Wagner als Vordenker eines neuen Theaters

In der aktuellen Ausgabe der Mitteilungen der Richard Wagner-Gesellschaft ist ein längerer Aufsatz von mir erschienen, den ich auch hier zugänglich mache. Der Aufsatz basiert auf einem Vortrag, den ich im Frühjahr auf einer Tagung der Wagner-Gesellschaft halten durfte. Er greift im ersten Teil einen Blogpost aus dem März auf. Wenn man etwas weiterliest, kommt aber auch noch Neues…

Anlässlich des bevorstehenden Verdi- und Wagner-Jubiläumsjahr fragte die ZEIT im Herbst 2012 zehn Opernintendanten, wen der beiden sie für den größeren Komponisten hielten. Das Ergebnis war nicht überraschend, wenngleich doch interessant. Acht der zehn hielten es für am diplomatischsten, beiden die gleiche Größe und Bedeutung beizumessen und ließen allenfalls noch ihre private Vorliebe durchblicken. Zwei Intendanten allerdings schlugen sich eindeutig auf Seiten Verdis. Seine Opern seien kürzer, humaner, ehrlicher, konstruktiver. Wie man aus diesem flauen Lob unschwer ableiten kann, sind es jedoch nicht die Vorzüge und Qualitäten Verdis, die sie zu dieser Einschätzung bringen: Adjektive wie «kürzer» oder «konstruktiver» sind nicht gerade erste Wahl für eine ernst gemeinte Lobeshymne. (mehr …)

Wagner oder Verdi? Wagner!

Zum Start ins Verdi- und Wagner-Jubiläumsjahr fragte die ZEIT zehn Opernintendanten, wen der beiden sie für den größeren Komponisten hielten. Das Ergebnis ist nicht überraschend, wenngleich doch interessant. Acht der zehn hielten es für am diplomatischsten, beiden die gleiche Größe und Bedeutung beizumessen und liessen allenfalls noch ihre private Vorliebe durchblicken.

Zwei Intendanten allerdings schlugen sich eindeutig auf Seiten Verdis. Sie finden seine Opern kürzer, humaner, ehrlicher, konstruktiver. Peter de Caluwe kommt sogar zu der Einschätzung, bei Verdi handele es sich um «Geschichten aus dem Leben». Als hätten die etwas in der Oper verloren. Interessanterweise sind es aber nicht die Vorzüge und Qualitäten Verdis, die sie zu dieser Einschätzung bringen: Adjektive wie «kürzer» oder «konstruktiver» sind nicht gerade erste Wahl für eine ernst gemeinte Lobeshymne. Es ist vielmehr das Missbehagen an Wagner. Das merkt man daran, dass gegen ihn verbal richtig aufgerüstet wird und es dröhnt und donnert wie bei Wagner selbst nur selten: da ist von geistiger und handwerklicher Onanie die Rede, von narzisstischem Gewaber, von Berechnung, von Leitmotiven, die uns indoktrinieren und vergewaltigen. Adornos Wagner-Kritik für BILD-Leser. (mehr …)

Liebe auf den ersten Ton – Interview mit Daria van den Bercken

Daria, du bist einerseits eine Konzertpianistin, die eine klassische Bilderbuchkarriere hingelegt hat: Du trittst in Konzerthallen auf, als Solistin mit Orchestern und spielst dabei das grosse bekannte Repertoire, hast Preise gewonnen und hervorragende Kritiken erhalten. Andererseits machst du auch Dinge, die man von einer klassischen Pianistin nicht erwartet. Momentan fokussierst du dich in deiner künstlerischen Arbeit auf Händel. Nicht gerade einer der einschlägigen Klavierkomponisten…

Ich habe die Klaviermusik von Händel eher zufällig entdeckt. Ich war krank, habe im Internet gestöbert und bin auf die Noten gestoßen. Als ich es gespielt habe, hat es mich gleich total angesprochen. Es ist bis heute so, dass es sich für mich anfühlt, als würde ich diese Musik zum ersten Mal spielen. Da ist eine unglaubliche direkte emotionale Wirkung. Das war es auch, was mich gleich gefangen genommen hat: Ich spielte zuerst ein sehr ruhiges, melancholisches Stück und direkt danach ein schnelles, sehr energiegeladenes Stück. Damit hatte ich innerhalb weniger Minuten die ganze Bandbreite der Emotionen aufgespannt, die diese Musik bietet. Das hat mich sehr fasziniert und ich habe mich gefragt, warum die Werke so wenig gespielt werden. Daraus entstand die Idee für das Projekt «Handel at the piano» und meine intensive Auseinandersetzung mit der Musik. Es ist die Musik, die ich momentan besonders gern spiele und ich hoffe, dass meine Zuhörer merken, wie viel mir diese Musik bedeutet. (mehr …)

«Die sind korrekt!» – Interview mit Tobias Rempe

Nach einem Monat Pause geht es weiter mit der Reihe zum Kulturunternehmertum. Diesmal mit einem Interview mit Tobias Rempe, Geschäftsführer des Ensembles Resonanz.

