Facebook als digitales Pausenfoyer
Warum haben es Theater so schwer im sozialen Netz? Warum tun Theater sich so schwer im Netz?
fragten die Kulturfritzen kürzlich in einem Blogbeitrag und machten nach einer angeregten Diskussion zu dieser Frage eine Blogparade draus, zu der ich gern diesen Beitrag beisteuere. Ein paar Gedanken zu dem Thema «Theater und Digitalisierung» habe ich mir bereits im Sommer anlässlich des Deutsche-Bühne-Schwerpunkts «Geht Theater auch digital?» gemacht.
Haben es die Theater nun also schwer im Netz oder tun sie sich schwer? Schon auf den stARTconferences ab 2009 wurde immer wieder die These geäußert, dass es Kultureinrichtungen inkl. Theater allgemein leicht hätten im Social Web, weil sie über einen riesigen Fundus an Geschichten verfügen und dieser Fundus eigentlich nur darauf wartet, mit den Möglichkeiten des digitalen Storytellings erzählt zu werden. Zwar glaube ich mittlerweile nicht mehr unbedingt, dass z.B. Versicherungsunternehmen per se weniger interessante Geschichte zu bieten haben als Kultureinrichtungen. Aber das ändert natürlich nichts an der Grundaussage, dass Kultureinrichtungen und damit auch Theater gute Voraussetzungen für erfolgreiche Kommunikation im Social Web haben.
Tun sich die Theater also schwer im Social Web?
Diese Frage würde ich mit einem klaren Jein beantworten. Wenn man nur ein paar Seiten in Kerstin Hoffmanns Web oder stirb liest, kommt man schnell zu dem Schluss, dass die Situation in anderen Branchen wohl nicht viel ermutigender ist:
Deutsche Firmen, zumal der deutsche Mittelstand, verweigern sich dem digitalen Wandel in einem Ausmaß, das – wenn es so bleibt – über kurz oder lang dazu führen wird, dass wir bereits uns schnurstracks auf dem Weg zum Entwicklungsland befinden. (S. 12)
Worauf ich hinaus will: Wenn sich die Theater schwer tun mit den sozialen Medien, dann sind sie offenbar in guter Gesellschaft und unterscheiden sich kaum von anderen Unternehmen. Und trotzdem ist mein persönlicher Eindruck, dass Theaterleute oftmals ablehnender und skeptischer gegenüber Social Media sind als andere Künstler. Dieser Eindruck basiert im Wesentlichen auf anekdotischer Evidenz meiner Social Media-Kurse an der ZHdK sowie auf Gesprächen mit anderen Personen, die an der ZHdK tätig sind. Er wird aber empirisch bestätigt durch die Rankingplattform pluragraph.de. Das Ranking in der Rubrik Kultur (deutschsprachiger Raum) führen mit großem Abstand die Berliner Philharmoniker mit 865.000 Social Media-Kontakten. (Social Media-Kontakte meint die Summe aller Fans, Follower bzw. Abonnenten auf Facebook, Twitter, Google+, Youtube und Instagram.) Es folgt auf Platz 2 das Mercedes-Benz-Museum mit 500.000 Social Media-Kontakten, auf den Plätzen 3 bis 14 weitere Museen, Festivals und Stiftungen, bis schließlich auf Platz 15 der erste Theaterbetrieb auftaucht: die Wiener Staatsoper mit 72.000 Social Media-Kontakten. Die bestplatzierte Sprechbühne ist die Volksbühne mit knapp 30.000 Social Media-Kontakten auf Platz 51. Was auch immer man von solchen Rankings halten mag: die Museen haben hier eindeutig die Nase vorn.
3 Thesen zum Warum
Warum das so ist, darüber lässt sich wohl nur spekulieren. Ich möchte dazu drei thesenartige Verdachtsmomente zur Diskussion stellen. Zunächst scheint es mir, als würden die Theater das, was im Social Web passiert, als eine vulgäre Unterhaltungs-Konkurrenz wahrnehmen. Natürlich lieben und brauchen Theaterleute das Rampenlicht, aber viele verstecken sich auch gern hinter Rollen oder performativen Konzepten, die einen sicheren, im wahrsten Sinne «erprobten» Rahmen geben, mit dessen Hilfe sich der Kontakt zum Publikum (asymmetrisch) gestalten lässt. Daraus resultiert ein Unbehagen und eine Scheu, sich in die künstlerischen Karten gucken zu lassen. Und wenn doch, dann wird das wiederum zu einer eigenen Inszenierung, wie beim Tagebuch «Tagebuch eines Dramaturgen», das in meinen Augen ein außerordentlich gelungenes Theater-Social-Media-Projekt ist.
Mein zweiter Verdacht setzt beim Theater als musealem Medium an. Die dauernde Betonung, «heutig» sein zu wollen, deutet schon darauf hin, dass es genau damit hapert. Technologisch, medial und institutionell auf jeden Fall – da befinden wir uns am Theater noch in der Zeit des Feudalismus. Es gibt noch die (Dorf-)Gemeinschaft der verschiedenen Handwerke, darunter so exotische Berufe wie den Hutmacher oder Perückenknüpfer. An mittleren und kleineren Häusern herrschen oftmals prekäre Arbeits- und Lebensbedingungen für die Künstler (und künstlerische Mitarbeiter), an der Spitze des streng hierarchisch funktionierenden Betriebs stehen einzelne Personen mit weitgehenden Machtbefugnissen (auf Betriebsebene Intendant oder Spartendirektoren, auf Produktionsebene Regisseure, Choreografen, Dirigenten). Wie soll zu dieser Welt das Social Web passen, in dem grundsätzlich jeder sagen kann, was er denkt und Diskussionen nicht durch Entscheidungsträger beendet werden können? Inhaltlich kann man sicher darüber streiten, wie «heutig» das Theater ist. Wenn ich allerdings zum Beispiel die Diskussion über das Schweiz-Bashing des Theaterautoren Lukas Bärfuss, über Falk Richters «Fear» oder den (in PR-Hinsicht wirklich gelungenen) Coup des Staatstheaters Mainz verfolge, dann kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Theaterwelt sehr anfällig für ziemlich ansgestaubte linke Denkschablonen und gleichermaßen simple wie anmaßende Weltdeutungsversuche ist. Da scheint es oftmals intelligentere Alternativen zu geben, sich auf unterhaltsame Weise mit «heutigen» Themen zu beschäftigen.
