Nach der Kulturinfarktdebatte vor einigen Wochen wird im Kultursektor nun die nächste hysterische Debatte angezettelt. Die ums Urheberrecht. Nach Sven Regeners unterhaltsamem Ausraster beim Bayerischen Rundfunk, ebenso unterhaltsamen Repliken, einem offenen Brief von 51 Tatort-Autoren, einer Aktion des Handelsblattes erfährt die Debatte jetzt einen neuen Höhepunkt mit dem mittlerweile von ein paar Tausend Urhebern unterzeichneten Appell «Wir sind die Urheber». Weitere Petitionen sind offenbar schon in Planung. Ziel ist es, das Urheberrecht in seiner jetzigen Form zu verteidigen, zu erhalten und womöglich zu stärken, sprich verschärfen.
Gemeinsam mit der Kulturinfarktdebatte ist dieser Diskussion, dass die Initianten vor allem auf das (vermeintliche) Problem fokussieren, aber wenig bis keine sinnvollen Vorschläge zur Lösung einbringen. (Alvar Freude hat deswegen einmal nachgefragt.) Wo im ersten Fall einfach alles anders sein sollte, soll hier einfach alles bleiben wie es ist war.
Dem steht jedoch der Umstand entgegen, dass die Digitalisierung an einigen Grundannahmen des derzeitigen Urheberrechts rüttelt. Es unterstellt nämlich den romantischen Künstlertypus des 19. Jahrhunderts, dessen Werk eine geniale Einzelleistung war. In dieser Vorstellung ist jede Kopie ein schlechter Abklatsch des Originals, das von einer geheimnisumwitterten Aura umgeben ist. Von dieser Aura kann im Zeitalter der digitalen Reproduzierbarkeit von Kunstwerken nicht mehr die Rede sein, denn digital können dem Original absolut identische Kopien in praktisch unbegrenzter Zahl erstellt werden. Das wiederum bedeutet, dass Kampfbegriffe wie «Raubkopie» oder «Diebstahl geistigen Eigentums» am Kern der Sache vorbeigehen. Denn Raub oder Diebstahl würden voraussetzen, dass der eine sich etwas aneignet (im Falle von Raub sogar mit Gewalt), was dem anderen dann fehlt. An die Stelle des Künstlers, der der Welt abhanden gekommenen ist und in dieser Weltfremdheit seiner Seele große Kunst entbindet, ist der Prototyp des remixenden Künstler getreten. Ein Künstlertypus, der nicht in den Tiefen seiner Seele gründelt, sondern weltoffen Eindrücke sammelt, sich aus dem unerschöpflichen Materialfundus der Kulturgüter oder kulturell relevanter Alltagserfahrungen bedient und diese Eindrücke (re)kombiniert, sampled, zitiert, weiterentwickelt. An der Idee des sog. Materialfortschritts, also dem Glauben, es könne noch grundlegend Neues erfunden werden, hält nur noch eine durch die Kulturtheorie der Frankfurter Schule geprägte Nische fest. Adorno war noch am Leben, als der Tod des Autors verkündet wurde. (Irgendwann in den 90ern hatte er dann allerdings auch seine kulturtheoretische Auferstehung.)
Ein zweiter großer Streitpunkt ist die Frage der Umsonstkultur im Internet, nach der angeblich die Bereitschaft sinkt, für die Nutzung geistigen Eigentums anderer angemessen zu bezahlen. Tatsächlich handelt es sich dabei jedoch nicht um Geiz und Gier-Mentalität, sondern um lehrbuchmäßiges Funktionieren des Marktes durch die Balance von Angebot und Nachfrage. Das Internet kommt dem Modell des vollkommenen Marktes recht nahe: Bei funktionierendem Wettbewerb nähert sich der Preis eines Massenproduktes den Grenzkosten an, also den Kosten, die für die Produktion einer weiteren Einheit anfallen. Bei digitalen Produkten liegen diese Grenzkosten praktisch bei Null. Es macht daher wenig Sinn an Geschäftsmodellen festzuhalten, die sich auf das kopierbare Produkt beziehen. Hier kann nur noch ein Gesetz die Mechanismen des freien Markt aushebeln. Immer wieder wird deswegen in der Urheberrechtsdebatte darauf hingewiesen, dass die Verwerterindustrie es verschlafen hat, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Stattdessen haben es andere getan – Renner führt z.B. kino.to an – und verdienen jetzt das gute Geld, dass die Verwerterindustrie sich durch halbwahre Argumentation per Gesetz sichern möchte. Wie heuchlerisch das ist, beschreibt Wolfgang Tischer in der Zeit.
