Urheberrecht – Die neue Aufreger-Debatte

Veröffentlicht von Christian Holst am

Nach der Kulturinfarktdebatte vor einigen Wochen wird im Kultursektor nun die nächste hysterische Debatte angezettelt. Die ums Urheberrecht. Nach Sven Regeners unterhaltsamem Ausraster beim Bayerischen Rundfunk, ebenso unterhaltsamen Repliken, einem offenen Brief von 51 Tatort-Autoren, einer Aktion des Handelsblattes erfährt die Debatte jetzt einen neuen Höhepunkt mit dem mittlerweile von ein paar Tausend Urhebern unterzeichneten Appell «Wir sind die Urheber». Weitere Petitionen sind offenbar schon in Planung. Ziel ist es, das Urheberrecht in seiner jetzigen Form zu verteidigen, zu erhalten und womöglich zu stärken, sprich verschärfen.
Gemeinsam mit der Kulturinfarktdebatte ist dieser Diskussion, dass die Initianten vor allem auf das (vermeintliche) Problem fokussieren, aber wenig bis keine sinnvollen Vorschläge zur Lösung einbringen. (Alvar Freude hat deswegen einmal nachgefragt.) Wo im ersten Fall einfach alles anders sein sollte, soll hier einfach alles bleiben wie es ist war.
Dem steht jedoch der Umstand entgegen, dass die Digitalisierung an einigen Grundannahmen des derzeitigen Urheberrechts rüttelt. Es unterstellt nämlich den romantischen Künstlertypus des 19. Jahrhunderts, dessen Werk eine geniale Einzelleistung war. In dieser Vorstellung ist jede Kopie ein schlechter Abklatsch des Originals, das von einer geheimnisumwitterten Aura umgeben ist. Von dieser Aura kann im Zeitalter der digitalen Reproduzierbarkeit von Kunstwerken nicht mehr die Rede sein, denn digital können dem Original absolut identische Kopien in praktisch unbegrenzter Zahl erstellt werden. Das wiederum bedeutet, dass Kampfbegriffe wie «Raubkopie» oder «Diebstahl geistigen Eigentums» am Kern der Sache vorbeigehen. Denn Raub oder Diebstahl würden voraussetzen, dass der eine sich etwas aneignet (im Falle von Raub sogar mit Gewalt), was dem anderen dann fehlt. An die Stelle des Künstlers, der der Welt abhanden gekommenen ist und in dieser Weltfremdheit seiner Seele große Kunst entbindet, ist der Prototyp des remixenden Künstler getreten. Ein Künstlertypus, der nicht in den Tiefen seiner Seele gründelt, sondern weltoffen Eindrücke sammelt, sich aus dem unerschöpflichen Materialfundus der Kulturgüter oder kulturell relevanter Alltagserfahrungen bedient und diese Eindrücke (re)kombiniert, sampled, zitiert, weiterentwickelt. An der Idee des sog. Materialfortschritts, also dem Glauben, es könne noch grundlegend Neues erfunden werden, hält nur noch eine durch die Kulturtheorie der Frankfurter Schule geprägte Nische fest. Adorno war noch am Leben, als der Tod des Autors verkündet wurde. (Irgendwann in den 90ern hatte er dann allerdings auch seine kulturtheoretische Auferstehung.)
Ein zweiter großer Streitpunkt ist die Frage der Umsonstkultur im Internet, nach der angeblich die Bereitschaft sinkt, für die Nutzung geistigen Eigentums anderer angemessen zu bezahlen. Tatsächlich handelt es sich dabei jedoch nicht um Geiz und Gier-Mentalität, sondern um lehrbuchmäßiges Funktionieren des Marktes durch die Balance von Angebot und Nachfrage. Das Internet kommt dem Modell des vollkommenen Marktes recht nahe: Bei funktionierendem Wettbewerb nähert sich der Preis eines Massenproduktes den Grenzkosten an, also den Kosten, die für die Produktion einer weiteren Einheit anfallen. Bei digitalen Produkten liegen diese Grenzkosten praktisch bei Null. Es macht daher wenig Sinn an Geschäftsmodellen festzuhalten, die sich auf das kopierbare Produkt beziehen. Hier kann nur noch ein Gesetz die Mechanismen des freien Markt aushebeln. Immer wieder wird deswegen in der Urheberrechtsdebatte darauf hingewiesen, dass die Verwerterindustrie es verschlafen hat, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Stattdessen haben es andere getan – Renner führt z.B. kino.to an – und verdienen jetzt das gute Geld, dass die Verwerterindustrie sich durch halbwahre Argumentation per Gesetz sichern möchte. Wie heuchlerisch das ist, beschreibt Wolfgang Tischer in der Zeit.
Wenn Künstler also befürchten, dass sie zukünftig nicht mehr von ihrer kreativen Arbeit leben können (die meisten können es auch heute nicht) sollten sie vor allem ihre Agenten in die Pflicht nehmen, entsprechende Geschäftsmodelle zu finden anstatt ihre Fans zu kriminalisieren. Letzteres dürfte ihnen mittel- und langfristig mehr schaden als nutzen.
Vor diesem Hintergrund verwundert es dann aber kaum, dass diese Petition von einem gutverdienenden Literaturagenten angezettelt wurde und die verschiedenen Petitionen und Aufrufe der letzten Zeit offenbar eine konzertierte Aktion der sog. Verwerter sind. Mit so viel Engagement lässt sich gut von den eigenen Versäumnissen ablenken. Und wie es scheint, lassen sich die Künstler gern vor den Karren spannen, wenn es darum geht, Interessen zu vertreten, die langfristig nicht die ihren sein können. Denn es ist abzusehen, dass die Digitalisierung Fakten schafft, denen auf lange Sicht auch nicht mit Abmahnungen und Gesetzesverschärfungen beizukommen sein wird. Indem die Künstler ihre Fans kriminalisieren, beschleunigen sie diese Entwicklung womöglich nur. So verständlich und richtig ihr Wunsch ist, von ihrer Arbeit leben können zu wollen, so untauglich wird mittel- bis langfristig dieser Appell in dieser Hinsicht sein, weil er die falschen Personen adressiert. Geschäftsmodelle zu finden, wie mit künstlerischen Leistungen Geld zu verdienen ist, ist Aufgabe der Verwerter. Es kann nicht Aufgabe der Fans sein, Marktentwicklungen zu ignorieren, weil sie die Künstler bzw. Agenten unternehmerisch überfordern. Zudem zeigt diese Aktion einmal mehr, wie fremd dem Kultursektor – in diesem Fall dem Litarturbetrieb – die digitale Welt, das Social Web und deren Funktionsmechanismen sind.

