Lässt sich für Social-Media-Aktivitäten ein «Return on Investment» (ROI) definieren? Diese Frage wurde vor einiger Zeit intensiv diskutiert. Hagen Kohn, der sich auch damals mit etlichen Beiträgen und einem Sammelband-Aufsatz an der Diskussion beteiligte, hat das Thema nun auf seinem Blog wieder aufgegriffen. Und zwar in Form einer kleinen Interview-Serie, zu der ich den Auftakt machen durfte. Kurz zusammengefasst: Ich denke, so etwas wie ein ROI lässt sich für Werbeanzeigen auf Facebook, Google oder Twitter gut bestimmen, wenn man die Conversions, also die Verkäufe/den Umsatz, gegen die Kosten rechnet. Bei sonstigem Content macht es in meinen Augen wenig Sinn. (mehr …)
Kategorie: Featured
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Facebook als digitales Pausenfoyer
Warum haben es Theater so schwer im sozialen Netz? Warum tun Theater sich so schwer im Netz?
fragten die Kulturfritzen kürzlich in einem Blogbeitrag und machten nach einer angeregten Diskussion zu dieser Frage eine Blogparade draus, zu der ich gern diesen Beitrag beisteuere. Ein paar Gedanken zu dem Thema «Theater und Digitalisierung» habe ich mir bereits im Sommer anlässlich des Deutsche-Bühne-Schwerpunkts «Geht Theater auch digital?» gemacht. (mehr …)
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Gelungene stARTcamp-Premiere in der Schweiz
Die ersten Ideen für ein Schweizer stARTcamp gehen zurück in das Jahr 2012, wenn ich das richtig erinnere. Und wie das in der Schweiz mitunter so ist, dauert es einfach ein kleines bisschen länger als anderswo. Am vergangenen Montag war es dann aber endlich soweit mit der Schweizer stARTcamp-Premiere. Ca. 50 Camper waren wir im Historischen Museum Basel, das freundlicherweise Räume und Infrastruktur zur Verfügung gestellt hatte. In meinen Augen eine ideale Grösse für ein stARTcamp. Frank Tentler, der extra aus dem Ruhrgebiet angereist war, und Mitorganisator Axel Vogelsang haben bereits ausführliche Rückblicke in ihren Blogs veröffentlicht. Aber da jeder Teilnehmer aufgrund der parallel laufenden Sessions sein ganz individuelles stARTcamp erlebt, fasse ich den Tag hier auch noch einmal aus meiner Sicht zusammen. (mehr …)
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Im VAN-Magazin: Im Sinne der Kunst
Christian Holst hört Schweizer Radio, denkt nach und landet irgendwann bei der Forderung »Mehr Unternehmertum« – jenseits von neoliberalem Gerede.
So hat das VAN-Magazin in seinem letzten Newsletter einen Artikel von mir angekündigt. 🙂 Es geht dort nochmal um das Thema «Kulturunternehmertum», mit dem ich mich ja seit einiger Zeit intensiver beschäftige. Wer VAN noch nicht kennt: Es ist ein sehr gut gemachtes Webmagazin über klassische Musik, das sich vor allem für das interessiert, was jenseits der gängigen Fachdiskurse und Hochglanzportraits stattfindet. Zwei Artikel pro Monat kann man kostenlos lesen, zugriff auf den Rest erhält man mit einem Abo.
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Die Schweizer stARTcamp-Premiere
Vielleicht soll es die stARTconference aber auch gar nicht mehr geben? Vielleicht hat sich die Spirale der Begeisterung zu drehen aufgehört und Social Media ist bei uns allen soweit im Alltag angekommen, dass es dazu gar keiner Konferenz mehr bedarf? Vielleicht ist der Weg nach Duisburg zu weit, wo doch in Köln, München, Dresden, Frankfurt und Berlin stARTcamps organisiert werden, die zeigen, dass das stARTuniversum in den letzten Jahren gewaltig gewachsen ist? Vielleicht hat das klassische Konferenzformat ausgedient und wir alle finden viel mehr Gefallen an der Barcamp-Atmosphäre?