Das Ensemble Resonanz ist dafür bekannt, dass es nicht nur im Konzertsaal, sondern auch an anderen Spielorten Konzerte veranstaltet. Eigentlich hat ein Konzertsaal ja eine gute Infrastruktur: Es ist ein Flügel vorhanden, es sind Künstlergarderoben da, die Akustik ist gut. Warum geht man dann an Plätze, wo das nicht vorhanden ist und dadurch auch Mehrarbeit entsteht?
Mehrarbeit und manchmal auch mehr Kosten. Wir haben auch schon an Orten gespielt, wo wir alles selbst mitbringen mussten, also sogar die Besuchertoilette selbst aufgestellt haben. Warum macht man das? Letztlich basiert das vor allem auch auf dem Gedanken, dass man viel Publikum verpasst aufgrund der sehr festgefahrenen und sehr wenig reformierten Präsentationsform des klassischen Konzerts. Das hat mit Ritualen zu tun, mit Produktionsweisen, mit der Erscheinungsform des Orchesters. Es hat auch mit dem klassischen Konzertsaal als Veranstaltungsort zu tun. Der hat eine bestimmte Atmosphäre, ein mehr oder weniger definiertes Publikum, das dort hingeht und sich dort wohlfühlt. In Hamburg liegt er zudem in einem Stadtteil, wo abends sonst nicht viel los ist. Das sind alles Überlegungen, die einen relativ schnell dahinbringen, an anderen Orten zu spielen, gerade wenn man ein junges und neues Publikum ansprechen möchte. Das geht leichter an Orten, die anders liegen und die einen Kontrast, vielleicht eine kleine Sensation mitliefern. (mehr …)

«Streng nach dem Lustprinzip» – Interview mit Steven Walter

Im Rahmen der Kulturunternehmer-Interviewreihe spreche ich diesmal mit Steven Walter, dem Gründer und künstlerischen Leiter des Podium Festivals Esslingen. Das Festival hat sich zum Ziel gesetzt, neue Aufführungsformate für die klassische Musik zu entwickeln.

Es gibt Musikfestivals zuhauf. Was war der Antrieb, ein weiteres zu gründen?
Es ging zunächst nicht vornehmlich darum, ein Festival zu gründen. Ziel war, das „klassisch“ genannte Konzert neu zu denken und eigene Ideen umzusetzen, also ein Podium für Konzertinnovationen zu schaffen. Das Festival hat sich dann einfach als brauchbares Format für ein solches Laboratorium erwiesen. Antrieb war also nicht, einfach noch ein Festival zu gründen, sondern neue Ideen, Inhalte und Strukturen zu entwickeln.

Mit Blick auf die Frage des Kulturunternehmertums interessiert mich Ihre Herangehensweise. Wie sind Sie vorgegangen, um Ihre Idee zu realisieren? 
Wir sind streng nach dem Lustprinzip vorgegangen. Das Potential, Menschen auf ein gemeinsames Ziel zu synchronisieren, kommt aus gemeinsam angestrebten Inhalten. Wir waren einfach ein Haufen Freunde, die Lust auf Initiative und Eigenständigkeit hatten. (mehr …)

Kulturinfarkt und Elbphilharmonie

Heute morgen lag das kürzlich erschienene Sonderheft der Kulturpolitischen Gesellschaft zum Thema „Kulturinfarkt“ in meinem Briefkasten. Das Titelbild zeigt die Elbphilharmonie-Baustelle. Kein Artikel zum Kulturinfarkt, der nicht mit der Elbphilharmonie-Baustelle bebildert wäre. Das war auch schon bei den Rezensionen und Reaktionen zum Kulturinfarkt-Buch so. Ohne dass der Bau direkt etwas mit der Debatte zu tun hat, wird er dadurch zum Sinnbild des angeblich kurz bevorstehenden Kulturinfarkts. Ist das nicht irgendwie ungerecht? Soweit ich das aus der Ferne mitbekomme, ist das Problem an der Elbphilharmonie ja gar nicht, dass sie gebaut wird, sondern die Kosten, zu denen sie jetzt gebaut werden muss. Wenn man erstmal angefangen hat, kann man keinen Rückzieher mehr machen. Es ist zwar eine Unterstellung, aber nicht völlig abwegig, dass der Bauunternehmer sich diesen Umstand zunutze gemacht hat.
Aber noch mal zum Kulturinfarkt: Aus der Hamburger Musikszene habe ich vernommen, dass das Projekt Elbphilharmonie eigentlich eher eine Frischzellenkur für das Hamburger Musikleben sei. Denn mit der Entscheidung, die Philharmonie zu bauen, sei auch klar geworden, dass Hamburg sich als Musikstadt klar verbessern müsse. (mehr …)

