Christian Holst

Kulturmanagement :: Kulturmarketing :: Digitale Transformation


Kategorie: Web

  • Leadership im Kulturbetrieb – Wie es nicht geht

    Während vergangene Woche in Hamburg bei der Jahrestagung des Fachverbands Kulturmanagement über Leadership und Innovation diskutiert wurde, eskalierte eine Auseinandersetzung, die als Paradebeispiel dienen kann, wie man es in Bezug auf beide Themen nicht machen sollte. Was war passiert? Der Komponist und Dramaturg Arno Lücker und die Komponistin Carlotta Joachim hatten einen sog. Shred über den Geiger Daniel Hope erstellt, was der offenbar gar nicht lustig fand. Das Konzerthaus Berlin, wo Hope viel spielt und Lücker eine Konzertreihe betreut, beendete daraufhin die Zusammenarbeit mit Lücker. Hopes Label Deutsche Grammophon versuchte offenbar, die Neue Musik Zeitung, für die Lücker schreibt, zur gleichen Maßnahme zu bewegen. Die vollständige Geschichte kann man u.a. im Bad Blog of Musick und auch im Blog hundert11 (in mehreren Artikeln und mit zahlreichen Links zu weiteren Quellen) nachlesen. Das Ganze eskalierte  schnell und gründlich, so dass irgendwann sogar die Times, die New York Times, Forbes und Alex Ross vom New Yorker darüber berichteten. Albrecht Selge (hunder11) bezeichnete den Fall und insbesondere den Rauswurf Lückers durch das Konzerthaus Berlin treffend als ein Paradebeispiel für Führungsversagen im Kultursektor. (mehr …)

  • Snapchat oder lieber gleich Chatbot?

    Neulich schrieb ich darüber, dass Instagram sich langsam zu einem ernst zunehmenden Marketingtool entwickelt. Das hat ein bisschen mit verbesserten Features von Instagram zu tun, vor allem aber mit den Anbindungsmöglichkeiten an den Facebook-Werbeanzeigenmanager. Jetzt schreibt Juana Zimmermann in der Neuen Musikzeitung über die Einsatzmöglichkeiten von Snapchat im Kulturbereich und ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Snapchat ziemlich genau das gleiche Problem hat, wie Instagram bis vor kurzem. Besser gesagt, Kultureinrichtungen haben dieses Problem, denn sie können und werden sich in der Regel nicht bei Snapchat Discover einkaufen. Die Customer Journey hört also auf, bevor sie überhaupt begonnen hat, man muss sich in seiner Snapchat-Filterbubble selbst genügen. Zimmermann schickt daher auch gleich vorweg, dass Snapchat die Möglichkeit bietet,

    etwas zu zeigen, was neben (Hervorhebung durch CH) der Standard-Marketing-Strategie liegt. Der Beleuchter könnte einen Tag lang seinen Arbeitsablauf dokumentieren, die Hospitantin von ihren Erlebnissen berichten. Die kleinen Schritte der Prozesse statt großer Ergebnisse werden sichtbar.

    Das wiederum ist aber keine besondere Leistung von Snapchat, das geht auch mit Blogs, Twitter und eben Instagram und war genau die Begründung, mit der man jeweils vor 8, 6 bzw. 2 Jahren dort eingestiegen ist. Snapchat ist – wie Zimmermann schreibt – eher ein Messenger als ein Netzwerk. Allerdings (noch) keiner, der wie der Facebook Messenger die Einbindung von Chatbots erlaubt. Also, warum nicht den Snapchat-Hype überspringen und gleich in das Thema Chatbots einsteigen? Die sind nämlich nicht nur der neue heiße Scheiß, sondern auch kompatibel mit einer bezahlbaren Standard-Marketing-Strategie, die den Besucher aus der Filterbubble seines bevorzugten Social Media-Tools holt und auf eine Reise mitnimmt, die in einem kulturellen Erlebnis kulminiert.

  • Geht Marketing mit Instagram?

