Kultur neu erfinden

Veröffentlicht von Christian Holst am

«Wenn die Lösungen so einfach wären!» So der Stoßseufzer des Deutschen Kulturrats zu dem Vorschlag eines Autorenteams – bestehend aus Dieter Haselbach, Armin Klein, Pius Knüsel und Stephan Opitz – die Hälfte der öffentlich finanzierten Kultureinrichtungen dicht zu machen, um den «Kulturinfarkt» zu kurieren. Nachzulesen ist dieser Vorschlag in der aktuellen Ausgabe des Spiegels, kommende Woche erscheint ein Buch, das sich dem Thema ausführlich widmet.
Der Artikel beginnt mit einer zwar ziemlich pauschalen, aber doch zu einem guten Teil auch treffenden Diagnose: der kulturpolitische Grundsatz der 1970er Jahre «Kultur für alle!» sei gescheitert, Kultur in Deutschland wird zu sehr vom Angebot, zu wenig von der Nachfrage her gedacht. Mit Museen und Theatern würde die geistige Erbauung der ohnehin wohlhabendsten fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung subventioniert. Während allerorten der Trend zum mündigen, selbstbestimmten Bürger zu erkennen sei, halte die öffentlich finanzierte Kulturszene immer noch an dem Anspruch der «ästhetischen Erziehung des Menschengeschlechts» (Schiller) fest und meint, am besten zu wissen, was für andere gut sei. Der Ausbau der kulturellen Infrastruktur seit den 1970er Jahren sei «die letzte Offensive des vordemokratischen Modells des Kunstbürgers», das jetzt endgültig an seine (vor allem auch) finanziellen Grenzen stößt und zunehmend von privaten Anbietern abgehängt werde. Das ist alles recht polemisch, aber das soll es auch sein.
Noch polemischer wird es dann bei der Therapie: Die Autoren schlagen vor, die Hälfte der öffentlich subventionierten Kultureinrichtungen kurzerhand dicht zu machen. 70 statt 140 Theater, 3200 statt 6300 Museen, 4000 statt 8200 Bibliotheken. «Wäre das die Apokalypse?» Nein, natürlich nicht, muss man da antworten, aber die Frage ist auch nur rhetorisch gemeint. Das frei werdende Geld soll genutzt werden, so die Autoren, um der Kulturpolitik neue Handlungsspielräume zu verschaffen. Konkret schlagen sie vor, das freiwerdende Geld dazu zu nutzen,

  • die verbleibenden Einrichtungen besser auszustatten,
  • die Laienkultur wegen ihrer sozial integrativen Bedeutung zu fördern,
  • die Kulturindustrie, die nationale und internationale Ambitionen vereint, zu unterstützten,
  • die Hochschulen für Musik, Kunst und Design von Elfenbeintürmen zu Produktions- und Innovationszentrum zu reformieren und
  • die gegenwartsbezogene kulturelle Bildung zu stärken.

