Christian Holst

Kulturmanagement :: Kulturmarketing :: Digitale Transformation


Autor: christianholst

  • Atrophie statt Kulturinfarkt: Warum wir ein Kulturmanagement des demographischen Wandels brauchen

    Zur Zeit wird viel über die Polykrise in der Kultur geschrieben: LongCovid, Publikumsschwund, Machtmissbrauch, Klimakrise, die nur schleppend vorangehende digitale Transformation usw. Trotz der einschüchternden Dimension dieser Krisen ist der Optimismus, sie in den Griff zu bekommen, bemerkenswert unerschütterlich. Beispielhaft ist mir das kürzlich an zwei Debattenbeiträgen zur Wiener Kulturszene aufgefallen. Im Standard wurden mit Statements von Fabian Burstein und Veronica Kaup-Hasler zwei scheinbar gegensätzliche Positionen einander gegenüber gestellt. Bei näherem Hinsehen besteht allerdings kaum ein Gegensatz. Es sind eher unterschiedliche Sichtweisen darauf, was zu tun ist. Kaup-Hasler ist als Funktionärin naturgemäß etwas optimistischer als Burstein, der gerade seine Streitschrift  „Eroberung des Elfenbeinturms“ bewirbt. Kaup-Hasler sieht hier und da noch Optimierungspotenzial, aber meint, dass die Richtung stimmt. Burstein liefert vier Vorschläge, wie sich die Krise bewältigen ließe: mehr Publikumsorientierung, mehr Bezug zur Lebensrealität, mehr Gegenwartsbezug, bessere Governance. In seinem Buch weitet er es dann auf 23 Thesen aus, was die Sache vielleicht ein bisschen komplexer aber nicht an sich aussichtslos macht. Burstein wendet sich dagegen, „Publikumsschwund und Relevanzverlust als schicksalhafte Konsequenz ‚äußerer Umstände‘“ einzuordnen, „als ob vorher alles gut gewesen wäre.“

    In Bezug auf Publikumsschwund und Relevanzverlust mag Burstein hier einen Punkt haben. Ich persönlich bin allerdings skeptischer, da mir keine Strategien bekannt wären, die Publikumsschwund oder Relevanzverlust wirklich nachhaltig und replizierbar aufzuhalten vermögen, d.h. über Erfolgsgeschichten einzelner Leitungsäras oder Fallbeispiele hinaus. Soweit ich das überblicke, gibt mir die empirische Forschung bei dieser Einschätzung recht, auch wenn ich gerne bereit bin, mich vom Gegenteil überzeugen zu lassen. Wie dem auch sei, endgültig machtlos sehe ich Kultureinrichtungen gegenüber einer Entwicklung, die sich auf der organisationalen Ebene zu einer Herausforderung mindestens der Größenordnung von Klimaneutralität, zeitgemäßen Organisationsstrukturen oder der Gewährleistung der gesellschaftlichen Relevanz von Kultur ausweiten wird. Trotz (oder gerade wegen?) dieser gewaltigen Dimension wird dieses Thema in der aktuellen Debatte um die multiplen Krisen meist als Randnotiz abgehandelt: Es geht um den demographischen Wandel. 

    Das Problem des demographischen Wandels wird sich als erstes im Personalmanagement niederschlagen. Dass diese Domäne im Kulturmanagement lange vernachlässigt wurde und oftmals immer noch wird, dürfte sich schon sehr bald sehr bitter rächen. Bereits jetzt zeigt sich allerorten Personalmangel. Dabei geht der demographische Wandel erst los. Stefan Schulz rechnet in seinem Buch „Die Altenrepublik“ mit Bezug auf Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit vor, dass in den nächsten zehn Jahren jährlich (!) durchschnittlich 400.000 mehr Menschen in Rente gehen, als in den Arbeitsmarkt eintreten. Über zehn Jahre gesehen werden also 4 Millionen Menschen im Arbeitsmarkt fehlen. Auch wenn es wenig Anzeichen dafür gibt, dass Richard David Precht mit seinen Prognosen Recht hat, dass die Automatisierung uns die Arbeit abnehmen wird, man kann angesichts dieser Zahlen eigentlich nur hoffen, dass er doch nicht ganz so daneben liegt, wie es derzeit aussieht.

    Nun kann man einwenden, dass die Arbeit im Kultursektor für viele Menschen attraktiv ist, weil sie u.a. Status und Selbstverwirklichung verspricht, der Kultursektor also weniger stark betroffen sein wird als die Sektoren Handwerk, Erziehung oder Pflege, die jetzt schon auf dem letzten Loch pfeifen. Allerdings hat Kulturbereich als Arbeitsfeld massiv an Attraktivität eingebüßt aufgrund vergleichsweise schlechter Bezahlung, Familienunfreundlichkeit und mitunter toxischen Arbeitsbedingungen. Von Dirk Schütz von Kulturpersonal, einer „Headhunting“-Agentur für den Kultursektor, ist zu hören, dass es bereits heute schwierig ist, Leitungspositionen im Kulturbereich zu besetzen. Das Problem dürfte sich massiv verschärfen. 