    Eine meiner Lieblingsdiskussionen im Bereich Social Media dreht sich um die Frage, ob und wenn ja wie man mit Instagram eigentlich Marketing machen kann. Einmal bekam ich die Antwort: «Naja, professionell halt». Ansonsten wird gern ins Feld geführt, dass die Wachstumsraten so groß wie bei keinem anderen Social Network sind (2015 waren es 20% Wachstum in den USA), es nirgends sonst so viel Interaktion gibt, Bilder halt emotional sind und schnell erfasst werden, Facebook nur noch was für Leute ab Mitte 30 ist usw. Meine Gegenthese ist dann immer, dass das zwar alles stimmt, aber noch nichts mit Marketing zu tun hat. Auch eine Website, die explizit absatzwirtschaft.de heißt, bleibt da mit ihren 5 Tipps für erfolgreiches Marketing auf Instagram sehr an der Oberfläche:

    Instagram ist der neue Renner unter den sozialen Medien und wird immer wichtiger für Marken und Unternehmen.

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  • Marktforschung mit Googlesuche

    The auto suggest results provided by Google & Bing are a goldmine of insight for today’s marketeers.

    schreibt die Website answerthepublic. Was eigentlich als Service für die Suchmaschinennutzer gedacht ist, um schneller an gute Suchergebnisse zu kommen, gibt Content-Anbietern einen äußerst interessanten Einblick, wonach Leute suchen und dementsprechend Anhaltspunkte für die eigene Contentredaktion und Suchmaschinenoptimierung. Answerthepublic stellt daher die häufigsten Suchanfragen rund um ein Keyword zusammen und visualisiert sie auf hübsche Art und Weise. So wie hier für den Suchbegriff «Oper». Warum Carmen so beliebt ist, würde mich tatsächlich auch mal interessieren. 😉

  • Facebook als digitales Pausenfoyer

    Warum haben es Theater so schwer im sozialen Netz? Warum tun Theater sich so schwer im Netz?

    fragten die Kulturfritzen kürzlich in einem Blogbeitrag und machten nach einer angeregten Diskussion zu dieser Frage eine Blogparade draus, zu der ich gern diesen Beitrag beisteuere. Ein paar Gedanken zu dem Thema «Theater und Digitalisierung» habe ich mir bereits im Sommer anlässlich des Deutsche-Bühne-Schwerpunkts «Geht Theater auch digital?» gemacht. (mehr …)

  • Gelungene stARTcamp-Premiere in der Schweiz

    Die ersten Ideen für ein Schweizer stARTcamp gehen zurück in das Jahr 2012, wenn ich das richtig erinnere. Und wie das in der Schweiz mitunter so ist, dauert es einfach ein kleines bisschen länger als anderswo. Am vergangenen Montag war es dann aber endlich soweit mit der Schweizer stARTcamp-Premiere. Ca. 50 Camper waren wir im Historischen Museum Basel, das freundlicherweise Räume und Infrastruktur zur Verfügung gestellt hatte. In meinen Augen eine ideale Grösse für ein stARTcamp. Frank Tentler, der extra aus dem Ruhrgebiet angereist war, und Mitorganisator Axel Vogelsang haben bereits ausführliche Rückblicke in ihren Blogs veröffentlicht. Aber da jeder Teilnehmer aufgrund der parallel laufenden Sessions sein ganz individuelles stARTcamp erlebt, fasse ich den Tag hier auch noch einmal aus meiner Sicht zusammen. (mehr …)

  • Die Schweizer stARTcamp-Premiere

    Vielleicht soll es die stARTconference aber auch gar nicht mehr geben? Vielleicht hat sich die Spirale der Begeisterung zu drehen aufgehört und Social Media ist bei uns allen soweit im Alltag angekommen, dass es dazu gar keiner Konferenz mehr bedarf? Vielleicht ist der Weg nach Duisburg zu weit, wo doch in Köln, München, Dresden, Frankfurt und Berlin stARTcamps organisiert werden, die zeigen, dass das stARTuniversum in den letzten Jahren gewaltig gewachsen ist? Vielleicht hat das klassische Konferenzformat ausgedient und wir alle finden viel mehr Gefallen an der Barcamp-Atmosphäre?

