Der Roman zum Umzug: Heidiland

Veröffentlicht von Christian Holst am

Lange Zeit hat es mir keinen Spaß mehr gemacht Romane zu lesen. Nach 20 Seiten fand ich es immer irgendwie langweilig, selbst bei guten Büchern, und habe stattdessen lieber DVD geguckt o.ä. Jetzt aber habe ich den Roman zum Schweiz-Umzug gelesen: «Heidiland». Hier wird am Beispiel einer jungen Ärztin das deutsche Gastarbeiterdasein in der Schweiz literarisch aufbereitet. So geht es einerseits um die Integrationsschwierigkeiten, mit denen auch Deutsche sich konfrontiert sehen, zum Beispiel was die Sprache angeht, die berühmt-berüchtigten Waschtage, der dezentere Umgangston, die Bahn, auf deren Unpünktlichkeit man sich nicht verlassen darf usw. Andererseits geht es um die deutsche Parallelgesellschaft, die sich mittlerweile in der Schweiz und offenbar insbesondere an den Kliniken, entwickelt hat und die einerseits Halt und Heimat gibt, in der sich andererseits aber auch typisch deutsche Gehässigkeiten fortsetzen, z.B. die Karrierekämpfe und ein harscher «Ruck-zuck, zack-zack»-Tonfall. Gewisse Klischees sind so natürlich unvermeidbar, aber zugleich auch nicht von der Hand zu weisen.

Die «Migrations-Problematik» ist allerdings nur einer von mehreren Handlungssträngen. Parallel dazu geht es auch um das gespannte Verhältnis der Heldin zu ihrem planlosen Freund, das komplizierte Verhältnis zum dominanten Vater, der außerdem mit seiner Firma nach Moldawien expandiert, eine Bürgerinitiative sowie eine Miniaturvariante von Jürgen Harksen. Von A-Z wird die Auswanderung daher nicht beschrieben, was mich zuerst etwas stutzig machte, weil ich das aufgrund einer Rezension erwartet hatte. Aber das ist freilich nichts, was sich dem Buch vorwerfen ließe. Insgesamt plätschert der Roman angenehm unterhaltend vor sich hin, ohne eine echte Linie oder ein klares Anliegen, aber durchaus humorvoll, virtuos und bildreich. Das Ende allerdings kam mir reichlich konstruiert vor. Als hätte die Autorin gemerkt, dass ihr auf einmal – nach 320 Seiten – nur noch 20 weitere bleiben, alles zu einem guten Ende zu bringen. Entsprechend unwahrscheinlich und unmotiviert sind dann die Ereignisse der letzten Seiten.


3 Kommentare

Scotty · 25. Januar 2009 um 15:34

Ich liebe Deine Rezensionen! Die zu lesen macht mir schon fast mehr Spaß, als mir vorzunehmen, das Buch selbst zu lesen…

Gestern übrigens kam mir ein geiles Buch in die Finger: „Eine Vorhaut klagt an!“ Alleine den Titel fand ich zum Brüllen komisch, weil ich schon vermutete, dass es einen eher jüdischen, als pornografischen Bezug hat. Und so ist es auch: „Ein Jude klagt an!“ könnte das Buch auch heißen. Aber weniger die Vergangenheit von Nazi-Deutschland, sondern seine kulturelle und religiöse Sozialisation als Jude.

(Aus der Erinnerung rezitiert:) „Als ich klein war, hörte ich von einem Mann, dem es wichtig war, ob man ihn mochte oder nicht. Wenn man ihn mochte, sorgte er dafür, dass wir andere töten konnten. Wenn man ihn nicht mochte, tötete er uns oder sorgte dafür, dass andere uns töteten. Hitler mochte zwar die Juden umgebracht haben; dieser Mann überschwemmte gleich die ganze Welt.“

Man ertappt sich dabei, still und leise in der Ecke sitzen zu wollen, darf aber vor Brüllen nur vor und nach der Mittagsruhe lesen, sowie muss man sehr nahe an einer Toilette verweilen…

Hier der Link zu amazon: http://www.amazon.de/Eine-Vorhaut-klagt-Shalom-Auslander/dp/3827007720/ref=sr_1_1?ie=UTF8&s=books&qid=1232893780&sr=8-1

Carmen · 26. Januar 2009 um 8:18

Schade finde ich ja, dass das Ende so holterdipolter hingeworfen wurde. Sowas finde ich immer schlimm, da sollen die Verlage den Autoren doch einfach ein paar Seiten mehr zugestehen, schon würden sich die Bücher sicher auch besser verkaufen. Aber der Rest des Buchs hört sich recht interessant an, auf jeden Fall sicher lohnenswert das mal zu lesen, danke für den Tipp.

Rui · 27. Januar 2009 um 12:06

@Carmen ich sehe das nicht so. Es ist zwar schon so, dass man durch die Vorgaben etwas eingeschränkt ist bei einem Buch, aber das ist auch gut so. Es muss nicht sein, dass dadurch das Buch schlechter wird. Denn der Autor weiß eigentlich vorher schon wie viel er zur Verfügung hat und er kann sich die Sache einteilen. Deshalb liegt es hier meiner Meinung nach nicht am Verlag sondern am Autor. Manchmal sind solche Schlusspassagen durchaus mit Absicht so gewählt worden. Ich sehe das Ganze nicht so eng.

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