    In Bezug auf den Publikumsschwund könnte der demographische Wandel zunächst eher für Entspannung sorgen (oder sollte man es eher trügerische Sicherheit nennen?). Die „Boomergeneration“, die in den kommenden zehn Jahren in Rente geht, wird das erste Jahrzehnt ihrer Rentenzeit unternehmungslustig sein, über mehr Geld verfügen als folgende Rentnergenerationen und genügend Bezug zu den Angeboten haben, die Kultureinrichtungen derzeit so machen. Darin könnte sogar eine vorübergehende Chance für die Kultureinrichtungen liegen. In zehn bis fünfzehn Jahren wird diese Generation dann zunehmend als Publikum fehlen. Diese Entwicklung werden keine Publikumsorientierung, kein Lebensweltbezug, kein Gegenwartsbezug, keine Governance, kein Audience Development, kein Outreach und kein Marketing auffangen. Das Problem ist hier nicht (in erster Linie) soziale Abschottung oder Ausgrenzung, sondern simple Bevölkerungsstatistik – und damit durchaus „schicksalhafte Konsequenz äußerer Umstände“. Einzelne Einrichtungen werden härter oder weniger hart getroffen sein, smarter oder weniger smart damit umgehen. Internationalisierung mit Hilfe von digitalen Angeboten kann für große Kulturmarken eine Strategie sein, die Größe ihres Publikums zu halten. Hier und da wird es vielleicht gelingen, die Publikumszahlen durch Diversifizierung oder Popularisierung des Programms stabil zu halten. Aber der eh schon harte Kampf ums Publikum wird sich zuspitzen. Zum einen, weil die geburtenstarken Jahrgänge als Publikum verloren gehen, zum anderen, weil die dann folgenden Rentnergenerationen später in Rente gehen, weniger Geld zur Verfügung haben werden und vielleicht auch bevorzugt Formen von Kultur rezipiert, die nicht von den klassischen Einrichtungen angeboten werden können.

    Vor diesem Hintergrund denke ich, dass die Zeiten eines Kulturmanagements vorbei sind, das von einem hemdsärmeligen „Wir kriegen das schon hin, wenn wir nur vier oder sieben oder 23 oder wieviel auch immer Grundsätze beachten“ ausgeht und damit einem Wachstums- oder zumindest Stabilitätsoptimismus anhängt, die es bei anderen zu Recht kritisieren würde. Auch der Kultursektor unterliegt Grenzen des Wachstums. Diese Grenzen liegen allerdings nicht in den Rohstoffen am Anfang der Wertschöpfungskette, sondern an der schrumpfenden Ressource an deren Ende: dem Publikum. Insofern ist es gar nicht in erster Linie der vor zehn Jahren diagnostizierte Kulturinfarkt, an dem der Kultursektor krankt, sondern eher Atrophie, Gewebeschwund. Erst werden die Mitarbeiter verloren gehen, dann das Publikum und das ist nicht kompensierbar. Die Therapie könnte trotzdem ähnlich aussehen, wie damals für den Kulturinfarkt vorgeschlagen: Einen (Groß-)Teil des Kulturetats aus der derzeitigen Verwendung lösen und neu verteilen. Zur Unterstützung von Institutionen, Formaten und Projekten, die bisher zu kurz gekommen sind und zur besseren Ausstattung der weiterhin bestehenden Häuser. In quantitativer Hinsicht wird das ein Rückbau werden, der vermutlich hart und schmerzhaft verhandelt werden muss. Wenn allerdings gut verhandelt wird, kann diese Entwicklung in qualitativer Hinsicht für die Kunst, die Mitarbeitenden und das Publikum aber durchaus ein Gewinn sein.

  • Was ich geschrieben habe…

    Nach langer Zeit möchte ich mich mal wieder zu Wort melden. Dass es so lange gedauert hat, hatte u.a. damit zu tun, dass ich zwischenzeitlich vor allem an anderen Texten gearbeitet habe.

    So etwa an einem Buchkapitel zu dem Band Managing the Cultural Business. Avoiding Mistakes, Finding Success, der von Michela Addis und Andrea Rurale herausgegeben wird. Das Konzept des Buches ist sehr reizvoll, weil Kulturmanagement anhand von 10 typischen Missverständnissen/Fehlern erläutert wird, jeweils mit der Auflösung, wie man es denn richtig machen kann. Gemeinsam mit Giulia Miniero durfte ich das Kapitel »Corporate Communications and the Arts: The Mistake of Not Engaging« verfassen. Das Buch ist mittlerweile erschienen, eine italienische und eine chinesische Übersetzung sind in Arbeit.