    Das schrieb Christian Henner-Fehr im Frühjahr 2012 nachdem der Versuch gescheitert war, die stARTconference über Crowdfunding zu finanzieren. Tatsächlich war es dann so, dass die Camps an die Stelle der Konferenz getreten sind und für das weitere Wachstum des stARTuniversums sorgten. 2010 gab es ein stARTcamp in Essen. Im Jahr darauf waren es bereits zwei, ein weiteres Jahr später drei – jedes Jahr eins mehr. 2015 werden wir auf sechs stARTcamps kommen. Ende dieses Jahres werden es somit 16 stARTcamps in 10 verschiedenen Städten gewesen sein. (mehr …)

  • Rückblick aufs stARTcamp Ruhr York 2015

    Am vergangenen Woche fand im Dortmunder U das stARTcamp Ruhr York statt. Vielen Dank und ein großes Kompliment an Frank Tentler, Rouven Kasten und allen anderen helfenden Hände für die wirklich gelungene Veranstaltung!

    Ganz unverhofft spielte das Thema Oper eine große Rolle während der zwei Tage. Am ersten Tag wurde der Film «operatic» gezeigt, eine Dokumentation über eine sechs-köpfige «Opern-Band» namens The Cast. Für die Premiere des Films im Mai hatten die Herbergsmütter lautstark die Werbetrommel gerührt. Ich muss allerdings gestehen, dass mir dabei nicht so ganz klar geworden war, um was es in dem Film eigentlich genau geht. Oper müsse raus aus den Opernhäusern, es solle nicht so steif und ehrfürchtig zugehen, sondern ausgelassen wie auf einem Rockkonzert. Das war etwa das, was bei mir hängen geblieben war. Und tatsächlich entspann sich nach der Filmvorführung auch eine lebhafte (Podiums-)Diskussion um solche Fragen. Dass es doch toll sei, wenn man auch mal in Jeans und Turnschuhen Opernmusik genießen könne, und es ja nicht immer ein so ein gediegener Rahmen wie im Opernhaus sein müsse. Ich trage fast immer Jeans, wenn ich Oper sehe und natürlich ist Oper berufsbedingt etwas sehr Normales für mich. Wo da die Hemmschwellen sein sollen, kann ich daher immer schwer nachvollziehen. Außerdem mache ich eher die Erfahrung, dass viele Seltenbesucher ihren Opernbesuch gerade gern zum Anlass nehmen, sich einmal richtig aufzubrezeln. Wann zieht man sonst schon mal ein Abendkleid oder einen Anzug an? Häufigbesucher dagegen wissen ohnehin längst, dass man als Jeans- und Sneakersträger nicht des Hauses verwiesen wird. Eigentlich ist das also gar nicht der entscheidende Punkt. Aber es lässt sich wunderbar darüber streiten. Das gilt ja eigentlich für die gesamte klassische Szene. Witzigerweise waren die Diskussionen über Oper die polarisierendsten auf dem ganzen stARTcamp. Die getwitterten Reaktionen dazu bewegten sich zwischen leichtem Unwohlsein

    bis zu ziemlicher Begeisterung

    Die Frage, ob man hinterher viel schlauer ist, mal außen vorgelassen – mir machen solche Diskussionen auch immer Spaß. Trotzdem behandelt der Film eigentlich eine Frage, die viel interessanter ist, als ob man Oper besser in Turn- oder Lackschuhe oder twitternd und mitklatschend oder andächtig zuhörend rezipieren sollte. Man erfährt nämlich viel über die Schwierig- und Widrigkeiten, mit denen sich junge Künstler in einem extrem harten Markt auseinandersetzen müssen. The Cast sind für mich ein gutes Beispiel dafür, wie man diesem riesigen Konkurrenzdruck, dem dauernden Nichtgutgenugsein und ständigen Rückschlägen, die man für eine Opernkarriere hinnehmen muss, mit frischem Unternehmergeist, Ideenreichtum und Unbeirrtheit begegnen kann.

