Christian Holst

Kulturmanagement :: Digitale Transformation :: Künstliche Intelligenz


Kategorie: Gesellschaft

  • Vier tote, weiße Männer füllen die Konzertsäle

    Ein Viertel aller Stücke, die die großen US-Orchester ins Programm nehmen, stammen von nur vier Komponisten, berichtet Norman Lebrecht. Eine kleine Handvoll toter weißer Männer, nämlich Mozart, Beethoven, Brahms und Tschaikowsky. «And you wonder why people have stopped going», schlussfolgert Lebrecht aus dieser «schockierenden Statistik» lakonisch. Offenbar sitzt er auch dem zur Zeit um sich greifenden Glauben auf, dass ethnische, soziale, geschlechtliche Vielfalt per se (musikalische) Qualität und ein begeistertes, treues Publikum bedeutet. Nähere Begründung, warum das so sein sollte? Fehlanzeige. Es kann also genauso gut sein – mir persönlich erscheint das auch wesentlich wahrscheinlicher -, dass es diesen vier toten weißen Männern zu verdanken ist, dass überhaupt noch Leute ins Konzert gehen. (Plakativ gesprochen.) Sofia Gubaidulina beispielsweise ist eine weiße, lebende Frau und großartige Komponistin aber nicht gerade bekannt dafür, dass die Leute ihrer Werke wegen scharenweise in die Konzertsäle strömen würden. Das kann man schade finden, ist aber eine Tatsache, mit der die Orchester umgehen müssen.

  • Warum der Klassikbetrieb keinen Geschlechterkampf braucht

    Susanne Küblers Kritiken zu den Produktionen am Opernhaus Zürich habe ich nicht immer geteilt, fand sie aber immer fair und nachvollziehbar. Gleiches gilt für ihre kulturpolitischen Statements. Umso mehr wundert mich ihr aktueller Artikel über die angeblich ausbaufähige Gleichberechtigung im Klassikbetrieb. Sie lobt zunächst die Bemühungen des Lucerne Festivals, dirigierende und komponierende Frauen zum Schwerpunkt zu machen. Das mag man als kulturpolitisch wertvolles Signal werten. In meinen Augen ist das eine Themensetzung, die vor allem unter PR-Gesichtspunkten sinnvoll war, weil sie mehr Medien-Aufmerksamkeit gebracht hat, als etwa «Humor» oder andere Schwerpunkte der letzten Jahre. Aber welches künstlerisches Statement sollte damit verbunden sein? (mehr …)

  • Vergütungsumfrage im britischen Kultursektor

    Quasi als Nachtrag zum letzten Beitrag noch ein Verweis auf eine britische Vergütungsumfrage unter Kulturschaffenden (gibt’s eigentlich wirklich kein besseres Wort?!?). Diese zeigt ein ähnliches Bild wie die theaterjobs.de-Umfrage, umfasst jedoch den gesamten Kultursektor, nicht nur den Theaterbereich: Trotz in der Regel hoher Qualifikation sind Verdienst und Verdienstaussichten bescheiden. Das durchschnittliche Jahreseinkommen eines britischen Kulturarbeiters beträgt knapp 20.000 Pfund (ca. 24.000 EUR) und die Befragten gehen davon aus, dass sich das auch nicht wesentlich verändern wird. So weit, so wenig überraschend. Aufschlussreicher ist das Profil des typischen Kulturschaffenden:

    The survey found the profile of a typical person participating in the arts sector is a female (Anm.: Der Frauenanteil im britischen Kultursektor beträgt gem. dieser Befragung 77%!), aged 34.5 who lives in London, is highly educated with a minimum of a undergraduate degree, and probably a post-graduate degree. (…) She is motivated not by money but by her passion for the arts and overall enjoys good job satisfaction.

    Diese Ergebnisse machen einerseits deutlich, dass Frauen nicht aufgrund struktureller Diskriminierung in der schlecht zahlenden Kulturbranche arbeiten (müssen), sondern es aufgrund von persönlicher Neigung und selbstbestimmten Entscheidungen tun. Und sie machen andererseits deutlich, dass der Gender Pay Gap damit zu tun hat, dass schlecht zahlende Branchen offenbar Arbeit zu bieten haben, die insbesondere Frauen attraktiv finden.

  • Frauenquote im Kulturbereich?

