Christian Holst

Kulturmanagement :: Kulturmarketing :: Digitale Transformation


Kategorie: Kulturarbeit

  • Kultur im Shutdown – Teil 2: Was reimt sich auf Corona?

    Im ersten Teil dieses Beitrags zu #KulturinZeitenvonCorona ging es um die Frage, ob Kultureinrichtungen derzeit einfach vorübergehend ins digitale Exil gehen oder den Shutdown vielleicht auch zum Anlass nehmen, den digitalen Raum zu einer zweiten Heimat zu machen. In meinem Verständnis würde das heißen, digitale Medien nicht nur für kommunikative Zwecke, sondern auch für künstlerische Angebote und Experimente zu nutzen. Ich hatte die Hoffnung formuliert, dass dies nun passieren könnte und angekündigt, mich im zweiten Teil des Beitrags mit den Voraussetzungen zu beschäftigen, die dafür nötig sind.

    Die Euphorie weicht der Ernüchterung

    Wie generell in der Corona-Pandemie haben viele Aussagen nur eine extrem kurze Halbwertszeit. Und somit ist in Bezug auf die Hoffnung des ersten Beitrags bereits eine gewisse Ernüchterung eingetreten. Zahllose digitale Künstler-Home-Stories deuten darauf hin, dass es eben doch vor allem darum geht, ein paar Grüße aus dem Exil zu schicken, also irgendwie im Gespräch zu bleiben, bis man alles wieder so machen kann, wie man es gewohnt ist. Speziell ernüchternd finde ich auch, dass vor allem gesendet, gesendet, gesendet wird, anstatt wenigstens auf interaktive Kommunikationsformate zu setzen und den echten, ehrlichen Austausch mit dem Publikum zu probieren. (Keine Regel ohne Ausnahme: Das Staatstheater Augsburg hatte da eine nette Idee mit Wünsch dir was.)

    Im Tagesanzeiger erschien eine unterhaltsam zu lesende Glosse zu diesem Thema, in der gefordert wird, den Shutdown lieber als kreative Pause und für die stille Arbeit am Meisterwerk zu nutzen. Auch das VAN-Magazin beschäftigte sich mit der Problematik: Hartmut Welscher sieht ebenfalls eher den digitalen Kampf um Aufmerksamkeit und Reichweite im Vordergrund. Also letztlich Kommunikation und Marketing statt künstlerische Arbeit und künstlerisches Experimentieren (die beliebte alte vermeintliche Dichotomie). Die großen Akteure, die bereits Reichweite haben, sieht er im klaren Vorteil gegenüber den kleinen Akteuren, die momentan sowieso ganz andere Sorgen haben, als digitale Formate zu entwickeln. Die Digitalisierung funktioniere daher nach dem kapitalistischen Prinzip: wer hat, dem wird gegeben. Allerdings mit dem unkapitalistischen Nebeneffekt, dass dem mittlerweile recht großen Angebot von Streaming-Angeboten nur eine sehr übersichtliche Nachfrage gegenüberstünde, die jetzt nur shutdown-bedingt einen Ausschlag erlebe.

    Da ist zweifellos etwas dran. Trotzdem ist es in meinen Augen zu kurz gesprungen. Musik wurde ja auch vor Corona durchaus sehr gern und viel virtuell und digital konsumiert (Spotify, Amazon unlimited, Youtube Music etc.). Nur lässt sich der virtuelle Musikkonsum heute nicht mehr mit Geschäftsmodell hinterlegen. Das ist das eine Problem. Das andere ist, dass damit auch die Motivation fehlt, digitale Möglichkeiten nicht nur als Chance auf mehr Sichtbarkeit und Reichweite zu verstehen, sondern als Experimentierfeld und Plattform auch für künstlerisch-ästhetische Formate. So verstanden würde ich mir die jetzige Situation als Innovations-Katalysator wünschen: Nicht nur Reichweite aufrecht erhalten oder ausbauen, bis man aus dem Exil in die Heimat zurückkehren kann, sondern auch jenseits des Reichweitenkalküls es als ureigenen Auftrag zu verstehen, auszuprobieren, was mit digitalen Mitteln so geht. Beim Spielen zeitgenössischer Musik steht schließlich auch nicht die Befriedigung irgendeiner Nachfrage im Vordergrund, sondern künstlerische Erwägungen und die Lust am Neuen. Diese Lust auf Neues wird oftmals als Teil des ureigenen Auftrags, auch als Legitimation der öffentlichen Finanzierung verstanden. Warum sollte das also nicht auch für neue künstlerische Möglichkeiten im digitalen Raum gelten? Die kommunikativen Möglichkeiten der digitalen Medien sind mittlerweile einigermaßen erprobt und professionalisiert worden. Die künstlerischen noch lange nicht. Die Corona-Krise könnte und sollte dafür ein Schubser sein. Es ist klar, dass man hier nicht innerhalb von zwei Wochen etwas Geniales hervorzaubert. Also ist die Empfehlung der Tagi-Glosse vielleicht gar nicht schlecht, den Shutdown als kreative Pause zu nutzen und in einem Jahr oder wann auch immer mit einem «richtigen Meisterwerk» um die Ecke zu kommen…  

    «The Collapse of Sensemaking»

    Genug der Vorrede. Jetzt zu dem Thema, das ich ursprünglich für diesen zweiten Teil vorgesehen hatte und das theoretisch erklärt, welche Aspekte auf Organisationsebene wichtig sind, um Krisensituationen zu überstehen und im Idealfall noch etwas Neues aus ihnen entstehen zu lassen. Es ist ein Gemeinplatz, dass Krisen und Katastrophen immer auch die Chancen für neue Entwicklungen mit sich bringen. Etwas weniger banal hat der Organisationspsychologe Karl E. Weick dieses Phänomen in seiner Analyse «The Collapse of Sensemaking in Organizations» vom Mann Gulch Disaster beschrieben. Bei dem Desaster handelte es sich um einen zunächst scheinbar eher harmlosen Waldbrand, der sehr plötzlich außer Kontrolle geriet. Von 16 Feuerwehrmännern, die zu seiner Bekämpfung im Wald abgesetzt worden waren, überlebten nur drei. Jahrzehnte nach dem Brand analysierte Weick die Ereignisse insbesondere in Hinblick auf die Frage, welche Auswirkungen die Katastrophe auf die Funktionsfähigkeit des Teams hatte und was die drei Überlebenden anders gemacht hatten als der Rest der Gruppe.