    Der erste Tag war eine Mischform aus Tagung und Barcamp: Es gab einige vorab definierte Inputs, aber auch viel Raum für Diskussionen und die eigene Auseinandersetzung mit dem, was präsentiert wurde. Insgesamt ergab sich ein runder Tag, der die wichtigen Punkte für ein digitales Konzept, vom Projektmanagement, über das Storytelling und die Auswahl der geeigneten Technik bis zur Präsentation eines mustergültigen Content Marketing/Storytelling-Beispiels anhand des Films über The Cast präsentierte.

    Am zweiten Tag wurden etliche Fragen vom ersten noch einmal vertieft: es ging noch einmal um Apps, um digitale Räume, um Oper. Und, was mir besonders gut gefallen hat, auch um die Frage des «Social Sellings». Auch hier gingen die Meinungen sehr weit auseinander, ob das überhaupt möglich sei oder ob man nicht eher weiche Ziele wie Community-Aufbau verfolgen sollte und die Leute dann schon irgendwie auch kommen, wenn man sich immer nett mit ihnen austauscht. Im Grunde steckt da die gute alte Frage nach dem ROI von Social Media-Aktivitäten dahinter.

    Ich nehme vor allem zwei Erkenntnisse von diesem stARTcamp mit. Erkenntnisse, die nicht unbedingt neu sind, die vielleicht sogar als theoretische Feststellungen fürchterlich banal klingen, an denen es in der Praxis aber immer noch allzu oft hapert:
    1. Die Bedeutung, ein digitales Projekt von Anfang bis zu Ende durchzudenken, wird immer noch oftmals unterschätzt (auch von mir selbst). Viel zu schnell bleibt man an Fragen der Technik hängen oder fokussiert auf isolierte Aspekte wie Content Creation oder Storytelling. Inhalte haben aber keinen Selbstzweck. Man will etwas mit ihnen erreichen. Und man sollte möglichst präzise (oder smart) sagen können, was man erreichen will. Neulich hörte ich jemanden den schönen Satz sagen: «Wenn ich kein Ziel hab, weiß ich auch nicht, ob ich ankomme.» Also ohne sauber definierte Ziele, eine klare Vorstellung darüber, was meine Bemühungen bringen sollen, kann ich sie mir ebenso gut sparen. Ich erreiche nichts, außer im besten Falle ein kurzes Strohfeuer aus begeisterten «Ahs» und anerkennenden «Ohs». Es ist banal, aber mir ist am stARTcamp noch einmal sehr deutlich geworden, wie wichtig das ist und wie wenig man (ich schließe mich hier ein) sich in der operativen Hektik des Alltags daran hält.
    2. Vor diesem Hintergrund ist die isolierte Beschäftigung mit Social Web auch weitgehend unnütz. Auch Social Media bespielt man nicht um ihrer selbst willen. Auch nicht, um Facebook oder Twitter hohe Zugriffszahlen zu bescheren. Während es auf den ersten stARTcamps und den stARTconference noch viel darum ging, was Twitter ist und wie es funktioniert, reden wir jetzt über digitale Strategien und Konzepte. Anke von Heyl hat natürlich Recht, wenn sie das Buzzword «Strategie» nicht mehr hören mag.

    Ich rede auch meistens lieber von Konzepten, das klingt etwas bescheidener und beschreibt es auch. Wie auch immer: Gemeint ist ja ein richtiger und wichtiger Punkt, nämlich dass man, was man tut, von Anfang bis Ende durchdenken sollte. Der nie um eine pointiertes Statement verlegene Christoph Deeg brachte es so auf den Punkt:

    Diese Entwicklung von der Beschäftigung mit einer neuen Technologie zu der Beschäftigung mit ihren Einsatzmöglichkeiten innerhalb eines ganzheitlichen Plans ist ein wirklicher Fortschritt. Das Problem ist nur, dass auf den stARTcamps Personen über Strategien reden, deren Arbeitsalltag vor allem operativ geprägt ist und die auf strategischer Ebene in der Regel nicht so viel zu melden haben. Aber das wird sich sicher in den kommenden Jahren auch noch ändern, wenn die heutigen stARTcamp-Teilnehmer auf dem Weg durch die Institutionen vorankommen.