Das schrieb Christian Henner-Fehr im Frühjahr 2012 nachdem der Versuch gescheitert war, die stARTconference über Crowdfunding zu finanzieren. Tatsächlich war es dann so, dass die Camps an die Stelle der Konferenz getreten sind und für das weitere Wachstum des stARTuniversums sorgten. 2010 gab es ein stARTcamp in Essen. Im Jahr darauf waren es bereits zwei, ein weiteres Jahr später drei – jedes Jahr eins mehr. 2015 werden wir auf sechs stARTcamps kommen. Ende dieses Jahres werden es somit 16 stARTcamps in 10 verschiedenen Städten gewesen sein. (mehr …)
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Heftiges Fremdeln: Theater und Digitalisierung
Die deutsche Bühne heisst das gut gemachte Magazin des deutschen Bühnenvereins. Schwerpunkt des Juni-Hefts war die Frage «Geht Theater auch digital?» Beim Lesen des Hefts merkt man schnell, dass die Frage gar nicht so rhetorisch gemeint, wie man auf den ersten Blick denken könnte. In verschiedenen Artikeln – insbesondere im Eröffnungsartikel zum Schwerpunkt (S. 40ff.) – wird ein ernsthafter Versuch unternommen, sich mit dem Phänomen der Digitalisierung und seinen Auswirkungen auf das Theater zu beschäftigen. Dabei haben die Redakteure die Schwierigkeit zu meistern, dass die Anknüpfungspunkte des Theaters an die digitale Welt keinesfalls so offenkundig auf der Hand liegen und die Integration digitaler Technologien und Kommunikationsprinzipien keinesfalls so selbstverständlich ist, wie mitunter behauptet behauptet wird (etwa das erste Statement von Alexander Kerlin ab Minute 7:45). Ich bin da nicht so sicher, schliesslich haben Fernsehen und Kino als innovierte und digitale Form des Theaters ihm seinen Stellenwert streitig gemacht und die ganze Kunstform erodieren lassen. Insofern ist es aber auch kein Wunder, dass man zwischen den Zeilen immer wieder die ganz grundsätzliche Skepsis, wenn nicht Angst vor allem Digitalen spürt. (mehr …)
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Rückblick aufs stARTcamp Ruhr York 2015
Am vergangenen Woche fand im Dortmunder U das stARTcamp Ruhr York statt. Vielen Dank und ein großes Kompliment an Frank Tentler, Rouven Kasten und allen anderen helfenden Hände für die wirklich gelungene Veranstaltung!
Ganz unverhofft spielte das Thema Oper eine große Rolle während der zwei Tage. Am ersten Tag wurde der Film «operatic» gezeigt, eine Dokumentation über eine sechs-köpfige «Opern-Band» namens The Cast. Für die Premiere des Films im Mai hatten die Herbergsmütter lautstark die Werbetrommel gerührt. Ich muss allerdings gestehen, dass mir dabei nicht so ganz klar geworden war, um was es in dem Film eigentlich genau geht. Oper müsse raus aus den Opernhäusern, es solle nicht so steif und ehrfürchtig zugehen, sondern ausgelassen wie auf einem Rockkonzert. Das war etwa das, was bei mir hängen geblieben war. Und tatsächlich entspann sich nach der Filmvorführung auch eine lebhafte (Podiums-)Diskussion um solche Fragen. Dass es doch toll sei, wenn man auch mal in Jeans und Turnschuhen Opernmusik genießen könne, und es ja nicht immer ein so ein gediegener Rahmen wie im Opernhaus sein müsse. Ich trage fast immer Jeans, wenn ich Oper sehe und natürlich ist Oper berufsbedingt etwas sehr Normales für mich. Wo da die Hemmschwellen sein sollen, kann ich daher immer schwer nachvollziehen. Außerdem mache ich eher die Erfahrung, dass viele Seltenbesucher ihren Opernbesuch gerade gern zum Anlass nehmen, sich einmal richtig aufzubrezeln. Wann zieht man sonst schon mal ein Abendkleid oder einen Anzug an? Häufigbesucher dagegen wissen ohnehin längst, dass man als Jeans- und Sneakersträger nicht des Hauses verwiesen wird. Eigentlich ist das also gar nicht der entscheidende Punkt. Aber es lässt sich wunderbar darüber streiten. Das gilt ja eigentlich für die gesamte klassische Szene. Witzigerweise waren die Diskussionen über Oper die polarisierendsten auf dem ganzen stARTcamp. Die getwitterten Reaktionen dazu bewegten sich zwischen leichtem Unwohlsein
Diskussionen, die sich um sich selbst drehen. Komme mir vor, als wenn ich in einem Uniseminar der 80er Jahre sitze! #scry15
— Anke von Heyl (@kulturtussi) 14. Juni 2015
bis zu ziemlicher Begeisterung
wenn ihr ma richtig coole Streitgespräche erleben wollt, kommt hier her zum startcamp #scry15 #diekulturlebt
— Rollifräulein. (@RolliFraeulein) 14. Juni 2015
Die Frage, ob man hinterher viel schlauer ist, mal außen vorgelassen – mir machen solche Diskussionen auch immer Spaß. Trotzdem behandelt der Film eigentlich eine Frage, die viel interessanter ist, als ob man Oper besser in Turn- oder Lackschuhe oder twitternd und mitklatschend oder andächtig zuhörend rezipieren sollte. Man erfährt nämlich viel über die Schwierig- und Widrigkeiten, mit denen sich junge Künstler in einem extrem harten Markt auseinandersetzen müssen. The Cast sind für mich ein gutes Beispiel dafür, wie man diesem riesigen Konkurrenzdruck, dem dauernden Nichtgutgenugsein und ständigen Rückschlägen, die man für eine Opernkarriere hinnehmen muss, mit frischem Unternehmergeist, Ideenreichtum und Unbeirrtheit begegnen kann.