Wagners Ring: Hollywood avant la lettre

Klaus Zehelein ließ kürzlich verlauten, dass er es für das beste hielte, man würde den Ring des Nibelungen im bevorstehenden Wagner-Jahr 2013 gar nicht spielen. Entgegen diesem Vorschlag sind in dieser und der nächsten Spielzeit ein Dutzend neuer Inszenierungen an deutschen Bühnen in Arbeit. Selbstverständlich auch in Bayreuth, wo nach einer Absage von Wim Wenders jetzt Frank Castorf Regie führen soll. Dass in Bayreuth oder anderswo viel Nennenswertes dabei zu Tage kommen wird, bezweifle ich wie Zehelein, der den Ring für interpretativ ausgeschöpft hält. Wobei: Lohnenswert wäre es in meinen Augen, eine musikalisch wie szenisch „historisch informierte“ Aufführung des Rings zu versuchen. Das heißt, so gut es eben möglich ist, die Bedingungen und Vorstellungen einer guten Aufführung aus der Entstehungszeit herzustellen. Die Alte-Musik-Spezialisten haben gezeigt, welche Aha-Erlebnisse solch ein Ansatz im musikalischen Bereich mit sich bringen kann und für Inszenierungen wäre es mal eine echte Sensation. (mehr …)

Schwindsucht statt Infarkt: Orchestersterben

Wer die Meldungen zur Lage deutscher Sinfonieorchester verfolgt, ist geneigt, eher von Schwindsucht als von Infarkt zu sprechen. Dass es in Deutschland keine «Kultur des Aufhörens» gäbe, davon kann in Bezug auf die Sinfonieorchester keine Rede sein. Höchstens, dass das Aufhören kulturlos betrieben wird, sprich ohne kulturpolitisches Konzept. Von den 168 Orchestern, die 1992 existierten, gibt es heute noch 132 – etwa 25% weniger.
Aktuell sind die Orchester in Duisburg, Baden-Baden/Freiburg, Stuttgart und Remscheid/Solingen von der Schließung bedroht. Die beiden SWR-Orchester haben – wohl dank ihres künstlerischen Renommees – auf der Seite orchesterretter.de immerhin rund 22.000 Unterschriften gegen eine Schließung gesammelt. Von der schwäbischen Hausfrau bis zur internationalen Kulturgröße ist alles dabei. Die Duisburger Philharmoniker kommen auf immerhin 10.000 Unterschriften. Die schlagkräftige Community, die über das Social Media-Projekt dacapo aufgebaut und letztes Jahr kurzfristig herunter gefahren wurde, hätte vermutlich zwar nichts Grundlegendes an der schwierigen Situation des Orchesters geändert, aber doch wichtige Schützenhilfe leisten können. (mehr …)

Halb so wild: Klassische Musik doch nicht am Ende

Vor kurzem machten vier Kulturfunktionäre als «alte Wilde» Furore mit der Forderung, die Hälfte der Kultureinrichtungen zu schließen. Als ob das nicht genug sei, verkünden jetzt ein paar junge Wilde mit Hilfe von Jung/von Matt gleich das Ende der klassischen Musik:

httpv://www.youtube.com/watch?v=jWRcchep3is

Mit dem Clip wird die neue Staffel (!) einer jungen Konzertreihe des Konzerthauses Dortmund beworben. Wer in dieser Reihe Musik wie in dem Musikclip erwartet, wird allerdings enttäuscht. Letztlich sind es ganz normale Recitals von viel versprechenden jungen Künstlern auf dem Weg in eine Karriere im klassischen Konzertbetrieb. Das ist weder besonders wild, noch das Ende der klassischen Musik. Im Gegenteil. Es ist der – durchaus ehrbare – Versuch, das Ende der klassischen Musik noch möglichst lange hinauszuzögern. (mehr …)