Bleibt also die Frage, wie ein modernes Urheberrecht aussehen könnte. Nach Meinung der Verwerter und Künstler soll alles so bleiben wie es ist oder weiter verschärft werden, z.B. indem die Leistungsschutzfristen für immer gelten sollen. Nichtsdestotrotz gibt es etliche Vorschläge (z.B. hier und hier und hier), wie ein modernes Urheberrecht aussehen sollte. Soweit ich das überblicke, ist den meisten dieser Vorschläge gemein, dass sie sich an Grundsätzen des Patentrechts orientieren und davon ausgehen, dass dort ein vernünftiges Verhältnis zwischen privatem und gesellschaftlichem Nutzungsinteresse definiert ist.

Übertragen aufs Urheberrecht heißt das im Wesentlichen:
1. Verkürzung der Schutzfristen auf 15 Jahre.
2. Der Schutz muss beantragt werden, er entsteht nicht automatisch (Opt-in, statt opt-out)
3. Legalisierung von nichtkommerzieller Nutzung, etwa in Form einer Fair use-Regelung

Darüber hinaus gibt es freilich zahlreiche weitere Ideen wie z.B. die, dass neue Kunst stärker gefördert werden sollte als alte (quasi in Ergänzung zu den verkürzten Schutzfristen) oder dass der Urheber gestärkt werden sollte, indem die Verwertungsrechte alle zwei Jahre an ihn zurückfallen und er sie neu vergeben kann. Künstler könnten also auch massiv von einer Reform des Urheberrechts profitieren. Die fällige Diskussion mit konstruktiven Vorschlägen in eine gute Richtung zu lenken ist vermutlich wesentlich zielführender, als zu versuchen, sie zu verhindern und sich an Regelungen zu klammern, die schon heute von der Realtität abgehängt worden sind.