    In der kommenden Ausgabe der Zeitschrift für Kulturmanagement und Kulturpolitik wird zudem eine Fallstudie erscheinen, die ich gemeinsam mit Anne Aschenbrenner und Sebastian Huber vom Wiener Burgtheater geschrieben habe. In dieser Fallstudie untersuchen wir anhand des virtuellen Theaterabends #vorstellungsänderung, inwiefern Co-Creation geeignet ist, digitalen Kulturangeboten das gewisse Etwas zu verleihen, das ihnen noch so oft fehlt. »Vorstellungsänderung. Co-Creation in digitalen Theaterformaten« heißt das Stück.

    Und schließlich durfte ich (endlich!) einen Beitrag für das fast schon legendäre Handbuch Kulturmanagement schreiben. Thema ist (na klar!) Co-Creation im Kultursektor.

    Für das kommende Jahr gibt es bereits ein paar weitere Ideen und Pläne, so dass es hier im Blog vorerst wahrscheinlich etwas ruhiger bleiben wird. Ich werde euch aber über die weiteren Veröffentlichungen auf dem Laufenden halten.

  • Kultur im Shutdown – Teil 2: Was reimt sich auf Corona?

    Im ersten Teil dieses Beitrags zu #KulturinZeitenvonCorona ging es um die Frage, ob Kultureinrichtungen derzeit einfach vorübergehend ins digitale Exil gehen oder den Shutdown vielleicht auch zum Anlass nehmen, den digitalen Raum zu einer zweiten Heimat zu machen. In meinem Verständnis würde das heißen, digitale Medien nicht nur für kommunikative Zwecke, sondern auch für künstlerische Angebote und Experimente zu nutzen. Ich hatte die Hoffnung formuliert, dass dies nun passieren könnte und angekündigt, mich im zweiten Teil des Beitrags mit den Voraussetzungen zu beschäftigen, die dafür nötig sind.

    Die Euphorie weicht der Ernüchterung

    Wie generell in der Corona-Pandemie haben viele Aussagen nur eine extrem kurze Halbwertszeit. Und somit ist in Bezug auf die Hoffnung des ersten Beitrags bereits eine gewisse Ernüchterung eingetreten. Zahllose digitale Künstler-Home-Stories deuten darauf hin, dass es eben doch vor allem darum geht, ein paar Grüße aus dem Exil zu schicken, also irgendwie im Gespräch zu bleiben, bis man alles wieder so machen kann, wie man es gewohnt ist. Speziell ernüchternd finde ich auch, dass vor allem gesendet, gesendet, gesendet wird, anstatt wenigstens auf interaktive Kommunikationsformate zu setzen und den echten, ehrlichen Austausch mit dem Publikum zu probieren. (Keine Regel ohne Ausnahme: Das Staatstheater Augsburg hatte da eine nette Idee mit Wünsch dir was.)

    Im Tagesanzeiger erschien eine unterhaltsam zu lesende Glosse zu diesem Thema, in der gefordert wird, den Shutdown lieber als kreative Pause und für die stille Arbeit am Meisterwerk zu nutzen. Auch das VAN-Magazin beschäftigte sich mit der Problematik: Hartmut Welscher sieht ebenfalls eher den digitalen Kampf um Aufmerksamkeit und Reichweite im Vordergrund. Also letztlich Kommunikation und Marketing statt künstlerische Arbeit und künstlerisches Experimentieren (die beliebte alte vermeintliche Dichotomie). Die großen Akteure, die bereits Reichweite haben, sieht er im klaren Vorteil gegenüber den kleinen Akteuren, die momentan sowieso ganz andere Sorgen haben, als digitale Formate zu entwickeln. Die Digitalisierung funktioniere daher nach dem kapitalistischen Prinzip: wer hat, dem wird gegeben. Allerdings mit dem unkapitalistischen Nebeneffekt, dass dem mittlerweile recht großen Angebot von Streaming-Angeboten nur eine sehr übersichtliche Nachfrage gegenüberstünde, die jetzt nur shutdown-bedingt einen Ausschlag erlebe.

    Da ist zweifellos etwas dran. Trotzdem ist es in meinen Augen zu kurz gesprungen. Musik wurde ja auch vor Corona durchaus sehr gern und viel virtuell und digital konsumiert (Spotify, Amazon unlimited, Youtube Music etc.). Nur lässt sich der virtuelle Musikkonsum heute nicht mehr mit Geschäftsmodell hinterlegen. Das ist das eine Problem. Das andere ist, dass damit auch die Motivation fehlt, digitale Möglichkeiten nicht nur als Chance auf mehr Sichtbarkeit und Reichweite zu verstehen, sondern als Experimentierfeld und Plattform auch für künstlerisch-ästhetische Formate. So verstanden würde ich mir die jetzige Situation als Innovations-Katalysator wünschen: Nicht nur Reichweite aufrecht erhalten oder ausbauen, bis man aus dem Exil in die Heimat zurückkehren kann, sondern auch jenseits des Reichweitenkalküls es als ureigenen Auftrag zu verstehen, auszuprobieren, was mit digitalen Mitteln so geht. Beim Spielen zeitgenössischer Musik steht schließlich auch nicht die Befriedigung irgendeiner Nachfrage im Vordergrund, sondern künstlerische Erwägungen und die Lust am Neuen. Diese Lust auf Neues wird oftmals als Teil des ureigenen Auftrags, auch als Legitimation der öffentlichen Finanzierung verstanden. Warum sollte das also nicht auch für neue künstlerische Möglichkeiten im digitalen Raum gelten? Die kommunikativen Möglichkeiten der digitalen Medien sind mittlerweile einigermaßen erprobt und professionalisiert worden. Die künstlerischen noch lange nicht. Die Corona-Krise könnte und sollte dafür ein Schubser sein. Es ist klar, dass man hier nicht innerhalb von zwei Wochen etwas Geniales hervorzaubert. Also ist die Empfehlung der Tagi-Glosse vielleicht gar nicht schlecht, den Shutdown als kreative Pause zu nutzen und in einem Jahr oder wann auch immer mit einem «richtigen Meisterwerk» um die Ecke zu kommen…  