    Jetzt ist jedenfalls ersteinmal Sommerpause, was die stARTcamps anbetrifft. Und das nächste ist dann die Schweizer stARTcamp-Premiere, nämlich das stARTcamp Basel am 7. September im HMB – Museum für Geschichte am Barfüsser Platz. Die Tickets sind bereits erhältlich. Ich freu mich drauf!

  • Content war King

    «2014 wird das Jahr des Content Marketing», las ich kürzlich. Auf onlinemarketing.de wird es sogar als «neue Wunderwaffe» bezeichnet. Und für einmal kann man feststellen, dass der klassische Kulturbereich einem Marketing-Trend nicht hinterherhinkt. Auch wenn der Begriff «Content Marketing» in aller Regel im Zusammenhang mit Online- und Social Media-Aktivitäten genutzt wird – wie in dem verlinkten Artikel – so haben Theater und Museen das analoge Pendant dieser Marketingtechnik schon vor langer Zeit für sich entdeckt. Die meisten größeren Theater haben eine Theaterzeitung, mit der den Lesern durch redaktionelle Berichte und Inhalte Lust gemacht werden soll, das Haus (wieder) einmal zu besuchen. Als gelungene Beispiele können hier etwa das Magazin des Opernhauses Zürich (ja, ich bin voreingenommen, aber es wird immerhin auch vom ehemaligen Musikredakteur der ZEIT konzipiert und redaktionell geleitet), das der Berliner Philharmoniker oder der Staatsopern in Hamburg und Stuttgart dienen. Diese Liste ist ebenso willkürlich wie unvollständig. Mir geht es darum, zu zeigen, dass vielerorts bereits analoges Content Marketing auf hohem Niveau betrieben wird.

    Wenn die 16. These des Cluetrain Manifestos also lautet: «Schon jetzt erreichen Unternehmen, die mit der Stimme des Marktschreiers reden, niemanden», kann man festhalten, dass dieser Paradigmenwechsel vom Push- zum Pull-Marketing im Kulturbereich längst vollzogen wurde. Man setzt schon lange auf interessante Geschichten und inhaltsvolle Informationen statt auf sich ständig weiter aufschaukelnden Werbedruck und laute, austauschbare Slogans. Fragt sich nur, warum die Kultureinrichtungen dann nicht auch eine Vorreiterrolle im digitalen Content Marketing einnehmen? Es gibt zwar mittlerweile einige gelungene Beispiele für Content Marketing aus dem klassischen Kulturbereich, so z. B. das Blog des Theaters Heilbronn, das der Bayerischen Staatsoper und das Online-Magazin der Schirnhalle. Aber die Auswahl an Beispielen fällt insgesamt deutlich spärlicher aus als im Printbereich. Woran liegt das?

    Mein Verdacht ist, dass bei aller Euphorie über die Pull-Logik, wie sie z.B. im Cluetrain Manifest oder dem eingangs verlinkten Artikel zum Tragen kommt, außer Acht gerät, dass auch im Social Web das Push-Marketing nach altem Muster nicht abgeschafft ist: Facebook kapitalisiert den Zugang zu seinen Nutzern ebenso wie die Tageszeitung den Zugang zu ihren Abonnenten. Das heißt Facebook – für viele Kultureinrichtungen mehr oder weniger gleichbedeutend mit «Social Web» – lässt sich die Reichweite von Unternehmensposts zunehmend bezahlen. Einerseits im Sinne der Nutzer, für die Unternehmensposts grundsätzlich zu den weniger interessanten Beiträgen in ihren Neuigkeiten gehören und andererseits natürlich und vor allen im unternehmerischen Interesse von Facebook selbst. Wenn allfacebook.de deswegen empfiehlt: «Bucht Werbung», dann  sagen sie nichts anderes als: Kehrt zum alten Push-Marketing zurück.

