Christian Holst

Kulturmanagement :: Digitale Transformation :: Künstliche Intelligenz


Kategorie: Musik

  • Wer Visionen hat, baut ein Festspielhaus

    In ihrem Beitrag zur Blogparade #kultur_unternehmen schreibt Anke von Heyl:

    Unternehmerisches Denken in der Kultur – das hat keine Tradition bei uns in Deutschland.

    Auf die Nachkriegszeit bezogen stimmt diese These sicherlich weitgehend, was Museen und Theater angeht. Wenn von (Hoch-)Kultur die Rede ist, denken wir zuerst an die öffentlich finanzierten Häuser, an die Freiheit der Kunst, die durch öffentliches Geld garantiert werden soll und an Kultur als meritorisches Gut «für alle». Es gehört zu den kulturpolitischen Selbstverständlichkeiten, dass Hochkultur in bester Qualität nur zu haben ist, wenn sie öffentlich finanziert wird. Entsprechend ist dann vielerorts auch die Anspruchshaltung gegenüber der öffentlichen Hand. Die Debatte um den Münchner Konzertsaal hat das kürzlich wieder gezeigt.

    Kulturunternehmer

    Wenn man jedoch noch etwas weiter zurück schaut, dann stellt man schnell fest, dass unternehmerisches Denken sehr wohl eine Tradition in der Kulturszene hat. Der Zusammenhang von Künstlertum und Unternehmertum war für die meisten derjenigen Künstler, deren Werke heute in den öffentlich finanzierten Kulturhäusern dargeboten werden, eine Selbstverständlichkeit. Seit Mozart 1781 den Dienst beim Salzburger Erzbischof quittierte, arbeitete er als freischaffender Komponist, als Freelancer. Auch Beethoven ging keiner «unselbständigen Tätigkeit» nach, sondern bezog sein Einkommen durch Zuwendungen von Mäzenen sowie in Form von Tantiemen und Konzerteinnahmen. Entsprechendes gilt für Giuseppe Verdi und Giacomo Puccini. Und es gilt in ganz besonderer Weise für Richard Wagner. Kaum ein anderer Komponist entspricht dem Idealtypus des Kulturunternehmers so wie er.

    In ihrem Buch Die neuen Kulturunternehmer definiert Birgit Mandel in Übereinstimmung mit Untersuchungen aus dem englischsprachigen Raum zwei Hauptmotive von Kulturunternehmern: Zum einen das Streben nach Unabhängigkeit und zum anderen das Verwirklichen eigener Ideen oder Visionen. Machtstreben, der Wunsch, viel Geld zu verdienen oder einen Ausweg aus der Arbeitslosigkeit zu finden – also Motive, die bei Unternehmern anderer Branchen eine wichtige Rolle spielen – haben für Kulturunternehmer dagegen in der Regel kaum Bedeutung (vgl. Mandel, 2007, S. 37).

    Streben nach Unabhängigkeit

    Natürlich war das Streben nach Unabhängigkeit auch für Wagner ein zentrales Anliegen, ist es doch überhaupt erst die Voraussetzung, um das zweite Motiv, also eigene künstlerische Visionen, realisieren zu können. Und so kennzeichnet es Wagners frühe Jahre, sich die Unabhängigkeit nach und nach zu erarbeiten, die die öffentlich finanzierten Kultureinrichtungen heute so selbstverständlich reklamieren. Wagner startete seine Kapellmeisterlaufbahn unter dürftigen Bedingungen als Chordirektor in Würzburg und als musikalischer Leiter in Magdeburg, Bad Lauchstädt, Königsberg und Riga. Den Tiefpunkt bildeten die sog. Pariser Hunger-Jahre. Hier, in der damaligen Weltopernhauptstadt, musste er sich mit Gelegenheitsjobs, die er zurecht als unter seinem Niveau wahrnahm, über Wasser halten.

    Das Streben nach Unabhängigkeit bezog sich für Wagner aber nicht in erster Linie auf wirtschaftliche, sondern auf künstlerische Unabhängigkeit. 1843 wurde er Königlich Sächsischer Hofkapellmeister an der Dresdner Oper, wo er über vergleichsweise gute Arbeitsbedingungen verfügte. Das hieß in seinem Sinne: Arbeitsbedingungen, die sich an den Anforderungen der Kunst orientierten und nicht umgekehrt, die Kunst an den Arbeitsbedingungen ausgerichtet wurde. In Mein Leben schreibt er zu seiner Berufung nach Dresden von seinem

    enthusiastischen Glauben an die Möglichkeit, das Verwahrloste zu regenerieren,wahrhaft veredelnden Einfluss zu gewinnen und die Erlösung der in schmachvollen Banden liegenden Kunst herbeizuführen.

    In diesem Impetus verfasste er in Dresden mehrfach Schriften zur Reform des Hoftheaters, die die Arbeit noch stärker an den Erfordernissen der Kunst ausrichtete: eine gute Schauspielausbildung für Sänger, ganzjährige Engagements der Sänger, nur drei Vorstellungen pro Woche und eine Kommission zur Leitung des Theaters. Des Weiteren forderte er, gezielt deutsche Dichter und Komponisten zu beauftragen, um der französischen und italienischen Oper eine spezifisch deutsche entgegen stellen zu können. Und er führte aus, dass das ganze Theaterwesen getragen werden sollte von einer freien künstlerischen Genossenschaft des Volkes unter Leitung des Dichters bzw. des Darstellers.).

