, können sie dauerhafte Wettbewerbsvorteile erzielen.

    Antje Schmidt untersucht in ihrem Beitrag die Voraussetzungen und Herausforderungen, unter denen Co-Creation im Museumsbereich stattfindet. Wichtig sind dabei zum einen frei zugängliche Digitalisate und Kulturgütern. Dies ist rechtlich wie technisch nicht immer so einfach, wie es zunächst scheinen mag. Und auch wenn diese Hürden genommen sind, ist das kein Garant dafür, dass Co-Creation wirklich stattfindet.

    Unter ganz anderen Voraussetzungen findet Co-Creation in den darstellenden Künsten statt, auf die Ervina Kotolloshi ihren Fokus legt. Sie unterscheidet drei Arten von Aufführungen, die durch den Einsatz digitaler Kommunikationstechnologien zu ko-kreativen Ereignissen werden. Während die Interaktivität einerseits neue Theatererfahrungen ermöglicht, bietet sie durch ihre Dynamik und Unvorhersehbarkeit auch die Gefahr, unfertige oder gar misslungene ästhetische Resultate hervorzubringen.

    Tabea Schwarze stellt am Beispiel der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe dar, wie Co-Creation und Partizipation in der Museumspraxis gelebt werden können und welche Erfahrungen auf diesem Feld bislang gemacht wurden. Co-Creation und Partizipation sollen einerseits dabei helfen, dem Bildungsauftrag im digitalen Raum nachzukommen, andererseits aber auch die Akzeptanz der Digitalisierung intern zu fördern.

    Katrin Schröder und Anaïs Wiedenhöfer geben mit ihrem Beitrag ebenfalls einen Bericht aus der Praxis, hier am Beispiel des Archäologischen Museums Hamburg (AMH). Sie stellen die zahlreichen Experimente und Projekte in Sachen ko-kreativer Kommunikation und Veranstaltungsformate des AMH vor und reflektieren die gewonnenen Erfahrungen.

    Iris Groschek zeigt am Beispiel von KZ-Gedenkstätten, dass Interaktion in den sozialen Medien nicht einfach nach den beliebten How-To-Rezepten gestaltet werden kann. Denn die Rahmenbedingungen von Interaktion und Partizipation in Erinnerungseinrichtungen sind sehr spezifisch und müssen entsprechend berücksichtigt werden. Soziale Medien können aber durchaus als offener Ort dienen, an dem eine gemeinsame Erinnerungskultur etabliert werden kann.

    Anna Rentsch macht in ihrem Beitrag aus Agenturperspektive deutlich, welche Bedeutung die Einbeziehung von externen Anspruchsgruppen bereits im Rahmen des Designs von Kommunikationsangeboten hat. Sie meint, dass ein Design-Ansatz, der Bedürfnisse, Interessen und Rezeptions- gewohnheiten der Adressaten berücksichtigt, einen wichtigen Grundstein für gelingende Interaktion darstellt.

    Richard Wetzel zeigt in seinem Beitrag, wie Co-Creation bei der Entwicklung von Games in interdisziplinären Teams mit Hilfe von Ideationskarten organisiert werden kann. Dieses Verfahren erleichtert es interdisziplinären (Entwickler-)Teams, eine gemeinsame Sprache und Herangehensweise zu entwickeln, die nicht von der Logik einer bestimmten Disziplin dominiert wird. Das Verfahren, das Wetzel vorstellt, funktioniert analog, auch wenn die zu entwickelnden Produkte in der Regel digitale Produkte sind oder zumindest wesentliche digitale Komponenten haben.

    Isabel Jansen von der Hamburg Kreativ Gesellschaft spricht im Interview über das Crowdfunding als eine mittlerweile sehr populäre Form von Co-Creation und Publikumsbeteiligung mittels digitaler Plattformen. Sie gibt einen Überblick über allgemeine Trends des Crowdfundings und stellt dar, für welche Gelegenheiten und Branchen sich die Schwarmfinanzierung besonders eignet sowie welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit eine Kampagne erfolgreich wird.