    Was die Reichweite der oben genannten digitalen Content Marketing-Beispiele angeht, kenne ich keine Zahlen. Ich wage aber die These, dass es sich nicht um berauschende Zahlen handelt. Die Wiener und die Bayerische Staatsoper führen mit 27.000 bzw. knapp 21.000 Facebook-Fans das Ranking der deutschsprachigen Opern- und Theaterlandschaft an. Verglichen mit den Berliner Philharmonikern mit 650.000 Fans ist das praktisch nichts. Und eben: Der Vorsprung der Berliner Philharmoniker lässt sich nicht dadurch erklären, dass sie  eine viel genialere Content Strategie oder bessere Inhalte hätten als alle anderen. Ihre Posts sind sogar meistens salesorientiert, die kleinen Teaser zu den Konzerten aus der Digital Concert Hall (die natürlich ein echtes «Content Asset» ist) werden in stets gleicher Machart präsentiert. Darüber hinaus gibt es ab und an Sonderaktionen, bei denen man kostenlose Konzerte in der Digital Concert Hall anschauen kann und ein gut gemachtes Blog (Content: Fotos). Das ist zweifelsfrei alles sehr gut und professionell, erklärt allein aber nicht den immensen Erfolg in Bezug auf die Fanzahlen. Die Wiener Staatsoper, die mit ihrem Livestreamingangebot auch über ein echtes, allerdings noch nicht so etabliertes «Content Asset» verfügt, kommt wie gesagt auf nicht einmal 5 % der Fanzahlen. Man muss nicht über Sherlock Holmes‘ deduktive Fähigkeiten verfügen, um zu der Erkenntnis zu gelangen, dass die Berliner Philharmoniker offenbar sehr viel Geld in die Hand nehmen, um ihre Digital Concert Hall zu promoten. Als Fan der Facebookseite habe ich praktisch täglich einen Beitrag der Philharmoniker in meinen Neuigkeiten, obwohl ich die nur selten anklicke. Von der Bayerischen Staatsoper, deren Fan ich ebenfalls bin, kriege ich kaum je etwas in meinen Neuigkeiten angezeigt, obwohl Facebook über Daten verfügt, die mein Interesse für Oper bezeugen.

    Die Aufregung darüber, dass Facebook mehr und mehr dazu übergeht, Reichweite zu verkaufen, mag auch mit dem lang gehegten Glauben zu tun haben, wir hätten es im Social Web mit einer gänzlich neuen Form der Kommunikation zu tun. Eine Form der Kommunikation, bei der jeder, der etwas Interessantes zu sagen hat, sich auch unabhängig von seinen Mitteln Gehör verschaffen kann – «content is was king». Und ja, schöner wäre es natürlich, Facebook würde seine Dienstleistung kostenlos zur Verfügung stellen und Audi seine Autos verschenken…

    Nach meinen Erfahrungen bietet Facebook ein sehr gutes Preis-Leistungs-Verhältnis. Für vergleichsweise wenig Geld erreicht man mit hoher Treffsicherheit Personen, die sich mit hoher Wahrscheinlichkeit für das eigene Angebot interessieren. Denn anders als Zeitungen, Onlineportale oder Anbieter von Außenwerbung, kennt Facebook seine Nutzer sehr genau. Mit Conversion Tracking lässt sich zudem der Erfolg einzelner Kampagnen genau messen. Eine Facebook-Beraterin sagte mir einmal, dass man mit durchschnittlich 8 bis 12 Werbe-Euro pro Kauf rechnen sollte. Meine persönliche Erfahrung ist, dass sich diese Zahlen mit einem guten Angebot und einem präzis ausgewählten Publikum um mehr als die Hälfte unterbieten lassen. Mit Facebook lässt sich also ein Verhältnis von Insertionskosten und werbegeneriertem Umsatz erzielen, von dem man bei allen anderen Optionen nur träumen kann. Dieses Verhältnis ist außerdem eine aussagekräftige Kennziffer, um den Erfolg der Social Media-Aktivitäten zu messen, ohne dass man die ganze Diskussion um den ROI von Social Media noch einmal aufrollen müsste.

    Bleibt am Schluss die Frage, ob das jetzt heißt, am besten gleich alles Content Marketing in den Wind zu schießen?! Das sicher nicht. Aber unangefochtener King ist Content auch nicht (mehr). Am Schluss ist es wohl ein auf Basis von Erfahrungswerten individuell austarierter Mix aus Pull- und Push-Elementen in der Social Web-Kommunikation, der es macht.

