Christian Holst

Kulturmanagement :: Digitale Transformation :: Künstliche Intelligenz


Kategorie: Theater

  • Kleckereien auf nackten Ärschen

    Hat man den gerade zu vorgerückter Stunde auf irgendeiner Premierenfeier vor die Kamera gezerrt? Offenes Hemd, geschätzte 1,8 Promille… Ich sach nur: »Maria Schtuart«. Oder ist es etwa auch hier EPO? (Hahaha!) Naja, seine Polemik gegen das sog. Regietheater ist auf jeden Fall sehr witzig. Von wegen Kindergeburtstag und Kleckereien auf nackten Ärschen usw.

    Dank an Frank für den Link!

  • Theater 2.0

    Sören Fenner von theaterjobs.de fragt sich, warum die Theater das sog. Web 2.0 noch nicht für sich entdeckt haben. Das ist allerdings die Frage, die ich mir ja auch schon gestellt habe! Ich meine, es liegt daran, dass Theater die Kommunikation auf gleicher Augenhöhe mit ihrem Gegenüber (noch) nicht beherrschen. Näheres dazu in meinem Kommentar zu dem Eintrag.

  • Ende der Einwegkommunikation

    Die Zeit berichtet in der aktuellen Ausgabe über die Macher der Documenta XII. Ich habe nicht nur aufgehorcht, weil mir der Name Roger Buergel noch aus Lüneburg bekannt vorkam, wo er den Kunstraum mit aufgezogen hat, sondern auch, weil er und seine Frau als Documenta-Macher einige interessante Ideen haben. Zum einen ist es erfrischend, dass sie offenbar auf intellektuelles Geschwurgel verzichten und Kunst einfach Kunst sein lassen wollen (Punkt 1). Bemerkenswert ist aber auch die Idee, für das Publikum Raum zu schaffen, in dem es sich über die Ausstellung austauschen kann (Punkt 5). Bemerkenswert deswegen, weil man in den altehrwürdigen Kulturinstitutionen normalerweise damit allein gelassen wird, weil diese Institutionen (ich zähle Ausstellungen der Einfachheit halber dazu) nach jahrhundertealter Einwegkommunikation vom Künstler zum geneigten Bildungsbürger funktioniert. Dabei sollte Buergels Idee Vorbildfunktion haben, auch z.B. für Theater, die sich selbst zwar gerne als Foren stilisieren, in denen sich die tabulose Selbstreflexion der Demokratie vollzieht, die aber bis heute fast ausschließlich eindimensionale Kommunikationsformen nutzen.

  • Erstaunlich sakral

    Vergangenen Samstag bekam die Zürcher Oper eine zweite Chance. Es gab Parsifal, Inszenierung Hans Hollmann, von dem ich noch nie was gehört hatte, musikalische Leitung Bernard Haitink, den ich endlich einmal hören wollte. Auch wenn die Inszenierung sehr abstrakt war, hat sie mir unterm Strich doch ganz gut gefallen. Erstaunlich war nämlich, dass die sakralen Handlungen, die sonst meist dem aufklärerischen Anspruch des Regisseurs zum Opfer fallen, allesamt sehr konkret gezeigt wurden. Bei der ersten Gralsenthüllung wurden tatsächlich Wein und Brot ausgeteilt, im dritten Aufzug gab es eine echte Fußwaschung, eine echte Salbung etc. Ironischerweise ist eine solche (zumindest im Ansatz) »buchstabengetreue« Umsetzung mittlerweile viel verstörender und provozierender, als das ehrwürdige Bühnenweihfestspiel in einem Bahnhofsklosetting o.ä. spielen zu lassen.

    Wirklich großartig waren auch die Lichteffekte, die einen großen Reiz der Inszenierung ausmachten. Die Verfolger waren absolut präzise, durch geschicktes Abdimmen verschwanden Personen einfach im Nichts oder traten nur als Schemen in Erscheinung. Auch die Szene der Blumenmädchen war auf einem sehr gelungenen Lichteffekt aufgebaut: Sie waren dunkel gekleidet und trugen farbige, reflektierende Tafeln vor sich her, die in der Gesamtwirkung ein zwar abstraktes, aber sehr eindrucksvolles Blumenmeer in der ansonsten fast komplett schwarzen Bühne bildeten.