Das ist ambitiös. Und mal abgesehen davon, dass die finanziell besser ausgestatteten Institutionen in fünf oder zehn Jahren wieder vor genau den gleichen Problemen wie heute stehen würden, stelle ich die vorsichtige Vermutung an, dass zwei Milliarden schnell verbraucht sein werden, wenn man in diesen fünf Bereichen wirklich vorwärts machen will. Wie auch immer. Die Diskussion, die die Autoren anstoßen wollten, ist eröffnet und wird teilweise schon hitzig geführt.
Auf grundsätzlicher Ebene stellt sich aber die Frage, ob mit dieser Idee nicht das Pferd von hinten aufgezäumt wird, indem erst die Maßnahme gesetzt wird und dann Überlegungen angestellt werden, wohin diese Maßnahme führen kann. Das zumindest ist die Logik des Spiegel-Artikels und die ausgesprochen willkürlich gesetzte Marke von 50% lässt ebenfalls vermuten, dass es mehr um die Provokation als um eine brauchbare Vision für den Kultursektor geht. Zielführender wäre es wohl, zunächst die Vision zu entwickeln und dann die nötigen Maßnahmen zu deren Verwirklichung abzuleiten (dieses Vorgehen schlägt Armin Klein übrigens auch in seinem Buch «Der exzellente Kulturbetrieb» den Kultureinrichtungen vor, die er jetzt abschaffen möchte). Und zwar eine Vision die auf breiter Basis und durch einen offenen Prozess entsteht. Das heißt unter Einbezug von Kulturnutzern und -nichtnutzern, von Künstlern und Kulturschaffenden, Kulturfunktionären und Kulturpolitikern, die ihre Ideen und Vorstellungen eingeben, die wiederum von einer Kommission verdichtet und begrenzt werden. Vielleicht würde man dann sogar zu dem Ergebnis kommen, am besten alle Einrichtungen dicht zu machen?! Oder zu der Überzeugung, dass die deutsche Kulturlandschaft weltweit einzigartig ist und daher unbedingt konserviert werden sollte?!
Ganz nebenbei würde man bei solch einem Vorgehen auch das Geschmäckle vermeiden, das hängenbleibt, wenn im Elfenbeinturm des Professoren- oder Kulturfunktionärsbüros Ideen ausgeheckt werden, die die These beinhalten, die Hochkultureinrichtungen würden sich in ihren Elfenbeintürmen verschanzen. Es würde außerdem die 50% der Mitarbeiter in öffentlich finanzierten Kultureinrichtungen involvieren, die sich jetzt vor den Kopf gestoßen fühlen müssen, weil ihre Arbeit implizit als überflüssig bezeichnet wird. Da niemand weiß, welche 50% gemeint sind, fühlen sich wahrscheinlich sogar 100% vor den Kopf gestoßen – ob das so geschickt ist, wenn man wirklich etwas verändern möchte? Insofern kann ich mich der Frage nicht ganz erwehren, ob das Professorenteam die Kulturszene wirklich nach vorne bringen, oder nicht vor allem ein Buch verkaufen möchte, um das verfassungsgerichtlich als dürftig attestierte Professorengehalt etwas aufzubessern. Und den lukrativen Beratungsmandaten, die zu vergeben wären, wenn man die Vorschläge der Herren umsetzen würde, wären diese sicher auch nicht abgeneigt. Ein Schelm also, wer bei der Lektüre vom «Kulturinfarkt» Böses denkt. Ups, das war jetzt aber auch arg polemisch. Nichts für ungut. Denn am Ende ist vielleicht weniger wichtig, wie die Diskussion angestoßen wurde, als vielmehr dass sie angestoßen wurde. Und für Diskussionen wird das Buch sorgen.


8 Kommentare

Simon A. Frank · 14. März 2012 um 11:46

Hallo Christian,
Danke für den Artikel, ich glaube, so kann eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Kulturinfark-These beginnen. Ich bin zwar nicht überall Deiner Meinung, freue mich aber, dass sich hier nicht wie an vielem Stellen geschehen alles ein großes Missverständnis ist. Nur der letzte Absatz zum „Buchverkauf“ ist m. E. unfair. Als ehemaliger Mitarbeiter von Herrn Klein kenne sehe ich das aus einer anderen Perspektive. Er ist – wie seine drei Mitstreiter – „Überzeugungstäter“ (wie Axel Kopp, der bei Armin Klein Studierte, kürzlich treffend schrieb). Ich glaube, auch Dir würde es (genau wie mir) sehr nahe gehen, wenn jemand den Verdacht äußern würde, unser Engagement für diverse Kulturaktivitäten gehe es um Geld? Ich glaube es ist produktiver, über die Inhalte zu sprechen, oder?
Schöne Grüße,
Simon

