Gesine Schwan hat kürzlich geäußert, die Demokratie könne durch die aktuelle Krise in Gefahr geraten und die Kritik, dass diese Befürchtung wohl etwas überzogen ist, ist wohl nicht von der Hand zu weisen. Oder aber man muss die Frage so zuspitzen wie Gabor Steingart in seinem aktuellen Buch «Die Machtfrage. Ansichten eines Nichtwählers» und fragen, wie demokratisch unsere Demokratie überhaupt noch ist (auch ohne Krise). Steingarts Analyse fällt recht ernüchternd aus. Er zeigt schlüssig und anekdotenreich, dass in Deutschland eben nicht das Volk regiert, sondern die Parteien, die sich in ihrer politischen Grundausrichtung praktisch nicht mehr unterscheiden. Sie sind auf ihren Machterhalt ausgerichtet, nicht auf die nachhaltige Vitalisierung der Demokratie. Steingarts Fazit: Die Demokratie erstarrt mehr und mehr und verliert, zumindest in ihrer jetzigen Form als indirekte Parteiendemokratie, ihren Rückhalt in der Bevölkerung. Zur Bundestagswahl 1972 gab es eine Wahlbeteiligung von über 91%, bei der letzten waren es nur noch knappe 78%. Das Nichtwählen ist für Steingart die einzige Möglichkeit des Wählers, seine grundsätzliche Unzufriedenheit über das System indirekte Parteiendemokratie auszudrücken.
Das Buch liest sich wie ein sehr langer Stern-Artikel, auch wenn Steingart eigentlich für den Spiegel schreibt: locker-flockig, pointiert, aber recht oberflächlich. Es ist eine wohlkalkulierte Provokation, um jetzt vor der Bundestagswahl in möglichst viele Talkshows eingeladen zu werden. Nichtsdestotrotz ist es eine wichtige Debatte, in die Steingart mit diesem Buch einsteigt und die er damit popularisiert. Denn so geeignet die Parteiendemokratie für Deutschland nach dem 2. Weltkrieg war, so wenig zeitgemäß ist sie heute noch, wo Deutschland bewiesen hat, dass es Demokratie kann. Jetzt steht es an, eine neue, direktere demokratische Kultur in Deutschland und Europa zu entwickeln.
Eine detaillierte Kritik zum Buch gibt’s beim Spiegelfechter.