    Weick nutzt den Begriff des «sensemaking», der laut Wörterbuch mit «Sinnstiftung» übersetzt werden müsste. Wirklich übersetzen lässt sich dieser Begriff aber kaum. Ich finde, dass er am besten mit der deutschen Formulierung «sich einen Reim auf etwas machen» übersetzt werden kann, denn es betont wie der englische Begriff den Aspekt des Machens, des Produzierens. Handeln und Reflektion sind in diesem Begriff eng ineinander verzahnt und bedingen sich wechselseitig: Eine Reflektion über eine Situation legt eine bestimmte Handlung nahe, die Ausführung der Handlung wiederum zieht Reflektion nach sich, die wiederum eine Folgehandlung nahelegt usw. Um Sensemaking zu verstehen, hält Weick es für besonders aufschlussreich, Verhalten in Krisensituationen zu beobachten. Denn in Krisensituation taugen bewährte Routinen und Überzeugungen nichts mehr und die Betroffenen müssen sich eben einen Reim auf das machen, was gerade passiert, also Sensemaking betreiben.

    Weick erläutert das Konzept anhand des besagten Waldbrands. Das Feuer verhielt sich anders als erwartet, die verinnerlichten Routinen und Denkmuster der Feuerwehrmänner griffen nicht bei der Bekämpfung und es gelang den Männern nicht, sich einen Reim auf die Situation zu machen. Natürlich ist es besonders schwierig, in Stresssituationen gewohnte Verhaltensweisen abzulegen und Denkmuster zu hinterfragen. Dabei sind es aber oftmals gerade kontraintuitive Ideen, durch die eine Krise erfolgreich gemeistert werden kann. So forderte der Kommandeur der Gruppe die anderen Männer beispielsweise auf, ihr (schweres) Gerät abzuwerfen, um schneller und beweglicher zu sein und besser vor dem Feuer fliehen zu können. Die Männer verstanden den Sinn der Aufforderung nicht (warum sollte sich ein Feuerwehrmann angesichts eines solchen Feuers auch noch seiner Hilfsmittel entledigen?) und folgten ihr nicht. Das Feuer holte sie ein.

    Was die Überlebenden laut Weicks Analyse gerettet hatte war, dass sie es schafften, aus ihren Routinen als Organisationseinheit und ihren professionellen Denkmustern auszubrechen. Der Kommandeur legte ein Gegenfeuer, kurz bevor die Feuerwand ihn erreichte. Eine kontraintuitive Idee, Feuer mit Feuer zu bekämpfen. Aber so konnte er sich in den Aschefleck des Gegenfeuers legen und wurde vom Waldbrand verschont, weil es in diesem Aschefleck für das Feuer nichts mehr zu holen gab. Seine Kameraden verstanden nicht, was er vorhatte und rannten weiter bergauf vor dem Feuer davon. Zwei anderen gelang es, zusammen zu bleiben und sich in eine Felsspalte zu retten, wo das Feuer nicht hinkam. Sie schafften es, die nicht mehr funktionierende Organisationsstruktur des Teams durch eine neue, kleinere Organisationseinheit zu ersetzen und sich gegenseitig zu unterstützen.

    Vier Erkenntnisse von Weick

    Weick leitet vier Aspekte aus dem Fall ab, die in seinen Augen den Kollaps des Sensemakings in Krisen- oder Katastrophensituationen verhindern können:

    • Improvisation und Bricolage: Wenn gewohnte Maßnahmen nicht mehr funktionieren, gilt es, mit den einfachen verbleibenden Mitteln, neue Lösungen zu improvisieren. Diesen Punkt leitet Weick vor allem aus der Idee mit dem Gegenfeuer ab. Mit ein paar Streichhölzern und einem guten Gedanken gelang es dem Kommandeur der Gruppe, sich aus einer schier ausweglosen Situation zu befreien.
    • Virtuelle Rollensysteme: Wenn jeder jederzeit einen Überblick darüber hat, welche Verantwortlichkeiten in der Gruppe bestehen, ist es erheblich einfacher, eine zerfallende Organisationseinheit funktionsfähig zu halten, weil nicht mehr abgedeckte Aufgaben zumindest notdürftig ersetzt werden können. Zuviel Spezialistentum und Elfenbeinturm-Wissen sind in einer Krise, in der Fachwissen plötzlich nicht mehr viel Wert ist, nicht hilfreich.
    • Weisheit als Haltung (Attitude of wisdom): Um in Krisensituation reagieren zu können, ist es wichtig, sich der Voreingenommenheit und der Begrenztheit der eigenen Überzeugungen und Erfahrungen bewusst zu sein. Diese Haltung kann dabei helfen, dass man in schwierigen Situationen erkennt, alles ganz anders machen zu müssen, als man es bisher getan hat, dass bisheriges Wissen und Kompetenzen auf einmal nichts mehr wert sein können. Weisheit sei damit eher eine Haltung gegenüber Wissen und Erfahrung (über das man natürlich auch verfügen sollte) als die Summe aus Wissen oder Erfahrung selbst, so Weick.
    • Respektvolle Interaktion: Als Einzelkämpfer hat man es in Krisensituationen schwer. Es gilt also, Gruppen zu erhalten oder neue Einheiten zu bilden, wenn eine bewährte Organisationsstruktur angesichts einer Katastrophe zerfällt, weil man dann nicht auf sich allein gestellt ist, sich einen Reim auf die neue Situation zu machen. Zwar hat man wenig Zeit und Möglichkeiten, seine Mutmaßungen wirklich zu erhärten, aber immerhin kann man Lösungen intersubjektiv prüfen.

    Was reimt sich auf Corona?

    Diese Aspekte lassen sich auch auf die Krisensituation beziehen, in denen sich Kultureinrichtungen gerade befinden. Und bei vielen der gerade entstehenden Lösungen, lassen sich die Aspekte auch wiedererkennen: So sind die Hauskonzerte von Igor Levit ein schönes Beispiel für Improvisation und Bricolage: Mit einfachen Mitteln versucht er, weiterhin Musik für andere Menschen machen zu können. Akustisch ist das Ergebnis sicher nicht befriedigend und mit einem Konzertbesuch oder auch dem Hören einer CD zu vergleichen. In den Tweets rund um diese Konzerte wird aber auch deutlich, dass es darum gar nicht in allererste Linie geht. Es geht vielmehr darum, gemeinsam mit anderen Kunst erleben zu können. Interessant fand ich in der Hinsicht auch das Angebot des Mannheimer Nationaltheaters. Das Haus bietet keine Streamings von ganzen Aufführungen, sondern ca. halbstündige Zusammenschnitte aktueller Produktionen (hier z.B. Carmen). Zur Einstimmung gibt es ein paar O-Töne von beteiligten Künstlern und dann wird offenbar einfach mit der Bühnentotale gearbeitet, die normalerweise eigentlich nur für interne Zwecke aufgezeichnet wird. Mit Überblendungen, Schnitten, Farbeffekten und ähnlichem mehr wird dieses Material ästehtisch aufgewertet. So entsteht aus einem reinem Arbeitsdokument ein Dokument, das man in der aktuellen Situation auch veröffentlichen kann.