Christian Holst · 14. März 2012 um 12:08

Hallo Simon, danke für deinen Kommentar. Ja, vielleicht ist der letzte Absatz unfair, ich kenne Herrn Klein und die anderen nicht persönlich und kann ihre Überzeugung daher nicht beurteilen. Ich habe den Artikel aber aus der Perspektive eines ehem. Mitarbeiters einer öffentlich finanzierten Kultureinrichtung gelesen und fand ihn da ebenfalls höchst unfair. In den Einrichtungen arbeiten zumeist auch Überzeugungstäter, die eine schlechte Bezahlung in Kauf nehmen, weil sie Freude an der Sache haben, die ohne weiteres sieben Tage die Woche 8 Stunden + X arbeiten. Ihnen zu unterstellen, sie wollten nur auf den Beamtenstatus hinaus und immer nur mehr Geld vom Staat, ist schlichtweg falsch und es ärgert mich, wenn solch eine Behauptung dann ausgerechnet von gut besoldeten Beamten kommt. Deswegen konnte und wollte ich mir diese Bemerkung nicht verkneifen. Außerdem: Ein Intendant oder Museumsdirektor, der den finanziellen Status Quo seiner Einrichtung nicht vehement verteidigt, also seinen Besitzstand wahrt, wie es in dem Artikel und andersowo bei Klein verächtlich heißt, der würde seinen Job doch schlecht machen. Das kann man ihm also schwerlich zum Vorwurf machen. Insofern finde ich den Ansatz der Autoren ungeschickt, diesen Personenkreis von vornherein zu verprellen. Denn das etwas getan werden sollte, sehen sicher die meisten Kulturschaffenden so. Warum sie also nicht mit ins Boot nehmen? Ich habe den Eindruck gewonnen, hier war die Provokation dann doch wichtiger als zu einem produktiven Prozess und Austausch «einzuladen», bzw. über die Inhalte zu sprechen, wie du es nennst. Deswegen dieser Absatz.
Nachtrag: Dass dieser Gedanke nicht völlig abwegig ist, zeigt ein Interview mit Harald Welzer, in dem er sagt: «Ich halte das, ehrlich gesagt, für eines dieser Bücher, die mit einer vollkommen entlegenen These und der Forderung radikaler Lösungen versuchen, Marktanteile zu kriegen.» Dagegen habe ich ja noch sehr vorsichtig formuliert, wenn ich vom «Geschmäckle» spreche.

Ganz abgesehen davon, ist es ja grundsätzlich in Ordnung, Geld verdienen zu wollen und deswegen die Dinge im Sinne eines guten Marketings pointiert auszusprechen. Irgendwann leidet nur leider die Glaubwürdigkeit.

Simon A. Frank · 15. März 2012 um 11:02

Hallo Christian,
dann würde ich sagen, dass wir nur eine unterschiedliche Ansicht haben, wann die „Glaubwürdigkeit“ leidet. Und auch im zweiten Punkt: Wenn Du deren Vorgehen als „unfair“ empfindest und deshalb begründest, selbst mit „unfairen“ Mitteln zu antworten – auch das ist Ansichtssache. Bei Sportveranstaltung bin ich eher Fan von Mannschaften, die besser spielen und gewinnen und nicht wie der Gegner foulen. Zudem halte ich Kleins vorgehen nicht für unfair. Ich kann zwar jetzt Deinen Unmut als ehemaliger Mitarbeiter einer Kultureinrichtung verstehen (den ich zuvor nicht so gesehen bzw. verstanden habe). Du hast schon Recht, dass die meisten Mitarbeiter kaum etwas dafür können und trotzdem vor den Kopf gestoßen werden, wo es sowieso schon schwer ist – aber leider lässt sich das nicht vermeiden. Wenn sich zeigt, dass es im Bergbau nicht mehr weiter geht, müssen die Zechen geschlossen werden – begleitet durch Umschulung und Schaffung neuer Arbeitsplätze, oder?
Schöne Grüße,
Simon

Christian Holst · 15. März 2012 um 11:19

Ja, es ist vielleicht nicht ganz fair gespielt, wenn man den Vergleich zum Fußball zieht, aber sowas passiert auch spielerisch gute Mannschaften kommen meist nicht ganz ohne aus. Es gibt einen Freistoß und das Spiel geht weiter, oder? Ich habe diesen Abschnitt ja deswegen auch bewusst als polemisch gekennzeichnet und gleich Abbitte geleistet. 🙂 Wie auch immer: der Gedanke, den ich dort äußere, hat sich aber offenbar nicht nur mir aufgedrängt, sondern auch anderen. Siehe den Link zum Interview mit Harald Welzer oder das Interview von Adrienne Göhler, dass du auf Facebook verlinkt hast (hier noch mal der Link), die sagt, dass diese Provokation narkotisiert, weil sie nur Gegenwehr erzeugt und vier „lebenslang durchsubventionierte Herren“ mit dem Ruf nach weniger Staat und mehr Markt und Eigenverantwortung vielleicht etwas zurückhaltender sein sollten.