    Diese Vorschläge wurden allerdings abgelehnt. Kein Wunder, sie hätten einen radikalen Bruch mit den Aufführungsroutinen der damaligen Zeit bedeutet. Selbst aus heutiger Sicht ist nicht alles selbstverständlich, was Wagner damals forderte. Die Kluft zwischen künstlerischem Anspruch und Theaterrealität war für Wagner jedenfalls so riesig, dass er schließlich zu der Überzeugung kam, eine Theaterreform sei nur durch eine Gesellschaftsreform möglich. Aus diesem Grund bekannte er sich offen zu den republikanischen Bestrebungen des Vormärz und wurde damit für seinen Arbeitgeber untragbar.

    Wer Visionen hat…

    In Wagners Reformplänen wird bereits das zweite wichtige Merkmal erfolgreicher Unternehmer deutlich, das sich später auch mehr und mehr auch in seinen künstlerischen Werken niederschlug: das «Think big», das Visionäre. Natürlich kann man einen gewissen Größenwahn unterstellen, wenn die eigenen Opern in einem eigens dafür erbauten Festspielhaus aufgeführt werden sollen – ein Festspielhaus, das am besten sogar noch nach der ersten und einzigen Vorstellung gleich wieder niedergebrannt werden soll. Aber letztlich ging es auch bei dem Bau des Festspielhauses nicht um das persönliche Ego, sondern um die künstlerische Vision. Denn diese war in den Opernhäusern der damaligen Zeit nicht realisierbar. Wagner gesamtes künstlerisches Wirken lässt sich auf den einfachen Nenner der Illusionsästhetik herunterbrechen. Je später umso mehr wird in Wagners Schriften, seiner Musiksprache (Parsifal), seinen Inszenierungsanweisungen und seinem Wirken als Kulturmanager, Theatermacher, Regisseur, Dirigent und nicht zuletzt als Bauherr des Bayreuther Festspielhauses das Bestreben deutlich, den Faktor des Vermittelten, des Medialen einer Aufführung aus dem Bewusstsein von Publikum und Sängern zu verbannen:

    Die Kunst hört, genaugenommen, von da an Kunst zu sein auf, wo sie als Kunst in unser reflektierendes Bewußtsein tritt.

    In diesem Sinne ist auch Wagners viel zitierter und häufig missinterpretierter Ausspruch zu verstehen, dass er, nachdem er das unsichtbare Orchester geschaffen habe, nun auch das unsichtbare Theater erfinden wolle. Der Bau des Bayreuther Festspielhauses – in dem die Musik aus dem Irgendwo kommt und sich alle Aufmerksamkeit auf die Bühne richtet – war demnach weniger der Versuch, sich selbst ein Denkmal zu setzen, als vielmehr ein Medium herzustellen, das seiner Vision von der perfekten Illusion gerecht wurde.

    Wagner und das Geld

    Freilich kann man nicht über Wagner als Unternehmer sprechen, ohne das Thema Geld anzuschneiden. Denn unternehmerisch tätig zu sein, heißt zwangsweise auch, wirtschaftliche Rahmenbedingungen gestalten zu müssen. Es scheint zum Allgemeinwissen über Richard Wagner zu gehören, dass er nicht mit Geld umgehen konnte und ein skrupelloser Schnorrer war, was der Unternehmerthese zunächst zu widersprechen scheint. Barry Millington (1992, S. 113) schreibt allerdings

    Zu diesem Thema (Wagner und das Geld, C.H.) wurde noch mehr Unsinn geschrieben als zu den meisten anderen Fragen, die Wagner betreffen.

    Und das will was heißen. Tatsächlich relativiert sich dieses Bild sehr schnell, wenn man weiß, dass König Ludwig II. – Wagners großzügigster Mäzen und Unterstützter – dem Komponisten in 19 Jahren Bekanntschaft weniger Geld zukommen ließ, als die Einrichtung des Schlafzimmers in Herrenchiemsee kostete. Das Bild relativiert sich weiter, wenn man sich vor Augen führt, dass Wagner über viele Jahre massive Geldnöte in Kauf nahm, um seine Kunst nicht zu korrumpieren. Wäre Wagner künstlerisch bei seinen frühen Erfolgsopern Rienzi und Tannhäuser stehen geblieben, hätte er wie Verdi oder Puccini schnell ein gutes Auskommen erzielen können – allerdings zum Preis seiner eigentlichen künstlerischen Vision.

    Wenn heute Unternehmer- und Künstlertum als Gegensatz verstanden werden, bzw. das eine dem anderen nur dienen und zuarbeiten soll, dann wundert es nicht, dass Wagners gelegentlich aufblitzende unternehmerische Schlitzohrigkeit in Künstlerkreisen anstößig erscheint, die von öffentlicher Finanzierung profitieren. Jedoch gab es Mitte des 19. Jahrhundert noch kein Urheberrecht und Verleger, Impressarios und Gönner handelten auch stets in ihrem eigenen Interesse. So war es nur konsequent, dass Wagner ein Einkommen für seine künstlerische Arbeit verlangte. Bemerkenswerterweise forderte Wagner dieses Einkommen in der Regel nicht als Gegenleistung für bereits erbrachte Leistungen, sondern quasi als Investition in erst zu erbringende Werke. Auch darin zeigt sich sein durchaus unternehmerisches Denken.