    «The Collapse of Sensemaking»

    Genug der Vorrede. Jetzt zu dem Thema, das ich ursprünglich für diesen zweiten Teil vorgesehen hatte und das theoretisch erklärt, welche Aspekte auf Organisationsebene wichtig sind, um Krisensituationen zu überstehen und im Idealfall noch etwas Neues aus ihnen entstehen zu lassen. Es ist ein Gemeinplatz, dass Krisen und Katastrophen immer auch die Chancen für neue Entwicklungen mit sich bringen. Etwas weniger banal hat der Organisationspsychologe Karl E. Weick dieses Phänomen in seiner Analyse «The Collapse of Sensemaking in Organizations» vom Mann Gulch Disaster beschrieben. Bei dem Desaster handelte es sich um einen zunächst scheinbar eher harmlosen Waldbrand, der sehr plötzlich außer Kontrolle geriet. Von 16 Feuerwehrmännern, die zu seiner Bekämpfung im Wald abgesetzt worden waren, überlebten nur drei. Jahrzehnte nach dem Brand analysierte Weick die Ereignisse insbesondere in Hinblick auf die Frage, welche Auswirkungen die Katastrophe auf die Funktionsfähigkeit des Teams hatte und was die drei Überlebenden anders gemacht hatten als der Rest der Gruppe.

    Weick nutzt den Begriff des «sensemaking», der laut Wörterbuch mit «Sinnstiftung» übersetzt werden müsste. Wirklich übersetzen lässt sich dieser Begriff aber kaum. Ich finde, dass er am besten mit der deutschen Formulierung «sich einen Reim auf etwas machen» übersetzt werden kann, denn es betont wie der englische Begriff den Aspekt des Machens, des Produzierens. Handeln und Reflektion sind in diesem Begriff eng ineinander verzahnt und bedingen sich wechselseitig: Eine Reflektion über eine Situation legt eine bestimmte Handlung nahe, die Ausführung der Handlung wiederum zieht Reflektion nach sich, die wiederum eine Folgehandlung nahelegt usw. Um Sensemaking zu verstehen, hält Weick es für besonders aufschlussreich, Verhalten in Krisensituationen zu beobachten. Denn in Krisensituation taugen bewährte Routinen und Überzeugungen nichts mehr und die Betroffenen müssen sich eben einen Reim auf das machen, was gerade passiert, also Sensemaking betreiben.

    Weick erläutert das Konzept anhand des besagten Waldbrands. Das Feuer verhielt sich anders als erwartet, die verinnerlichten Routinen und Denkmuster der Feuerwehrmänner griffen nicht bei der Bekämpfung und es gelang den Männern nicht, sich einen Reim auf die Situation zu machen. Natürlich ist es besonders schwierig, in Stresssituationen gewohnte Verhaltensweisen abzulegen und Denkmuster zu hinterfragen. Dabei sind es aber oftmals gerade kontraintuitive Ideen, durch die eine Krise erfolgreich gemeistert werden kann. So forderte der Kommandeur der Gruppe die anderen Männer beispielsweise auf, ihr (schweres) Gerät abzuwerfen, um schneller und beweglicher zu sein und besser vor dem Feuer fliehen zu können. Die Männer verstanden den Sinn der Aufforderung nicht (warum sollte sich ein Feuerwehrmann angesichts eines solchen Feuers auch noch seiner Hilfsmittel entledigen?) und folgten ihr nicht. Das Feuer holte sie ein.

    Was die Überlebenden laut Weicks Analyse gerettet hatte war, dass sie es schafften, aus ihren Routinen als Organisationseinheit und ihren professionellen Denkmustern auszubrechen. Der Kommandeur legte ein Gegenfeuer, kurz bevor die Feuerwand ihn erreichte. Eine kontraintuitive Idee, Feuer mit Feuer zu bekämpfen. Aber so konnte er sich in den Aschefleck des Gegenfeuers legen und wurde vom Waldbrand verschont, weil es in diesem Aschefleck für das Feuer nichts mehr zu holen gab. Seine Kameraden verstanden nicht, was er vorhatte und rannten weiter bergauf vor dem Feuer davon. Zwei anderen gelang es, zusammen zu bleiben und sich in eine Felsspalte zu retten, wo das Feuer nicht hinkam. Sie schafften es, die nicht mehr funktionierende Organisationsstruktur des Teams durch eine neue, kleinere Organisationseinheit zu ersetzen und sich gegenseitig zu unterstützen.