  • Die Dialektik der Internet-Demokratisierung

    «Hyperlinks untergaben Hierarchien» lautet die 7. These des Cluetrain Manifests. Dass es gerade Hyperlinks sein sollen hat wohl vor allem mit der schönen Alliteration zu tun, inhaltlich stehen sie vielmehr stellvertretend für die digitale Welt allgemein. In dieser werden Informationen aufgenommen, verarbeitet und an Schaltstellen weitergeleitet, die das Signal wieder aufnehmen, verarbeiten, weiterleiten usw. Da sich jeder, weitgehend unabhängig vom sozialen Status, Einkommen und Bildung, in dieses Netz einklinken und selber Schaltstellen verwalten, selber Informationen bereitstellen und kuratieren kann, werden Hierarchien in der Kommunikation aufgelöst. Dieser Umstand wird nicht nur medientheoretisch interpretiert, sondern durchaus auch sozial und politisch, weswegen gern von der «Demokratisierung» der Medien die Rede ist, auch wenn streng genommen deren Vergesellschaftung gemeint ist.

    Die ehemalige Journalistin und heutige Oberbürgermeisterin von Kiel, Susanne Gaschke, veranlasste das vor einiger Zeit, ironisch vom neuen «Heilsversprechen des Kapitalismus» zu sprechen. Sie meinte, das Web 2.0 werde zum Sinnbild und Erzeugnis eines globalen Kapitalismus hochstilisiert, der, nachdem er den Sozialismus als Kontrastfolie verloren habe, nun ein neues Versprechen liefern müsse. Die digitalen Medien würden nun Bildung, Aufklärung und demokratische Partizipation für alle Menschen von jung bis alt verheißen. Der arabische Frühling schien das zu bestätigen, gelang doch einigen tausend Twitterern in wenigen Wochen, was der stets bemühten und hochtechnisierten US-Armee in Jahren nicht gelang: einen demokratischen Aufbruch herbeizuführen. Auch bei den Protesten in der Türkei spielten die sozialen Medien wieder eine wichtige Rolle.

    Es ist daher eine paradoxe Wendung, dass das Internet, das einst euphorisch als Demokratiebringer bejubelt wurde, nun zu einem unkontrollierten Herrschaftsinstrument geworden ist, das zwar nicht in seiner Realität, aber in seinem Potenzial alles Dagewesene in den Schatten stellt. Die sowieso nicht ganz ernst gemeinte (d.h. repräsentative) Demokratie, wie sie auch in Deutschland praktiziert wird, lässt es vollends zum Schauspiel verkommen – wobei, das Bild des Marionettentheaters eigentlich besser passt. Man muss gar nicht mal einen besonderen Sinn für Verschwörungstheorien haben, um die Demokratisierung der Medienwelt nur als Vorspiel dieses digitalen Totalitarismus‘ zu begreifen. Denn der funktioniert nur mit denen, die sich über irgendeine Schaltstelle einklinken.

    Bleibt die Frage wie man darauf konkret reagieren soll. Die sicherste Variante wäre, Internetanschluss und Mobilfunkabo zu kündigen. Da dieser Schritt im Normalfall aber zu radikal sein dürfte, kommen die Vorschläge von c’t oder netzpolitik wohl eher in Frage: surfen via VPN oder Tor Bundle. Allerdings wurde Tor bereits von der NSA gehackt. Als Cloud empfiehlt sich wuala, wo die Daten clientseitig verschlüsselt werden. Beim Mobilfunk lässt sich allerdings wohl kaum etwas machen, außer threema als Messenger zu benutzen.

    Da Humor ist, wenn man trotzdem lacht, könnten die Abhöraktionen am Ende doch ihr Gutes haben: der Postillon berichtet, dass die GEMA Gebühren auf Prism- und Tempora-Mitschnitte erheben wird und empfiehlt jedem Bundesbürger, möglichst bald einen Wahrnehmungsvertrag abzuschließen.