    *

    Nicht nur an den Beispielen im Buch Kultur unternehmen. Wie junge Musiker das Kulturmanagement neu erfinden, bereits am Beispiel Richard Wagners zeigt sich, dass die Freiheit der Kunst nicht durch ihre Durchalimentierung durch die öffentliche Hand gesichert wird. Vielmehr entscheidend ist die unternehmerische Haltung des Künstlers. Die Haltung beschränkt sich nicht nur auf die künstlerische Arbeit selbst, sondern bezieht sich genauso auf die organisatorischen Faktoren, die das Kunsterlebnis maßgeblich bedingen.

  • Klassikszene: Vitalfunktionen ok

    In der Klassikszene scheint gerade Optimismus vorzuherrschen. Volker Hagedorn fordert in der Zeit: Hört doch bitte endlich auf zu jammern. Es werde oft geweint, wo es eigentlich Grund zum Lachen gäbe, meint er mit Verweis auf eine Publikumsstatistik der Deutschen Orchestervereinigung.

    Von 2005 bis 2012 ist die Zahl derer, die sich Konzerte der öffentlich finanzierten Orchester in Deutschland anhörten, von etwa 3,9 Millionen auf knapp 4,3 Millionen jährlich gestiegen, parallel zur Zahl der Konzerte selbst: von 8.653 auf 10.371.

    Die Neujahrsmeldung des Blogs Orchesterland, hinter dem ebenfalls die Deutsche Orchestervereinigung steht, stößt ins gleiche Horn. Der Post zeigt ein steigendes Interesse an klassischer Musik anhand von gestiegenen Auslastungszahlen bei verschiedenen Festivals und Opernhäusern und Sinfonieorchestern auf.

    Allerdings lohnt ein genauerer Blick auf diese Zahlen. Denn nach einer Statistik des Musikinformationszentrums (MIZ) sind die Konzertbesuche seit 2005 recht stabil geblieben. Einen Anstieg gab es zwischen 2005 und 2012 nur dadurch, dass die Rundfunkorchester erst seit 2006 mit erfasst werden. Und wenn man sich gemäß den von Hagedorn genannten Zahlen das Verhältnis von zusätzlichen Konzerten (1.718) zu zusätzlichen Besuchern (400.000) anschaut, kommt man auf durchschnittlich 233 Besuche pro zusätzlichem Konzert. Damit liegt die Vermutung auf der Hand, dass schwerpunktmäßig das kammermusikalische Angebot vergrößert wurde, nicht das Orchesterkonzert-Angebot. Diese Entwicklung würde übrigens dem Trend entsprechen, der auch bei Theatern zu beobachten ist, nämlich immer mehr kleine Veranstaltungen mit einem stabilen oder sogar schrumpfenden Personalstock anzubieten.

    Auch die Neujahrsmeldung von Orchesterland lohnt ein genaueres Hinsehen: Eine gestiegene Auslastung sagt nämlich nichts über die Zahl der verkauften Tickets aus. Sie beschreibt das Verhältnis von angebotenen Plätzen zur Nachfrage. Die Auslastung kann daher sowohl steigen, wenn die Nachfrage bei stabilem Platzangebot wächst, als auch, wenn das Platzangebot bei stabiler Nachfrage schrumpft. Die von Orchesterland angeführte Berliner Staatsoper erzielte 2014 eine «Rekordauslastung», obwohl sie 7.000 Besuche weniger hatte als 2013.

    Dennoch teile ich den Optimismus, was die Klassikszene angeht. Er leitet sich aber nicht aus irgendwelchen Zahlen ab, sondern aus einem anderen Argument, das Hagedorn nennt, nämlich der zunehmenden unternehmerischen Vitalität der Szene. Hagedorn nennt als Beispiele den Aufstieg zahlreicher kleiner hervorragender Labels, die Menge und Qualität an spezialisierten freien Ensembles und das Musikmagazin VAN, das Musikjournalismus ins digitale Zeitalter transformiert. Ja, es sind die unternehmerischen Initiativen in der Klassikszene, die sie nach vorne bringen und inhaltlich am Leben halten. Deswegen: So lange die Klassikszene vital bleibt, werden sich auch Zuschauer für dieses Angebot begeistern lassen.