    Dass Kultur im Bundestagswahlkampf praktisch keine Rolle gespielt hat, liegt in der Natur der Kulturfinanzierung in Deutschland begründet: sie ist Kommunen- und Ländersache. Insofern verwundert es nicht, dass kaum eine der fünf (nunmehr vier) großen Parteien der Kultur mehr als zwei Seiten ihres Wahlprogramms gewidmet hat. Kulturmanagement-Network hat sich dennoch die Mühe gemacht und die Positionen in einer Serie dargestellt. Aufgrund des mauen Interesses und der geringen Bedeutung der Kulturpolitik in der Bundespolitik blieb eine Meldung fast völlig unbeachtet, die jedoch eigentlich einige grundsätzliche Überlegungen provoziert. Und zwar forderte Jürgen Trittin im Namen der Grünen eine Frauenquote für Kulturberufe. Auf den ersten Blick betrachtet hat diese Forderung zumindest mehr Sinn, als Privatunternehmen eine solche Quote aufzuzwingen. Schliesslich leben viele grosse Kultureinrichtungen von staatlichem Geld. Die Vertragsfreiheit, wie sie für private Unternehmen gilt, steht hier also ohnehin unter einem gewissen Vorbehalt politischer Zielsetzungen. Warum also nicht auch unter dem Vorbehalt einer Frauenquote?

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  • Die Dialektik der Internet-Demokratisierung

    «Hyperlinks untergaben Hierarchien» lautet die 7. These des Cluetrain Manifests. Dass es gerade Hyperlinks sein sollen hat wohl vor allem mit der schönen Alliteration zu tun, inhaltlich stehen sie vielmehr stellvertretend für die digitale Welt allgemein. In dieser werden Informationen aufgenommen, verarbeitet und an Schaltstellen weitergeleitet, die das Signal wieder aufnehmen, verarbeiten, weiterleiten usw. Da sich jeder, weitgehend unabhängig vom sozialen Status, Einkommen und Bildung, in dieses Netz einklinken und selber Schaltstellen verwalten, selber Informationen bereitstellen und kuratieren kann, werden Hierarchien in der Kommunikation aufgelöst. Dieser Umstand wird nicht nur medientheoretisch interpretiert, sondern durchaus auch sozial und politisch, weswegen gern von der «Demokratisierung» der Medien die Rede ist, auch wenn streng genommen deren Vergesellschaftung gemeint ist.

    Die ehemalige Journalistin und heutige Oberbürgermeisterin von Kiel, Susanne Gaschke, veranlasste das vor einiger Zeit, ironisch vom neuen «Heilsversprechen des Kapitalismus» zu sprechen. Sie meinte, das Web 2.0 werde zum Sinnbild und Erzeugnis eines globalen Kapitalismus hochstilisiert, der, nachdem er den Sozialismus als Kontrastfolie verloren habe, nun ein neues Versprechen liefern müsse. Die digitalen Medien würden nun Bildung, Aufklärung und demokratische Partizipation für alle Menschen von jung bis alt verheißen. Der arabische Frühling schien das zu bestätigen, gelang doch einigen tausend Twitterern in wenigen Wochen, was der stets bemühten und hochtechnisierten US-Armee in Jahren nicht gelang: einen demokratischen Aufbruch herbeizuführen. Auch bei den Protesten in der Türkei spielten die sozialen Medien wieder eine wichtige Rolle.

    Es ist daher eine paradoxe Wendung, dass das Internet, das einst euphorisch als Demokratiebringer bejubelt wurde, nun zu einem unkontrollierten Herrschaftsinstrument geworden ist, das zwar nicht in seiner Realität, aber in seinem Potenzial alles Dagewesene in den Schatten stellt. Die sowieso nicht ganz ernst gemeinte (d.h. repräsentative) Demokratie, wie sie auch in Deutschland praktiziert wird, lässt es vollends zum Schauspiel verkommen – wobei, das Bild des Marionettentheaters eigentlich besser passt. Man muss gar nicht mal einen besonderen Sinn für Verschwörungstheorien haben, um die Demokratisierung der Medienwelt nur als Vorspiel dieses digitalen Totalitarismus‘ zu begreifen. Denn der funktioniert nur mit denen, die sich über irgendeine Schaltstelle einklinken.