    Der Punkt mit den virtuellen Rollensystem schließt hieran an: Der eigentlich dokumentarisch arbeitende Video-Mitarbeiter produziert plötzlich ein künstlerisches Produkt über ein künstlerisches Produkt. Die klare Arbeitsteilung eines Theaters in künstlerische, administrative und technisch-handwerkliche Aufgaben verschwimmt. Silke Oldenburg erzählt im Interview mit Martin Zierold ebenfalls, wie sich im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg das Areiten in Silos auflöst. Kuratoren arbeiten in der Online-Redaktion mit, weil der neue Ausstellungsraum digital ist oder weil sie in ihrem eigentlichen Arbeitsfeld vorübergehend keine Aufgabe haben. Ich habe bereits vor einiger Zeit schon einmal versucht darzulegen, warum ein strategisches Verständnis von Marketing meines Erachtens auch die künstlerische Ausrichtung mit einschließt und dass es gut ist, manche Funktionsbereiche als Querschnittsaufgabe zu verstehen. Die aktuelle Krise bestätigt das: Es ist nützlich und produktiv, wenn man die Grenzen zwischen den «Arbeitssilos» fließend halten kann.

    Den Punkt «Weisheit als Haltung» finde ich am schwierigsten auf die aktuelle Situation zu beziehen. Im «Wie geht’s?»-Podcast  hört man viel die Meinung, dass sich sehr Grundlegendes ändern müsse und ändern werde und man nach der Krise nicht einfach so weitermachen könne, wie bisher. Sehr deutlich wird das z.B. im Gespräch mit Tina Heine. Auch könnte man argumentieren, dass der Kunst- und Kulturbereich eine Kernkompetenz darin hat, einen «anderen Blick» auf die Dinge zu werfen, gesellschaftlich relevante Themen und Fragen anders zu sehen und kontextualisieren, als man es gemeinhin tut und auf diese Weise die Begrenztheit und Voreingenommenheit unserer eingeübten Denkwege herausfordert. Vor diesem Hintergrund steht der Kultursektor per se für «Weisheit als Haltung» im Sinne Weicks. Und so gesehen hat auch der etwas phrasenhafte Ausspruch, dass Kultur in der Krise wichtiger denn je sei, durchaus seine Berechtigung. Gleichzeitig kommt darin aber auch all das allzu selbstgewisse Traditions- und Sendungsbewusstsein des Kulturbetriebs zum Ausdruck, das einer «Weisheit als Haltung» zumindest dem eigenen Tun und der eigenen Bedeutung gegenüber auch hinderlich sein dürfte. Die Lust am wirklich Neuen, scheint mir aktuell (noch) nicht sehr ausgeprägt zu sein (s.o.). Genau die gilt es aber, so habe ich Tina Heines Aussagen interpretiert, gemäß dem Prinzip «Weisheit als Haltung» zu nutzen und zum Tragen kommen zu lassen: Bestehende Erfahrungen und bestehendes Wissen unter den geänderten Voraussetzungen zu erproben und anzuwenden.

    Respektvolle Interaktion zu pflegen ist sicher zu jeder Zeit ein guter Tipp. Ich denke, das ist ein Modus, den Kultureinrichtungen und ihre Vertreter, Künstler und Kreative in vielen Fällen auch sehr gut beherrschen. Das zeigen die zahlreichen, sich permanent wandelnden Netzwerke und Vernetzungen, also die Fähigkeit, situativ Organisationseinheiten zu bilden, in denen Sensemaking stattfindet und gelingt. Nachholbedarf besteht in dieser Hinsicht in meinen Augen aber mit Blick auf das Publikum und die Öffentlichkeit: Die werden in meinen Augen bislang noch viel zu wenig als Ressource von Kultureinrichtungen begriffen und in die Netzwerke einbezogen. Wie oben geschrieben, kommt der Routinemodus «Senden, senden, senden» in der Krise scheinbar besonders zum Tragen. Da lässt sich gut die Parallele zu den Feuerwehrmännern ziehen, die an ihren Geräten festhalten, die ihnen nichts mehr nützen, sondern sie nur noch behindern. Auf digitale Medien und digitalen Kontakt zum Publikum zurückgeworfen zu sein, ist in meinen Augen eine große Chance, auch die Besonderheiten der Medien zu nutzen, also deren Interaktivität und Konnektivität. Wie gesagt verfolgt das Staatstheater Augsburg da eine interessante, kurzfristig realisierbare Idee.

    «Drop your tools»

    Auf der theoretischen Ebene können Weicks Ausführungen also durchaus etwas beitragen zum Verständnis, worauf es jetzt in den Kultureinrichtungen ankommt. Ob die vier Aspekte bereits erschöpfend sind, weiß ich nicht. Wahrscheinlich würden sich auch weitere Aspekte finden lassen. Mich interessiert zum Abschluss des Beitrags eher noch die Frage, was diese Erkenntnisse denn auf der praktischen Ebene bedeuten? Was sind kontraintuitive Ideen und Techniken, die hilfreich sein könnten, um den Kultursektor jetzt einerseits aus der Krise zu führen, andererseits aber auch insgesamt weiterbringen könnten? Was sind die konkreten Entsprechungen zu dem Gegenfeuer oder dem Aufruf «Drop your tools»? Ein etwas ketzerischer, aber nach Weick durchaus folgerichtiger Ansatz könnte es sein, zu schauen, was die Kultureinrichtungen traditionellerweise machen würden und sich dann zu überlegen, was das genaue Gegenteil davon wäre. Das wiederum wären dann vielleicht interessante Reaktionen auf die aktuelle Situation. Ich starte mal mit einer kleinen Thesen-Liste, die auf diesem Gedanken aufbaut:

    • Die Idee von «l’art pour l’art» hat ausgedient. Wie man jetzt merken kann, braucht Kunst das Publikum, das sie wertschätzt mindestens so sehr wie das Publikum die Kunst braucht.
    • Zuhören und interagieren ist das neue Senden und Monologisieren.
    • Digitale Medien sind nicht nur Werbekanäle, sondern auch virtuelle Bühnen, Ausstellungsräume, Lesesäle, Treffpunkte usw., müssen als solche aber auch begriffen und gestaltet werden.
    • Das heißt zum Beispiel, dass Kultureinrichtungen neue, formatgerechte künstlerische Experimente entwickeln sollten anstatt einfach die Archive zu plündern oder die Kunst aus den traditionellen Formaten einfach virtuell abzubilden.
    • Aufgaben der Kuration und der Kommunikation verschmelzen hier. Klare strukturelle Trennungen zwischen den Arbeitsbereichen, ebenso wie etwas übergeordneter zwischen Kultur und Management generell, sind nicht mehr funktional. Organisationsstrukturelle Grenzen verflüssigen sich.
    • Das gilt ähnlich in Hinblick auf das Publikum. Es sollte nicht mehr vor allem Objekt des Managementhandelns einer Kultureinrichtung sein, sondern Partner, d.h. als Bestandteil des Netzwerks einer Einrichtung auch als dessen Ressource verstanden werden.

