«Wenn die Lösungen so einfach wären!» So der Stoßseufzer des Deutschen Kulturrats zu dem Vorschlag eines Autorenteams – bestehend aus Dieter Haselbach, Armin Klein, Pius Knüsel und Stephan Opitz – die Hälfte der öffentlich finanzierten Kultureinrichtungen dicht zu machen, um den «Kulturinfarkt» zu kurieren. Nachzulesen ist dieser Vorschlag in der aktuellen Ausgabe des Spiegels, kommende Woche erscheint ein Buch, das sich dem Thema ausführlich widmet.
Der Artikel beginnt mit einer zwar ziemlich pauschalen, aber doch zu einem guten Teil auch treffenden Diagnose: der kulturpolitische Grundsatz der 1970er Jahre «Kultur für alle!» sei gescheitert, Kultur in Deutschland wird zu sehr vom Angebot, zu wenig von der Nachfrage her gedacht. Mit Museen und Theatern würde die geistige Erbauung der ohnehin wohlhabendsten fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung subventioniert. Während allerorten der Trend zum mündigen, selbstbestimmten Bürger zu erkennen sei, halte die öffentlich finanzierte Kulturszene immer noch an dem Anspruch der «ästhetischen Erziehung des Menschengeschlechts» (Schiller) fest und meint, am besten zu wissen, was für andere gut sei. Der Ausbau der kulturellen Infrastruktur seit den 1970er Jahren sei «die letzte Offensive des vordemokratischen Modells des Kunstbürgers», das jetzt endgültig an seine (vor allem auch) finanziellen Grenzen stößt und zunehmend von privaten Anbietern abgehängt werde. Das ist alles recht polemisch, aber das soll es auch sein.
Noch polemischer wird es dann bei der Therapie: Die Autoren schlagen vor, die Hälfte der öffentlich subventionierten Kultureinrichtungen kurzerhand dicht zu machen. 70 statt 140 Theater, 3200 statt 6300 Museen, 4000 statt 8200 Bibliotheken. «Wäre das die Apokalypse?» Nein, natürlich nicht, muss man da antworten, aber die Frage ist auch nur rhetorisch gemeint. Das frei werdende Geld soll genutzt werden, so die Autoren, um der Kulturpolitik neue Handlungsspielräume zu verschaffen. Konkret schlagen sie vor, das freiwerdende Geld dazu zu nutzen,
- die verbleibenden Einrichtungen besser auszustatten,
- die Laienkultur wegen ihrer sozial integrativen Bedeutung zu fördern,
- die Kulturindustrie, die nationale und internationale Ambitionen vereint, zu unterstützten,
- die Hochschulen für Musik, Kunst und Design von Elfenbeintürmen zu Produktions- und Innovationszentrum zu reformieren und
- die gegenwartsbezogene kulturelle Bildung zu stärken.
Das ist ambitiös. Und mal abgesehen davon, dass die finanziell besser ausgestatteten Institutionen in fünf oder zehn Jahren wieder vor genau den gleichen Problemen wie heute stehen würden, stelle ich die vorsichtige Vermutung an, dass zwei Milliarden schnell verbraucht sein werden, wenn man in diesen fünf Bereichen wirklich vorwärts machen will. Wie auch immer. Die Diskussion, die die Autoren anstoßen wollten, ist eröffnet und wird teilweise schon hitzig geführt.
Auf grundsätzlicher Ebene stellt sich aber die Frage, ob mit dieser Idee nicht das Pferd von hinten aufgezäumt wird, indem erst die Maßnahme gesetzt wird und dann Überlegungen angestellt werden, wohin diese Maßnahme führen kann. Das zumindest ist die Logik des Spiegel-Artikels und die ausgesprochen willkürlich gesetzte Marke von 50% lässt ebenfalls vermuten, dass es mehr um die Provokation als um eine brauchbare Vision für den Kultursektor geht. Zielführender wäre es wohl, zunächst die Vision zu entwickeln und dann die nötigen Maßnahmen zu deren Verwirklichung abzuleiten (dieses Vorgehen schlägt Armin Klein übrigens auch in seinem Buch «Der exzellente Kulturbetrieb» den Kultureinrichtungen vor, die er jetzt abschaffen möchte). Und zwar eine Vision die auf breiter Basis und durch einen offenen Prozess entsteht. Das heißt unter Einbezug von Kulturnutzern und -nichtnutzern, von Künstlern und Kulturschaffenden, Kulturfunktionären und Kulturpolitikern, die ihre Ideen und Vorstellungen eingeben, die wiederum von einer Kommission verdichtet und begrenzt werden. Vielleicht würde man dann sogar zu dem Ergebnis kommen, am besten alle Einrichtungen dicht zu machen?! Oder zu der Überzeugung, dass die deutsche Kulturlandschaft weltweit einzigartig ist und daher unbedingt konserviert werden sollte?!
Ganz nebenbei würde man bei solch einem Vorgehen auch das Geschmäckle vermeiden, das hängenbleibt, wenn im Elfenbeinturm des Professoren- oder Kulturfunktionärsbüros Ideen ausgeheckt werden, die die These beinhalten, die Hochkultureinrichtungen würden sich in ihren Elfenbeintürmen verschanzen. Es würde außerdem die 50% der Mitarbeiter in öffentlich finanzierten Kultureinrichtungen involvieren, die sich jetzt vor den Kopf gestoßen fühlen müssen, weil ihre Arbeit implizit als überflüssig bezeichnet wird. Da niemand weiß, welche 50% gemeint sind, fühlen sich wahrscheinlich sogar 100% vor den Kopf gestoßen – ob das so geschickt ist, wenn man wirklich etwas verändern möchte? Insofern kann ich mich der Frage nicht ganz erwehren, ob das Professorenteam die Kulturszene wirklich nach vorne bringen, oder nicht vor allem ein Buch verkaufen möchte, um das verfassungsgerichtlich als dürftig attestierte Professorengehalt etwas aufzubessern. Und den lukrativen Beratungsmandaten, die zu vergeben wären, wenn man die Vorschläge der Herren umsetzen würde, wären diese sicher auch nicht abgeneigt. Ein Schelm also, wer bei der Lektüre vom «Kulturinfarkt» Böses denkt. Ups, das war jetzt aber auch arg polemisch. Nichts für ungut. Denn am Ende ist vielleicht weniger wichtig, wie die Diskussion angestoßen wurde, als vielmehr dass sie angestoßen wurde. Und für Diskussionen wird das Buch sorgen.
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