    Bleibt die Frage wie man darauf konkret reagieren soll. Die sicherste Variante wäre, Internetanschluss und Mobilfunkabo zu kündigen. Da dieser Schritt im Normalfall aber zu radikal sein dürfte, kommen die Vorschläge von c’t oder netzpolitik wohl eher in Frage: surfen via VPN oder Tor Bundle. Allerdings wurde Tor bereits von der NSA gehackt. Als Cloud empfiehlt sich wuala, wo die Daten clientseitig verschlüsselt werden. Beim Mobilfunk lässt sich allerdings wohl kaum etwas machen, außer threema als Messenger zu benutzen.

    Da Humor ist, wenn man trotzdem lacht, könnten die Abhöraktionen am Ende doch ihr Gutes haben: der Postillon berichtet, dass die GEMA Gebühren auf Prism- und Tempora-Mitschnitte erheben wird und empfiehlt jedem Bundesbürger, möglichst bald einen Wahrnehmungsvertrag abzuschließen.

  • Oper Frankfurt: Gleiche Leistung bei weniger Kosten

    Die Neue Musikzeitung berichtet:

    Nach der Ankündigung der Stadt Frankfurt, die Kulturausgaben zu reduzieren, hat sich Opernintendant Bernd Loebe kämpferisch gezeigt. Sein Haus werde auch weiterhin das gewohnt hohe Niveau halten, versprach er am Mittwoch in Frankfurt.

    … und gibt damit der Entscheidung der Stadt Frankfurt recht. Wenn das gleiche Niveau auch für 1,1 Mio. Euro weniger zu haben ist, dann ist das Geld anderswo besser angelegt.

  • Equal Pay Day für Kulturberufe

    An der Berichterstattung zum Equal Pay Day am 21. März konnte man sehen, dass selbst den sog. Qualitätsmedien kein Argument zu abenteuerlich ist, um den angeblichen Gender Pay Gap zu belegen. Was von diesem übrig bleibt, wenn man die Ideologie einmal ausblendet und sich allein mit den Fakten beschäftigt, hat Michael Klein in mehreren Beiträgen (1, 2, 3) auf Sciencefiles stichhaltig gezeigt – nämlich praktisch gar nichts. Die unterschiedliche Bezahlung von Männern und Frauen ist nicht das Ergebnis struktureller Diskriminierung, sondern von individuellen Lebensentscheidungen, heisst es dort zusammenfassend. (Sehr aufschlussreich ist hierzu die Präferenztheorie von Catherine Hakim.)

    Das Geschlechterverhältnis in der schlecht zahlenden Kulturbranche bestätigt das beispielhaft. Sowohl Frauen wie auch Männer werden hier vergleichsweise schlecht bezahlt, allerdings entscheiden sich mehr Frauen für einen Beruf in dieser Branche. Allerdings wird der geringe Männeranteil in der Kulturbranche kaum je problematisiert, von Quotenforderungen natürlich ganz zu schweigen. Eine Ausnahme machte vor einiger Zeit Nina Simon mit einem Blogpost, in dem sie sich mit der Frage beschäftigte, ob das Geschlechterungleichgewicht in Kultureinrichtungen nicht ein Problem sei oder zumindest werden könnte.

    Without this most basic kind of diversity on staff, people make myopic decisions that are biased towards certain audiences types. Just as a male-dominated tech industry created a hugely celebrated device that women thought sounded like a menstrual management product (the iPad), a female-dominated museum and library industry leads to a narrow set of preconceptions when it comes to program development and design. I’ve had plenty of meetings where we had to remind ourselves that we couldn’t just create craft activities just for women and no there would not be hearts on the walls in the Love Exhibition.

    Im Weiteren stellt Simon die Frage, wie gross dieses Problem tatsächlich sei. Möglicherweise reiche es schon aus, die Interessen von Minderheiten (im Museumsfall nicht nur Männer, sondern z.B. auch Menschen mit Migrationshintergrund oder geringer Bildung) durch geeignete Prozesse in die Programmentwicklung und -gestaltung einzubeziehen. Möglicherweise könnte es aber auch zum grundlegenden Problem werden, wenn bestimmte Kunstgattungen zur reinen Frauensache würden. Beim Ballett sei das heute schon weitgehend der Fall.