  • Das Buch ist da! – «Kultur unternehmen»

    Es war lange nichts mehr los auf diesem Blog. Der letzte Eintrag stammt von Mitte August. Der wesentliche Grund dafür lag darin, dass die Zeit, die ich normalerweise zum Bloggen erübrigen kann, in die Fertigstellung eines Buches geflossen ist, das nun pünktlich zum Weihnachtsgeschäft erschienen ist. Kultur unternehmen: Wie junge Musiker das Kulturmanagement neu erfinden heißt es. Darin zeige ich in sechs kurzen Fallstudien zu verschiedenen Arbeitsfeldern des Kulturmanagements, z.B. zu Führung, Innovation, Marketing und PR sowie Kulturvermittlung, wie junge Kulturunternehmer Paradigmen der Kulturmanagementlehre neu definieren und frische Impulse setzen. Grundlage für die Fallstudien sind Interviews mit Kulturunternehmern, die jeweils in mindestens einem der genannten Arbeitsfeldern Beispielhaftes erreicht haben. Meine Gesprächspartner waren

    Auch wenn sich zeigt, dass es den exzellenten Kulturbetrieb nach Lehrbuch nicht geben kann, weil künstlerische Zielsetzungen und organisatorische Rahmenbedingungen immer sehr individuell aufeinander abgestimmt werden müssen, so ist es doch meine Hoffnung, dass dieses Büchlein gewisse Denkanstöße und Ideen gibt, wie zeitgemässes Kulturmanagement oder besser Kulturunternehmertum aussehen kann. Damit das gelingen kann, muss in meinen Augen ein zentrales Paradigma der Kulturmanagementlehre über Bord geworfen werden: Nämlich dass Kulturmanagement eine Hilfsfunktion sei, die das Kunstmachen ermöglichen soll, ohne inhaltlich darauf einzuwirken. Dieser Grundsatz mag theoretisch schlüssig sein, zumal wenn das Geld fürs Kunstmachen vom Staat kommt, der sich die Kunst damit freilich nicht willfährig machen können soll. Der Blick auf die Praxis zeigt jedoch, dass dieser Anspruch naiv und nicht einzulösen ist. Kulturmanagement ist idealerweise eine Funktion, die sich rückstandslos im Kunstmachen auflöst, das natürlich nie frei von sozialen, gesellschaftlichen, politischen, ethischen oder ökonomischen Kategorien stattfinden kann. Sozusagen ganz im Sinne von Goethes Epirrhema: «Nichts ist drinnen, nichts ist draussen; denn was innen, das ist aussen.»

    Die Artikel wurden für die Buchveröffentlichung noch einmal überarbeitet, die Interviews von meinen Gesprächspartnern noch einmal gesichtet und ggf. aktualisiert. Neu und bisher unveröffentlicht ist das Einleitungskapitel sowie das ausführliche Interview mit Louis Dupras, dem Geschäftsführer der Berner Camerata. Das Buch ist sowohl in klassischer Papierform als auch als E-Book erhältlich (iTunes, /eBook.de/libri.de). Das gedruckte Buch kostet 8.90 EUR bzw. 13.50 CHF, die E-Book-Variante in den ersten vier Wochen nach Erscheinen 3.99 EUR, danach 5.99 EUR. Rezensionsexemplare können über presse@bod.de bezogen werden. Mein besonderer Dank gilt der Redaktion des KM Magazins, in dem die meisten Artikel zwischen Herbst 2012 und Frühjahr 2013 erstveröffentlicht wurden.

    Natürlich freue ich mich über alle Rezensionen und Empfehlungen auf euren Blogs und Kanälen. Und ich freue mich, wenn ich mit dem Buch zu einer Diskussion beitragen kann, wie sich das Kulturmanagement im Sinne eines frischen, zeitgemäßen Kulturlebens weiter entwickeln sollte. Vor diesem Hintergrund plane ich, eine Blogparade zu dem Thema des Buches veranstalten. Dazu dann in Kürze mehr.

  • Skrowaczewskis Bruckner

    Durch einen Bekannten wurde ich kürzlich auf den Bruckner-Zyklus des Dirigenten Stanislaw Skrowaczewski aufmerksam. Ich hatte den Namen vorher noch nie gehört, die Aufnahmen dementsprechend auch nicht. Als ich sie dann hörte, fragte ich mich allerdings, wieso dieser Dirigent so ein Schattendasein in der Musikwelt fristet, während Christian Thielemann als der Bruckner-Dirigent unserer Tage gefeiert wird. Man kommt dabei auf unschöne, spekulative Gedanken über die Macht von Agenten und PR-Strategen im Klassikbusiness, die man schnell beiseite schieben sollte. Immerhin gibt es ja diese Aufnahmen und sie machen schnell klar, dass Skrowaczewski den Vergleich mit den grossen Bruckner-Dirigenten wie Wand, Celibidache oder Giulini nicht nur nicht zu scheuen braucht, sondern in vielen Punkten gewinnt. Und das, obwohl er für seine Einspielung kein Weltklasseorcherster zur Verfügung hatte wie die oben genannten.

    Von den Bruckner-Sinfonien kenne ich die 8. am besten, was damit zu tun hat, dass ich vor 14 Jahren mal als «Mädchen für alles» bei einer Orchesterakademie fungiert habe, bei der diese Sinfonie einstudiert wurde. Aus diesem Grund habe ich mir vor allem diese Einspielung genauer angehört und mit anderen Aufnahmen, die ich kenne, verglichen. Die besondere Stärke von Skrowaczewskis Aufnahme scheint mir darin zu liegen, die Stärken vieler anderer Brucknerdirigenten zu vereinen: Wie Celibidache oder Wand hat er die viel beschworenen grossen Bögen bei Bruckner perfekt im Griff. Das zeigt sich insbesondere im Adagio, wo er die grossen Steigerungswellen über 20 Minuten hinweg spannungsvoll bis zum grossen Höhepunkt staffelt und dann langsam wieder verebben lässt.

