Christian Holst

Kulturmanagement :: Digitale Transformation :: Künstliche Intelligenz


Kategorie: Literatur

  • Tweet readings

    Wenn ich kürzlich die Frage gestellt habe, ob die kommunikativen Strukturen sozialer Medien das Niveau der Diskussionen deckelt, die über sie geführt werden, dann nur, weil ich da die Tweet Readings von Marcus Brown noch nicht kannte. Kein Zweifel: Tweets sind nicht nur großartige Klolektüre, sondern eine literarische Form, in der sich bewegende, erschütternde, existenzielle Fragen aufwerfen und ausdrücken lassen. Man muss diese neue Form eben zu deuten wissen:

    Official Tweet Reading V: Reading Robert Scoble from Marcus Brown on Vimeo.

  • Der Roman zum Umzug: Heidiland

    Lange Zeit hat es mir keinen Spaß mehr gemacht Romane zu lesen. Nach 20 Seiten fand ich es immer irgendwie langweilig, selbst bei guten Büchern, und habe stattdessen lieber DVD geguckt o.ä. Jetzt aber habe ich den Roman zum Schweiz-Umzug gelesen: «Heidiland». Hier wird am Beispiel einer jungen Ärztin das deutsche Gastarbeiterdasein in der Schweiz literarisch aufbereitet. So geht es einerseits um die Integrationsschwierigkeiten, mit denen auch Deutsche sich konfrontiert sehen, zum Beispiel was die Sprache angeht, die berühmt-berüchtigten Waschtage, der dezentere Umgangston, die Bahn, auf deren Unpünktlichkeit man sich nicht verlassen darf usw. Andererseits geht es um die deutsche Parallelgesellschaft, die sich mittlerweile in der Schweiz und offenbar insbesondere an den Kliniken, entwickelt hat und die einerseits Halt und Heimat gibt, in der sich andererseits aber auch typisch deutsche Gehässigkeiten fortsetzen, z.B. die Karrierekämpfe und ein harscher «Ruck-zuck, zack-zack»-Tonfall. Gewisse Klischees sind so natürlich unvermeidbar, aber zugleich auch nicht von der Hand zu weisen.

    Die «Migrations-Problematik» ist allerdings nur einer von mehreren Handlungssträngen. Parallel dazu geht es auch um das gespannte Verhältnis der Heldin zu ihrem planlosen Freund, das komplizierte Verhältnis zum dominanten Vater, der außerdem mit seiner Firma nach Moldawien expandiert, eine Bürgerinitiative sowie eine Miniaturvariante von Jürgen Harksen. Von A-Z wird die Auswanderung daher nicht beschrieben, was mich zuerst etwas stutzig machte, weil ich das aufgrund einer Rezension erwartet hatte. Aber das ist freilich nichts, was sich dem Buch vorwerfen ließe. Insgesamt plätschert der Roman angenehm unterhaltend vor sich hin, ohne eine echte Linie oder ein klares Anliegen, aber durchaus humorvoll, virtuos und bildreich. Das Ende allerdings kam mir reichlich konstruiert vor. Als hätte die Autorin gemerkt, dass ihr auf einmal – nach 320 Seiten – nur noch 20 weitere bleiben, alles zu einem guten Ende zu bringen. Entsprechend unwahrscheinlich und unmotiviert sind dann die Ereignisse der letzten Seiten.

  • Rutschgefahr

    Bei ihren Promoauftritten für Feuchtgebiete war Charlotte Roche immer ein Garant für gute Unterhaltung. Das lag zum einen an ihr selbst und zum anderen natürlich auch am Thema. Auf youtube gibts u.a. ihre charmanten Auftritte bei der N3-Talkshow und bei Kerner, der hörbar Mühe mit dem Thema hat, zu sehen.

    Von darstellenden Umsetzungen ihres Buches wollte Roche zunächst nichts wissen. Das Neue Theater Halle hat aber offenbar lange genug gebettelt und stellt sich jetzt der letzten Herausforderung des Regietheaters, wie es die Süddeutsche formuliert, indem es eine Bühnenfassung des Bestsellers herausbringt. So gering die Rutschgefahr in kommerzieller Hinsicht sein dürfte, so groß ist sie vermutlich in künstlerischer. Deswegen schon mal ein herzliches toi, toi, toi!

  • Wagners Ring ohne Musik

    Ob das so eine tolle Idee ist? Das Theater Heilbronn zeigt Wagners Ring als Schauspiel in einer Textfassung von Almut Fischer und K.D.Schmidt. Das ist insofern keine schlechte Idee, als Wagner als Dichter überhaupt nicht ernst genommen wird. Erst Dieter Borchmeyer fing an, mit diesem Vorurteil aufzuräumen, als er sein Buch »Das Theater Wagners« mit der erstaunlichen Erkenntnis eröffnete:

    Es läßt sich nicht bezweifeln: das Werk Wagners ist der wirkungsmächtigste Beitrag des deutschen 19. Jahrhunderts zur Weltliteratur.

    Borchmeyer ist aber Literaturwissenschaftler. Dass sich ausgerechnet Theaterleute als Fürsprecher für die Qualität der Wagnerschen Dichtkunst profilieren wollen, strapaziert meine Vorstellungskraft erheblich. Aber wer weiß? Wenn es schon Wagners Ring ohne Worte gibt, warum soll es dann nicht auch Wagners Ring ohne Musik geben?

  • Die Erben Maos

    Die Vorfreude auf die olympischen Sommerspiele in Peking halten sich wohl momentan auf allen Seiten in Grenzen. Alle Hoffnungen die diese Spiele hervorgerufen haben, China mehr in Richtung Demokratie und weg vom unerbittlichen Polizeistaat und Unterdrücker zu bewegen, scheinen sich in Wohlgefallen aufzulösen.

    Erinnerungen an die Zeiten der Kulturrevolution werden wieder wach. Vielleicht hat man sich von dem rasanten Aufstieg zur Wirtschaftsmacht doch blenden lassen und die „Fortschritte“ missinterpretiert, die sich sehr einseitig auf die Wirtschaft, nicht aber auf die Menschenrechte auswirken. (mehr …)

  • Kleist-Preis für Goldt

    Wenn Bob Dylan den Pulitzer-Preis bekommt, dann ist es eigentlich das Mindeste, dass Max Goldt den Kleist-Preis erhält. Und während die FAZ sich fragt, ob es eigentlich einen komischen Beigeschmack hat, wenn ein Rowohlt-Autor dem anderen einen Preis zuschanzt, frage ich mich, ob es nicht mindestens so merkwürdig ist, dass ein so junger Autor wie Daniel Kehlmann über Preise für literarische Institutionen befindet.