Weitere Links:
Noch eine Antwort auf Sven Regener
Die schöne Seite der Kostenlos-Mentalität

Eine Autorin, die nicht unterschrieben hat: Wir sind die Urheber? – Ohne mich!
Alternativen zum Urheberrecht
Return of the original Urheber
Modernes Urheberrecht vs. postmoderne Ästhetik


8 Kommentare

Axel Kopp · 21. Mai 2012 um 11:30

Guter Artikel! Es ist ein bisschen witzig, dass die Debatte gerade jetzt so hochkocht, denn sie ist schon seit mindestens zehn Jahren absehbar. Aber nein, natürlich wird auch im Literaturbetrieb erst dann gehandelt, wenn es brennt, wenn die US-Absatzzahlen vom Kindle auf dem Tisch liegen und man plötzlich erkennt, dass es irgendwann auch in Deutschland dazu kommen könnte, dass die Leute keine gedruckten Bücher mehr lesen und plötzlich im Internet PDFs illegal getauscht werden. Insofern ist diese „Aufreger-Debatte“ längst überfällig und schlau wäre es gewesen, schon vor fünf Jahren einen Masterplan zu schmieden.
Letzteres ist natürlich ein Problem, da die Positionen so extrem verschieden sind. Wie bekommt man die unter einen Hut? Das ist wohl die eigentliche Herausforderung. Da die meisten wohl nicht bereit sind, grundlegend von ihrer Position abzurücken, dürfte die Urheberrechtsreform sehr komplex ausfallen und mit zig Ausnahmen und Eventualitäten gespickt sein. Und dann beschweren sich wieder alle, weil sie es nicht verstehen…
Da haben es illegale Betreiber natürlich einfacher. Die müssen sich nicht mit zehntausenden Urhebern auseinandersetzen, sondern können sich bei einem Bier auf freies Teilen verständigen. Und Abrechnungsmodelle, die jedem irgendwie gerecht werden, brauchen sie auch nicht. Na dann, Prost!

    Christian Holst · 21. Mai 2012 um 11:43

    Hallo Axel, danke für deinen Kommentar. Ich habe ganz unten auf einen Blogpost verlinkt, wo das Thema 2008 schon einmal von einem Komponisten mit einer lustigen Aktion aufgebracht wurde. Der hatte damals ein halbminütiges Stück mit 70.000 Zitaten „komponiert“ und es bei der GEMA eingereicht. Aber das war halt ein Gag und man ist dann wieder zur Tagesordnung über gegangen. Auch damals gab es übrigens schon Unterschriftenaktionen zu diesem Thema.
    Ich bin kein Verfechter des totalen Marktes. Aber hier sehe ich schon das Problem, dass ein Geschäftsmodell, das nicht mehr marktfähig ist (es vielleicht nie war) über ein Gesetz abgesichert werden soll. Das ist so nicht zu lösen, weil es der Realität immer hinterherhinken wird. Und irgendwann wird es dann so ähnlich kommen wie ich das vor einiger Zeit am Beispiel Kranzgeldparagraphen beschrieben hab: die normative Kraft des Faktischen killt das Gesetz. In meinen Augen wären Künstler daher gut beraten, einen Crashkurs in Entrepreneurship zu machen und unternehmerische Lösungen zu suchen, anstatt sich auf ein Gesetz zu verlassen, dass über kurz oder lang nicht durchsetzbar sein wird.

Shqiprim · 21. Mai 2012 um 18:46

Ich bin amüsiert darüber, dass diese urheberrechtsgeilen „Künstler“ von einer Art Naturzustand ausgehen, in dem vor der Digitalisierung, vor dem Internet anscheinend alles toll gewesen sein soll. So eine Naivität ist herzerwärmend und der Sein-Sollen Fehlschluss, setzt dem Ganzen dann noch die Krone auf. Wer will solche Urheber überhaupt haben?

Peter Wilmanns · 3. Juni 2012 um 17:00

Übersehen wird meines Erachtens häufig, dass Kopien von Musikdateien schon lange dadurch quasi legalisiert sind, indem wir beim Kauf von Computern, Brennern und Speichermedien bereits GEMA-Gebühren bezahlen. Die wenigen Cent, die an die Urheber heutzutage pro legal kopiertem Stück fließen, würden die Fans sicher gerne zahlen. Sie zahlen nur nicht gerne dafür, dass uns die Musikindustrie die alten Aufnahmen zum wiederholten Male auf den jeweils neuesten Medien neu verkaufen wollen.