Der dritte Punkt ist in meinen Augen fast der wichtigste: Theater sind nicht gut in Selbstironie. Das «Tagebuch eines Dramaturgen» gehört in meinen Augen gerade deswegen zu den gelungensten Beispielen für Theater im Social Web, weil es von einer äußerst sympathischen Selbstironie getragen ist («Hmm… ein klitzekleines Programmbuch auf mattem Papier!»). Selbstironie scheint mir der Königsweg zu sein, mit dem Problem umzugehen, dass man selbst immer auch verstrickt ist in die Verhältnisse, die man kritisiert. Dass man nicht einfach die Rolle des distanzierten Beobachters einnehmen kann, der über seinen Gegenstand erhaben ist und diesem mit ausreichendem Abstand moralisch bewerten kann. Diese Distanz kann es im Social Web per se nicht geben, hier besteht ein buntes Nebeneinander der verschiedensten «Bubbles», die man nicht gut finden muss, die man ignorieren und wegfiltern, aber nicht beherrschen kann.
Der gemeinsame Nenner dieser drei Punkte scheint mir zu sein, dass die sozialen Medien das Theater in seinem Selbstverständnis als «moralische Anstalt» herausfordern und hinterfragen. Das Theater befragt zwar selbst gern Klassiker, hält der Gesellschaft den Spiegel vor, legt den Finger in Wunden usw., macht sich aber selbst nur ungern zum Subjekt solcher Betrachtungen.
Everyday-Social-Media statt Leuchtturmprojekte
Allerdings kann man sich mit der Frage, ob sich Theater im Social Web schwer tun, auch nicht beschäftigen ohne zu klären, was man denn eigentlich von ihnen erwartet. Mir scheint, dass in der Diskussion immer die spektakulären Projekte zitiert werden, Effi «Effi Briest 2.0», das bereits erwähnte Tagebuch eines Dramaturgen, die Twitter-Theaterwoche 2013 oder ganz aktuell die Kampagne zur Sparte 0.1 am Theater Trier. In meinen Augen sind diese Projekte – so gut sie zweifelsohne sind – aber nicht das, was einen guten Social Media-Auftritt für ein Theater ausmacht. Es sind hell und hoch flackernde Strohfeuer, die einen hohen Aufwand erfordern und für kurze Zeit viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen. In meinen Augen sollten wir jedoch weniger über die Leuchtturmprojekte und -kampagne reden und von den großspurigen Content-Strategien wegkommen. Ein Konzept tut es auch, wenn es denn beantwortet, wie vor allem der Alltagsbetrieb von Facebook & Co. aussieht. Denn abseits von den großen Kraftanstrengungen, die mal zu einem Intendantenwechsel unternommen werden können und müssen, sind die Ressourcen stets beschränkt und müssen so eingesetzt werden, dass ein gutes Kosten-Nutzen-Verhältnis gewährleistet ist. Nur so kann ein Konzept dauerhaft und mittel- und langfristig funktionieren. Hier sind nicht die großen Würfe gefragt, sondern solides Everyday-Social-Media-Marketing, das mit den gegebenen Ressourcen kontinuierlich funktioniert und mit diesen das Maximum an Reichweite und Interaktion erzielt. Nach meiner Erfahrung gelingt das am besten mit schnell und meist sogar zufällig erstelltem «Cat content», also Content mit überschaubarem inhaltlichen Niveau aber hohem Emotionalisierungspotential, und durch Werbeanzeigen vergrösserter Reichweite. Facebook und Co. können dann so etwas sein wie ein digitales Pausenfoyer, das 24/7 offensteht, wo der Smalltalk stattfindet und man den Champagner bekommt – also das Herz jedes Theaters.
3 Kommentare
Michael -mikel- Bauer · 28. November 2015 um 20:58
Das sind kluge Analysen..und das ist alles unabwendbar, auch die Strukturen? Nirgendwo ist mehr erreichbar als Smalltalk im Facebook-Theater? Muss das auch hier Apple oder Google richten? Amazon kauft sich im Broadway ein? Google rettet aufgegebene Stadttheater? Wir werde das dann im Facebook-Talk besprechen und leise lachen..
Aber man könnte um die „Selbstbeschaftigung“ der Theater zu beschleunigen, in Deutschland wenigsten, die gleichgeschalteten Theater auf die Bühne zu bringen…auch der Stadttheater, nicht nur Gründgens & Co…
Wie gesagt, die Gründe sind wohl richtig…und dies ein guter Debattenbeitrag!
Christian Holst · 28. November 2015 um 22:50
Es gibt ja gute Beispiele, wo mehr geht als Smalltalk. Ich denke nur, im Alltag ist es vor allem das. Richten müssen das schon die Theater selbst. Aber das ist dann wieder ein ganz neues Thema… 🙂
#TheaterimNetz – Aufruf zur Blogparade | · 29. November 2015 um 11:06
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