Angeregt durch die Blogger-Kantorei auf Tinos Blog und die bevorstehende Aufführung des Bremer Domchores, habe ich mir nach längerer Zeit mal wieder die Matthäus-Passion zu Gemüte geführt. In der Aufnahme von Helmuth Rilling aus den 90er Jahren, die wirklich sehr empfehlenswert ist. Rillings Orchester spielt auf modernen Instrumenten, die Chöre sind relativ groß, aber das macht überhaupt nichts. (Zumindest nicht, so lange es keine Einspielung von René Jacobs gibt.) Denn einerseits lässt Rilling die Musik ganz im Sinne der Klangrede sprechen und andererseits ist der Klang kraftvoll und präsent, was man bei historischen Instrumenten nicht immer der Fall ist. Auch sängerisch ist die Aufnahme ziemlich hochkarätig. Besonders großartig ist die Sopranistin Christiane Oelze, z.B. in der hinreißenden Arie »Ich will dir mein Herze schenken«, sehr gut sind Michael Schade als Evangelist und Matthias Görne als Jesus. Thomas Quasthoff als Arien-Bass fällt für meinen Geschmack etwas aus der Reihe. Bin einfach kein Fan seiner Stimme – zu flach, zu kalt – und schnell genervt von seiner streberhaften Deklamation. Nichtsdestotrotz finde ich, dass gerade die Bass-Arien zu den schönsten Stücken der Passion gehören, insbesondere »Mache dich, mein Herze, rein«. Die Gächinger Kantorei singt auch auf hohem Niveau und mit hoher Präzision, die besonders in den dramatischen Stellen der Passion eindrucksvolle Schlagkraft entwickelt. Zum Beispiel bei »Sind Blitze, sind Donner« und vor allem bei den Turba-Chören (»Sein Blut komme, über uns«, »Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen«).
Kategorie: Musik
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Ick bin ein Berliner Philharmoniker!
Einmal Solo-Cellist der Berliner Philharmoniker sein? Das Web macht es möglich. In einem kleinen Online-Spiel kann man den Schwan aus Saint Saëns Karneval der Tiere spielen. Je geschickter man den Bogen führt, umso besser klingt es. Zum Glück muss man nicht auch noch greifen.
Ich habe 3622 Punkte erreicht und folgendes schmeichelndes Urteil zu meinem Spiel erhalten:
Bravo. Bellisimo. Genieße den Applaus. So schnell kann es im Internet gehen: Gestern musstest Du noch Aliens durchs interplanetare Vakuum jagen. Und schon heute kannst Du Dich als gefeierter Kulturträger zu Ruhe setzen. Es sei denn, Du suchst nach Perfektion. Dann probiers noch mal.
Ich bin eben doch ein guter Cellist, nur nicht im echten Leben.
Gefunden beim Kulturmanagement-Blog.
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Nochmal Karajan
Ich gehöre nicht direkt zu den Karajan-Fans, aber es ist ganz faszinierend zu sehen, wie er probt, hier Schumanns 4. Symphonie mit den Wiener Symphonikern. Er weiß genau, was er will, hat klare und präzise Vorstellungen von dem, was er hören möchte, und er kann sie klar und anschaulich vermitteln. Etwas anstrengend finde ich allerdings sein überkandideltes Gehabe.
Verwandter Artikel:
100 Jahre Karajan -
Dudamel rollt roten Teppich aus
Gestern hatte ich Gelegenheit in der Staatsoper Berlin Gustavo Dudamel zu erleben. Dudamel hat als Dirigent des Simón Bolívar-Jugendorchesters eine außerordentliche Karriere hingelegt und ist seit kurzem groß im Geschäft mit Vertrag bei der Deutschen Grammophon, Gastdirigaten an den großen Opernhäusern und großen Orchestern, derzeit einem Chefposten bei den Göteborger Symphonikern und ab 2009 beim Los Angeles Philharmonic.
Mein Eindruck war allerdings eher der vom grundsoliden Kapellmeister als der vom »charismatischen Pultstar«, was im Großen und Ganzen für Dudamel spricht. Er dirigierte La Bohème sehr präzise, konzentriert und souverän und sah seine Aufgabe offenbar vor allem darin, den Sängerinnen und Sängern den roten Teppich auszurollen. So wurde es eine feine, dezente Bohème auf hohem Niveau. Allerdings fehlte so auch der Funke Inspiration, den ein Pultstar, kaum aber ein Kapellmeister entzünden kann.
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100 Jahre Karajan
Herbert von Karajan wäre dieses Jahr 100 Jahre alt geworden. Deswegen liest (und hört und sieht) man zur Zeit aller Orten über ihn. Unter anderem im aktuellen Heft ZEIT Geschichte, wo auf 96 Seiten dem »Wunder Karajan« nachgegangen wird.