    Das Orchester unter Haitink war phänomenal, insbesondere wenn man bedenkt, dass es sich lediglich um eine Wiederaufnahme handelte mit vermutlich entsprechend wenig Proben. Da stimmte einfach alles. Die großen Partien waren zwar mit hochkarätigen Leuten besetzt, die aber teilweise nicht gerade ihren besten Tag erwischt hatten.

    Nichtsdestotrotz: Chance genutzt.

  • Oper 2.0

    Bin gerade durch Zufall auf einen interessanten Artikel gestoßen, der fragt, wem eigentlich die Oper gehört. Es knüpft zwar nicht ganz direkt dort an, aber ich frage mich schon seit längerem, ob das Web 2.0-Prinzip nicht geeignet ist, die altehrwürdige Kulturszene ordentlich aufzumischen. Zum einen, weil das Web 2.0 solche bzw. ähnliche Möglichkeiten zur Teilhabe bietet, wie in dem Artikel beschrieben. (Auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, wie das qualitativ einen Musikgenuss ergeben soll.) Aber auch, weil hier mal Ernst gemacht werden könnte mit dem aufklärerischen Anspruch des Theaters. Denn ohne eine diskursive Komponente stellt er sich doch selbst bloß. Eine Widersprüchlichkeit von (öffentlichen) Theatern besteht doch darin, dass sie mit feudalistischer Struktur die offene, soziale, liberale Gesellschaft (Demokratie) beschwören.

  • Wink mit dem Lattenzaun

    Um hier die Reihe meiner Opernkommentare fortzusetzen, ein kleiner Bericht aus dem Berner Stadttheater, wo ich vorgestern Le Nozze di Figaro sah. Die Vorstellung begann damit, dass kreischende Choristinnen Flugblätter aus den Rängen ins Parkett warfen, auf denen die Abschaffung des Rechts der ersten Nacht gefordert wurde. Aus dieser Forderung ergeben sich nämlich die zahlreichen Konflikte und Intrigen der Oper. (Eine Tatsache übrigens, die eine plausible Aktualisierung der Handlung praktisch unmöglich macht.) Um dies noch einmal zu verdeutlichen, blickte man während der Ouvertüre auf die Projektion eines entblößten, jungfräulichen Schoßes. Das war aber auch schon die einzige originelle Idee des Abends, die immerhin noch bis zur Pause im Bühnenbild präsent blieb. Dies bestand nämlich aus zwei Seitenwänden, die nach hinten auf einen gemeinsamen Fluchtpunkt zuliefen. Vor diesem befand sich ein schmaler Durchgang, auf den sich alles Rein-raus konzentierte. Dr. Freud winkt mit dem Lattenzaun.

    Ansonsten erschöpfte sich die Regie in gepflegtem Rampenstehtheater. Anstatt den überschäumenden Witz der Musik auch szenisch umzusetzen, nahm der Regisseur (Stephan Müller) nur die Gags mit, die auch wirklich nicht zu verfehlen sind und platzierte den ein oder anderen unmotivierten Einfall. Z.B. ließ er Figaros Arie im vierten Akt vor geschlossenem Vorhang und bei erleuchtetem Saal spielen. Die Sänger waren durch die Bank sehr gut, da gab es gar nichts zu mäkeln, und verfügten allesamt auch über die für diese Oper unabdingbare optische Attraktivität.

    Fazit: Also, weh getan hat’s nicht, aber eine gute Figaro-Inszenierung sieht definitiv ganz anders aus.

  • McKinsey im Theater

    In der Februar/März-Ausgabe von crescendo gibt es einen Bericht über das neue Marketingkonzept der Frankfurter Oper, das McKinsey-Berater über »mehrere Monate« mit Mitarbeitern der Oper entwickelt haben. Natürlich ist es recht opportun, ins McKinsey-Bashing einzustimmen, aber nach dem Bericht zu urteilen, sind die Beratungsergebnisse doch erstaunlich konventionell.

