Liebe auf den ersten Ton – Interview mit Daria van den Bercken
Daria, du bist einerseits eine Konzertpianistin, die eine klassische Bilderbuchkarriere hingelegt hat: Du trittst in Konzerthallen auf, als Solistin mit Orchestern und spielst dabei das grosse bekannte Repertoire, hast Preise gewonnen und hervorragende Kritiken erhalten. Andererseits machst du auch Dinge, die man von einer klassischen Pianistin nicht erwartet. Momentan fokussierst du dich in deiner künstlerischen Arbeit auf Händel. Nicht gerade einer der einschlägigen Klavierkomponisten…
Ich habe die Klaviermusik von Händel eher zufällig entdeckt. Ich war krank, habe im Internet gestöbert und bin auf die Noten gestoßen. Als ich es gespielt habe, hat es mich gleich total angesprochen. Es ist bis heute so, dass es sich für mich anfühlt, als würde ich diese Musik zum ersten Mal spielen. Da ist eine unglaubliche direkte emotionale Wirkung. Das war es auch, was mich gleich gefangen genommen hat: Ich spielte zuerst ein sehr ruhiges, melancholisches Stück und direkt danach ein schnelles, sehr energiegeladenes Stück. Damit hatte ich innerhalb weniger Minuten die ganze Bandbreite der Emotionen aufgespannt, die diese Musik bietet. Das hat mich sehr fasziniert und ich habe mich gefragt, warum die Werke so wenig gespielt werden. Daraus entstand die Idee für das Projekt «Handel at the piano» und meine intensive Auseinandersetzung mit der Musik. Es ist die Musik, die ich momentan besonders gern spiele und ich hoffe, dass meine Zuhörer merken, wie viel mir diese Musik bedeutet.
Etwas anderes, das dich von anderen Pianisten unterscheidet ist die Art und Weise, wie du deine Kunst im Web publizierst. Es gibt einige Videos von dir, wie du spektakuläre Aufführungen machst: während dem Grachtenfestival in Amsterdam auf einem Anhänger durch die Straßen fahrend, im Club, auf einem Kran hoch über den Straßen Sao Paulos, ein Hauskonzert in deiner Wohnung mit einem Publikum, das du auf der Straße angesprochen und eingeladen hast. Was ist die Idee dahinter?
Ich denke, solche Aktionen sind ein gutes Mittel, um auch Leute anzusprechen, die nicht unbedingt in den Konzertsaal kommen. Händels Musik ist für die Aufführung im kleinen, häuslichen Rahmen geschrieben worden – insofern liegt es auf der Hand, seine Musik in der eigenen Wohnung aufzuführen. Ausserdem wollte ich die Musik gern mit Video verbinden. Das ist natürlich auch ein Mittel, um Aufmerksamkeit zu erzeugen.
Was reizt dich daran, Musik auf diese Weise aufzuführen. Ich stelle mir das recht unkomfortabel vor auf einem fahren Anhänger zu spielen der ruckelt, dazu die Nebengeräusche. Hat die Konzerthalle da nicht einige Vorteile?
Es ist einfach etwas ganz anderes, das kann man nicht miteinander vergleichen. Normalerweise spiele ich ja auch im Konzertsaal und dort hört man konzentriert zu. Aber Händel in einem vollen Club zu spielen, nachdem vorher eine echt laute Bigband aufgetreten ist und dann auf einem schlechten Klavier – das hat seinen eigenen Charme und war ein guter Effekt. Auch die überraschten Gesichtsausdrücke beim Grachtenfestival, wie man sie in dem Film sehen kann, die kann man im Konzertsaal nicht erzeugen. Und es kommen Leute mit Händels Musik in Berührung, die sich solche Musik sonst nie anhören. Hier bleiben sie stehen und hören zu und es gefällt ihnen.