Der interessanteste Artikel ist sicher das Interview mit Nikolaus Harnoncourt, der als junger Cellist unter Karajan gespielt hat und später zu dessen Antipoden hochstilisiert wurde. (Naja, in musikalischer Hinsicht war er es auch.) Ein bisschen behämmert wirkt es, wie die Interviewer unermüdlich versuchen, eine große Kluft zwischen Harnoncourt und Karajan herbeizureden. Harnoncourt dagegen spricht mit großem Respekt vom Super-Maestro und dass es ein paar Missverständnisse gegeben habe, die durch Medienberichterstattung zustande gekommen seien. Ebenfalls interessant finde ich den Artikel von Peter Gülke, der versucht, das Besondere an Karajans Kunst zu definieren. Andere Artikel sind dagegen leider völlig belanglos, etwa Christine Lemke-Matweys Spurensuche in Berlin oder Wolfram Görtz‘ Portrait, und beide ärgerlicherweise auch noch ein einem selbstgefälligen Bescheidwissertonfall geschrieben. Immerhin sehr unterhaltsam ist Klaus Umbachs Artikel über Karajan und das liebe Geld.
Schließlich kommen auch ein paar Zeitzeugen zu Wort, darunter Anne-Sophie Mutter, Christa Ludwig und Christian Thielemann. Sie bilanzieren Karajans künstlerisches Vermächtnis etwa so: seine Bach- und Mozart-Interpretationen sind nichts, sein Beethoven ist in Ordnung und wirklich gut sind sein Wagner, Bruckner, Strauss und Debussy. So sieht es aus.
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Smoke on the Griffbrett II
Eric Clapton hebt zum Solo an, lässt die Gitarre jaulen – und je schlimmer es klingt, je weniger Töne er trifft, umso verzückter schaut Clapton in die Menge, dann an die Decke, den Kopf in den Nacken gelegt, die Augen halb geschlossen.
Ja, so ist das bei Clapton. 😉 Tatsächlich geht es in dem Spiegel-Online-Artikel, aus dem das Zitat stammt, jedoch um den Finnen Santeri Ojala. Dessen Hobby ist es, Musikvideos von sog. Gitarrengöttern mit einigermaßen fingersynchronen Geschmacksproben seiner eigenen, nicht sonderlich weit entwickelten gitarristischen Fähigkeiten zu unterlegen.
(Hört ihr den Unterschied zum Original? Also, ich nicht. 😉 ) Diva Yngwie Malmsteen jedenfalls versteht da keinen Spaß und geht wegen Urheberrechtsverletzung gegen Ojalas Clips vor. Steve Vai bewies natürlich etwas mehr Humor und meinte:
Wenn ich so schlecht spielen würde, könnte ich es vielleicht endlich zu MTV und in den ‚Rolling Stone‘ schaffen und eine richtige Karriere haben.
Tja, Pech gehabt, Steve. Der Werbeblogger, wo ich auf das Thema gestoßen bin, rät den Betroffenen ebenfalls zu entspannterem Umgang mit dem Thema und liefert gleich Ideen, wie sich der Spieß nutzbringend umdrehen ließe.
Nachtrag, 20.2.: Hier gibt es weitere Geschmacksproben Was hat Malmsteen bloß? Es ist definitiv der witzigste Spot von allen! Danke, Frank, für den Link!
Verwandter Artikel:
Smoke on the Griffbrett I -
Zwangsweise Patriot
Scheinbar haben viele Länder ihre Sorgen und Nöte mit ihren Nationalhymnen. Spaniens Hymne hatte bislang keinen Text und wird, wie es aussieht, auch weiterhin keinen haben. In der Schweiz gibt es zwar einen Text, aber was für einen! Kein Wunder also, dass eine Initiative dafür eintritt, einen neuen Text zu erfinden. Mein Vorschlag: Wenn man schon dabei ist, auch gleich neue Musik dazu! Das ist doch überhaupt kein Vergleich mit der deutschen Hymne, die zwar aus verständlichen Gründen auch nicht unumstritten ist, die aber, zumindest in der prachtvollen Interpretation von Herbert von Karajan und den Berliner Philharmonikern, zum Patriotismus förmlich zwingt. 😉
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Beethoven groovt
Ich finde es sehr traurig, dass es eine Barriere gibt zwischen der klassischen Musik und dem, was junge Leute hören.
klagt Paavo Järvi, Chefdirigent des HR-Sinfonieorchesters, und hat deswegen das Music Discovery Project ins Leben gerufen. Ich persönlich vermute zwar, dass die Barriere z.B. zwischen Techno und Heavy Metal sehr viel größer ist als die zwischen Klassik und Pop, aber das soll hier mal dahingestellt bleiben.