Dirk Heinze · 15. März 2012 um 11:25

Dafür, dass einige Thesen bereits vor 1 Jahr auf kulturpolitischen Tagungen in Basel und Loccum breit diskutiert wurden, ist der Aufschrei der Verbände jetzt umso unglaubwürdiger. Es läuft mal wieder die übliche Debatten“kultur“ ab. Den 4 Autoren Unwissenheit vorzuwerfen ist erbärmlich, weil jeder weiß, dass sie in der Materie stehen. Das Buch, das noch nicht mal erschienen ist, ist bewusst ein Sach- und kein Fachbuch, wird also keine Anleitung zum Kulturabbau sein, sondern in der Tat provozieren. Nun mag man Provokationen grundsätzlich ablehnen, aber die Frage ist, wie die aus meiner Sicht notwendigen Veränderungen im Kulturbetrieb (vor allem ein Infragestellen der angebotsorientierten Kulturförderung) erreicht? Die zahllosen evolutionären Fachbücher bei transcript und dem VS Verlag haben es offenbar nicht geschafft. Dann muss eben die Revolution her. Kulturmanagement Network geht freilich auch eher evolutionär, durch die Vermehrung von Wissen und das Setzen von Denkanstößen, an die notwendige Reform des deutschen Kulturbetrieb heran.
Ich bin neugierig auf die Lektüre und kann nur raten, das Buch abzuwarten, bevor man sich unqualifiziert und unsensibel äußert. Was würde eigentlich passieren, wenn man die Hälfte oder alle Kulturverbände abschafft???

    Christian Holst · 15. März 2012 um 12:34

    Danke für den Kommentar, Dirk. Ich denke, die Autoren sind mit dem Spiegel-Artikel aus der Deckung gegangen und müssen sich jetzt auch dem wütenden Protest stellen. Denn dass der Artikel in etwa das auslösen würde, was er jetzt ausgelöst hat, müsste Klein & Co. klar gewesen sein. Es sind ja gar nicht mal nur die Verbände, die abblocken, sondern eine ziemlich breite Front von ebenfalls gestandenen Leuten, denen man ebenfalls nicht gerade Sachkenntnis absprechen kann (Stückl, Hollein, Göhler, Welzer etc.).
    Eine festgefahrene Sache mit Provokationen etwas aufzumischen, finde ich grundsätzlich nicht verkehrt. Adrienne Göhler meinte aber in einem Interview (Link s.o.), dass diese Provokation nicht aufmischen, sondern narkotisieren wird, weil sie nur Gegenwehr erzeugt und den Status Quo damit noch weiter zementieren wird. So erreichen die Autoren das Gegenteil von dem was sie wollen. Ist doch schade und ungeschickt. Und wie ich in meinem Artikel geschrieben habe: Wo ist die positive Vision, die Perspektive, die imstande wäre, die Kulturszene auf breiter Front mitzunehmen? Da haben Klein und Co. zumindest im Spiegel-Artikel weniger vorzuweisen, als Adrienne Göhler allein schon in dem 5-Minuten-Interview im Deutschlandradio aufzeigen kann. Meine Vermutung: wirksamer wäre es, bei den Stärken des deutschen Kultursystems anzusetzen, als bei seinen Schwächen. Wie du sagst, warten wir das Buch ab und schauen, ob es mehr bietet. Dass die Stoßrichtung eine grundlegend andere ist, als im Spiegel-Artikel, ist aber wohl nicht zu erwarten.

Simon A. Frank · 15. März 2012 um 18:10

@Christian Ja, na klar, dass sich der Gedanke aufdrängt ist verständlich. Und auch wenn ich von dem Statement von Frau Göhler in der Summe für peinlich halte – aber das haben wir ja schon auf Facebook diskutiert – kann ich Dir bzw. diesem Aspekt von Frau Göhler zustimmen: Es besteht die Gefahr, dass die Provokation „narkotisieren“ wirkt und das wäre wirklich schade.

@Dirk: Deshalb kann ich Deinen Worten nur zustimmen: Erstmal auf das Buch warten! Und der Hinweis auf das „Sachbuch“ bringt es auf den Punkt 🙂

kulturblog.net – Kulturunternehmertum, Teil 1: Theaterkalender PUCK · 1. Juli 2012 um 14:22

[…] gibt die einen, die den Zustand der Kulturszene von einflussreichen Stellen aus beklagen und ein paar lustige Verbesserungsvorschläge machen, die […]

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