    Wenn euch noch mehr Dinge einfallen oder ihr widersprechen wollt, tut das gern auf Facebook. Ich bin gespannt.

  • Leadership im Kulturbetrieb – Wie es nicht geht

    Während vergangene Woche in Hamburg bei der Jahrestagung des Fachverbands Kulturmanagement über Leadership und Innovation diskutiert wurde, eskalierte eine Auseinandersetzung, die als Paradebeispiel dienen kann, wie man es in Bezug auf beide Themen nicht machen sollte. Was war passiert? Der Komponist und Dramaturg Arno Lücker und die Komponistin Carlotta Joachim hatten einen sog. Shred über den Geiger Daniel Hope erstellt, was der offenbar gar nicht lustig fand. Das Konzerthaus Berlin, wo Hope viel spielt und Lücker eine Konzertreihe betreut, beendete daraufhin die Zusammenarbeit mit Lücker. Hopes Label Deutsche Grammophon versuchte offenbar, die Neue Musik Zeitung, für die Lücker schreibt, zur gleichen Maßnahme zu bewegen. Die vollständige Geschichte kann man u.a. im Bad Blog of Musick und auch im Blog hundert11 (in mehreren Artikeln und mit zahlreichen Links zu weiteren Quellen) nachlesen. Das Ganze eskalierte  schnell und gründlich, so dass irgendwann sogar die Times, die New York Times, Forbes und Alex Ross vom New Yorker darüber berichteten. Albrecht Selge (hunder11) bezeichnete den Fall und insbesondere den Rauswurf Lückers durch das Konzerthaus Berlin treffend als ein Paradebeispiel für Führungsversagen im Kultursektor. (mehr …)

  • Audience Development als letzte Schlacht des klassischen Kulturmarketings?

    Vor einigen Wochen ging es hier um die Angebotsorientierung, die bei den meisten öffentlich finanzierten Kultureinrichtungen anzutreffen ist. Aber ich bin natürlich nicht der erste, dem das auffällt. Armin Klein etwa fordert schon seit langem und immer wieder konsequente Besucherorientierung von den Kultureinrichtungen und betont ebenso regelmäßig, dass das nicht den Ausverkauf künstlerischer Unabhängigkeit und Freiheit bedeutet. Bislang bestimmen zwei Konzepte die Diskussion und Bemühungen zu diesem Thema: Kulturvermittlung und Audience Development (AD). (mehr …)

  • Der Eisberg Angebotsorientierung

    Axel Kopp hat gerade 10 Online-Marketing-Tipps für Theater in seinem Blog veröffentlicht. Tipp 2 – eine Chat-Funktion, die auf der Website eingebunden wird – gefällt mir sehr gut, weil das ein besucherorientierter Service wäre, der die Conversions auf der Website wahrscheinlich ziemlich befeuern würde. Ebenfalls sehr besucherorientiert ist der Vorschlag, die Stücke zu verschlagworten, um dem Publikum ein paar Anhaltspunkte zu geben, was es zu erwarten hat. Aber Axel ahnt schon, dass so etwas einen großen Aufschrei seitens der Künstler zur Folge hätte. (mehr …)

  • Wie Glenn Gould und Luciano Pavarotti das klassische Konzert schöpferisch zerstörten und warum sie trotzdem kein schlechtes Gewissen zu haben brauchen

    «Man muss das Konzert verändern, um es zu erhalten.» Der Satz von Martin Tröndle ist zu einem Mantra der klassischen Musikszene geworden. Die Hoffnung scheint zu sein, dass die Innovationslogik normaler Märkte auch frischen Wind und neue Kunden in die altehrwürdige klassischen Musik bringt. Übersehen wird bei dieser Forderung, dass die «schöpferische Zerstörung» der Innovation das klassische Konzert bereits vor Jahrzehnten zum Stadion- oder wahlweise Wohnzimmer-Konzert weiterentwickelt hat. Um zwei Beispiele zu nennen: Glenn Goulds späte Interpretationen, z.B. der Goldberg-Variationen, sind ausschließlich auf Tonkonserve rezipierbar (gewesen) und ein ästhetisches Ergebnis nicht nur der technischen und interpretatorischen Fähigkeiten Glenn Goulds am Instrument, sondern auch der bewusst und offen genutzten Studio- und Schnitttechnik der frühen 80er Jahre.

    www.youtube.com/watch?v=N2YMSt3yfko

    Knappe zehn Jahre später schmetterten die drei Tenöre ihr «Nessun dorma» vor 6.000 Personen in den Nachthimmel über den Caracalla-Thermen (Veranstaltungsort!). Weitere knapp 800 Mio. Menschen sahen sich das Ereignis im Fernsehen an.

    www.youtube.com/watch?v=LYAsFelf7no

    Darüber hinaus haben die neuen technischen Möglichkeiten bereits lange vor Gould ganz neue Arten von Musik hervorgebracht. Der weitaus überwiegende Teil der zeitgenössischen Musik (nicht nur aus dem klassischen Sektor) ist ohne den Einsatz elektronischer Instrumente und Medien überhaupt nicht denkbar. Innovationen wie die elektronische Verstärkung haben nicht nur die Rezeption – Stichwort Stadionkonzerte -, sondern auch die Musik selbst radikal verändert. Dass diese Innovationen mit der klassischen Musik nichts zu tun haben, kann man nur glauben, wenn man die strikte Trennung zwischen E- und U-Musik für sinnvoll und die klassische Musik für eine abgeschottete Nische hält.