Der erste Tag war eine Mischform aus Tagung und Barcamp: Es gab einige vorab definierte Inputs, aber auch viel Raum für Diskussionen und die eigene Auseinandersetzung mit dem, was präsentiert wurde. Insgesamt ergab sich ein runder Tag, der die wichtigen Punkte für ein digitales Konzept, vom Projektmanagement, über das Storytelling und die Auswahl der geeigneten Technik bis zur Präsentation eines mustergültigen Content Marketing/Storytelling-Beispiels anhand des Films über The Cast präsentierte.
Am zweiten Tag wurden etliche Fragen vom ersten noch einmal vertieft: es ging noch einmal um Apps, um digitale Räume, um Oper. Und, was mir besonders gut gefallen hat, auch um die Frage des «Social Sellings». Auch hier gingen die Meinungen sehr weit auseinander, ob das überhaupt möglich sei oder ob man nicht eher weiche Ziele wie Community-Aufbau verfolgen sollte und die Leute dann schon irgendwie auch kommen, wenn man sich immer nett mit ihnen austauscht. Im Grunde steckt da die gute alte Frage nach dem ROI von Social Media-Aktivitäten dahinter.
Ich nehme vor allem zwei Erkenntnisse von diesem stARTcamp mit. Erkenntnisse, die nicht unbedingt neu sind, die vielleicht sogar als theoretische Feststellungen fürchterlich banal klingen, an denen es in der Praxis aber immer noch allzu oft hapert:
1. Die Bedeutung, ein digitales Projekt von Anfang bis zu Ende durchzudenken, wird immer noch oftmals unterschätzt (auch von mir selbst). Viel zu schnell bleibt man an Fragen der Technik hängen oder fokussiert auf isolierte Aspekte wie Content Creation oder Storytelling. Inhalte haben aber keinen Selbstzweck. Man will etwas mit ihnen erreichen. Und man sollte möglichst präzise (oder smart) sagen können, was man erreichen will. Neulich hörte ich jemanden den schönen Satz sagen: «Wenn ich kein Ziel hab, weiß ich auch nicht, ob ich ankomme.» Also ohne sauber definierte Ziele, eine klare Vorstellung darüber, was meine Bemühungen bringen sollen, kann ich sie mir ebenso gut sparen. Ich erreiche nichts, außer im besten Falle ein kurzes Strohfeuer aus begeisterten «Ahs» und anerkennenden «Ohs». Es ist banal, aber mir ist am stARTcamp noch einmal sehr deutlich geworden, wie wichtig das ist und wie wenig man (ich schließe mich hier ein) sich in der operativen Hektik des Alltags daran hält.
2. Vor diesem Hintergrund ist die isolierte Beschäftigung mit Social Web auch weitgehend unnütz. Auch Social Media bespielt man nicht um ihrer selbst willen. Auch nicht, um Facebook oder Twitter hohe Zugriffszahlen zu bescheren. Während es auf den ersten stARTcamps und den stARTconference noch viel darum ging, was Twitter ist und wie es funktioniert, reden wir jetzt über digitale Strategien und Konzepte. Anke von Heyl hat natürlich Recht, wenn sie das Buzzword «Strategie» nicht mehr hören mag.Und jetzt muss noch das Stichwort Strategie kommen. Dann sind wir wieder bei der Ausgangssituation wie immer. Will weiter!! #scry15
— Anke von Heyl (@kulturtussi) June 14, 2015
Ich rede auch meistens lieber von Konzepten, das klingt etwas bescheidener und beschreibt es auch. Wie auch immer: Gemeint ist ja ein richtiger und wichtiger Punkt, nämlich dass man, was man tut, von Anfang bis Ende durchdenken sollte. Der nie um eine pointiertes Statement verlegene Christoph Deeg brachte es so auf den Punkt:
Mein Fazit zum #scry15 : #socialmedia ist tot es lebe die digitale Strategie; es gibt immer mehr spannende Menschen im Kultursektor
— crocksberlin (@crocksberlin) 14. Juni 2015
Diese Entwicklung von der Beschäftigung mit einer neuen Technologie zu der Beschäftigung mit ihren Einsatzmöglichkeiten innerhalb eines ganzheitlichen Plans ist ein wirklicher Fortschritt. Das Problem ist nur, dass auf den stARTcamps Personen über Strategien reden, deren Arbeitsalltag vor allem operativ geprägt ist und die auf strategischer Ebene in der Regel nicht so viel zu melden haben. Aber das wird sich sicher in den kommenden Jahren auch noch ändern, wenn die heutigen stARTcamp-Teilnehmer auf dem Weg durch die Institutionen vorankommen.
Jetzt ist jedenfalls ersteinmal Sommerpause, was die stARTcamps anbetrifft. Und das nächste ist dann die Schweizer stARTcamp-Premiere, nämlich das stARTcamp Basel am 7. September im HMB – Museum für Geschichte am Barfüsser Platz. Die Tickets sind bereits erhältlich. Ich freu mich drauf!