    Laut dem Artikel empfahlen die Berater der Oper nämlich etliche Dinge, auf die andere Theater auch ohne externe Berater längst gekommen sind: z.B. unkonventionelle Preisgestaltung. Oper zum Kinopreis – gab es während meines Praktikums 2001 schon an der Staatsoper Berlin. Oder ein farbiger Monatsleporello, der nicht mit anderen Kulturinstitutionen geteilt wird. »Darüber hinaus wurde die Internetseite nutzerfreundlich umgestaltet. Neu sind: eine übersichtliche Gliederung, interaktive Elemente und einladende, warme Farben«. Na, das hat aber gedauert! Die Interaktivität der Seite beschränkt sich im Wesentlichen übrigens auf ein Gästebuch, das immerhin ganz niveauvoll genutzt wird. Am innovativsten ist noch der Einsatz von Viralem Marketing, wobei hierzu wenig Konkretes verlautbart wird. Beim Lesen dieses Artikels, der immerhin von den Beratern selbst geschrieben wurde, drängt sich daher die Frage auf: Wofür bekommt eigentlich der Leiter der Öffentlichkeitsarbeit sein Geld?

    Ich frage mich auch: Warum kommen hochkarätige McKinsey-Leute nicht auf die Idee, konsequent die Möglichkeiten des Online-Marketings in ihrem Konzept zu berücksichtigen? Hier tun sich Möglichkeiten auf, die von Kulturinstitutionen bislang praktisch nicht genutzt werden. Corporate Blogs zum Beispiel sind für Theater wie geschaffen, weil es deren Kerngeschäft ist, Geschichten zu erzählen. Unternehmen wie VW haben es da viel schwerer, denn sie müssen erst eine Geschichte erfinden und einen Bezug zum Produkt herstellen. Trotzdem (oder gerade deswegen?) sind sie viel einfallsreicher. Keine Rede auch von so einfachen und banalen Dingen wie Google Adwords, Community Marketing, social bookmarking, ebay oder Second Life.

    Theater legen einen geradezu neurotischen Wert darauf, »heutig« rüber zukommen. Aber in Sachen »heutige Medien« haben sie den Schuss noch nicht gehört. Und McKinsey auch nicht.

  • Pelleas in Bremen

    Ich mag Bremen ja, fühle mich hier zu Hause und leide mittlerweile schon mit Werder mit, weil sie gerade den Anschluss in Sachen Meisterschaft verpassen. Aber gute Oper kann man hier nicht sehen. Zuletzt musste ich das in Pelleas et Melisande feststellen. Eine Inszenierung von Konstanze Lauterbach, einer Schauspielregisseurin, deren Herangehensweise von wenig Gespür für die Musik getrübt war. Die Subtilität und Uneindeutigkeit der Handlung und der Musik fanden sich in der grobmotorischen Bildersprache (vgl. Wikipedia, dort ist von »reicher, artifizieller Körpersprache« die Rede) überhaupt nicht wieder.

    Stattdessen war die Welt von Pelleas und Melisande als ramponierte Kinderwelt angelegt, die von bösen Erwachsenen immer weiter demoliert wurde, was bei den Liebenden verheerenden psychischen Schaden anrichtete. Mal abgesehen von der Frage, was dieser Ansatz über das Stück sagt, fehlte der Inszenierung insgesamt die Linie. Es reihte sich ein geistreicher Regieeinfall an den nächsten und dröselte dem Zuschauer das Stück so anhand einer Folge von szenischen Nummern auf.

    Musikalisch war es für eine nicht mehr ganz premierennahe Abonnementsvorstellung immerhin recht ordentlich. Zwar spielte das Orchester den Farben- und Facettenreichtum der Partitur nicht aus, aber insgesamt konzentriert und präzise. Die Hauptpartien waren durchaus sehr gut besetzt, insbesondere Nadine Lehner als Melisande war stimmlich und darstellerisch sehr präsent und überzeugend.

    Dennoch: nach dem dritten Besuch und der dritten Enttäuschung bin ich jetzt doch gespannt auf die neue Intendanz. Eigentlich kann es nur besser werden.