Die Dialektik der Internet-Demokratisierung

Veröffentlicht von Christian Holst am

«Hyperlinks untergaben Hierarchien» lautet die 7. These des Cluetrain Manifests. Dass es gerade Hyperlinks sein sollen hat wohl vor allem mit der schönen Alliteration zu tun, inhaltlich stehen sie vielmehr stellvertretend für die digitale Welt allgemein. In dieser werden Informationen aufgenommen, verarbeitet und an Schaltstellen weitergeleitet, die das Signal wieder aufnehmen, verarbeiten, weiterleiten usw. Da sich jeder, weitgehend unabhängig vom sozialen Status, Einkommen und Bildung, in dieses Netz einklinken und selber Schaltstellen verwalten, selber Informationen bereitstellen und kuratieren kann, werden Hierarchien in der Kommunikation aufgelöst. Dieser Umstand wird nicht nur medientheoretisch interpretiert, sondern durchaus auch sozial und politisch, weswegen gern von der «Demokratisierung» der Medien die Rede ist, auch wenn streng genommen deren Vergesellschaftung gemeint ist.

Die ehemalige Journalistin und heutige Oberbürgermeisterin von Kiel, Susanne Gaschke, veranlasste das vor einiger Zeit, ironisch vom neuen «Heilsversprechen des Kapitalismus» zu sprechen. Sie meinte, das Web 2.0 werde zum Sinnbild und Erzeugnis eines globalen Kapitalismus hochstilisiert, der, nachdem er den Sozialismus als Kontrastfolie verloren habe, nun ein neues Versprechen liefern müsse. Die digitalen Medien würden nun Bildung, Aufklärung und demokratische Partizipation für alle Menschen von jung bis alt verheißen. Der arabische Frühling schien das zu bestätigen, gelang doch einigen tausend Twitterern in wenigen Wochen, was der stets bemühten und hochtechnisierten US-Armee in Jahren nicht gelang: einen demokratischen Aufbruch herbeizuführen. Auch bei den Protesten in der Türkei spielten die sozialen Medien wieder eine wichtige Rolle.

Es ist daher eine paradoxe Wendung, dass das Internet, das einst euphorisch als Demokratiebringer bejubelt wurde, nun zu einem unkontrollierten Herrschaftsinstrument geworden ist, das zwar nicht in seiner Realität, aber in seinem Potenzial alles Dagewesene in den Schatten stellt. Die sowieso nicht ganz ernst gemeinte (d.h. repräsentative) Demokratie, wie sie auch in Deutschland praktiziert wird, lässt es vollends zum Schauspiel verkommen – wobei, das Bild des Marionettentheaters eigentlich besser passt. Man muss gar nicht mal einen besonderen Sinn für Verschwörungstheorien haben, um die Demokratisierung der Medienwelt nur als Vorspiel dieses digitalen Totalitarismus‘ zu begreifen. Denn der funktioniert nur mit denen, die sich über irgendeine Schaltstelle einklinken.

Bleibt die Frage wie man darauf konkret reagieren soll. Die sicherste Variante wäre, Internetanschluss und Mobilfunkabo zu kündigen. Da dieser Schritt im Normalfall aber zu radikal sein dürfte, kommen die Vorschläge von c’t oder netzpolitik wohl eher in Frage: surfen via VPN oder Tor Bundle. Allerdings wurde Tor bereits von der NSA gehackt. Als Cloud empfiehlt sich wuala, wo die Daten clientseitig verschlüsselt werden. Beim Mobilfunk lässt sich allerdings wohl kaum etwas machen, außer threema als Messenger zu benutzen.

Da Humor ist, wenn man trotzdem lacht, könnten die Abhöraktionen am Ende doch ihr Gutes haben: der Postillon berichtet, dass die GEMA Gebühren auf Prism- und Tempora-Mitschnitte erheben wird und empfiehlt jedem Bundesbürger, möglichst bald einen Wahrnehmungsvertrag abzuschließen.


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