Järvi jedenfalls hat im Rahmen dieses Music Discovery Projects mit dem Musikproduzenten Mousse T. zusammen ein Programm konzipiert mit dem Titel A Taste of Beethovens 5th. Dieser Titel trifft es recht gut. Ich finde, diese Stücke mit den Beethoven-Samples sind originell und gut gemacht. Auch die Idee, das ganze um nicht-musikalische »Performances« zu (Tanz, Video) erweitern, ist nicht schlecht. Auf jeden Fall macht es Spaß, sich die Aufzeichnung des Konzerts anzugucken. Damit ist ja schonmal viel gewonnen.
Mir ist allerdings die musikpädagogische Strategie nicht so ganz deutlich. Möchte man auf diese Weise mittelfristig dahin kommen, dass Mousse T.-Fans in ganz normale Sinfoniekonzerte gehen, wo Beethoven dann nicht mehr so groovt? Ich bezweifle, dass dieser Plan aufgeht. Oder reicht es dem Orchester, junge Leute zu erreichen, indem es Klassik-Versatzstücke zu Musik beisteuert, die diese eigentlich hören wollen? Das kann auch nicht der Anspruch eines Kulturorchesters sein.
Nachtrag, 18.2.: In der FR gab es heute eine Besprechung zu dem Event mit etwa gleichen Erkenntnissen.
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Mozart mal so
Nachdem ich neulich von René Jacobs Einspielung des Weihnachtsoratoriums geschwärmt habe, möchte ich heute über seine Don Giovanni-Aufnahme
schwärmen. Sie ist ein Beweis für meine gestrige These, dass gute Musik vor allem auch eine Frage der Interpretation ist. Bei Jacobs erübrigt sich jedenfalls die Frage, ob es unbedingt noch eine weitere Aufnahme von diesem Werk geben muss, an dem sich mittlerweile ja auch schon etliche Alte Musik-Experten abgearbeitet haben. Im Unterschied zu denen kann Jacobs sich aber alles Rechthaberische verkneifen. Sein Ansatz klingt nach: »Warum nicht mal so?« Und als Zuhörer denkt man: »Ja genau, warum nicht mal so?«
Ein Beispiel: Die berühmte Champagner-Arie dirigiert Jacobs ungewöhnlich langsam. Normalerweise wird sie zum Bravourstück für den Dirigenten, mit dem er zeigen kann, bei welch enormen Tempo er Orchester und Sänger noch zusammenhalten kann. Jacobs dagegen gibt der Arie durch das langsame Tempo eine tänzerische Leichtigkeit die zeigt, dass Don Giovanni nicht nur skrupelloser Draufgänger, sondern auch ein charmanter Verführer ist.
Wenig rechthaberisch wirkt Jacobs Aufnahme auch aufgrund der vokalen Improvisationen und Freiheiten in der Tempogestaltung, die natürlich nicht zwingend, aber immer sehr sinnfällig sind. Im Booklet erfährt man, dass Mozart es »für phantasielos und grob gehalten« hätte, auf solche Verzierungen und Freiheiten wie heute meistens üblich zu verzichten. Zurecht muss man sagen, wenn man Jacobs Aufnahme kennt! Denn hier werden beispielsweise die Themen der Arien immer wieder in der Rezitativbegleitung aufgegriffen, wodurch sozusagen interne Links geschaffen werden. Ein anderes schönes Beispiel ist Zerlinas »Batti, batti«-Arie, in der sie ihren Verlobten zu überzeugen versucht, dass er zu unrecht eifersüchtig ist. Die mal scharfen, mal schmeichelnden Verzierungen und Vorschläge der Sängerin und ungewohnt gesetzte Akzente im Orchester machen dabei deutlich, dass Zerlina nicht bloß sanft-devotes Gesäusel von sich gibt (»Wie ein Lämmchen will ich deine Prügel erwarten«), sondern es sich dabei um berechnende Koketterie handelt. Man muss Zerlina also nicht zur Pornodarstellerin machen, um das rüber zu bringen. 😉
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Smoke on the Griffbrett
Das Riff des Deep Purple-Songs »Smoke on the Water« ist eins der bekanntesten und meistgespielten Gitarrenriffs überhaupt. Und weil es so simpel ist, dass wirklich jeder angehende Rocker es spielen kann, gilt in den meisten Gitarrenläden ein per Aushang verhängtes Spielverbot. Eine verständliche Reaktion der Ladenbesitzer, die allerdings durch neue fragwürdige Auswüchse kompensiert wird: (am besten vorspulen bis 1:58)
Man erkennt sofort die zwingende Notwendigkeit der Verbotsschilder. Allerdings sollten sie abgehängt werden, sobald Gitarrenfreak Mattias Ia Eklundh den Laden betritt, denn seine Neuinterpretation des Songs ist einfach sensationell und zeigt, das gute Musik vor allem auch eine Frage der Interpretation ist. In voller Länge ist der Song zu hören auf dem Album Freak Guitar
, dessen Titel man kaum ernst genug nehmen kann. 😉