Christian Holst

Kulturmanagement :: Digitale Transformation :: Künstliche Intelligenz


Kategorie: Musik

  • Vai in der Tube

    Vor ungefähr zehn Jahren gab es eine Zeit, in der jede Metalband, die etwas auf sich hielt, ein Album mit Orchester machte: Metallica, Yngwie Malmsteen, Deep Purple nahm ihr Concerto for Orchestra noch einmal auf, die Scorpions machten was mit den Berliner Philharmonikern usw. usf.

    Steve Vai war damals nicht dabei, aber bastelt jetzt gerade an einem Album bzw. einer DVD mit Orchester. Auf dem letzten Album gab es mit »Lotus Feet« bereits einen kleinen Vorgeschmack, der zwar orchestermäßig nix besonderes, aber immerhin ganz nett war. Ordentliches Filmmusikniveau. Jetzt habe ich gerade noch einen Vorgeschmack auf youtube entdeckt, den ich allerdings ziemlich enttäuschend fand:

    Der ganze Song ist einfach für Orchester uminstrumentiert. Der Anfang klingt wie »El Condor Pasa« für Arme und ab Einsatz der Gitarre produziert das Orchester dann eigentlich nur noch Hintergrundgeräusch. Schade, dass Stevie sich für sein Orchesterprojekt nicht etwas mehr von seinem Mentor und Lehrer Frank Zappa und z.B. dessen Album »Yellow Shark« hat inspirieren lassen. Wäre etwas anderes gewesen, als der 112. Rocker, der was mit Orchester macht und insofern Vai eher würdig gewesen. Naja, mal das Album abwarten.

    P.S.: Hm. Sorry für die Überschrift. Vielleicht doch lieber wieder Zahlen?

  • Ganz großes Kino

    Zugfahrt gestern: Der Pate III. In der Kritik kommt dieser Film ja nicht so gut weg, irgendwo habe ich gelesen, Coppola habe ihn nur gemacht, weil er Geld brauchte. Ich muss aber sagen, dass ich das dem Film nicht angemerkt habe. Ich finde sogar, er ist fast der beste der Reihe, zumindest besser als der mit Oscars überhäufte Teil II. Die Story mit dem Vatikan ist vielleicht nicht so der Knaller, weil ein bisschen spekulativ und an den Haaren herbeigezogen. Toll ist aber, wie hinter all der Skrupellosigkeit die Tragik gezeigt wird, wie die Menschen charakterlich zerbröckeln, vor allem natürlich Michael Corleone; wie ihm die Endgültigkeit und Unentrinnbarkeit seiner Fehler und Entscheidungen langsam bewusst wird. Absolut grandios finde ich den Schlussteil, wo sich diverse Ermordungen der Feinde der Familie mit Einblendungen einer Aufführung von Cavalleria Rusticana abwechseln, während der ein Anschlag auf Michael Corleone ausgeübt werden soll. Das ist wirklich spannend und einfach wahnsinnig virtuos in Szene gesetzt. Bei all dem nicht zu vergessen natürlich die geniale Filmmusik von Nino Rota und Carmine Coppola. (Francis Coppola machte es ja nicht viel anders als die Mafia und brachte seine halbe Familie auf der Gehaltsliste der Paten-Trilogie unter.)

  • Erstaunlich sakral

    Vergangenen Samstag bekam die Zürcher Oper eine zweite Chance. Es gab Parsifal, Inszenierung Hans Hollmann, von dem ich noch nie was gehört hatte, musikalische Leitung Bernard Haitink, den ich endlich einmal hören wollte. Auch wenn die Inszenierung sehr abstrakt war, hat sie mir unterm Strich doch ganz gut gefallen. Erstaunlich war nämlich, dass die sakralen Handlungen, die sonst meist dem aufklärerischen Anspruch des Regisseurs zum Opfer fallen, allesamt sehr konkret gezeigt wurden. Bei der ersten Gralsenthüllung wurden tatsächlich Wein und Brot ausgeteilt, im dritten Aufzug gab es eine echte Fußwaschung, eine echte Salbung etc. Ironischerweise ist eine solche (zumindest im Ansatz) »buchstabengetreue« Umsetzung mittlerweile viel verstörender und provozierender, als das ehrwürdige Bühnenweihfestspiel in einem Bahnhofsklosetting o.ä. spielen zu lassen.

    Wirklich großartig waren auch die Lichteffekte, die einen großen Reiz der Inszenierung ausmachten. Die Verfolger waren absolut präzise, durch geschicktes Abdimmen verschwanden Personen einfach im Nichts oder traten nur als Schemen in Erscheinung. Auch die Szene der Blumenmädchen war auf einem sehr gelungenen Lichteffekt aufgebaut: Sie waren dunkel gekleidet und trugen farbige, reflektierende Tafeln vor sich her, die in der Gesamtwirkung ein zwar abstraktes, aber sehr eindrucksvolles Blumenmeer in der ansonsten fast komplett schwarzen Bühne bildeten.