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Wie Glenn Gould und Luciano Pavarotti das klassische Konzert schöpferisch zerstörten und warum sie trotzdem kein schlechtes Gewissen zu haben brauchen
«Man muss das Konzert verändern, um es zu erhalten.» Der Satz von Martin Tröndle ist zu einem Mantra der klassischen Musikszene geworden. Die Hoffnung scheint zu sein, dass die Innovationslogik normaler Märkte auch frischen Wind und neue Kunden in die altehrwürdige klassischen Musik bringt. Übersehen wird bei dieser Forderung, dass die «schöpferische Zerstörung» der Innovation das klassische Konzert bereits vor Jahrzehnten zum Stadion- oder wahlweise Wohnzimmer-Konzert weiterentwickelt hat. Um zwei Beispiele zu nennen: Glenn Goulds späte Interpretationen, z.B. der Goldberg-Variationen, sind ausschließlich auf Tonkonserve rezipierbar (gewesen) und ein ästhetisches Ergebnis nicht nur der technischen und interpretatorischen Fähigkeiten Glenn Goulds am Instrument, sondern auch der bewusst und offen genutzten Studio- und Schnitttechnik der frühen 80er Jahre.
www.youtube.com/watch?v=N2YMSt3yfko
Knappe zehn Jahre später schmetterten die drei Tenöre ihr «Nessun dorma» vor 6.000 Personen in den Nachthimmel über den Caracalla-Thermen (Veranstaltungsort!). Weitere knapp 800 Mio. Menschen sahen sich das Ereignis im Fernsehen an.
www.youtube.com/watch?v=LYAsFelf7no
Darüber hinaus haben die neuen technischen Möglichkeiten bereits lange vor Gould ganz neue Arten von Musik hervorgebracht. Der weitaus überwiegende Teil der zeitgenössischen Musik (nicht nur aus dem klassischen Sektor) ist ohne den Einsatz elektronischer Instrumente und Medien überhaupt nicht denkbar. Innovationen wie die elektronische Verstärkung haben nicht nur die Rezeption – Stichwort Stadionkonzerte -, sondern auch die Musik selbst radikal verändert. Dass diese Innovationen mit der klassischen Musik nichts zu tun haben, kann man nur glauben, wenn man die strikte Trennung zwischen E- und U-Musik für sinnvoll und die klassische Musik für eine abgeschottete Nische hält.
Aber selbst wenn man mal die Kategorie der E-Musik beibehält: Mehr oder weniger in zeitlicher Nähe zu Tröndles Aufruf sind inzwischen zahlreiche Initiativen entstanden, die klassische Konzerte zwar nicht unbedingt schöpferisch zerstören, aber doch unter anderen Vorzeichen präsentieren wollen. So zum Beispiel das Podium-Festival oder die Y-Night in der Schweiz, um nur zwei Beispiele zu nennen. Mittlerweile handelt es sich dabei nicht mehr nur um eine Graswurzel-Bewegung: Gerade hat Yannick Nézet-Séguin in einer Keynote für die Classical Next neue Spielorte, neue Dresscodes und neues Repertoire gefordert. Und vor einigen Monaten gab es im Web eine von Radiohead-Mitglied Johnny Greenwood angestoßene Diskussion, ob man im Sinfoniekonzert zwischendrin klatschen dürfen sollte, spontaner programmieren könnte oder während der Konzerte nicht ein Smartphone benutzen dürfe.
Gareth Davies, Solo-Flötist beim London Symphony Orchestra, stellt mit durchaus einleuchtenden Argumenten in Frage, ob sich durch solche Ansätze wirklich etwas ändert. Für ihn bleiben die Innovationsversuche bei klassischen Konzerten sehr oberflächlich:
There seems very little invention and much more repackaging.
Und er führt diese These dann anhand einiger Beispiele näher aus, zum Beispiel:
Don’t get me started on fancy lighting. Why on earth anyone thinks that the holy grail of audiences for classical music – young people – who have been brought up on YouTube, video games, 3D films, iPhones and on demand content, are going to be impressed by subtly changing mood lighting during a symphony which never asked for it in the first place, is beyond me.
Später im Text berichtet er vom jährlichen Trafalgar Square-Konzert des London Symphony und ist sich sicher, dass die Hauptfaszination des Ereignisses mit 10.000 Besuchern sich im Kern nicht von der eines Sinfoniekonzerts in einem herkömmlichen Konzertsaal unterscheidet:
What we presented was great music performed at the top level conducted by the best.
Und so lange das den Kern des Erlebnisses klassischer Musik ausmacht, ist für mich auch die Frage, was denn eigentlich genau verändert oder erneuert werden muss? Natürlich, warum soll man Musik nicht visualisieren
www.youtube.com/watch?v=JhHFzLfQDVQ
oder Klassik im Club spielen und die Zuhörer dabei ein Bier trinken lassen? Dagegen spricht in meinen Augen genau so wenig, wie eine Mahler-Sinfonie im Wohnzimmer oder im Auto zu hören (letzteres offenbar eine Leidenschaft, die Udo Lindenberg und Angela Merkel teilen). Ich bezweifel nur, dass das die Zukunft der klassischen Musik ist (der Weg in eine neue Ära, wie es auf der Website von Klassik im Club heißt) und sie zu einem hippen Phänomen machen wird.