    Aber selbst wenn man mal die Kategorie der E-Musik beibehält: Mehr oder weniger in zeitlicher Nähe zu Tröndles Aufruf sind inzwischen zahlreiche Initiativen entstanden, die klassische Konzerte zwar nicht unbedingt schöpferisch zerstören, aber doch unter anderen Vorzeichen präsentieren wollen. So zum Beispiel das Podium-Festival oder die Y-Night in der Schweiz, um nur zwei Beispiele zu nennen. Mittlerweile handelt es sich dabei nicht mehr nur um eine Graswurzel-Bewegung: Gerade hat Yannick Nézet-Séguin in einer Keynote für die Classical Next neue Spielorte, neue Dresscodes und neues Repertoire gefordert. Und vor einigen Monaten gab es im Web eine von Radiohead-Mitglied Johnny Greenwood angestoßene Diskussion, ob man im Sinfoniekonzert zwischendrin klatschen dürfen sollte, spontaner programmieren könnte oder während der Konzerte nicht ein Smartphone benutzen dürfe.

    Gareth Davies, Solo-Flötist beim London Symphony Orchestra, stellt mit durchaus einleuchtenden Argumenten in Frage, ob sich durch solche Ansätze wirklich etwas ändert. Für ihn bleiben die Innovationsversuche bei klassischen Konzerten sehr oberflächlich:

    There seems very little invention and much more repackaging.

    Und er führt diese These dann anhand einiger Beispiele näher aus, zum Beispiel:

    Don’t get me started on fancy lighting. Why on earth anyone thinks that the holy grail of audiences for classical music – young people – who have been brought up on YouTube, video games, 3D films, iPhones and on demand content, are going to be impressed by subtly changing mood lighting during a symphony which never asked for it in the first place, is beyond me.

    Später im Text berichtet er vom jährlichen Trafalgar Square-Konzert des London Symphony und ist sich sicher, dass die Hauptfaszination des Ereignisses mit 10.000 Besuchern sich im Kern nicht von der eines Sinfoniekonzerts in einem herkömmlichen Konzertsaal unterscheidet:

    What we presented was great music performed at the top level conducted by the best.

    Und so lange das den Kern des Erlebnisses klassischer Musik ausmacht, ist für mich auch die Frage, was denn eigentlich genau verändert oder erneuert werden muss? Natürlich, warum soll man Musik nicht visualisieren

    www.youtube.com/watch?v=JhHFzLfQDVQ

    oder Klassik im Club spielen und die Zuhörer dabei ein Bier trinken lassen? Dagegen spricht in meinen Augen genau so wenig, wie eine Mahler-Sinfonie im Wohnzimmer oder im Auto zu hören (letzteres offenbar eine Leidenschaft, die Udo Lindenberg und Angela Merkel teilen). Ich bezweifel nur, dass das die Zukunft der klassischen Musik ist (der Weg in eine neue Ära, wie es auf der Website von Klassik im Club heißt) und sie zu einem hippen Phänomen machen wird.

    Dazu gibt es doch zu viel klassische Musik, die sich einfach am besten in der konzentrierten, stillen Atmosphäre eines Konzertsaals rezipieren lässt. Meine These ist: je grösser die Besetzung, desto bedeutender ist der geeignete Raum. Ich habe vor langer Zeit einmal Mahlers Vierte in einer Reithalle gehört. Es spielte das Deutsche Symphonieorchester Berlin unter der Leitung von Kent Nagano. Es war also sicher keine schlechte Interpretation. Was ich in Erinnerung habe ist allerdings die Schwalbenfamilie, die unter dem Dach der Reithalle nistete und keine Rücksicht auf Orchester und Publikum nahm, sondern alle paar Minuten die von der Futtersuche zurückkehrende Mutter lautstark begrüßte. Vor nicht so langer Zeit hörte ich die Vierte wieder einmal. Diesmal in der Zürcher Tonhalle, einem Saal mit einer Akustik, die derart transparent ist, dass ich Details hörte, die mir bei keinem vorherigen Konzert, in keiner Aufnahme und schon gar nicht in der Reithalle je aufgefallen waren. Ein anderes Beispiel: Ebenfalls vor langer Zeit hörte ich Mahlers Achte in der Kieler Ostseehalle unter der Leitung von Christoph Eschenbach. Es war also ziemlich sicher eine schlechte Interpretation. Aber die Halle gab dem Stück den Rest. Und wiederum ein positives Erlebnis war die Aufführung des gleichen Stücks im KKL Luzern, angeblich einem der weltweit besten Konzertsäle. Auch wer mal eine Aufführung im Bayreuther Festspielhaus miterlebt hat weiß, dass der Saal selbst ein Instrument ist, das die Qualität einer Aufführung maßgeblich mit beeinflusst. Insofern ist es zwar mal eine nette Aktion, wenn das Ensemble Spira mirabilis Beethovens 2. auf dem Piazza di Vicchio in Florenz spielt. Aber kreuzende Autos und Mofas sind kein Gewinn für die Musik und es hat wohl seinen Grund, dass das Ensemble normalerweise auch lieber in Konzertsälen oder Kirchen auftritt.

    www.youtube.com/watch?v=xYBYq5-4IC4

    Das eigentliche Problem der klassischen Musik liegt in meinen Augen weniger daran, dass die Verpackung unattraktiv geworden ist, als an zwei anderen Punkten:

    Klassische Musik spielt als zeitgenössische Musik praktisch keine Rolle. Nicht einmal die Filmmusik hat sie sich nachhaltig erobern können. Schönberg, Korngold und Schostokowitsch schrieben auch für den Film. Die heutigen Filmkomponisten werden in der Klassikszene jedoch kaum wahr- geschweige denn ernst genommen. Alle Jubeljahre findet man vielleicht einmal John Williams Star Wars-Suite auf dem Programm eines Sinfonieorchesters. Ansonsten ist die zeitgenössische Musik eine weitestgehend durch öffentliches Geld und Stiftungsmittel am Leben gehaltene Nische ohne ästhetische Relevanz über deren Grenzen hinaus.

    Das zweite Problem ist ein Missverständnis, dem auch viele Theater und Opernhäuser mit ihrem «musealen» Repertoire aufsitzen. Es ist der Glaube, einen Bezug zur Gegenwart vermitteln zu müssen und diese Musealität um jeden Preis zu vermeiden. Aber was soll ein Kunstwerk aus dem 18. oder 19. Jahrhundert denn anderes als (auch) museal sein? Es ist alt, es ist ästhetisch und technologisch nicht auf dem Stand unserer Zeit. Na und? Dass etwas museal ist heißt ja nicht, dass wir es nicht mehr ohne Weiteres verstehen können, dass es uns nicht berühren, faszinieren, anregen, abstoßen oder sonstwie erreichen kann. Ironischerweise geht das vielen Menschen viel eher mit der zeitgenössischen klassischen Musik so.