Ich denke, die Technik ist inzwischen so weit, dass wir eine zentrale Werkbank schaffen können, in die man seine Werke eintragen kann. In dieser legt der Urheber fest, unter welcher Lizenz sein Werk benutzt werden kann.
Die Verwertung übernimmt dann der Computer automatisch. In der Praxis kann ein jeder Benutzer eines Werkes also einsehen, ob ein von ihm benutztes Werk frei ist oder ob er einen bestimmten Betrag an die der Werkbank angegliederte Kasse zahlen muss. Die Kasse übernimmt automatisch die Verteilung der Gelder an die Urheber.

    Christian Holst · 11. Juni 2012 um 19:59

    Ich denke auch, die Geschäftsmodelle der Musikindustrie funktionieren einfach nicht mehr, weil sie auf dem Verkauf von Kopien basieren. Das wird aber hinfällig in einer digitalisierten Welt, weil nicht mehr nachvollziehbar ist, warum man für das Erstellen einer Kopie, die nicht mehr physisch ist, zahlen soll. Dass man für die künstlerische Arbeit nach wie vor zahlen sollte, da besteht m.E. weitgehend Konsens. Das von Ihnen vorgeschlagene Modell erinnert mich an Flattr, nur dass die Zahlung nicht freiwillig ist, sondern für bestimmte Werke verpflichtend. Verstehe ich das richtig?

Peter Wilmanns · 14. Juni 2012 um 17:39

Das verstehen sie richtig.

Isabelle · 18. Juni 2012 um 14:09

Ein sehr guter Artikel zur Urheberrechts-Debatte. Ich für meinen Teil bin zwiegespalten. Einerseits finde ich es richtig und wichtig, dass geistiges Eigentum in irgendeiner Weise geschützt und gewürdigt wird. Ebenso bin ich der Ansicht, dass damit auch einhergeht, dass Künstler für ihre Arbeit angemessen entlohnt werden sollten. Andererseits aber habe ich den Eindruck, die GEMA bekümmert sich mehr um ihre eigenen Interessen, denn um die der Künstler. Und es kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu, der mich bislang davon abgehalten hat, mich in die Urheberrechtsdebatte einzumischen und klar Position zu beziehen. Ich denke da an die Berufseinsteiger, den künstlerisch-kreativen Nachwuchs, die vielen Talente, die noch keiner kennt. Was würden die machen, ohne das Internet? Wo ihre Musik präsentieren, wenn nicht auf YouTube, MySpace und anderen Seiten? Ihre Texte, wenn nicht auf WordPress und Konsorten? Ihre Kurzfilme und Videos? Um überhaupt erst einmal die Möglichkeit zu haben, sich einem größeren Publikum zu präsentieren, erst einmal bekannt zu werden, anzufangen, seine kreativen ‚Erzeugnisse‘ zu ‚vermarkten‘, ist das Internet für Newcomer im Grunde ein Segen. Doch wie kommt man von da aus dazu, mit seiner Kunst auch seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können, wenn sich alle dran gewöhnt haben, es auch umsonst zu kriegen. Für sowas wäre dann wieder eine Regelung nötig. Aber das Urheberrecht soll die Künstler eigentlich schützen und sie nicht in ihrer Freiheit einschränken. Auf jeden Fall ist das ein Thema, über das man noch weiter diskutieren sollte.

    Christian Holst · 18. Juni 2012 um 20:59

    Über eine komplette Abschaffung des Urheberrechts diskutiert ja auch niemand, nicht einmal die Piraten-Partei. Eine angemessene Entlohnung für kreative Arbeit wiederum wird nicht durch das Urheberrecht garantiert. Dazu gibt es zu viele Künstler, die unter prekären Verhältnissen leben. Das Urheberrecht garantiert vor allem Privilegien für die Verwerter. Deswegen verstehe auch nicht, was die Künstler sich von diesem Appell versprechen. Sie wären besser bedient, wenn die Verwerter tragfähige Geschäftsmodelle entwickeln müssten und ihnen gleichzeitig mehr Verfügungsrechte über ihre Arbeit zustünde. Eine Reform des Urheberrechts in diese Richtung wäre nur zu ihrem besten. Mit der angeblichen Umsonst-Kultur hat das alles nichts zu tun.

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