    Vier Erkenntnisse von Weick

    Weick leitet vier Aspekte aus dem Fall ab, die in seinen Augen den Kollaps des Sensemakings in Krisen- oder Katastrophensituationen verhindern können:

    • Improvisation und Bricolage: Wenn gewohnte Maßnahmen nicht mehr funktionieren, gilt es, mit den einfachen verbleibenden Mitteln, neue Lösungen zu improvisieren. Diesen Punkt leitet Weick vor allem aus der Idee mit dem Gegenfeuer ab. Mit ein paar Streichhölzern und einem guten Gedanken gelang es dem Kommandeur der Gruppe, sich aus einer schier ausweglosen Situation zu befreien.
    • Virtuelle Rollensysteme: Wenn jeder jederzeit einen Überblick darüber hat, welche Verantwortlichkeiten in der Gruppe bestehen, ist es erheblich einfacher, eine zerfallende Organisationseinheit funktionsfähig zu halten, weil nicht mehr abgedeckte Aufgaben zumindest notdürftig ersetzt werden können. Zuviel Spezialistentum und Elfenbeinturm-Wissen sind in einer Krise, in der Fachwissen plötzlich nicht mehr viel Wert ist, nicht hilfreich.
    • Weisheit als Haltung (Attitude of wisdom): Um in Krisensituation reagieren zu können, ist es wichtig, sich der Voreingenommenheit und der Begrenztheit der eigenen Überzeugungen und Erfahrungen bewusst zu sein. Diese Haltung kann dabei helfen, dass man in schwierigen Situationen erkennt, alles ganz anders machen zu müssen, als man es bisher getan hat, dass bisheriges Wissen und Kompetenzen auf einmal nichts mehr wert sein können. Weisheit sei damit eher eine Haltung gegenüber Wissen und Erfahrung (über das man natürlich auch verfügen sollte) als die Summe aus Wissen oder Erfahrung selbst, so Weick.
    • Respektvolle Interaktion: Als Einzelkämpfer hat man es in Krisensituationen schwer. Es gilt also, Gruppen zu erhalten oder neue Einheiten zu bilden, wenn eine bewährte Organisationsstruktur angesichts einer Katastrophe zerfällt, weil man dann nicht auf sich allein gestellt ist, sich einen Reim auf die neue Situation zu machen. Zwar hat man wenig Zeit und Möglichkeiten, seine Mutmaßungen wirklich zu erhärten, aber immerhin kann man Lösungen intersubjektiv prüfen.

    Was reimt sich auf Corona?

    Diese Aspekte lassen sich auch auf die Krisensituation beziehen, in denen sich Kultureinrichtungen gerade befinden. Und bei vielen der gerade entstehenden Lösungen, lassen sich die Aspekte auch wiedererkennen: So sind die Hauskonzerte von Igor Levit ein schönes Beispiel für Improvisation und Bricolage: Mit einfachen Mitteln versucht er, weiterhin Musik für andere Menschen machen zu können. Akustisch ist das Ergebnis sicher nicht befriedigend und mit einem Konzertbesuch oder auch dem Hören einer CD zu vergleichen. In den Tweets rund um diese Konzerte wird aber auch deutlich, dass es darum gar nicht in allererste Linie geht. Es geht vielmehr darum, gemeinsam mit anderen Kunst erleben zu können. Interessant fand ich in der Hinsicht auch das Angebot des Mannheimer Nationaltheaters. Das Haus bietet keine Streamings von ganzen Aufführungen, sondern ca. halbstündige Zusammenschnitte aktueller Produktionen (hier z.B. Carmen). Zur Einstimmung gibt es ein paar O-Töne von beteiligten Künstlern und dann wird offenbar einfach mit der Bühnentotale gearbeitet, die normalerweise eigentlich nur für interne Zwecke aufgezeichnet wird. Mit Überblendungen, Schnitten, Farbeffekten und ähnlichem mehr wird dieses Material ästehtisch aufgewertet. So entsteht aus einem reinem Arbeitsdokument ein Dokument, das man in der aktuellen Situation auch veröffentlichen kann.