    Der effektivste Hebel, der klassischen Musik wieder zu mehr Relevanz und Beliebtheit zu verhelfen, scheint zu sein, das aktive Musizieren von früh an zu einem selbstverständlichen Teil des Lebens zu machen. Alle erfolgreichen Vermittlungskonzepte, von El Sistema bis Rhythm Is It oder Jedem Kind ein Instrument, setzen nämlich genau an diesem Punkt an. Und eine Studie der Uni St. Gallen bestätigt diesen Ansatz. Die kurz gefasste Erkenntnis der Studie lautet: Wer selbst ein klassisches Instrument lernt und als Kind aktiv (klassische Musik) musiziert, wird mit großer Wahrscheinlichkeit sein Leben lang einen positiven Bezug zur klassischen Musik behalten, zumindest als Fan, vielleicht auch als aktiver (Amateur-)Musiker.

    Eine aufgehübschte Verpackung kann demnach nicht die inhaltliche Vermittlung ersetzen. Vielleicht führen solche Aufhübschungen sogar eher in die Irre, weil sie wahrscheinlich ineffektiv bleiben werden, wenn es darum geht, die Relevanz der klassischen Musik zu erhalten. (Als ich mal eine Klassik im Club-Veranstaltung besucht habe, bestand das Publikum – so war zumindest mein Eindruck – mindestens zur Hälfte aus Mitarbeitern von Kultureinrichtungen, die sich dieses neue Format einmal anschauen wollten.) Und wenn die inhaltliche Vermittlung gelingt, ist die Verpackung wie es scheint ohnehin zweitrangig. Dann kann man ein konventionelles Sinfoniekonzert ebenso genießen, wie ein «Nessun dorma» beim Open Air-Konzert, ein Streichquartett im Club oder eine Glenn Gould-Aufnahme im Wohnzimmer.

  • Online-Kurs: Managing the arts

    Meine alte Uni, die sich heute Leuphana nennt, bietet zusammen mit dem Goethe-Institut einen «Mentored open online course» (MOOC) in «Managing the arts» an. Der Kursinhalt wird auf der Website folgendermaßen skizziert:

    Learn about challenges for cultural managers around the world, acquire marketing and management skills and gain direct insights into four arts organizations. Share your ideas with an international learning community and obtain a university certificate.

    Einen kleinen Vorgeschmack auf das, was einen erwartet, gibt auch Kursleiter Chris Dercon (Direktor der Tate Modern) in diesem Video:

    Die Teilnahme am Kurs ist kostenlos, die Einschreibung erfolgt ganz einfach via Facebook- oder LinkedIn-Connect. Am Schluss erhält man sogar 5 ECTS-Punkte und ein Zertifikat. Super Sache also und ich bin sehr gespannt, wie diese Digital School funktionieren wird.

    Über eine Sache bin ich allerdings gestolpert: Den Titel der Veranstaltung – «Managing the arts». Nennt mich einen Klugscheißer, aber nachdem ich mich gerade ausführlicher mit dem Thema Kultur unternehmen beschäftigt habe, war ich doch stutzig, ob sich Kunst und Kultur wirklich «managen» lassen. Das Wort «Kulturmanagement» benutze ich ganz selbstverständlich, weil es zu einem allgemein gebräuchlichen und verständlichen Begriff für die organisatorische Arbeit rund um Kulturangebote geworden ist. Wenn jeder weiß, was gemeint ist, ist es in meinen Augen nicht so relevant, ob der Begriff in der Sache wirklich 100%ig treffend ist.  Die Formulierung, dass diese oder jene Person Kunst «managed», würde mir allerdings nicht so leicht über die Lippen gehen. Das mag zunächst etwas wortklauberisch erscheinen, aber dahinter steckt ein tiefer gehender Gedanke, den ich kurz erläutern möchte.

    In der Betriebswirtschaftslehre setzt sich immer mehr die Erkenntnis durch, dass die Hauptfunktionen von Management – nämlich das Planen, Steuern und Kontrollieren – sich zwar auf industrielle Prozesse anwenden lassen, in einem dynamischen, wissensgeprägten und personalintensiven Umfeld aber zur Illusion werden. Gut ausgebildete, hochmotivierte Menschen lassen sich ebenso wenig managen wie Märkte. Dementsprechend werden die klassischen Managementinstrumente wie Zielvereinbarung, Planungssitzungen, (klassisches) Projektmanagement, Quartalsberichte etc. immer mehr in Frage gestellt, bis hin zu der Feststellung, dass Management sogar verzichtbar sei. In der Kulturmanagementlehre gelten diese klassischen Instrumente dagegen immer noch als «state of the art». Möglicherweise, weil sich das Management der großen, öffentlich getragenen Einrichtungen erst seit vergleichsweise kurzer Zeit professionalisiert hat. Zwei Beispiele aus einschlägigen Kulturmanagement-Lehrbüchern:

      • Lewinski-Reuter und Armin Klein nennen die Zielvereinbarung als Mittel der Wahl für die erfolgreiche Mitarbeiterführung. Darüber ist man in der Führungslehre für Dienstleistungs- und Industrieunternehmen längst hinweg. Nach meiner Wahrnehmung spielt es in der Praxis der Kulturbetriebe auch nur eine sehr untergeordnete Rolle, weil es ein völlig ungeeignetes Instrument ist, wenn es um Hochleistung geht.
      • Zwei einschlägige Bücher von Sven-Oliver Bemmé und Armin Klein zum Projektmanagement im Kulturbereich gehen mit keinem Wort auf die agilen Formen des Projektmanagements ein. Dabei sind diese nicht nur in der Software-Entwicklung längst gang und gäbe, sondern werden abseits vom Hochschulbetrieb auch für das Kulturmanagement diskutiert (s. z.B. hier und hier).

    Die Liste ließe sich fortsetzen. Vor diesem Hintergrund lohnt in meinen Augen ein genauerer Blick, ob und wenn ja, in Bezug auf welche Aspekte Kunst und Kultur denn wirklich gemanaged werden kann. Im Kulturbereich arbeiten viele hochmotivierte, hochspezialisierte Leute, denen extrinsische Anreize in aller Regel herzlich egal sind. Der Prozess der Leistungserstellung ist mitunter extrem komplex und anspruchsvoll; jede Standardisierung (auf die Management meist hinaus will) eine Gefahr der künstlerischen Originalität und damit Qualität. Ich glaube, es ist kein Zufall, dass für die meisten herausragenden Kulturinstituionen unserer Tage eher das Motto gilt «enterprising the art», auch wenn das vielleicht kein vernünftiges Englisch ist. Ich bin gespannt, inwieweit der Online-Kurs, der sich in Form und inhaltlichem Anspruch ja sehr zeitgemäß und kosmopolitisch präsentiert, diese Aspekte reflektieren wird.