    Wie Karajan oder Giulini pflegt er einen satten, prächtigen Klang, mit einer allerdings eher rauen, markigen Tongebung im Blech. Trotzdem ist der Klang erstaunlich durchhörbar: Jedes einzelne Instrument bleibt auch in den grossen blechdominierten Klangmassen identifizierbar (sicher auch ein Verdienst der Tontechniker). Skrowaczewskis Bruckner lebt aber nicht – wie Celibidaches oder Karajans – von grossen Bögen und sattem Klang, sondern auch von hörbarer Detailarbeit, die immer überzeugend ist. Anders als Thielemann, der sich in der 8. hier und da gewisse Mätzchen herausnimmt, die zwar mal einen guten dynamischen oder agogischen Effekt hergeben, aber wenig mit dem zu tun haben, was Bruckner sich laut Partitur vorgestellt hat, entwickelt Skrowaczewski die Phrasierungen zwar auch mit einer gewissen interpretatorischen Freiheit gegenüber der Partitur, aber doch sehr natürlich aus dem Gestus, der in der Musik liegt. Im Scherzo etwa nimmt er die Hörner und Posaunen beim grossen Tutti mit den Pauken zuerst etwas zurück und lässt sie dann auf den Schlusspunkt der Phrase hin crescendieren (Min. 1:18-1:24). Stark. Ebenso die scharfen Blechakzente in den lauten Motivrepetitionen davor (Min 0:52).

    Diese Details in den Phrasierungen machen seine Interpretation ebenso spannend wie die von Harnoncourt, deren Stärken insbesondere auf diesem Gebiet der «musikalischen Rhetorik» liegt.

    Nach dieser Hörerfahrung mit Skrowaczewskis Bruckner-Aufnahmen hörte ich mir auch Beethovens 4. Sinfonie an. Ich habe nicht viel erwartet, weil ich keinen tollen Bruckner-Dirigenten kenne, dessen Beethoven-Aufnahmen mir gefallen. Ich war dann sehr positiv überrascht: Skrowaczewskis Beethoven klingt fast, als hätte er sich mit historischer Aufführungspraxis beschäftigt. Auch hier haben mich die Details begeistert. Mehr als bei den Bruckneraufnahmen wird hier allerdings deutlich, dass das eigentlich sehr gute RSO Saarbrücken spieltechnisch dann doch nicht auf den Champions League-Plätzen mitspielt, also dort, wo sich etwa Chaillys superbrillanter Hochpräzisionsbeethoven mit dem Gewandhausorchester Leipzig bewegt.

    Wie der Zufall es so will, gastiert Skrowaczewski im nächsten Frühjahr beim Basler Sinfonieorchester. Ursprünglich stand die 8. Sinfonie auf dem Programm. Leider wurde sie jetzt gegen die Bruckners 4. und eine Mozart-Sinfonie eingetauscht. Aber was soll’s? Das Konzert ist ein Pflichttermin!

  • Winterreise

    Denn das Schöne ist nichts
    als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen,
    und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht,
    uns zu zerstören.

    Rilkes Zeilen aus der ersten Duineser Elegie klingen, auf eine künstlerische Darbietung bezogen, erstmal nicht nach einem Lob. Aber eigentlich kann man einem Künstler kein größeres machen. Die Worte beschreiben für mich die perfekte Kunsterfahrung und geben eine Definition von Schönheit, die so pointiert wie vollständig ist. Ich musste an sie denken, als ich kürzlich in einem kleinen Schulsaal saß und Schuberts Winterreise hörte. Ich war mit keinen allzu grossen Erwartungen an das Kulturprogramm der Zürcher Vorstadt zu diesem Liederabend gegangen und umso mehr gefangen von der grossartigen Darbietung von Marret Winger (Sopran) und Steffen Hartmann (Klavier).

    Hartmann sagte in einer kurzen Erläuterung zu Beginn des Konzerts, dass Schubert das Gefühl der Fremdheit, das viele Menschen in unserer Zeit erleben würden, vorausgeahnt und antizipiert hätte. Mit ihrer Interpretation machten Winger und Hartmann allerdings deutlich, dass Schuberts und Müllers Werk weit über ein epochenspezifisches Lebensgefühl hinausgeht und vielmehr eine zeitlose menschliche Urangst beschreibt: Die Angst, allein zu sein, nicht gewollt zu sein, die Angst vor Sinnlosigkeit, die so tief geht, dass der Tod zur verlockenden Option wird. Zugleich zeigten sie, wie stark es sich bei der Winterreise um Zukunftsmusik handelt, wie viel Schubert hier in musikalischer Hinsicht vorausgeahnt hat, so modern, brüchig und «mahlerisch» klang manche Stelle an diesem Abend. Denn wie später Mahler entwickelt auch Schubert aus der scheinbar unverfänglichen Form des Liedes abgründige Dramen, deren Erschütterungsfaktor Rilkes Schönheitsdefinition voll und ganz entspricht.