    Das Orchester unter Haitink war phänomenal, insbesondere wenn man bedenkt, dass es sich lediglich um eine Wiederaufnahme handelte mit vermutlich entsprechend wenig Proben. Da stimmte einfach alles. Die großen Partien waren zwar mit hochkarätigen Leuten besetzt, die aber teilweise nicht gerade ihren besten Tag erwischt hatten.

    Nichtsdestotrotz: Chance genutzt.

  • Wink mit dem Lattenzaun

    Um hier die Reihe meiner Opernkommentare fortzusetzen, ein kleiner Bericht aus dem Berner Stadttheater, wo ich vorgestern Le Nozze di Figaro sah. Die Vorstellung begann damit, dass kreischende Choristinnen Flugblätter aus den Rängen ins Parkett warfen, auf denen die Abschaffung des Rechts der ersten Nacht gefordert wurde. Aus dieser Forderung ergeben sich nämlich die zahlreichen Konflikte und Intrigen der Oper. (Eine Tatsache übrigens, die eine plausible Aktualisierung der Handlung praktisch unmöglich macht.) Um dies noch einmal zu verdeutlichen, blickte man während der Ouvertüre auf die Projektion eines entblößten, jungfräulichen Schoßes. Das war aber auch schon die einzige originelle Idee des Abends, die immerhin noch bis zur Pause im Bühnenbild präsent blieb. Dies bestand nämlich aus zwei Seitenwänden, die nach hinten auf einen gemeinsamen Fluchtpunkt zuliefen. Vor diesem befand sich ein schmaler Durchgang, auf den sich alles Rein-raus konzentierte. Dr. Freud winkt mit dem Lattenzaun.

    Ansonsten erschöpfte sich die Regie in gepflegtem Rampenstehtheater. Anstatt den überschäumenden Witz der Musik auch szenisch umzusetzen, nahm der Regisseur (Stephan Müller) nur die Gags mit, die auch wirklich nicht zu verfehlen sind und platzierte den ein oder anderen unmotivierten Einfall. Z.B. ließ er Figaros Arie im vierten Akt vor geschlossenem Vorhang und bei erleuchtetem Saal spielen. Die Sänger waren durch die Bank sehr gut, da gab es gar nichts zu mäkeln, und verfügten allesamt auch über die für diese Oper unabdingbare optische Attraktivität.

    Fazit: Also, weh getan hat’s nicht, aber eine gute Figaro-Inszenierung sieht definitiv ganz anders aus.

  • Frauenmusik zum 30.

    Ich habe an dieser Stelle schon mehrfach eine Lanze für den Schlager gebrochen. Bastian Sick tut das an anderer Stelle derzeit übrigens auch. Und zwar für Udo Jürgens, dessen Schlager er für ihre gediegene Sprache – na klar – bewundert. Das ist in der Tat bewundernswert, denn Udo Jürgens ist mittlerweile Schweizer und das sind ja die, wo so merkwürdig »schnurre« ;). Nichtsdestotrotz fehlt mir bei ihm die entscheidende Zutat für wirklich gelungenen Schlager, nämlich Selbstironie.

    Deswegen lautet meine Empfehlung der Woche: Ina Müller. Deren CD ist mir neulich in die Finger geraten. Eigentlich handelt es sich bei der Musik zwar nicht im engeren Sinne um Schlager und außerdem ist es ziemliche Frauenmusik (von wegen Orangenhaut und so), aber sehr witzig und gefällig. Die Texte drehen sich viel um das frühe Älterwerden, also genau das Richtige, um sich auf seinen 30. Geburtstag einzustimmen.

  • McKinsey im Theater

    In der Februar/März-Ausgabe von crescendo gibt es einen Bericht über das neue Marketingkonzept der Frankfurter Oper, das McKinsey-Berater über »mehrere Monate« mit Mitarbeitern der Oper entwickelt haben. Natürlich ist es recht opportun, ins McKinsey-Bashing einzustimmen, aber nach dem Bericht zu urteilen, sind die Beratungsergebnisse doch erstaunlich konventionell.