  • Erwartungen übertreffen

    Dass Kultureinrichtungen sich etwas einfallen lassen müssen, um ihre Relevanz und damit auch ihren Fortbestand zu sichern, ist mittlerweile Konsens. Konsens war bislang aber auch, dass neues Publikum über Vermittlung, professionalisiertes Marketing und Update oder Aufhebung der alten Rituale (Kleidung, Verhaltenskodex etc.) gewonnen und gebunden werden muss, damit die programmatischen Entscheidungen nach rein künstlerischen Kriterien getroffen werden können. Dass ein fundamentales Problem der öffentlich finanzierten Kultureinrichtungen gerade in diesem hermetischen Deutungsanspruch über das Repertoire bestehen könnte, wurde bisher kaum zugestanden. Insofern fand ich ein Interview von Birgit Mandel mit der taz sehr interessant. Mandel sagt dort:

    Ich selbst bin zunächst davon ausgegangen, dass man die Sache einfach anders verkaufen muss: mit neuen Kommunikationsweisen, schönen Rahmenbedingungen. Aber das stimmt nicht, es ist ziemlich deutlich, dass man ein neues Publikum nur dann dauerhaft gewinnen wird, wenn es das Gefühl hat: Die Programme, die gezeigt werden, haben etwas mit meinem Leben zu tun. Und da wird es heikel.

    Warum?

    Da heißt es bei den Machern: Sollen wir uns von Kulturnutzern die Programmpolitik schreiben lassen? Und machen wir dann nur noch Mainstream und verlieren alle Qualitätsansprüche?

    Das Argument, dass künstlerische Qualität und Publikumserfolg in aller Regel nicht zusammengehen, ist zwar schon etwas fadenscheinig geworden, aber scheinbar trotzdem noch fest in den Köpfen der Kulturmacher verankert. Mandel lässt hier die Fadenscheinigkeit zwar anklingen, indem sie zu verstehen gibt, dass es wohl nicht reichen wird, die Sache einfach anders zu verpacken ohne auch den Inhalt mit den Interessen des Publikums in Einklang zu bringen. Wirklich abrücken von diesem Anspruch mag sie aber auch nicht, wenn sie im Weiteren sagt:

    Die Lösung besteht wahrscheinlich darin, dass man seine eigene Mission, seinen eigenen Anspruch an die Arbeit nicht aufgibt, nur um dem Publikum das zu geben, was es schon immer will. Das ist auch total langweilig. Sondern, dass man bei dem, was man ohnehin machen möchte, andere Nutzergruppen stärker mit einbezieht.

    Ist es wirklich langweilig, dem Publikum zu geben, was es schon immer wollte? Ich denke, was das Kulturpublikum schon immer will, ist gerade, sich nicht zu langweilen. Und langweilig wird es da, wo Kulturveranstalter nicht über die Minimalerwartungen des Publikums hinausgehen, ihm also nur geben, womit es sich gerade so zufrieden gibt. Auch wenn es ein viel strapaziertes Beispiel ist, sei hier auf Steve Jobs verwiesen, der meinte: «Meistens wissen die Leute nicht, was sie wollen, bis man es ihnen zeigt.» Das ist nicht nur ein gutes Motto für den Innovationswillen herkömmlicher Unternehmen. Es gilt überall da, wo Kreativität den Kern des Geschäfts ausmacht. Übertragen auf die kulturunternehmerische Arbeit heißt das in meinen Augen: Versuche, die Erwartungen des Publikums nicht (nur) zu erfüllen, sondern in einer Weise zu übertreffen, die es nicht erwartet.

  • Das Buch ist da! – «Kultur unternehmen»

    Es war lange nichts mehr los auf diesem Blog. Der letzte Eintrag stammt von Mitte August. Der wesentliche Grund dafür lag darin, dass die Zeit, die ich normalerweise zum Bloggen erübrigen kann, in die Fertigstellung eines Buches geflossen ist, das nun pünktlich zum Weihnachtsgeschäft erschienen ist. Kultur unternehmen: Wie junge Musiker das Kulturmanagement neu erfinden heißt es. Darin zeige ich in sechs kurzen Fallstudien zu verschiedenen Arbeitsfeldern des Kulturmanagements, z.B. zu Führung, Innovation, Marketing und PR sowie Kulturvermittlung, wie junge Kulturunternehmer Paradigmen der Kulturmanagementlehre neu definieren und frische Impulse setzen. Grundlage für die Fallstudien sind Interviews mit Kulturunternehmern, die jeweils in mindestens einem der genannten Arbeitsfeldern Beispielhaftes erreicht haben. Meine Gesprächspartner waren

    Auch wenn sich zeigt, dass es den exzellenten Kulturbetrieb nach Lehrbuch nicht geben kann, weil künstlerische Zielsetzungen und organisatorische Rahmenbedingungen immer sehr individuell aufeinander abgestimmt werden müssen, so ist es doch meine Hoffnung, dass dieses Büchlein gewisse Denkanstöße und Ideen gibt, wie zeitgemässes Kulturmanagement oder besser Kulturunternehmertum aussehen kann. Damit das gelingen kann, muss in meinen Augen ein zentrales Paradigma der Kulturmanagementlehre über Bord geworfen werden: Nämlich dass Kulturmanagement eine Hilfsfunktion sei, die das Kunstmachen ermöglichen soll, ohne inhaltlich darauf einzuwirken. Dieser Grundsatz mag theoretisch schlüssig sein, zumal wenn das Geld fürs Kunstmachen vom Staat kommt, der sich die Kunst damit freilich nicht willfährig machen können soll. Der Blick auf die Praxis zeigt jedoch, dass dieser Anspruch naiv und nicht einzulösen ist. Kulturmanagement ist idealerweise eine Funktion, die sich rückstandslos im Kunstmachen auflöst, das natürlich nie frei von sozialen, gesellschaftlichen, politischen, ethischen oder ökonomischen Kategorien stattfinden kann. Sozusagen ganz im Sinne von Goethes Epirrhema: «Nichts ist drinnen, nichts ist draussen; denn was innen, das ist aussen.»