Wenn Künstler also befürchten, dass sie zukünftig nicht mehr von ihrer kreativen Arbeit leben können (die meisten können es auch heute nicht) sollten sie vor allem ihre Agenten in die Pflicht nehmen, entsprechende Geschäftsmodelle zu finden anstatt ihre Fans zu kriminalisieren. Letzteres dürfte ihnen mittel- und langfristig mehr schaden als nutzen.
Vor diesem Hintergrund verwundert es dann aber kaum, dass diese Petition von einem gutverdienenden Literaturagenten angezettelt wurde und die verschiedenen Petitionen und Aufrufe der letzten Zeit offenbar eine konzertierte Aktion der sog. Verwerter sind. Mit so viel Engagement lässt sich gut von den eigenen Versäumnissen ablenken. Und wie es scheint, lassen sich die Künstler gern vor den Karren spannen, wenn es darum geht, Interessen zu vertreten, die langfristig nicht die ihren sein können. Denn es ist abzusehen, dass die Digitalisierung Fakten schafft, denen auf lange Sicht auch nicht mit Abmahnungen und Gesetzesverschärfungen beizukommen sein wird. Indem die Künstler ihre Fans kriminalisieren, beschleunigen sie diese Entwicklung womöglich nur. So verständlich und richtig ihr Wunsch ist, von ihrer Arbeit leben können zu wollen, so untauglich wird mittel- bis langfristig dieser Appell in dieser Hinsicht sein, weil er die falschen Personen adressiert. Geschäftsmodelle zu finden, wie mit künstlerischen Leistungen Geld zu verdienen ist, ist Aufgabe der Verwerter. Es kann nicht Aufgabe der Fans sein, Marktentwicklungen zu ignorieren, weil sie die Künstler bzw. Agenten unternehmerisch überfordern. Zudem zeigt diese Aktion einmal mehr, wie fremd dem Kultursektor – in diesem Fall dem Litarturbetrieb – die digitale Welt, das Social Web und deren Funktionsmechanismen sind.
Bleibt also die Frage, wie ein modernes Urheberrecht aussehen könnte. Nach Meinung der Verwerter und Künstler soll alles so bleiben wie es ist oder weiter verschärft werden, z.B. indem die Leistungsschutzfristen für immer gelten sollen. Nichtsdestotrotz gibt es etliche Vorschläge (z.B. hier und hier und hier), wie ein modernes Urheberrecht aussehen sollte. Soweit ich das überblicke, ist den meisten dieser Vorschläge gemein, dass sie sich an Grundsätzen des Patentrechts orientieren und davon ausgehen, dass dort ein vernünftiges Verhältnis zwischen privatem und gesellschaftlichem Nutzungsinteresse definiert ist.
Übertragen aufs Urheberrecht heißt das im Wesentlichen:
1. Verkürzung der Schutzfristen auf 15 Jahre.
2. Der Schutz muss beantragt werden, er entsteht nicht automatisch (Opt-in, statt opt-out)
3. Legalisierung von nichtkommerzieller Nutzung, etwa in Form einer Fair use-Regelung
Darüber hinaus gibt es freilich zahlreiche weitere Ideen wie z.B. die, dass neue Kunst stärker gefördert werden sollte als alte (quasi in Ergänzung zu den verkürzten Schutzfristen) oder dass der Urheber gestärkt werden sollte, indem die Verwertungsrechte alle zwei Jahre an ihn zurückfallen und er sie neu vergeben kann. Künstler könnten also auch massiv von einer Reform des Urheberrechts profitieren. Die fällige Diskussion mit konstruktiven Vorschlägen in eine gute Richtung zu lenken ist vermutlich wesentlich zielführender, als zu versuchen, sie zu verhindern und sich an Regelungen zu klammern, die schon heute von der Realtität abgehängt worden sind.
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