    Laut dem Artikel empfahlen die Berater der Oper nämlich etliche Dinge, auf die andere Theater auch ohne externe Berater längst gekommen sind: z.B. unkonventionelle Preisgestaltung. Oper zum Kinopreis – gab es während meines Praktikums 2001 schon an der Staatsoper Berlin. Oder ein farbiger Monatsleporello, der nicht mit anderen Kulturinstitutionen geteilt wird. »Darüber hinaus wurde die Internetseite nutzerfreundlich umgestaltet. Neu sind: eine übersichtliche Gliederung, interaktive Elemente und einladende, warme Farben«. Na, das hat aber gedauert! Die Interaktivität der Seite beschränkt sich im Wesentlichen übrigens auf ein Gästebuch, das immerhin ganz niveauvoll genutzt wird. Am innovativsten ist noch der Einsatz von Viralem Marketing, wobei hierzu wenig Konkretes verlautbart wird. Beim Lesen dieses Artikels, der immerhin von den Beratern selbst geschrieben wurde, drängt sich daher die Frage auf: Wofür bekommt eigentlich der Leiter der Öffentlichkeitsarbeit sein Geld?

    Ich frage mich auch: Warum kommen hochkarätige McKinsey-Leute nicht auf die Idee, konsequent die Möglichkeiten des Online-Marketings in ihrem Konzept zu berücksichtigen? Hier tun sich Möglichkeiten auf, die von Kulturinstitutionen bislang praktisch nicht genutzt werden. Corporate Blogs zum Beispiel sind für Theater wie geschaffen, weil es deren Kerngeschäft ist, Geschichten zu erzählen. Unternehmen wie VW haben es da viel schwerer, denn sie müssen erst eine Geschichte erfinden und einen Bezug zum Produkt herstellen. Trotzdem (oder gerade deswegen?) sind sie viel einfallsreicher. Keine Rede auch von so einfachen und banalen Dingen wie Google Adwords, Community Marketing, social bookmarking, ebay oder Second Life.

    Theater legen einen geradezu neurotischen Wert darauf, »heutig« rüber zukommen. Aber in Sachen »heutige Medien« haben sie den Schuss noch nicht gehört. Und McKinsey auch nicht.

  • Pelleas in Bremen

    Ich mag Bremen ja, fühle mich hier zu Hause und leide mittlerweile schon mit Werder mit, weil sie gerade den Anschluss in Sachen Meisterschaft verpassen. Aber gute Oper kann man hier nicht sehen. Zuletzt musste ich das in Pelleas et Melisande feststellen. Eine Inszenierung von Konstanze Lauterbach, einer Schauspielregisseurin, deren Herangehensweise von wenig Gespür für die Musik getrübt war. Die Subtilität und Uneindeutigkeit der Handlung und der Musik fanden sich in der grobmotorischen Bildersprache (vgl. Wikipedia, dort ist von »reicher, artifizieller Körpersprache« die Rede) überhaupt nicht wieder.

    Stattdessen war die Welt von Pelleas und Melisande als ramponierte Kinderwelt angelegt, die von bösen Erwachsenen immer weiter demoliert wurde, was bei den Liebenden verheerenden psychischen Schaden anrichtete. Mal abgesehen von der Frage, was dieser Ansatz über das Stück sagt, fehlte der Inszenierung insgesamt die Linie. Es reihte sich ein geistreicher Regieeinfall an den nächsten und dröselte dem Zuschauer das Stück so anhand einer Folge von szenischen Nummern auf.

    Musikalisch war es für eine nicht mehr ganz premierennahe Abonnementsvorstellung immerhin recht ordentlich. Zwar spielte das Orchester den Farben- und Facettenreichtum der Partitur nicht aus, aber insgesamt konzentriert und präzise. Die Hauptpartien waren durchaus sehr gut besetzt, insbesondere Nadine Lehner als Melisande war stimmlich und darstellerisch sehr präsent und überzeugend.

    Dennoch: nach dem dritten Besuch und der dritten Enttäuschung bin ich jetzt doch gespannt auf die neue Intendanz. Eigentlich kann es nur besser werden.

  • Wolf im Schafspelz

    Gute Popmusik zeichnet sich für meinen Geschmack durch in raffinierte Arrangements gekleidete, einschmeichelnde Melodien aus sowie durch Texte, die ihre eigene Banalität mit einem wissenden Augenzwinkern bedenken. Ein Kriterium, das übrigens erstaunlich viele Schlager erfüllen, weswegen deren Ruf in meinen Augen zu Unrecht so schlecht ist. Man denke z.B. einmal an »Zwei kleine Italiener« oder »Er hat ein knallrotes Gummiboot«. Und über Im Wagen vor mir habe ich mich an dieser Stelle bereits ausgelassen. Hier mag man zwar nicht von einem raffinierten Arrangement im engeren Sinne sprechen, aber wie gesagt hielt ich das Lied zuerst für eine gelungene Parodie. Ob es das sein sollte, kann man wohl bezweifeln, aber Kunstwerke sind ja mitunter größer als ihre Schöpfer ahnen.