Dazu gibt es doch zu viel klassische Musik, die sich einfach am besten in der konzentrierten, stillen Atmosphäre eines Konzertsaals rezipieren lässt. Meine These ist: je grösser die Besetzung, desto bedeutender ist der geeignete Raum. Ich habe vor langer Zeit einmal Mahlers Vierte in einer Reithalle gehört. Es spielte das Deutsche Symphonieorchester Berlin unter der Leitung von Kent Nagano. Es war also sicher keine schlechte Interpretation. Was ich in Erinnerung habe ist allerdings die Schwalbenfamilie, die unter dem Dach der Reithalle nistete und keine Rücksicht auf Orchester und Publikum nahm, sondern alle paar Minuten die von der Futtersuche zurückkehrende Mutter lautstark begrüßte. Vor nicht so langer Zeit hörte ich die Vierte wieder einmal. Diesmal in der Zürcher Tonhalle, einem Saal mit einer Akustik, die derart transparent ist, dass ich Details hörte, die mir bei keinem vorherigen Konzert, in keiner Aufnahme und schon gar nicht in der Reithalle je aufgefallen waren. Ein anderes Beispiel: Ebenfalls vor langer Zeit hörte ich Mahlers Achte in der Kieler Ostseehalle unter der Leitung von Christoph Eschenbach. Es war also ziemlich sicher eine schlechte Interpretation. Aber die Halle gab dem Stück den Rest. Und wiederum ein positives Erlebnis war die Aufführung des gleichen Stücks im KKL Luzern, angeblich einem der weltweit besten Konzertsäle. Auch wer mal eine Aufführung im Bayreuther Festspielhaus miterlebt hat weiß, dass der Saal selbst ein Instrument ist, das die Qualität einer Aufführung maßgeblich mit beeinflusst. Insofern ist es zwar mal eine nette Aktion, wenn das Ensemble Spira mirabilis Beethovens 2. auf dem Piazza di Vicchio in Florenz spielt. Aber kreuzende Autos und Mofas sind kein Gewinn für die Musik und es hat wohl seinen Grund, dass das Ensemble normalerweise auch lieber in Konzertsälen oder Kirchen auftritt.
www.youtube.com/watch?v=xYBYq5-4IC4
Das eigentliche Problem der klassischen Musik liegt in meinen Augen weniger daran, dass die Verpackung unattraktiv geworden ist, als an zwei anderen Punkten:
Klassische Musik spielt als zeitgenössische Musik praktisch keine Rolle. Nicht einmal die Filmmusik hat sie sich nachhaltig erobern können. Schönberg, Korngold und Schostokowitsch schrieben auch für den Film. Die heutigen Filmkomponisten werden in der Klassikszene jedoch kaum wahr- geschweige denn ernst genommen. Alle Jubeljahre findet man vielleicht einmal John Williams Star Wars-Suite auf dem Programm eines Sinfonieorchesters. Ansonsten ist die zeitgenössische Musik eine weitestgehend durch öffentliches Geld und Stiftungsmittel am Leben gehaltene Nische ohne ästhetische Relevanz über deren Grenzen hinaus.
Das zweite Problem ist ein Missverständnis, dem auch viele Theater und Opernhäuser mit ihrem «musealen» Repertoire aufsitzen. Es ist der Glaube, einen Bezug zur Gegenwart vermitteln zu müssen und diese Musealität um jeden Preis zu vermeiden. Aber was soll ein Kunstwerk aus dem 18. oder 19. Jahrhundert denn anderes als (auch) museal sein? Es ist alt, es ist ästhetisch und technologisch nicht auf dem Stand unserer Zeit. Na und? Dass etwas museal ist heißt ja nicht, dass wir es nicht mehr ohne Weiteres verstehen können, dass es uns nicht berühren, faszinieren, anregen, abstoßen oder sonstwie erreichen kann. Ironischerweise geht das vielen Menschen viel eher mit der zeitgenössischen klassischen Musik so.
Der effektivste Hebel, der klassischen Musik wieder zu mehr Relevanz und Beliebtheit zu verhelfen, scheint zu sein, das aktive Musizieren von früh an zu einem selbstverständlichen Teil des Lebens zu machen. Alle erfolgreichen Vermittlungskonzepte, von El Sistema bis Rhythm Is It oder Jedem Kind ein Instrument, setzen nämlich genau an diesem Punkt an. Und eine Studie der Uni St. Gallen bestätigt diesen Ansatz. Die kurz gefasste Erkenntnis der Studie lautet: Wer selbst ein klassisches Instrument lernt und als Kind aktiv (klassische Musik) musiziert, wird mit großer Wahrscheinlichkeit sein Leben lang einen positiven Bezug zur klassischen Musik behalten, zumindest als Fan, vielleicht auch als aktiver (Amateur-)Musiker.