    Die Artikel wurden für die Buchveröffentlichung noch einmal überarbeitet, die Interviews von meinen Gesprächspartnern noch einmal gesichtet und ggf. aktualisiert. Neu und bisher unveröffentlicht ist das Einleitungskapitel sowie das ausführliche Interview mit Louis Dupras, dem Geschäftsführer der Berner Camerata. Das Buch ist sowohl in klassischer Papierform als auch als E-Book erhältlich (iTunes, /eBook.de/libri.de). Das gedruckte Buch kostet 8.90 EUR bzw. 13.50 CHF, die E-Book-Variante in den ersten vier Wochen nach Erscheinen 3.99 EUR, danach 5.99 EUR. Rezensionsexemplare können über presse@bod.de bezogen werden. Mein besonderer Dank gilt der Redaktion des KM Magazins, in dem die meisten Artikel zwischen Herbst 2012 und Frühjahr 2013 erstveröffentlicht wurden.

    Natürlich freue ich mich über alle Rezensionen und Empfehlungen auf euren Blogs und Kanälen. Und ich freue mich, wenn ich mit dem Buch zu einer Diskussion beitragen kann, wie sich das Kulturmanagement im Sinne eines frischen, zeitgemäßen Kulturlebens weiter entwickeln sollte. Vor diesem Hintergrund plane ich, eine Blogparade zu dem Thema des Buches veranstalten. Dazu dann in Kürze mehr.

  • Kulturmanagementlehre: Auf dem digitalen Auge blind

    Das Kulturmanagement als akademische Disziplin feiert dieses Jahr seinen 25-jährigen Geburtstag. Anlässlich dieses Jubiläums unternahm Stephan Opitz kürzlich in der Süddeutschen Zeitung unter dem Titel «Ungeklärte Kernfragen» (leider nicht online verfügbar) eine kritische Würdigung: Die Entstehung des Faches verdanke sich einerseits der Verwandlung von Kultur- und Bildungsereignissen in Events, die in den 1980er Jahren vorangeschritten sei, sowie den zunehmenden Finanzschwierigkeiten, mit denen der in den 1970er massiv ausgebaute Kultursektor seit den 1990er Jahren zu kämpfen habe.

    Dafür sollte man das betriebswirtschaftliche Einmaleins lernen, um mit Marketingmethoden, führungstechnischen und finanzwirtschaftlichen Kompetenzen andererseits der Kultur auf die Sprünge zu helfen.

    Grundlegende Aspekte seien in der Ausbildung allerdings auf der Strecke geblieben, so Opitz. Etwa die Frage «Was ist Kultur – und warum soll sie von wem für wen vermittelt werden?», also die nach der grundlegenden Funktion, Bedeutung und Rolle von Kultur in der Gesellschaft. Als jemand, der im kulturwissenschaftlichen Grundstudium dauernd auf Adorno und im Hauptstudium dauernd auf Systemtheorie gestoßen wurde, kann ich den Eindruck nicht teilen, dass diese Frage zu kurz gekommen wäre. Auch im engeren Sinne ist die Kulturvermittlung, nicht zuletzt als Antwort auf den viel beschworenen demographischen Wandel, ein zentrales Thema in der Disziplin Kulturmanagement geworden und Gegenstand jeder gefühlten zweiten Abschlussarbeit, von der ich höre.

    Dass es ungelöste Kernfragen im Kulturmanagement gibt, sehe ich dennoch genauso. In meinen Augen dreht sich eine zentrale Kernfragen darum, wie sich der öffentlich finanzierte Kultursektor den digitalen Wandel zu Nutze macht bzw. der digitale Wandel Tatsachen mit sich bringt, auf die die Kultureinrichtungen zu reagieren haben. Eine Vorstellung davon, wie dies zu einer existenziellen Kernfrage werden könnte, erhält man mit Blick auf die kommerziellen Kulturbetriebe – insbesondere Verlage und Musikbusiness – deren Geschäftsmodelle durch digitale Innovationen entweder bereits überrollt wurden oder gerade überrollt werden. Ein aktuelles Beispiel ist der Streit zwischen Amazon und Hachette bzw. namhaften Autoren aus den USA. Öffentlich finanzierte Kultureinrichtungen mögen hier dank der öffentlichen Finanzierung etwas Schonzeit haben, früher oder später wird sie das Thema auch einholen.

    Zwar ist das Thema Kultur und Digitalisierung Gegenstand der einen oder anderen Publikation, aber als Kernfrage wird es in der Kulturmanagementlehre kaum verstanden. Was sich immerhin in Theorie und Praxis durchgesetzt hat, ist die Erkenntnis, dass auch Kultureinrichtungen digitale Medien für die (externe) Kommunikation nutzen können und sollten. Dieses Subthema der Digitalisierung hat somit inzwischen auch teilweise Eingang in die Studienpläne der Kulturmanagementlehrgänge und die Ressourcenplanung der Kultureinrichtungen gefunden. Aber damit fängt es erst an: Die Digitalisierung betrifft genauso auch die interne Kommunikation, das Marketing und den Kundenservice (Stichwort Big Data und Business Intelligence), das Wissensmanagement, die Rezeptionsgewohnheiten, ästhetische Innovationen, Crowdfunding und die Veränderung des Entscheidungsverhaltens der Besucher oder Kunden (s. hierzu etwa Zero Moment of Truth). Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen.

    Mein Eindruck ist, dass der blinde Fleck, den Opitz‘ Analyse diesbezüglich hat, symptomatisch für die gesamte Disziplin des Kulturmanagements ist. Wenn man aber Überlegungen über die Weiterentwicklung des Faches Kulturmanagements anstellt, ist es in meinen Augen zentral, dem Thema «digitaler Wandel» einen größeren Stellenwert einzuräumen. Mit der defensiven Strategie, das Thema so lange zu verdrängen, bis es sich selbst mit Macht aufdrängt, verpasst man die Chance, etwas draus zu machen. Das wär ebenso schade wie dumm.

  • Mindestlohn am Theater

    In letzter Zeit wird die prekäre Lage von Künstlern immer häufiger zum Thema gemacht, habe ich das Gefühl: Im Frühjahr veröffentlichte theaterjobs.de eine Vergütungsumfrage, über die ich hier bereits kurz geschrieben habe. Die aktuelle Ausgabe der Kulturpolitischen Mitteilungen widmet sich dem Schwerpunkt «Kreatives Prekariat» mit etlichen interessanten Artikeln zum Thema. Kulturmanagement.net lässt nun eine Sonderreihe mit dem Titel «Mindestkultur» über den soeben beschlossenen Mindestlohn und dessen Auswirkungen auf den Kulturbereich folgen. Den Auftakt zu dieser Serie durfte ich mit einem kurzen Kommentar zum Mindestlohn am Theater geben.