    Ich freue mich, dass der Band jetzt erschienen ist und danke allen, die dazu beigetragen haben sehr herzlich! Außerdem freue ich mich natürlich über Feedback und/oder Weiterempfehlung.

  • Videoserie zur digitalen Transformation des Kulturmanagements

    Das Institut für Kultur- und Medienmanagement (KMM) hat gemeinsam mit der Hamburg Open Online University eine kleine Videoserie entwickelt, bei der die Auswirkungen der digitalen Transformation auf den Kulturbetrieb und das Kulturmanagement beleuchtet wird. Dabei kommen verschiedene Leute zu Wort, die das Thema jeweils aus unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern des Kulturmanagement anschauen. Ich freue mich sehr und fühle mich sehr geehrt, dass ich den Part zum Kulturmarketing machen durfte. Hier ist das Ergebnis zu sehen. Letzte Woche gab es bereits einen Prolog von Institutsdirektor Martin Zierold. Und noch davor wurde ein Portrait von Andreas Hoffmann, Geschäftsführer des Bucerius Kunst Forums und Professor am KMM, veröffentlicht. Bei diesem Portrait geht es allerdings weniger um die digitale Transformation als vielmehr allgemein um die Frage, was ein Kulturmanager so macht.

  • Kulturmanagement – Eigene Disziplin oder „BWL für Arme“?

    Vor einiger Zeit fragte Hannes Tronsberg auf Twitter, warum es eigentlich Kulturmanagement als eigene Disziplin brauche? Schließlich gebe es – trotz bestimmt bestehender Besonderheiten und Eigenheiten gegenüber anderen Branchen – auch kein Schuh- oder Automanagement. Dass Kulturmanagement als eigene Disziplin und nicht als ein Teilgebiet der BWL oder Management Studies geführt werde, koppele sie von aktuellen Erkenntnissen ab und verlangsame ihren Fortschritt dadurch.

    Tatsächlich lassen sich schnell Beispiele finden, die Hannes These erstmal untermauern. Eins meiner Lieblingsthemen in diesem Zusammenhang ist das verkümmerte Verständnis von Marketing, das im Kulturbereich oftmals anzutreffen ist. Da wird ein wirklich sehr gut und umfassend ausgearbeiteter Forschungs- und Wissensstand weitgehend links liegen gelassen, weil man glaubt, er wäre nicht anwendbar auf den Kulturbereich. Tatsächlich liegt das Problem aber vor allem darin, dass man im Kulturmanagement bis heute von einem Marketingverständnis aus der Gründungszeit der Disziplin Kulturmanagement ausgeht. Vor 30-40 Jahren basierte Marketing noch stark auf einer goods-dominated Logic (GDL), Marketing war vor allem Industrieproduktemarketing, bei dem bestimmte Produkte auf einen Bedarf am Markt hin entwickelt, hergestellt und vertrieben wurden. (mehr …)

  • Die 10 wichtigsten Bücher zu Kulturmanagement und Digitalisierung

    Letztes Jahr habe ich für das Institut für Kultur- und Medienmanagement einen Studienbrief (Lehrbuch für die Fernstudenten) über digitale Kommunikation in Kultureinrichtungen geschrieben. In dem Zuge habe ich mir natürlich auch einen Überblick über die Fachliteratur zu dem Thema verschafft. Diesen Überblick wollte ich schon lange einmal für mein Blog zusammenfassen. Ich hatte auch schon einen Artikel angefangen, der dann aber doch erstmal liegen geblieben ist. Jetzt war es mir ein willkommener Prokrastinations-Anlass, ihn fertig zu stellen. Die Kriterien für meine Auswahl sind natürlich radikal subjektiv. Deswegen gleich die Frage: Was würdet ihr ergänzen oder ersetzen? (mehr …)