Eine aufgehübschte Verpackung kann demnach nicht die inhaltliche Vermittlung ersetzen. Vielleicht führen solche Aufhübschungen sogar eher in die Irre, weil sie wahrscheinlich ineffektiv bleiben werden, wenn es darum geht, die Relevanz der klassischen Musik zu erhalten. (Als ich mal eine Klassik im Club-Veranstaltung besucht habe, bestand das Publikum – so war zumindest mein Eindruck – mindestens zur Hälfte aus Mitarbeitern von Kultureinrichtungen, die sich dieses neue Format einmal anschauen wollten.) Und wenn die inhaltliche Vermittlung gelingt, ist die Verpackung wie es scheint ohnehin zweitrangig. Dann kann man ein konventionelles Sinfoniekonzert ebenso genießen, wie ein «Nessun dorma» beim Open Air-Konzert, ein Streichquartett im Club oder eine Glenn Gould-Aufnahme im Wohnzimmer.
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Neun Sinfonien
Via Mehr Licht bin ich auf eine Blog-Aktion aus den USA gestossen, bei der man 9 Sinfonien für die einsame Insel bestimmen soll. Dabei darf jeder Komponist nur einmal vorkommen, die Nummerierung zeigt keine Platzierung an, sondern die Nummer der jeweiligen Sinfonie. Weiter unten findet ihr meine Liste. Ich gebe zu: Im Vergleich zu anderen Bloggern, die diese Idee aufgegriffen haben, ist meine Auswahl recht unoriginell und naheliegend. Aber dass soviel Mahler, Bruckner und Beethoven gespielt wird, hat vor allem damit zu tun, dass sie einfach wegweisende, herausragende Musik komponiert haben. Deswegen würde ich auch unbedingt ihre Musik auf eine einsame Insel nehmen wollen. Kürzlich hat Volker Hagedorn sich in der Zeit beklagt, dass in den Konzertsälen das immer gleiche gespielt würde – eben Mahler, Brahms, Beethoven usw. Um zu beweisen, dass es ja auch jenseits dieser Komponisten gute Musik gibt, berichtet er von einem Konzerterlebnis mit der zweiten Sinfonie des «Zuspätromantikers» Thodore Dubois. Bei Licht besehen muss man aber wohl doch festhalten, dass das Lob auf Dubois vor allem der Pointe des Artikels wegen so euphorisch ausfällt, nicht weil Dubois wirklich so ein herausragender, zu Unrecht vergessener Komponist war. Außerdem besuchte ich kürzlich eine Aufführung der h-Moll-Messe unter der Leitung von John Eliot Gardiner und stellte einmal mehr fest: Weder als Zuhörer noch als Interpret scheint sich die Auseinandersetzung mit einem solchen Werk je zu erschöpfen. Für die Werke in der Liste gilt das in meinen Augen ganz entsprechend.
- Messiaen: Turangalila
- Brahms
- Schumann
- Beethoven
- Prokofiev
- Schostakowitsch
- Mahler
- Bruckner
- Schubert
Noch ein paar Anmerkungen: Die Turangalila-Sinfonie von Messiaen passt nicht ganz ins Schema. Soweit ich weiss, ist es aber sein einziges Werk, das er explizit als Sinfonie bezeichnet und somit ist es quasi eine Nr. 1. Unter den Komponisten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist Messiaen für mich der herausragendste, weil ich ihm glaube. Seine künstlerische Botschaft mag naiv wirken, es mag avanciertere Komponisten geben – aber seine Kunst hat eine Tiefe, die in meinen Augen kein anderer Komponist der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erreicht hat.
Alex Ross hat sich entschieden, Beethoven ganz außer Konkurrenz zu lassen, weil er eh genug Aufmerksamkeit erhält. Aber ich finde das geht nicht. Die 4. Sinfonie ist nicht ganz so populär wie die 5., 7. oder 9. In meinen Augen steht sie diesen Stücken aber in nichts nach.
Sollte man sich für ein einziges Werk aus dieser Liste entscheiden müssen, dann wäre es für mich die Bruckner-Sinfonie. Auch wenn mir eigentlich der Ansatz gefällt, dass diese Sinfonie mehr und mehr in der raueren, ungehobelteren Urfassung gespielt wird, würde ich doch die überarbeitete Fassung mitnehmen. Denn nur die gibt es in der unübertroffenen Interpretation von Stanislaw Skrowaczewski.
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Wer Visionen hat, baut ein Festspielhaus
In ihrem Beitrag zur Blogparade #kultur_unternehmen schreibt Anke von Heyl:
Unternehmerisches Denken in der Kultur – das hat keine Tradition bei uns in Deutschland.
Auf die Nachkriegszeit bezogen stimmt diese These sicherlich weitgehend, was Museen und Theater angeht. Wenn von (Hoch-)Kultur die Rede ist, denken wir zuerst an die öffentlich finanzierten Häuser, an die Freiheit der Kunst, die durch öffentliches Geld garantiert werden soll und an Kultur als meritorisches Gut «für alle». Es gehört zu den kulturpolitischen Selbstverständlichkeiten, dass Hochkultur in bester Qualität nur zu haben ist, wenn sie öffentlich finanziert wird. Entsprechend ist dann vielerorts auch die Anspruchshaltung gegenüber der öffentlichen Hand. Die Debatte um den Münchner Konzertsaal hat das kürzlich wieder gezeigt.