Welche Webdienste nutzt du, um dein Projekt «Händel at the piano» zu kommunizieren?
tumblr ist sehr wichtig, meine Website basiert auf diesem Dienst. Ich habe mich dafür entschieden, einerseits weil er gerade sehr in ist und viele kunstaffine Leute ihn benutzen. Ausserdem ist die Bedienung sehr einfach und man kann ihn gut mit anderen Social Networks verknüpfen. Für vimeo, wo meine Videos gespeichert sind, gilt das ähnlich. Es ist ästhetischer und ansprechender als Youtube, obwohl man mich dort natürlich auch findet. Zu Twitter dagegen musste ich mich zuerst zwingen. Ich wusste zuerst nicht, was das soll, mit der Begrenzung auf 140 Zeichen. Mittlerweile sehe ich schon auch, dass man darüber viele Menschen erreicht und sich in kurzer und knapper Form austauschen kann.
Was ist in deinen Augen der Vorteil von Social Media für dich als Künstlerin?
Es verstärkt meinen Eindruck davon, was über mich gesagt und geschrieben wird, nicht nur von den Experten in den Kulturredaktionen, sondern bei den Menschen, die in meine Konzerte kommen und meine Musik hören. Social Media kann einem da einen sehr direkten Eindruck geben, der ähnlich direkt ist, wie das persönliche Gespräch. Mir ist es sehr wichtig, mich mit Musikern, Fachleuten, aber auch mit meinem Publikum auszutauschen und zu erfahren, wie sie Händels Musik erleben und verstehen. Da erreiche ich über Social Media viele Menschen.
Auf deiner Website kann man nachlesen, dass deine Schwester Ilonka als Creative Business Developper für dich arbeitet und dass sie verantwortlich für die Strategie ist. Das sind Begriffe, die man in der Welt der klassischen Musik selten antrifft. Siehst du dich selbst als Unternehmerin und hast du einen Businessplan für deine Aktivitäten?
Ja, tatsächlich haben wir so etwas wie einen Businessplan gemacht, wo wir überlegt haben, wie wir über Crowdfunding, Stiftungen und Förderstellen Geld für die Filme und die CD-Einspielung bekommen, die ich gemacht habe. Denn das kann nicht aus Konzerteinnahmen generiert werden. Mir ist wichtig, so ein Projekt professionell anzugehen. Zwar hat das Web 2.0 viel Selbermachkultur, aber es macht am Schluss einen Unterschied, ob das jemand filmt und schneidet, der etwas davon versteht. Ich selbst hätte das so nicht machen können und ich denke, auch der Erfolg wäre nicht so gross gewesen, wenn die Filme nicht so gut gemacht wären von Erwan van Buuren, Peter Strijbos und Marc van der Heijde.
Hast du dir bestimmte Ziele gesetzt, was die Verbreitung der Filme angeht und eine bestimmte Strategie wie du sie verbreitest?
Natürlich war es mein Ziel, mein Händel-Projekt auf diesem Wege bekannt zu machen und es ist toll, dass das auf solches Feedback gestoßen ist. Aber ich habe mir da keine konkreten Ziele gesetzt. Der Erfolg hat mich am Schluss sehr überrascht.
Zur Person
Seit Daria van den Bercken 2006 den Debuut Publieksprijs gewann, ist sie in allen bedeutenden Konzertsälen und Festivals Hollands aufgetreten. Darüber hinaus erhielt sie Einladungen in zahlreiche andere europäische Länder, die USA, Canada, Brasilien, Australien, Japan und andere Länder. 2007 gab sie ihr Debüt beim Rotterdam Philharmonic Orchestra mit Clara Schumanns Klavierkonzert. 2012 erschien ihre Debüt-CD «Handel At The Piano» (Sony Classical). Im gleichen Jahr erhielt sie den Amsterdam Preis, den bedeutendsten Kunstpreis ihrer Heimatstadt. Neben ihrer Tätigkeit als Solistin ist sie auch aktive Kammermusikerin und arbeitet in Musikprojekten mit Kindern. Weitere Informationen unter dariavandenbercken.com.
Daria van den Bercken beim Grachtenfestival
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