Skrowaczewskis Bruckner

Veröffentlicht von Christian Holst am

Durch einen Bekannten wurde ich kürzlich auf den Bruckner-Zyklus des Dirigenten Stanislaw Skrowaczewski aufmerksam. Ich hatte den Namen vorher noch nie gehört, die Aufnahmen dementsprechend auch nicht. Als ich sie dann hörte, fragte ich mich allerdings, wieso dieser Dirigent so ein Schattendasein in der Musikwelt fristet, während Christian Thielemann als der Bruckner-Dirigent unserer Tage gefeiert wird. Man kommt dabei auf unschöne, spekulative Gedanken über die Macht von Agenten und PR-Strategen im Klassikbusiness, die man schnell beiseite schieben sollte. Immerhin gibt es ja diese Aufnahmen und sie machen schnell klar, dass Skrowaczewski den Vergleich mit den grossen Bruckner-Dirigenten wie Wand, Celibidache oder Giulini nicht nur nicht zu scheuen braucht, sondern in vielen Punkten gewinnt. Und das, obwohl er für seine Einspielung kein Weltklasseorcherster zur Verfügung hatte wie die oben genannten.

Von den Bruckner-Sinfonien kenne ich die 8. am besten, was damit zu tun hat, dass ich vor 14 Jahren mal als «Mädchen für alles» bei einer Orchesterakademie fungiert habe, bei der diese Sinfonie einstudiert wurde. Aus diesem Grund habe ich mir vor allem diese Einspielung genauer angehört und mit anderen Aufnahmen, die ich kenne, verglichen. Die besondere Stärke von Skrowaczewskis Aufnahme scheint mir darin zu liegen, die Stärken vieler anderer Brucknerdirigenten zu vereinen: Wie Celibidache oder Wand hat er die viel beschworenen grossen Bögen bei Bruckner perfekt im Griff. Das zeigt sich insbesondere im Adagio, wo er die grossen Steigerungswellen über 20 Minuten hinweg spannungsvoll bis zum grossen Höhepunkt staffelt und dann langsam wieder verebben lässt.

Wie Karajan oder Giulini pflegt er einen satten, prächtigen Klang, mit einer allerdings eher rauen, markigen Tongebung im Blech. Trotzdem ist der Klang erstaunlich durchhörbar: Jedes einzelne Instrument bleibt auch in den grossen blechdominierten Klangmassen identifizierbar (sicher auch ein Verdienst der Tontechniker). Skrowaczewskis Bruckner lebt aber nicht – wie Celibidaches oder Karajans – von grossen Bögen und sattem Klang, sondern auch von hörbarer Detailarbeit, die immer überzeugend ist. Anders als Thielemann, der sich in der 8. hier und da gewisse Mätzchen herausnimmt, die zwar mal einen guten dynamischen oder agogischen Effekt hergeben, aber wenig mit dem zu tun haben, was Bruckner sich laut Partitur vorgestellt hat, entwickelt Skrowaczewski die Phrasierungen zwar auch mit einer gewissen interpretatorischen Freiheit gegenüber der Partitur, aber doch sehr natürlich aus dem Gestus, der in der Musik liegt. Im Scherzo etwa nimmt er die Hörner und Posaunen beim grossen Tutti mit den Pauken zuerst etwas zurück und lässt sie dann auf den Schlusspunkt der Phrase hin crescendieren (Min. 1:18-1:24). Stark. Ebenso die scharfen Blechakzente in den lauten Motivrepetitionen davor (Min 0:52).

Diese Details in den Phrasierungen machen seine Interpretation ebenso spannend wie die von Harnoncourt, deren Stärken insbesondere auf diesem Gebiet der «musikalischen Rhetorik» liegt.

Nach dieser Hörerfahrung mit Skrowaczewskis Bruckner-Aufnahmen hörte ich mir auch Beethovens 4. Sinfonie an. Ich habe nicht viel erwartet, weil ich keinen tollen Bruckner-Dirigenten kenne, dessen Beethoven-Aufnahmen mir gefallen. Ich war dann sehr positiv überrascht: Skrowaczewskis Beethoven klingt fast, als hätte er sich mit historischer Aufführungspraxis beschäftigt. Auch hier haben mich die Details begeistert. Mehr als bei den Bruckneraufnahmen wird hier allerdings deutlich, dass das eigentlich sehr gute RSO Saarbrücken spieltechnisch dann doch nicht auf den Champions League-Plätzen mitspielt, also dort, wo sich etwa Chaillys superbrillanter Hochpräzisionsbeethoven mit dem Gewandhausorchester Leipzig bewegt.

Wie der Zufall es so will, gastiert Skrowaczewski im nächsten Frühjahr beim Basler Sinfonieorchester. Ursprünglich stand die 8. Sinfonie auf dem Programm. Leider wurde sie jetzt gegen die Bruckners 4. und eine Mozart-Sinfonie eingetauscht. Aber was soll’s? Das Konzert ist ein Pflichttermin!

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2 Kommentare

Neun Sinfonien | kulturblog.net · 3. April 2015 um 10:58

[…] Sollte man sich für ein einziges Werk aus dieser Liste entscheiden müssen, dann wäre es für mich die Bruckner-Sinfonie. Auch wenn mir eigentlich der Ansatz gefällt, dass diese Sinfonie mehr und mehr in der raueren, ungehobelteren Urfassung gespielt wird, würde ich doch die überarbeitete Fassung mitnehmen. Denn nur die gibt es in der unübertroffenen Interpretation von Stanislaw Skrowaczewski. […]

RIP Stanisław Skrowaczewski | christianholst.de · 23. Februar 2017 um 10:40

[…] insgesamt ein Dirigent, der viel zu wenig Beachtung und Aufmerksamkeit gefunden hat. Ich bin erst vor knapp drei Jahren überhaupt auf ihn aufmerksam geworden und hatte so aber immerhin das Glück, ihn im Februar 2015 […]

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