Ästhetische Spekulationsblase
Das Entwickeln von Vision und Mission gehören zu den Basics von Leadership – auch im Kulturmanagement. Die Vision beschreibt einen für die Zukunft erwünschten Zustand eines Teams oder einer Organisation. Und zwar am besten in der Art und Weise, dass allen Beteiligten deutlich wird, warum es sich lohnt, Lebenszeit in die Verwirklichung dieser Vision zu investieren, d.h. durch unbescheidene Sinnüberhöhung des gesamten Vorhabens. Wer wäre nicht gerne dabei, wenn etwas Großes entsteht? Ein Paradebeispiel, wie visionäre Sinnüberhöhung erstaunliche Leistungen ermöglicht, ist Richard Wagners mit Hilfe vieler glühender Verehrer zustande gebrachtes Lebenswerk. Unter der Vereinigung aller Künste in einer Gattung, Festspielen allein für seine Werke und einer quasi-religiösen Aufwertung der Kunst ging es bei ihm nicht.
Obwohl ich Wagner bekanntermaßen durchaus schätze, frage ich mich, ob das Prinzip Sinnüberhöhung, so effektiv es sein mag, ein legitimes Managementmittel sein kann (nicht nur im Kulturbereich). Führt es nicht viel mehr früher oder später in eine Art ästhetischer Entsprechung zur Finanzkrise? Einer riesigen, spekulativen Blase ästhetischer Versprechungen, die durch die realen Werte nicht mehr gedeckt werden kann und damit früher oder später platzen muss? Noch mehr Festtage, Museen, Ausstellungen, neue Spielstätten etc., die ambitionierte Intendanten und Direktoren mit noch weniger Ressourcen auf die Beine stellen, weil sie nur so an den nächstwichtigeren Posten kommen. Auch dieses Anreizsystem ist fragwürdig.
7 Kommentare
Christoph Mathiak · 7. Oktober 2008 um 20:15
Das finde ich aber schon sehr pessimistisch! Die Gefahr der geplatzten Versprechen ist natürlich gegeben. Das ist aber bei allem Neuen so – schliesslich entsteht Neues ja aus Hoffnungen und Visionen. Die Garantie, dass die Ziele auch erreicht werden gibt es nie. Aber Du hast völlig recht, dass eine von vornherein überzogene Aufladung des Objektes mit Erwartungen sicherlich nicht zielführend ist.
Aber einen gewissen Optimismus darf man schon an den Tag legen (obwohl Optimismus ja bekanntlich häufig aus Unkenntnis der Sachlage entsteht – kleiner Scherz).
CH · 8. Oktober 2008 um 7:36
Gegen Optimismus habe ich gar nichts, nur gegen Tatendrang, der ins Leere läuft. Kultur finden immer alle gut, deswegen wird kaum je die Frage gestellt: Brauchen WIR das eigentlich oder braucht das jemand, um sich zu profilieren? Das ist aber sicher meistens auch eine Gratwanderung, denn wenn man immer nur anpeilt, was sowieso erreichbar ist, dann wird man sich kaum von der Stelle bewegen.
Christian Henner-Fehr · 11. Oktober 2008 um 15:45
Das Problem ist doch, dass ein Festival nach dem anderen kreiert wird, ohne Ziele und Visionen zu haben. Insofern besteht meiner Ansicht nach das Problem darin, dass die Vision fehlt, also genau das Gegenteil.
Außerdem: glaubst Du wirklich, dass man die (künstlerischen und ästhetischen) Visionen Wagners wirklich mit denen vergleichen kann, die Bestandteil des (Projekt)-Managements sind?
In künstlerischer Hinsicht mag der Begriff der Sinnüberhöhung gerechtfertigt sein. Im (Projekt)-Management geht es da ganz profan um die Frage nach dem Warum. Sind das „Warum“ und die „Sinnüberhöhung“ ident?
CH · 11. Oktober 2008 um 22:51
Führung oder Leadership besteht doch darin, die Frage nach dem Warum so zu beantworten, dass jedem im Team klar ist, warum er gerade in dieses Projekt Lebenszeit investieren soll. Wenn man es zugespitzt ausdrückt, geht es dabei also um nicht weniger als den Sinn des Lebens. Wenn es gelingt, ein klares »Darum!« zu formulieren und die Außerordentlichkeit und das Besondere des Projekts seinem Team vermitteln kann, hat man eine Voraussetzung geschaffen für außerordentliche Leistung. Ich glaube, da gibt es keinen Unterschied zwischen Kunst und Projektmanagement. Auch Obamas Erfolg und die 2006 von Klinsmann erzeugte WM-Euphorie basieren z.B. auf diesem Prinzip. Natürlich geht es jeweils um andere Inhalte, aber die Führungsprinzipien, die dahinter stehen, sind die gleichen.
Christian Henner-Fehr · 12. Oktober 2008 um 21:06
Ok, mir klang der Begriff der Sinnüberhöhung zu pathetisch, aber mit Deiner Erklärung kann ich sehr gut leben. Da hast Du Recht.
Und wie oft wird die Frage nach dem „warum“ beantwortet? Sind es zuviele oder zu wenig Antworten?
CH · 18. Oktober 2008 um 15:27
Der Begriff ist sicher auch pathetisch. Aber Obama ist doch ein gutes, eindrückliches Beispiel, wie mit dieser Sinnüberhöhung erfolgreich gearbeitet wird. Er kann vermitteln, dass seine Wahl eine epochale Wende, einen hochinspirierten Neuanfang bedeuten würde. Das ist weit mehr, als er als Präsident inhaltlich wird einlösen können und viele Kommentatoren weisen derzeit daraufhin, dass die Ernüchterung sehr drastisch ausfallen könnte.
Christian Henner-Fehr · 18. Oktober 2008 um 21:50
Klar, dass es diese Sinnüberhöhung gibt und sie immer wieder eingesetzt wird. Aber ich denke, man kann das nicht verallgemeinern. Obama setzt sie gezielt ein, um ein ganz konkretes Ziel zu erreichen. Im Projektmanagement ist man da wahrscheinlich weniger erfolgreich mit.