Kulturunternehmer
Wenn man jedoch noch etwas weiter zurück schaut, dann stellt man schnell fest, dass unternehmerisches Denken sehr wohl eine Tradition in der Kulturszene hat. Der Zusammenhang von Künstlertum und Unternehmertum war für die meisten derjenigen Künstler, deren Werke heute in den öffentlich finanzierten Kulturhäusern dargeboten werden, eine Selbstverständlichkeit. Seit Mozart 1781 den Dienst beim Salzburger Erzbischof quittierte, arbeitete er als freischaffender Komponist, als Freelancer. Auch Beethoven ging keiner «unselbständigen Tätigkeit» nach, sondern bezog sein Einkommen durch Zuwendungen von Mäzenen sowie in Form von Tantiemen und Konzerteinnahmen. Entsprechendes gilt für Giuseppe Verdi und Giacomo Puccini. Und es gilt in ganz besonderer Weise für Richard Wagner. Kaum ein anderer Komponist entspricht dem Idealtypus des Kulturunternehmers so wie er.
In ihrem Buch Die neuen Kulturunternehmer definiert Birgit Mandel in Übereinstimmung mit Untersuchungen aus dem englischsprachigen Raum zwei Hauptmotive von Kulturunternehmern: Zum einen das Streben nach Unabhängigkeit und zum anderen das Verwirklichen eigener Ideen oder Visionen. Machtstreben, der Wunsch, viel Geld zu verdienen oder einen Ausweg aus der Arbeitslosigkeit zu finden – also Motive, die bei Unternehmern anderer Branchen eine wichtige Rolle spielen – haben für Kulturunternehmer dagegen in der Regel kaum Bedeutung (vgl. Mandel, 2007, S. 37).
Streben nach Unabhängigkeit
Natürlich war das Streben nach Unabhängigkeit auch für Wagner ein zentrales Anliegen, ist es doch überhaupt erst die Voraussetzung, um das zweite Motiv, also eigene künstlerische Visionen, realisieren zu können. Und so kennzeichnet es Wagners frühe Jahre, sich die Unabhängigkeit nach und nach zu erarbeiten, die die öffentlich finanzierten Kultureinrichtungen heute so selbstverständlich reklamieren. Wagner startete seine Kapellmeisterlaufbahn unter dürftigen Bedingungen als Chordirektor in Würzburg und als musikalischer Leiter in Magdeburg, Bad Lauchstädt, Königsberg und Riga. Den Tiefpunkt bildeten die sog. Pariser Hunger-Jahre. Hier, in der damaligen Weltopernhauptstadt, musste er sich mit Gelegenheitsjobs, die er zurecht als unter seinem Niveau wahrnahm, über Wasser halten.
Das Streben nach Unabhängigkeit bezog sich für Wagner aber nicht in erster Linie auf wirtschaftliche, sondern auf künstlerische Unabhängigkeit. 1843 wurde er Königlich Sächsischer Hofkapellmeister an der Dresdner Oper, wo er über vergleichsweise gute Arbeitsbedingungen verfügte. Das hieß in seinem Sinne: Arbeitsbedingungen, die sich an den Anforderungen der Kunst orientierten und nicht umgekehrt, die Kunst an den Arbeitsbedingungen ausgerichtet wurde. In Mein Leben schreibt er zu seiner Berufung nach Dresden von seinem
enthusiastischen Glauben an die Möglichkeit, das Verwahrloste zu regenerieren,wahrhaft veredelnden Einfluss zu gewinnen und die Erlösung der in schmachvollen Banden liegenden Kunst herbeizuführen.
In diesem Impetus verfasste er in Dresden mehrfach Schriften zur Reform des Hoftheaters, die die Arbeit noch stärker an den Erfordernissen der Kunst ausrichtete: eine gute Schauspielausbildung für Sänger, ganzjährige Engagements der Sänger, nur drei Vorstellungen pro Woche und eine Kommission zur Leitung des Theaters. Des Weiteren forderte er, gezielt deutsche Dichter und Komponisten zu beauftragen, um der französischen und italienischen Oper eine spezifisch deutsche entgegen stellen zu können. Und er führte aus, dass das ganze Theaterwesen getragen werden sollte von einer freien künstlerischen Genossenschaft des Volkes unter Leitung des Dichters bzw. des Darstellers.).
Diese Vorschläge wurden allerdings abgelehnt. Kein Wunder, sie hätten einen radikalen Bruch mit den Aufführungsroutinen der damaligen Zeit bedeutet. Selbst aus heutiger Sicht ist nicht alles selbstverständlich, was Wagner damals forderte. Die Kluft zwischen künstlerischem Anspruch und Theaterrealität war für Wagner jedenfalls so riesig, dass er schließlich zu der Überzeugung kam, eine Theaterreform sei nur durch eine Gesellschaftsreform möglich. Aus diesem Grund bekannte er sich offen zu den republikanischen Bestrebungen des Vormärz und wurde damit für seinen Arbeitgeber untragbar.