    Im kleinen Rahmen mit ca. 40 Konzertbesuchern hat so ein Liederabend eine beklemmende Intensität. In etwa so, als würde jemand bei einem im Wohnzimmer anfangen zu singen, was fraglos eine Zumutung wäre. Und in einem guten, nicht ganz so überrumpelnden Sinne ist es das auch noch in so einem intimen Konzertrahmen, wo die Künstler und Publikum ohne trennenden Bühnenabsatz oder gar Graben auf einander treffen. Es ist ein bisschen so, als würde man im Zoo direkt ins Raubtiergehege gehen und nach dem Motto «Die haben mindestens so viel Angst vor dir, wie du vor ihnen» hoffen, das nichts passiert. Und auch wenn nichts passiert, dann wundert es einen nach einem solchen Konzert nicht, dass Schuberts Freunde verstört reagierten als er ihnen – sich selbst am Klavier begleitend – die Lieder erstmals vorspielte. Auch hier greift das Rilke-Zitat.

    Im Nachklang des Konzerts hörte ich auf spotify in verschiedene Interpretationen rein. Eine, die mich total faszinierte, ist die Aufnahme von Nataša Mirkovic De Ro und Matthias Loibner. Loibner begleitet die Sängerin, die mit wunderbar unprätentiöser und zurückgenommener Stimme singt, mit Drehleier. Dieses gebrechliche, schnarrende, klappernde, in jeder Hinsicht unzulängliche Instrument verstärkt noch einmal das Brüchige, Spröde dieses Liederzyklusses.

  • Stream a little stream…

    Christian Henner-Fehr fragt in einem aktuellen Artikel, ob die digitale Verbreitung von Opernaufführungen und anderen Kulturveranstaltungen zu einer Verdrängung der kleinen Häuser führen könnte. Er bezieht sich dabei auf einen Blogbeitrag von Michael Kaiser, der eine Handvoll Superinstitutionen entstehen sieht, die mit Hilfe von digitalen Vertriebskanälen ihre Vormachtstellung über die Region hinaus absichern und ausbauen können – zu Lasten von kleineren Häusern mit weniger Mitteln und weniger Renommee.

    Ich denke, diese Konzentration auf die grossen Häuser findet ohnehin schon statt, auch unabhängig von digitalen Verbreitungskanälen, die allerdings als Katalysator wirken. Dass große Häuser diese neuen Kanäle nutzen, zeigt eher deren bestehende Vormachtsstellung und deren Fähigkeit, für bestimmte Projekte potente Sponsoren zu akquirieren. Denn die braucht es für digitale Übertragungsangebote. Bislang ist noch keins dieser Angebote selbsttragend oder gar profitabel – zumindest in Europa, nähere Zahlen aus den USA kenne ich nicht. Zudem sind öffentlich finanzierte Einrichtungen an ihren Leistungsauftrag gebunden und müssen ihre Mittel verwenden, um diesen Auftrags zu erfüllen. Die hohen Investitionen für ein hochklassiges digitales Angebot, die aufgrund des beständigen technischen Fortschritts auch hoch bleiben, müssen deswegen durch Drittmittel gedeckt sein.

    Zu den wirtschaftlichen Risiken kommt noch die Frage der inhaltlichen Akzeptanz eines solchen Angebots. Sir Peter Jonas glaubt nicht an das Streaming. Es könne zwar funktionieren – «so wie Masturbation als Ersatz für oder Ergänzung zu Sex mit anderen funktionieren kann» – aber der Kick bleibe bescheiden, verglichen mit dem Besuch einer Opernaufführung, die echtes Risiko bedeute: von peinlich bis fantastisch sei hier alles möglich und dass man nicht genau wisse, was an diesem Abend passieren werde, mache genau den Reiz einer Live-Aufführung aus.

    Diese Einstellung hat sicher mit Jonas‘ kultureller Sozialisation und seinem Anspruch an ein kulturelles Erlebnis zu tun. Mir persönlich geht es da nicht anders. Ich finde auch, dass es kaum etwas Langweiligeres gibt, als eine Opernaufführung am Bildschirm anzuschauen. Denn den Sehgewohnheiten, die wir am Bildschirm entwickelt haben, kann eine von Opernaufführung nicht gerecht werden. Zum einen, weil die Aufführungen nicht auf die Rezeption am Bildschirm hin inszeniert werden: zuviel große Geste in Nahaufnahme, zuviel Schminke. Zum anderen aufgrund der Dramaturgie der Stoffe selbst. In der Oper werden die Situationen chronologisch erzählt und langsam entwickelt. Durch Film und Internet sind wir dagegen an eine Dramaturgie gewöhnt, die uns sehr viel Kombinations- und Assoziationsarbeit überlässt. Bildschirmgeschichten werden in der Regel anhand von kurzen, pointierten Szenen erzählt, oftmals mit verschiedenen Handlungssträngen parallel, die immer wieder unterbrochen, wieder aufgenommen, verwoben werden usw usf. Ich finde es deswegen oftmals schon ermüdend, Filme aus den 70er Jahren zu schauen, die noch ein ganz anderes Tempo haben.

