Musikvermittlung: Marketing oder musikalische Bildung?
In der ZEIT gab es kürzlich eine Debatte über Sinn und Unsinn von Musikvermittlung. Dabei ging es um die Frage, ob Musikvermittlung die Anstrengung, die ein komplexes Kunstwerk seinen Rezipienten abverlangt, zu einem «der großen Tabus eines auf allgemeine Erleichterungen gerichteten Angebotsmarkts der Medien, des Kultur- und inzwischen auch des Bildungsbetriebs» mache, wie Holger Noltze behauptet. Oder ob Musikvermittlung nicht so etwas wie eine Landkarte sei, die den Zuhörer durch eine Landschaft führe, die immer sowohl unzugängliche als auch bequem erreichbare Ziele enthalte, wie Christoph Becher dagegen hält. Noltze würde hier Musikvermittlung und Marketing durcheinanderwerfen.
Ich bezweifele, dass sich diese Trennlinie so scharf ziehen lässt, denn was ist das Ziel von Musikvermittlung, als es dem Besucher zu erleichtern, sich komplexe, anstrengende Kunstwerke anzutun? Musikvermittlung, wie sie von Kultureinrichtungen geleistet wird, folgt keinem Bildungsziel, sondern strategischen Zielen der jeweiligen Einrichtung. Wenn die Leute schlauer nach Hause gehen, als sie gekommen sind, ist das schön, aber nicht das oberste Ziel. Dass Musikvermittlung und Marketing Schnittmengen haben, konstatiert auch Becher, aber sie sind vermutlich wesentlich grösser, als er in seinem Artikel den Anschein erwecken möchte. Es ist auch nicht verwerflich, ganz im Gegenteil. Wer viel Steuergelder anvertraut bekommt, der sollte auch zusehen, dass damit etwas Nachhaltiges erreicht wird, das nach Möglichkeit kein Nischenvergnügen für wenige Kenner bleibt. Trotzdem: Ohne eine gewisse Kennerschaft, macht die meiste klassische Kultur keinen Spaß, sondern ist pure Strapaze. Das hat mit ihrer Komplexität zu tun. Noltze fordert deswegen ein Trainingsprogramm in Komplexitätstoleranz. Wohlbemerkt nicht die gern zitierte Komplexitätsreduktion, sondern Komplexitätstoleranz. Und da gebe ich ihm recht, dass Musikvermittlung das nicht leisten kann. Das leistet nur fundierte musikalische Bildung. Die Ergebnisse aus Studien dazu sind recht eindeutig. Komplexitätstoleranz lernt man nicht, indem man die Landkarte studiert, sondern indem man einfach mal gemäss seinen Möglichkeiten loswandert. Der Trainingseffekt stellt sich ein und die Bewunderung für die «Extrembergsteiger» (in diesem Bild also die Hochleistungsmusiker) wächst mit der eigenen Erfahrung.
Trotzdem: Für die Kultureinrichtungen, die einen Kultur- und keinen Bildungsauftrag haben, bleibt die Frage, wie darauf zu reagieren ist, dass die musikalische (oder überhaupt die kulturelle) Bildung vielerorts seit Jahren zu wünschen übrig lässt und eine Besserung nicht in Sicht ist. Es ist allemal besser, wenigstens etwas zu tun anstatt zu jammern und die Zustände zu beklagen. Aber dass musikalische Bildung durch Musikvermittlung aufgefangen werden könnte halte ich für reinen Zweckoptimismus. Insofern sehe ich Musikvermittlung als inhaltsvolles, strategisches Marketing im besten Sinne des Wortes.
P.S.: Mit diesem Beitrag werde ich mich bis auf weiteres vom Bloggen verabschieden. Bereits in den letzten Monaten ist der Takt der Beiträge kontinuierlich zurückgegangen und angesichts (sehr erfreulicher) privater und beruflicher Ereignisse und Aufgaben würde sich diese Entwicklung so weiter fortsetzen. Deswegen mache ich vorerst einen Schnitt. Das Blog wird weiter zugänglich bleiben und meinen Twitter-Account werde ich weiterhin bespielen.
3 Kommentare
Michael Kallweitt · 28. November 2010 um 20:45
Die Diskussion um den eigenen Standort zwischen Kunstvermittlung, Marketing und künstlerischer Bildung lässt sich auch auf andere Kunstsparten – vor meinem eigenen Hintergrund denke ich natürlich an die Theaterpädagogik – ausdehnen.
Nicht zuletzt vor dem Hintergrund aktuellen Spardebatten werden wir uns immer wieder mit der Frage nach Inhalten und Zielen unserer Arbeit auseinandersetzen. Aus meiner fachlichen Perspektive hielte ich es für kurzsichtig, würde man pädagogische Angebote als reines Instrument der Besuchergewinnung sehen.
Auch um langfristig die Zukunft unserer kulturellen Einrichtungen zu sichern, ist es erforderlich, Theater wie andere Künste als Bestandteil des kulturellen Kanons zu etablieren. Dabei kann beispielsweise die Theaterpädagogik mit Angeboten der darstellerischen Erziehung und Bildung (die über eine Vermarktung des aktuellen Spielplans hinausgehen) in Kooperation mit Schulen und außerschulischen Bildungseinrichtung sowie durch Angebote für verschiedene Zielgruppen einen eigenen Beitrag leisten.
Christian Holst · 29. November 2010 um 17:48
Diese Haltung ist aus pragmatischer Sicht wahrscheinlich sinnvoll und richtig. Konsequent zu Ende gedacht finde ich sie allerdings problematisch, denn man entlässt die Bildungseinrichtungen schleichend aus ihrer Verantwortung. Das ist eigentlich eine Frage des komparativen Wettbewerbsvorteils: Bildungseinrichtung sind besser bei der Bildung, Kultureinrichtung bei Kulturangeboten. Wenn Kultureinrichtungen jetzt anfangen, Bildung anzubieten, um ihr Publikum langfristig zu sichern, dann geht das auf Kosten ihrer Kernaufgabe.
Trotzdem: pragmatisch betrachtet sehe ich momentan auch keine andere Lösung für Kultureinrichtungen, als zu versuchen, die Bildungsversäumnisse selbst so gut es halt geht auszugleichen.
Nicolai · 13. Dezember 2011 um 8:00
Ein sehr guter Blogartikel.
Auch wir vermitteln Musikprofis und unterstützen bei der Vermittlung zwischen Interessenten und Musikern. Dabei fällt auf: Musiker sind keine Verkäufer – und das ist auch gut so!
Eben deshalb rechtfertigt sich dieser Markt.
Gruß