Die deutsche Bühne heisst das gut gemachte Magazin des deutschen Bühnenvereins. Schwerpunkt des Juni-Hefts war die Frage «Geht Theater auch digital?» Beim Lesen des Hefts merkt man schnell, dass die Frage gar nicht so rhetorisch gemeint, wie man auf den ersten Blick denken könnte. In verschiedenen Artikeln – insbesondere im Eröffnungsartikel zum Schwerpunkt (S. 40ff.) – wird ein ernsthafter Versuch unternommen, sich mit dem Phänomen der Digitalisierung und seinen Auswirkungen auf das Theater zu beschäftigen. Dabei haben die Redakteure die Schwierigkeit zu meistern, dass die Anknüpfungspunkte des Theaters an die digitale Welt keinesfalls so offenkundig auf der Hand liegen und die Integration digitaler Technologien und Kommunikationsprinzipien keinesfalls so selbstverständlich ist, wie mitunter behauptet behauptet wird (etwa das erste Statement von Alexander Kerlin ab Minute 7:45). Ich bin da nicht so sicher, schliesslich haben Fernsehen und Kino als innovierte und digitale Form des Theaters ihm seinen Stellenwert streitig gemacht und die ganze Kunstform erodieren lassen. Insofern ist es aber auch kein Wunder, dass man zwischen den Zeilen immer wieder die ganz grundsätzliche Skepsis, wenn nicht Angst vor allem Digitalen spürt.
Dennoch gibt es gewisse Einseitigkeiten in der Betrachtung der Digitalisierung. Großes Gewicht bekommt die Digitalisierung der Kommunikation und des Marketings. Seitenlang geht es um das Für und vor allem Wider von Twitter und WhatsApp im Theatersaal (S. 54-62), um das Erreichen neuer Publikumsschichten mittels (Live-)Streaming (S. 46 und S. 69) sowie Sinn und Unsinn von Videotrailern zu Inszenierungen. Das Thema Digitalisierung der Geschäftsmodelle (bereits 2010 Thema der stARTconference) wird dagegen ganz ausgespart. Zwar werden drei Seiten auch Opernverfilmungen gewidmet, allerdings nur unter der Fragestellung, inwieweit solche «Extrakte» von «lebendig Gewesenem» das Spezielle dieser Kunstform überhaupt einfangen können (S. 66ff.). Dass sich mit CDs und DVDs kein Geld mehr verdienen lässt, scheint eh klar zu sein.
Wie sich die Digitalisierung auf die Ästhetik auswirkt, wird in einem Artikel über die Inszenierungen des Dortmunder Intendanten-Regisseurs Kay Voges noch etwas tiefergehend behandelt. Ohne dass ich eine der besprochenen Inszenierungen selbst gesehen hätte, entstand beim Lesen des Artikels der Eindruck bei mir, die Digitalisierung würde hier vor allem dazu genutzt, das überdrehte Overacting, den Trash-Faktor, der mich ohnehin am Schauspiel nervt, noch einmal zwei Stufen höher zu schrauben. Sollte diese Vermutung stimmen, würde die Digitalisierung nichts Neues in das Theater bringen, sondern lediglich als Turbo für das Enervierende dieser Kunstform wirken. Aber es ist gut möglich, dass ich mich täusche. Auf einen Versuch würde ich es jederzeit ankommen lassen.
Für ein ausführliches Interview zur Frage nach der Kraft des Theaters in digitalen Zeiten hätte man sicher einen geeigneteren Gesprächspartner als Regisseur und Stücke-Erfinder Milo Rau (S. 50ff.) finden können. Der spricht nämlich lieber über sich selbst als über die Digitalisierung und lässt dabei ziemlich viel Theaterdünkelhaftigkeit vom Stapel. Etwa, wenn es heißt, Theater «kann realer sein als die Realität, und es kann sogar Realitäten schaffen.» Oder aber «Theater, wie ich es verstehe, führt an einen Ort, an dem ein hoch konzentriertes Chaos an Zeitgenossenschaft herrscht.» Intelligenz-Mimikry möchte ich das mal nennen.
Zu der Digitalisierung von internen (Arbeits-)Prozessen hat das Heft leider nichts zu sagen. Weder interne Kommunikation, Wissensdokumentation, Co-Creating, Customer Relationship Marketing – all das spielt keine Rolle. Dabei liegen hier in meinen Augen die größten Modernisierungschancen für die Theater. Wenn man etwa liest, was Sonja Ostendorf-Rupp über die Datenanalyse bei amerikanischen Sinfonieorchestern berichtet, dann bekommt man schnell eine Ahnung, in welche Richtung die Entwicklung gehen könnte.
Am Ende gibt dieser Schwerpunkt für meinen Eindruck sehr gut wieder, inwieweit das Thema Digitalisierung in der Theater- und Kulturwelt bislang bearbeitet und verstanden wurde: Es bietet Chancen in der Kommunikation und im Marketing, es verändert über unsere Seh- und Rezeptionsgewohnheiten auch unsere ästhetischen Erwartungen und ermöglicht damit vielleicht neue ästhetische Konzepte. Dass es aber auch die Zusammenarbeit auf den Kopf stellen und mit schwindender öffentlicher Finanzierung die Geschäftsmodelle verändern könnte, das scheint noch nicht wirklich angekommen zu sein.
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