    Ich glaube deswegen auch nicht so recht an die Streaming-Konzepte, zumindest nicht an die, die bezahlt werden müssen. Sie sind allenfalls für Opernfreaks interessant, die gern in der Wiener Staatsoper säßen, es aber nicht können, weil die Anreise aus Atlanta oder Taipeh nunmal zu aufwändig wäre. Für sie ist es aber wirklich nur ein Ersatz. Aussicht auf Erfolg haben m.E. solche Formate, die einen eigenen Eventcharakter bieten können. Wie die Kinoübertragungen der Met und des Royal Opera House, wo man zusammen mit anderen Oper sieht und hört. Das ist etwas zwar ganz anderes als einer Bühnenaufführung beizuwohnen; trotzdem können solche Formate einen eigenen Eventcharakter und speziellen Charme entwickeln. Sie bieten somit ein zwar anders geartetes, aber gleichwertiges Erlebnis wie eine Opernaufführung. Dabei kann der Eventcharakter sicher auch virtuell erzeugt werden, in Social Media, über die man sich in Echtzeit mit anderen austauschen kann (wie bei Fußballspielen) oder über andere Second Screen-Angebote. Aber ohne das, bleibt die Opernrezeption am Bildschirm fade.

    Für die Anbieter solcher Angebote geht es momentan wohl mehr um Image und Ausstrahlung als um neue Einnahmequellen. Denn mit solchen Angeboten kann sich die Oper volkstümlicher geben, als sie oftmals wahrgenommen wird und sie kann über die Vorreiterrolle, die mit solchen Angeboten noch verbunden ist, positive PR erzeugen. Man kann jetzt schon sehen, dass diejenigen Häuser ein internationales Image haben, die in diversen Märkten präsent sind: im Buch-, DVD- und Tonträger-Markt, im Kino etc. Image und Präsenz beflügeln sich gegenseitig. Die Aufführungsübertragungen werden dies weiter untermauern und darin besteht aktuell der Nutzen für die Häuser. Damit diese Übertragungen auch zu Einnahmequellen werden können, müssten zum einen die Leistungsvereinbarungen mit den öffentlichen Trägern angepasst werden, was langwierig genug werden dürfte. Zum anderen müsste die Darbietungsform neu erfunden werden – mit Blick auf die erzählerischen Möglichkeiten und Voraussetzungen des jeweiligen Mediums, in dem Oper gezeigt werden soll. Das ist dann eigentlich eine neue Kunstform…

  • Wagner als Vordenker eines neuen Theaters

    In der aktuellen Ausgabe der Mitteilungen der Richard Wagner-Gesellschaft ist ein längerer Aufsatz von mir erschienen, den ich auch hier zugänglich mache. Der Aufsatz basiert auf einem Vortrag, den ich im Frühjahr auf einer Tagung der Wagner-Gesellschaft halten durfte. Er greift im ersten Teil einen Blogpost aus dem März auf. Wenn man etwas weiterliest, kommt aber auch noch Neues…

    Anlässlich des bevorstehenden Verdi- und Wagner-Jubiläumsjahr fragte die ZEIT im Herbst 2012 zehn Opernintendanten, wen der beiden sie für den größeren Komponisten hielten. Das Ergebnis war nicht überraschend, wenngleich doch interessant. Acht der zehn hielten es für am diplomatischsten, beiden die gleiche Größe und Bedeutung beizumessen und ließen allenfalls noch ihre private Vorliebe durchblicken. Zwei Intendanten allerdings schlugen sich eindeutig auf Seiten Verdis. Seine Opern seien kürzer, humaner, ehrlicher, konstruktiver. Wie man aus diesem flauen Lob unschwer ableiten kann, sind es jedoch nicht die Vorzüge und Qualitäten Verdis, die sie zu dieser Einschätzung bringen: Adjektive wie «kürzer» oder «konstruktiver» sind nicht gerade erste Wahl für eine ernst gemeinte Lobeshymne. (mehr …)

  • Tannhäuser in Düsseldorf: Der eigentliche Skandal

    In der Absetzung um die Düsseldorfer Tannhäuser-Inszenierung eskalierte auf der Facebook-Seite der Oper am Rhein und in den Feuilletons die Debatte, was der eigentliche Skandal ist: die Inszenierung oder deren Absetzung? In meinen Augen ist es ein klares Weder-Noch. Der eigentliche Skandal liegt ganz woanders.

    Die Inszenierung ist kein Skandal, weil ihre Grundidee nur in ihrer unkundigen Einfallslosigkeit provokant ist. Mit Nazi-Bezügen gespickte Wagner-Inszenierungen haben eine jahrelange Hyperinflation hinter sich. Der konsequente Verzicht auf solche Bezüge wäre inhaltlich die weitaus grössere Sensation.

    Die Absetzung der Inszenierung ist auch kein Skandal. Wenn der Regisseur Burkhard Kosminski in den Raum stellt, es könne sich bei der Absetzung um «eine neue Form der Zensur» handeln, dann ist das schlichtweg lächerlich und genauso unsauber gedacht, wie das Inszenierungskonzept. Das Ganze hat mit Zensur nichts zu tun. Genauso wenig, wie wenn ich nach einem Frisörbesuch unzufrieden bin und deswegen die nächsten drei Wochen nur mit Mütze vor die Tür gehe. Natürlich mag man es rückgratlos und feige finden, dass sich die Intendanz entschlossen hat, die Inszenierung abzusetzen, obwohl sie sie ja selbst freigegeben hat und bei der Premiere nicht das erste Mal damit konfrontiert wurde. Diesen Vorwurf muss sich die künstlerische Leitung gefallen lassen. Aber letzten Endes ist es doch ehrlicher, zu spät zu einem Fehler zu stehen, als gar nicht und sich stattdessen mit sich mit den üblichen ausgelutschten Floskeln um Kopf und Kragen zu reden. Von wegen, dass Kunst auch mal verstören und unbequem sein muss, keine Schönwetterangelegenheit ist und es ja auch gut ist, wenn «Theater oder Oper auch polarisieren». Nee, is klar. Das sind Aussagen, die wunderbar richtig klingen, ohne dass man sie mit irgendeiner Art Argument untermauern müsste und die sich wunderbar für den Shitstorm auf den Intendanten der Deutschen Oper am Rhein eignen. Oder anders gesagt: Schönwetter-Aussagen zur unhinterfragbaren Relevanz von öffentlich finanzierter Kultur.