Wer Visionen hat…
In Wagners Reformplänen wird bereits das zweite wichtige Merkmal erfolgreicher Unternehmer deutlich, das sich später auch mehr und mehr auch in seinen künstlerischen Werken niederschlug: das «Think big», das Visionäre. Natürlich kann man einen gewissen Größenwahn unterstellen, wenn die eigenen Opern in einem eigens dafür erbauten Festspielhaus aufgeführt werden sollen – ein Festspielhaus, das am besten sogar noch nach der ersten und einzigen Vorstellung gleich wieder niedergebrannt werden soll. Aber letztlich ging es auch bei dem Bau des Festspielhauses nicht um das persönliche Ego, sondern um die künstlerische Vision. Denn diese war in den Opernhäusern der damaligen Zeit nicht realisierbar. Wagner gesamtes künstlerisches Wirken lässt sich auf den einfachen Nenner der Illusionsästhetik herunterbrechen. Je später umso mehr wird in Wagners Schriften, seiner Musiksprache (Parsifal), seinen Inszenierungsanweisungen und seinem Wirken als Kulturmanager, Theatermacher, Regisseur, Dirigent und nicht zuletzt als Bauherr des Bayreuther Festspielhauses das Bestreben deutlich, den Faktor des Vermittelten, des Medialen einer Aufführung aus dem Bewusstsein von Publikum und Sängern zu verbannen:
Die Kunst hört, genaugenommen, von da an Kunst zu sein auf, wo sie als Kunst in unser reflektierendes Bewußtsein tritt.
In diesem Sinne ist auch Wagners viel zitierter und häufig missinterpretierter Ausspruch zu verstehen, dass er, nachdem er das unsichtbare Orchester geschaffen habe, nun auch das unsichtbare Theater erfinden wolle. Der Bau des Bayreuther Festspielhauses – in dem die Musik aus dem Irgendwo kommt und sich alle Aufmerksamkeit auf die Bühne richtet – war demnach weniger der Versuch, sich selbst ein Denkmal zu setzen, als vielmehr ein Medium herzustellen, das seiner Vision von der perfekten Illusion gerecht wurde.
Wagner und das Geld
Freilich kann man nicht über Wagner als Unternehmer sprechen, ohne das Thema Geld anzuschneiden. Denn unternehmerisch tätig zu sein, heißt zwangsweise auch, wirtschaftliche Rahmenbedingungen gestalten zu müssen. Es scheint zum Allgemeinwissen über Richard Wagner zu gehören, dass er nicht mit Geld umgehen konnte und ein skrupelloser Schnorrer war, was der Unternehmerthese zunächst zu widersprechen scheint. Barry Millington (1992, S. 113) schreibt allerdings
Zu diesem Thema (Wagner und das Geld, C.H.) wurde noch mehr Unsinn geschrieben als zu den meisten anderen Fragen, die Wagner betreffen.
Und das will was heißen. Tatsächlich relativiert sich dieses Bild sehr schnell, wenn man weiß, dass König Ludwig II. – Wagners großzügigster Mäzen und Unterstützter – dem Komponisten in 19 Jahren Bekanntschaft weniger Geld zukommen ließ, als die Einrichtung des Schlafzimmers in Herrenchiemsee kostete. Das Bild relativiert sich weiter, wenn man sich vor Augen führt, dass Wagner über viele Jahre massive Geldnöte in Kauf nahm, um seine Kunst nicht zu korrumpieren. Wäre Wagner künstlerisch bei seinen frühen Erfolgsopern Rienzi und Tannhäuser stehen geblieben, hätte er wie Verdi oder Puccini schnell ein gutes Auskommen erzielen können – allerdings zum Preis seiner eigentlichen künstlerischen Vision.
Wenn heute Unternehmer- und Künstlertum als Gegensatz verstanden werden, bzw. das eine dem anderen nur dienen und zuarbeiten soll, dann wundert es nicht, dass Wagners gelegentlich aufblitzende unternehmerische Schlitzohrigkeit in Künstlerkreisen anstößig erscheint, die von öffentlicher Finanzierung profitieren. Jedoch gab es Mitte des 19. Jahrhundert noch kein Urheberrecht und Verleger, Impressarios und Gönner handelten auch stets in ihrem eigenen Interesse. So war es nur konsequent, dass Wagner ein Einkommen für seine künstlerische Arbeit verlangte. Bemerkenswerterweise forderte Wagner dieses Einkommen in der Regel nicht als Gegenleistung für bereits erbrachte Leistungen, sondern quasi als Investition in erst zu erbringende Werke. Auch darin zeigt sich sein durchaus unternehmerisches Denken.
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Nicht nur an den Beispielen im Buch Kultur unternehmen. Wie junge Musiker das Kulturmanagement neu erfinden, bereits am Beispiel Richard Wagners zeigt sich, dass die Freiheit der Kunst nicht durch ihre Durchalimentierung durch die öffentliche Hand gesichert wird. Vielmehr entscheidend ist die unternehmerische Haltung des Künstlers. Die Haltung beschränkt sich nicht nur auf die künstlerische Arbeit selbst, sondern bezieht sich genauso auf die organisatorischen Faktoren, die das Kunsterlebnis maßgeblich bedingen.