    Nach meinem Eindruck ist der geringe Männeranteil in der klassischen Kulturbranche zwar eigenartig, aber (noch) kein zentrales Problem. Da gibt es andere Baustellen, die dringender bearbeitet werden müssen. Zum Beispiel die chronisch schwierige Finanzlage oder die Schwierigkeit, junges Publikum für die eigene Arbeit zu begeistern. Was der Debatte aber auf jeden Fall sehr gut tut, ist die entspannte Selbstironie, mit der Simon an das Thema geht; sie würde der Geschlechterdebatte insgesamt gut tun. Darüber hinaus wäre es zu begrüssen, wenn der nächste Equal Pay Day auf eine bessere Bezahlung von Kulturberufen hinwirken würde – etwa eine, die der Vergütung im öffentlichen Dienst entspricht.

  • Ausgeliefert!

    Wer Kultur unter die Menschen bringt, lebt oftmals prekär. Auch bei Konsumgütern wie T-Shirts oder Turnschuhen quält es unser Gewissen nicht, dass sie unter menschenunwürdigen Bedingungen hergestellt werden. Der Skandal an diesem Bericht über die Arbeitsbedingungen bei Kulturverteiler Amazon ist daher nicht, dass die Menschen so schlecht behandelt werden, sondern dass das neuerdings nicht mehr schön weit weg in Fernost passiert, sondern vor „unserer Haustür“.

  • Urheberrecht – Die neue Aufreger-Debatte

    Nach der Kulturinfarktdebatte vor einigen Wochen wird im Kultursektor nun die nächste hysterische Debatte angezettelt. Die ums Urheberrecht. Nach Sven Regeners unterhaltsamem Ausraster beim Bayerischen Rundfunk, ebenso unterhaltsamen Repliken, einem offenen Brief von 51 Tatort-Autoren, einer Aktion des Handelsblattes erfährt die Debatte jetzt einen neuen Höhepunkt mit dem mittlerweile von ein paar Tausend Urhebern unterzeichneten Appell «Wir sind die Urheber». Weitere Petitionen sind offenbar schon in Planung. Ziel ist es, das Urheberrecht in seiner jetzigen Form zu verteidigen, zu erhalten und womöglich zu stärken, sprich verschärfen.
    Gemeinsam mit der Kulturinfarktdebatte ist dieser Diskussion, dass die Initianten vor allem auf das (vermeintliche) Problem fokussieren, aber wenig bis keine sinnvollen Vorschläge zur Lösung einbringen. (Alvar Freude hat deswegen einmal nachgefragt.) Wo im ersten Fall einfach alles anders sein sollte, soll hier einfach alles bleiben wie es ist war. (mehr …)

  • Kultur neu erfinden

    «Wenn die Lösungen so einfach wären!» So der Stoßseufzer des Deutschen Kulturrats zu dem Vorschlag eines Autorenteams – bestehend aus Dieter Haselbach, Armin Klein, Pius Knüsel und Stephan Opitz – die Hälfte der öffentlich finanzierten Kultureinrichtungen dicht zu machen, um den «Kulturinfarkt» zu kurieren. Nachzulesen ist dieser Vorschlag in der aktuellen Ausgabe des Spiegels, kommende Woche erscheint ein Buch, das sich dem Thema ausführlich widmet.
    Der Artikel beginnt mit einer zwar ziemlich pauschalen, aber doch zu einem guten Teil auch treffenden Diagnose: der kulturpolitische Grundsatz der 1970er Jahre «Kultur für alle!» sei gescheitert, Kultur in Deutschland wird zu sehr vom Angebot, zu wenig von der Nachfrage her gedacht. Mit Museen und Theatern würde die geistige Erbauung der ohnehin wohlhabendsten fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung subventioniert. Während allerorten der Trend zum mündigen, selbstbestimmten Bürger zu erkennen sei, halte die öffentlich finanzierte Kulturszene immer noch an dem Anspruch der «ästhetischen Erziehung des Menschengeschlechts» (Schiller) fest und meint, am besten zu wissen, was für andere gut sei. Der Ausbau der kulturellen Infrastruktur seit den 1970er Jahren sei «die letzte Offensive des vordemokratischen Modells des Kunstbürgers», das jetzt endgültig an seine (vor allem auch) finanziellen Grenzen stößt und zunehmend von privaten Anbietern abgehängt werde. Das ist alles recht polemisch, aber das soll es auch sein. (mehr …)