    Der eigentliche Skandal liegt in der unglaublich schnöseligen Haltung gegenüber dem Publikum, die in diesen Äußerungen im angeblichen Interesse der Kunst zum Ausdruck kommt. Nicht einmal Telekommunikationsunternehmen erlauben sich solch demonstrative Gleichgültigkeit gegenüber ihren Kunden, sondern behaupten ihre Kundenorientierung wenigstens noch. Die öffentliche Finanzierung schützt die Kultureinrichtungen vor der Meinung ihrer Besucher. Und sie sorgt zugleich dafür, dass sie ihre Anschlussfähigkeit an deren Lebenswelt verliert und damit mittelfristig auch die Relevanz, die eine öffentliche Finanzierung überhaupt erst rechtfertigt. Es nervt ja fast schon, dass man die Schweiz für so vieles als Vorbild heranziehen muss: direkte Demokratie, Altersvorsorge, Arbeitslosenquote und was weiß ich. Aber auch der hohe Eigenfinanzierungsgrad der Schweizer Kultureinrichtungen hat Vorbildcharakter. Er zeigt, dass das Schwarzweiss von «angepasstem Inszenierungsstil» und Freiheit der Kunst zu einfach gedacht ist.

  • Wagner oder Verdi? Wagner!

    Zum Start ins Verdi- und Wagner-Jubiläumsjahr fragte die ZEIT zehn Opernintendanten, wen der beiden sie für den größeren Komponisten hielten. Das Ergebnis ist nicht überraschend, wenngleich doch interessant. Acht der zehn hielten es für am diplomatischsten, beiden die gleiche Größe und Bedeutung beizumessen und liessen allenfalls noch ihre private Vorliebe durchblicken.

    Zwei Intendanten allerdings schlugen sich eindeutig auf Seiten Verdis. Sie finden seine Opern kürzer, humaner, ehrlicher, konstruktiver. Peter de Caluwe kommt sogar zu der Einschätzung, bei Verdi handele es sich um «Geschichten aus dem Leben». Als hätten die etwas in der Oper verloren. Interessanterweise sind es aber nicht die Vorzüge und Qualitäten Verdis, die sie zu dieser Einschätzung bringen: Adjektive wie «kürzer» oder «konstruktiver» sind nicht gerade erste Wahl für eine ernst gemeinte Lobeshymne. Es ist vielmehr das Missbehagen an Wagner. Das merkt man daran, dass gegen ihn verbal richtig aufgerüstet wird und es dröhnt und donnert wie bei Wagner selbst nur selten: da ist von geistiger und handwerklicher Onanie die Rede, von narzisstischem Gewaber, von Berechnung, von Leitmotiven, die uns indoktrinieren und vergewaltigen. Adornos Wagner-Kritik für BILD-Leser. (mehr …)

  • Liebe auf den ersten Ton – Interview mit Daria van den Bercken

    Daria, du bist einerseits eine Konzertpianistin, die eine klassische Bilderbuchkarriere hingelegt hat: Du trittst in Konzerthallen auf, als Solistin mit Orchestern und spielst dabei das grosse bekannte Repertoire, hast Preise gewonnen und hervorragende Kritiken erhalten. Andererseits machst du auch Dinge, die man von einer klassischen Pianistin nicht erwartet. Momentan fokussierst du dich in deiner künstlerischen Arbeit auf Händel. Nicht gerade einer der einschlägigen Klavierkomponisten…

    Ich habe die Klaviermusik von Händel eher zufällig entdeckt. Ich war krank, habe im Internet gestöbert und bin auf die Noten gestoßen. Als ich es gespielt habe, hat es mich gleich total angesprochen. Es ist bis heute so, dass es sich für mich anfühlt, als würde ich diese Musik zum ersten Mal spielen. Da ist eine unglaubliche direkte emotionale Wirkung. Das war es auch, was mich gleich gefangen genommen hat: Ich spielte zuerst ein sehr ruhiges, melancholisches Stück und direkt danach ein schnelles, sehr energiegeladenes Stück. Damit hatte ich innerhalb weniger Minuten die ganze Bandbreite der Emotionen aufgespannt, die diese Musik bietet. Das hat mich sehr fasziniert und ich habe mich gefragt, warum die Werke so wenig gespielt werden. Daraus entstand die Idee für das Projekt «Handel at the piano» und meine intensive Auseinandersetzung mit der Musik. Es ist die Musik, die ich momentan besonders gern spiele und ich hoffe, dass meine Zuhörer merken, wie viel mir diese Musik bedeutet. (mehr …)