    Aber genug vom Schlager. The Beautiful South ist eine Band, die nach der obigen Definition perfekten Pop machen, weil sie es damit auf die Spitze treibt. Ihre Songs sind allesamt Wölfe im Schaftspelz, denn die süffigen Ohrwürmer bringt man zunächst kaum mit den sarkastischen Texten zusammen. Zum Beispiel klingt Song for Whoever beim ersten Hinhören nach einem hübschen 08/15-Liebeslied. Wenn man auf den Text hört merkt man: das soll es auch. Denn es geht um all die erfundenen Mädchen, die in all den Unmengen von Liebesliedern besungen werden, mit denen die Sänger auf das große Geld hoffen. Oder Perfect 10. Klingt eher nach harmloser guter Laune, als nach einem anspielungsreichen und etwas anzüglichen Lied über verschiedene Vorlieben, was die Größe bestimmter Körperteile angeht. Don’t marry her ist eine eindringliche Warnung vor der Ehe, Rotterdam ein Spottlied auf alle langweiligen Städte und deren Einwohner. Aber immer in unschuldige, gefällige Musik eingebettet. Sehr charmant. Prädikat: empfehlenswert.

  • Musik als Sport

    Ach, hätte ich doch etwas mehr geübt! Am besten gefällt mir aber eigentlich dieses unbestechliche Pokerface zu dieser Fingergymnastik für Fortgeschrittene.

  • Fünf Mal Spätromantik

    Neulich wurde ich gefragt, welche (klassische) Musik man denn meiner Meinung nach kennen sollte. Ich habe mich daraufhin entschlossen, eine kleine Reihe einzuführen und dem geneigten Hörer die aus meiner Sicht wichtigsten oder schönsten Werke bestimmter Gattungen zu empfehlen. Heute: Spätromantik. Was die Berge in geographischer Hinsicht sind, ist die Spätromantik in musikalischer Hinsicht: sie hat es leicht, Eindruck zu schinden.

    (1) Es gibt kein größer besetztes, farbenprächtigeres Werk in der gesamten Literatur als Schönbergs Gurrelieder und insofern kein besseres Beispiel für das, was Spätromantik ausmacht. Jaja, Gustav Mahlers Achte wurde unter Mitwirkung von mehr als 1.000 Personen uraufgeführt, aber diese Masse ist letztlich ohne musikalische Bedeutung. Genauso in Berlioz‘ Requiem mit 300 Pauken und 4.000 Sängern (oder war es das Te Deum?). Da geht es eigentlich nur um Krach. Die 10 Hörner, 8 Flöten, 4 Harfen und 10 Schlagwerker usw., die die Gurre-Lieder erfordern, haben nicht einfach den Zweck, Masse zu produzieren, sondern Farbe zu erzeugen. Masse ist freilich ein zwangsläufiges Resultat.

    (2) Mahlers Lied von der Erde gehört zu meinen absoluten Lieblingsstücken. Zu soviel Weltschmerz und Melancholie gibt es eigentlich gar nichts weiter zu sagen. Ich konnte mich nicht recht entscheiden, ob nicht Mahlers 9. Sinfonie die Erwähnung verdient, also im Zweifel beides hören.

    (3) Tristan und Isolde gilt gemeinhin als Anfang des Endes der tonalen Musik (ich sag nur Tristan-Akkord!), auch wenn einige Schlaumeier (wie ich) wissen, dass sich z.B. Wagners Schwiegervater Franz Liszt in einigen Werken bereits deutlich jenseits der Tonalität bewegte. Auch hier wieder die typischen spätromantischen Zutaten: sehrende Leidenschaft, dunkle Nacht, unglückliche Liebe, unvermeidlicher Tod und exzessiver Klangrausch.

    (4) Gerade höre ich Die tote Stadt von Korngold, der auch die sehr schöne Oper Das Wunder der Heliane komponiert hat. Eigentlich war zu seiner Zeit die Spätromantik schon vorbei, aber weil’s ja so schön war, ist das völlig in Ordnung. Es klingt halt nicht mehr so authentisch, nicht mehr so „erlitten“ wie bei Wagner oder Mahler, sondern etwas routinierter. Trotzdem wunderschön. Und so eine exaltierte Kunstform wie die Oper verträgt die große musikalische Geste nun mal sehr gut. Korngold war übrigens der Hans Zimmer der 30er, 40er und 50er Jahre: aus Deutschland geflohen, schrieb er zahlreiche Filmmusiken für Hollywood und gewann zwei Oscars.

    (5) Alban Bergs Violinkonzert ist so was wie der Schwanengesang der Spätromantik, 1935 komponiert, als die Spätromantik definitiv vorbei war. Das Werk basiert auf einer Zwölftonreihe, ist aber in seiner Expressivität zutiefst romantisch. Berg komponierte es als Requiem, dem Andenken eines Engels – gemeint ist Manon Gropius, die Tochter von Alma Mahler-Werfel und Walter Gropius, die 1935 im Alter von 18 verstarb.