    Der Punkt mit den virtuellen Rollensystem schließt hieran an: Der eigentlich dokumentarisch arbeitende Video-Mitarbeiter produziert plötzlich ein künstlerisches Produkt über ein künstlerisches Produkt. Die klare Arbeitsteilung eines Theaters in künstlerische, administrative und technisch-handwerkliche Aufgaben verschwimmt. Silke Oldenburg erzählt im Interview mit Martin Zierold ebenfalls, wie sich im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg das Areiten in Silos auflöst. Kuratoren arbeiten in der Online-Redaktion mit, weil der neue Ausstellungsraum digital ist oder weil sie in ihrem eigentlichen Arbeitsfeld vorübergehend keine Aufgabe haben. Ich habe bereits vor einiger Zeit schon einmal versucht darzulegen, warum ein strategisches Verständnis von Marketing meines Erachtens auch die künstlerische Ausrichtung mit einschließt und dass es gut ist, manche Funktionsbereiche als Querschnittsaufgabe zu verstehen. Die aktuelle Krise bestätigt das: Es ist nützlich und produktiv, wenn man die Grenzen zwischen den «Arbeitssilos» fließend halten kann.

    Den Punkt «Weisheit als Haltung» finde ich am schwierigsten auf die aktuelle Situation zu beziehen. Im «Wie geht’s?»-Podcast  hört man viel die Meinung, dass sich sehr Grundlegendes ändern müsse und ändern werde und man nach der Krise nicht einfach so weitermachen könne, wie bisher. Sehr deutlich wird das z.B. im Gespräch mit Tina Heine. Auch könnte man argumentieren, dass der Kunst- und Kulturbereich eine Kernkompetenz darin hat, einen «anderen Blick» auf die Dinge zu werfen, gesellschaftlich relevante Themen und Fragen anders zu sehen und kontextualisieren, als man es gemeinhin tut und auf diese Weise die Begrenztheit und Voreingenommenheit unserer eingeübten Denkwege herausfordert. Vor diesem Hintergrund steht der Kultursektor per se für «Weisheit als Haltung» im Sinne Weicks. Und so gesehen hat auch der etwas phrasenhafte Ausspruch, dass Kultur in der Krise wichtiger denn je sei, durchaus seine Berechtigung. Gleichzeitig kommt darin aber auch all das allzu selbstgewisse Traditions- und Sendungsbewusstsein des Kulturbetriebs zum Ausdruck, das einer «Weisheit als Haltung» zumindest dem eigenen Tun und der eigenen Bedeutung gegenüber auch hinderlich sein dürfte. Die Lust am wirklich Neuen, scheint mir aktuell (noch) nicht sehr ausgeprägt zu sein (s.o.). Genau die gilt es aber, so habe ich Tina Heines Aussagen interpretiert, gemäß dem Prinzip «Weisheit als Haltung» zu nutzen und zum Tragen kommen zu lassen: Bestehende Erfahrungen und bestehendes Wissen unter den geänderten Voraussetzungen zu erproben und anzuwenden.

    Respektvolle Interaktion zu pflegen ist sicher zu jeder Zeit ein guter Tipp. Ich denke, das ist ein Modus, den Kultureinrichtungen und ihre Vertreter, Künstler und Kreative in vielen Fällen auch sehr gut beherrschen. Das zeigen die zahlreichen, sich permanent wandelnden Netzwerke und Vernetzungen, also die Fähigkeit, situativ Organisationseinheiten zu bilden, in denen Sensemaking stattfindet und gelingt. Nachholbedarf besteht in dieser Hinsicht in meinen Augen aber mit Blick auf das Publikum und die Öffentlichkeit: Die werden in meinen Augen bislang noch viel zu wenig als Ressource von Kultureinrichtungen begriffen und in die Netzwerke einbezogen. Wie oben geschrieben, kommt der Routinemodus «Senden, senden, senden» in der Krise scheinbar besonders zum Tragen. Da lässt sich gut die Parallele zu den Feuerwehrmännern ziehen, die an ihren Geräten festhalten, die ihnen nichts mehr nützen, sondern sie nur noch behindern. Auf digitale Medien und digitalen Kontakt zum Publikum zurückgeworfen zu sein, ist in meinen Augen eine große Chance, auch die Besonderheiten der Medien zu nutzen, also deren Interaktivität und Konnektivität. Wie gesagt verfolgt das Staatstheater Augsburg da eine interessante, kurzfristig realisierbare Idee.

    «Drop your tools»

    Auf der theoretischen Ebene können Weicks Ausführungen also durchaus etwas beitragen zum Verständnis, worauf es jetzt in den Kultureinrichtungen ankommt. Ob die vier Aspekte bereits erschöpfend sind, weiß ich nicht. Wahrscheinlich würden sich auch weitere Aspekte finden lassen. Mich interessiert zum Abschluss des Beitrags eher noch die Frage, was diese Erkenntnisse denn auf der praktischen Ebene bedeuten? Was sind kontraintuitive Ideen und Techniken, die hilfreich sein könnten, um den Kultursektor jetzt einerseits aus der Krise zu führen, andererseits aber auch insgesamt weiterbringen könnten? Was sind die konkreten Entsprechungen zu dem Gegenfeuer oder dem Aufruf «Drop your tools»? Ein etwas ketzerischer, aber nach Weick durchaus folgerichtiger Ansatz könnte es sein, zu schauen, was die Kultureinrichtungen traditionellerweise machen würden und sich dann zu überlegen, was das genaue Gegenteil davon wäre. Das wiederum wären dann vielleicht interessante Reaktionen auf die aktuelle Situation. Ich starte mal mit einer kleinen Thesen-Liste, die auf diesem Gedanken aufbaut:

    • Die Idee von «l’art pour l’art» hat ausgedient. Wie man jetzt merken kann, braucht Kunst das Publikum, das sie wertschätzt mindestens so sehr wie das Publikum die Kunst braucht.
    • Zuhören und interagieren ist das neue Senden und Monologisieren.
    • Digitale Medien sind nicht nur Werbekanäle, sondern auch virtuelle Bühnen, Ausstellungsräume, Lesesäle, Treffpunkte usw., müssen als solche aber auch begriffen und gestaltet werden.
    • Das heißt zum Beispiel, dass Kultureinrichtungen neue, formatgerechte künstlerische Experimente entwickeln sollten anstatt einfach die Archive zu plündern oder die Kunst aus den traditionellen Formaten einfach virtuell abzubilden.
    • Aufgaben der Kuration und der Kommunikation verschmelzen hier. Klare strukturelle Trennungen zwischen den Arbeitsbereichen, ebenso wie etwas übergeordneter zwischen Kultur und Management generell, sind nicht mehr funktional. Organisationsstrukturelle Grenzen verflüssigen sich.
    • Das gilt ähnlich in Hinblick auf das Publikum. Es sollte nicht mehr vor allem Objekt des Managementhandelns einer Kultureinrichtung sein, sondern Partner, d.h. als Bestandteil des Netzwerks einer Einrichtung auch als dessen Ressource verstanden werden.

    Wenn euch noch mehr Dinge einfallen oder ihr widersprechen wollt, tut das gern auf Facebook. Ich bin gespannt.

  • Kultur im Shutdown – Teil 1: Digitales Exil oder zweite Heimat?

    Die Virologin Karin Mölling sagte neulich in einem Interview (das Radio Eins im Nachhinein in einer höchst peinlichen Art und Weise „einordnete“) Viren seien „Antreiber der Evolution“ (Min 4:03). Das soll jetzt angesichts der schwierigen Situation nicht sarkastisch klingen, aber im übertragenen Sinne lässt sich diese Aussage auch auf die Digitalisierung kultureller Angebote beziehen: Während sich viele Kultureinrichtungen jahrelang damit schwertaten, digitale Programme zu entwickeln, gilt es jetzt, schnell zu sein und in kurzer Zeit digitale Angebote bereitzustellen, damit eine Art kulturelles Leben aufrechterhalten werden kann.

    Für Einrichtungen, die sich schon länger digitale Angebote im Programm haben, war das erstmal relativ einfach: Die Berliner Philharmoniker machen ihre Digital Concert Hall vorübergehend frei zugänglich, Opern- und Konzerthäuser und Orchester, die es können, stellen Aufzeichnungen kostenlos zur Verfügung. Eine (nicht vollständige) Übersicht für den Sektor klassische Musik hat die NZZ. Bei der Augsburger Allgemeinen gibt es eine Liste mit Schwerpunkt auf Angeboten von Museen.

    Daneben entstanden aber auch viele spontan improvisierte Lösungen wie Igor Levits Hauskonzertreihe, die er via Twitter und Facebook live überträgt, die Lesungen von Saša Stanišić auf Twitch oder die Instagram-Führungen des Museums für Kunst und Gewerbe in Hamburg. Auf Twitter habe ich neulich eine ko-kreativ verfasste Corona-Geschichte entdeckt, leider aber den Link nicht direkt gespeichert. Besonders bewegend fand ich ein Video des Bachfestival Malaysia, bei dem Künstler und Freunde des Festivals online gemeinsam „Befiehl du deine Wege“ sangen und spielten. Das Schöne: Dass das Video gleich hält, was der Text des Chorals – geistlich oder ungeistlich interpretiert – verspricht: „Irgendwie wird es weitergehen“. (Ein ähnliches Video haben die Bamberger Symphoniker auf Instagram gepostet.) Das sind freilich nur wenige und völlig willkürliche Beispiele. Regelmäßig über das Angebot informieren kann man sich im täglichen Krautreporter-Newsletter, der jetzt eine Rubrik mit Kulturtipps für den virtuellen Raum hat. Erwähnenswert für Menschen, die sich für Kulturmanagement in Zeiten des Corona-Virus‘ interessieren, finde ich außerdem noch den Podcast „Wie geht’s?“ des Hamburger Instituts für Kultur- und Medienmanagement, in dem Martin Zierold mit Leuten aus dem Kultursektor darüber spricht, wie der Shutdown ihren Arbeitsalltag verändert.

    Es passiert also gerade einiges. In einem Bericht über diese neuen Angebote bin ich neulich allerdings über eine aufschlussreiche Formulierung gestolpert. Dort hieß es nämlich, viele Künstler seien ins „digitale Exil“ ausgewandert. Interessant ist diese Formulierung insofern, als sie impliziert, dass die „Heimat“ der Künstler, die Bühne, der Ausstellungsraum, eben die analoge Welt ist. Die Shutdown-Maßnahmen sind damit quasi eine „Vertreibung“ aus dem natürlichen und angestammten Lebensraum; der digitale Raum ist – auch 2020 noch – ein fremder Raum, in den man durch äußere Umstände gezwungen wird, der aber nicht aus intrinsischer Motivation heraus erkundet wird.

    Bislang wurde der Nutzen digitaler Aktivitäten vor allem als Erweiterung der Kommunikationsmöglichkeiten gesehen. Damit ist die Digitalisierung im öffentlich finanzierten Kulturbereich zuerst und vor allem im Marketing sichtbar geworden. Als Erweiterung der ästhetischen Möglichkeiten und Ausweitung des ästhetischen Raumes spielte die digitale Sphäre nur eine nachrangige Rolle. Vielleicht, weil es bisher wenig Anreiz gab, sich den digitalen Raum zu erschließen. Tragfähige digitale Geschäftsmodelle für nischige Kunst (ich meine damit die „klassische Kultur“ insgesamt) konnten bislang nicht entwickelt werden – Long Tail hin oder her. Selbst Leuchtturmprojekte mit internationaler Ausstrahlung und einem klaren Business-Case wie die Digital Concert Hall der Berliner Philharmoniker bewegen sich – auch viele Jahre nach der Gründung und je nachdem mit wem man spricht – entweder nur sehr knapp oder immer noch nicht in den schwarzen Zahlen. Hier kann man allerdings einwenden: Tragfähige Geschäftsmodelle gibt es für öffentlich finanzierte Kultur in aller Regel auch nicht im analogen Raum und sind bei den derzeit aufkeimenden digitalen Aktivitäten ja auch kein Hinderungsgrund mehr.

    Wie gesagt dienten digitale Inhalte in aller Regel zu Marketingzwecken, sie sollten veranschaulichen, was man in den Häusern vor Ort erleben kann. Gerade bei verbal schlecht vermittelbaren Angeboten wie zum Beispiel einem abstrakten Tanzstück ist das natürlich auch sinnvoll. Trotzdem sind die Inhalte immer nur ein Abbild der „eigentlichen“ Inhalte für Marketingzwecke, nicht als eigenständige künstlerische Ausdrucksform gedacht. Andere bewährte Einsatzgebiete sind die Imagebildung, z.B. um die eigene Pionierrolle zu unterstreichen (Berliner Philharmoniker), oder das Audience Development, wo versucht wird, insbesondere junge Menschen im digitalen Raum „abzuholen“ und über kurz oder lang in die Häuser zu locken. Digitale Angebote als genuine, den traditionellen Formaten gleichgestellte Angebote zu sehen, das war und ist die Ausnahme – insbesondere in den Performing Arts. Teilweise wird das ausschließlich klassische analoge Kulturerlebnis sogar noch immer bewusst als Gegenwelt zu virtuellen Angeboten positioniert, die keine physische Präsenz an einem bestimmten Ort erfordern. Unter den Museen gibt es einige, die ihren Auftrag des Forschens, Sammelns, Bewahrens, Ausstellens und Vermittelns auch digital umsetzen und zum Beispiel keine Unterscheidung mehr zwischen Besuchern vor Ort und in den digitalen Ausstellungsräumen machen (vgl. dazu z.B. das Interview mit Silke Oldenburg im „Wie gehts’s?“-Podcast). Common Sense ist das nach meiner Wahrnehmung aber noch nicht.

    Man kann den Kultureinrichtungen jetzt sicher nicht den Vorwurf machen, in den zwei Wochen seit dem Shutdown noch keine genuin digitalen künstlerischen Formate entwickelt zu haben. Man kann aber fragen, warum es nicht schon lange vor den Maßnahmen zur Bekämpfung von Covid-19 passiert ist – von den allseits bekannten Ausnahmen abgesehen. Offenbar braucht es den Druck durch eine externe Entwicklung, wie er jetzt durch den Shutdown entstanden ist. Das ist zwar einerseits etwas konsternierend, zumal die aktuelle Situation ja voraussichtlich massive Konsequenzen haben wird (s. dazu z.B. die Artikel im VAN-Magazin oder der Zeit, die Petition für Hilfen für Freiberufler und Künstler sowie den Spendenaufruf der Deutschen Orchester-Vereinigung). Andererseits lässt sie sich aber – wie eingangs gesagt – auch als Antreiber der Evolution verstehen und nutzen: Die aktuelle Situation ist ein guter Anlass zu überlegen, wie der digitale Raum nicht nur Exil, sondern zu einer zweiten Heimat für Kultureinrichtungen werden kann. Im zweiten Teil soll es deswegen darum gehen, was die Voraussetzungen sind, damit das gelingt.