Christian Holst

Kulturmanagement :: Digitale Transformation :: Künstliche Intelligenz


Kategorie: Oper

  • Speisung der 7.000

    Bregenz lebt natürlich von den Festspielen. Das merkt man insbesondere in den Stunden vor den Aufführungen auf der Seebühne, wo nicht daran zu denken ist, im näheren Umkreis irgendwo einen Tisch in einem Restaurant oder Café zu bekommen. Immerhin passen 7.000 Personen auf die Seetribüne. (Ich habe mich gefragt, wie das gehen soll, wenn die Vorstellung bei schlechtem Wetter ins Festspielhaus verlegt wird, das vielleicht allerhöchstens 2.000 Leute fasst?!?)

    Wir haben uns Tosca auf der Seebühne allerdings nicht angeguckt, da wir die Preise zu hoch fanden. Inbesondere deswegen, weil klassische Musik unter freiem Himmel in den seltensten Fällen ein Genuss ist. Allerdings habe ich nachher überlegt, ob es nicht doch ein Erlebnis gewesen wäre, als ich gelesen habe, dass man in Bregenz ein eigenes, hochkomplexes Soundsystem entwickelt hat, mit dem Orchester und Sänger verstärkt werden und das sozusagen als eigenes Instrument eingesetzt wird. Laut Aussage des Dirigenten lassen sich damit spektakuläre Effekte erzeugen. Das hätte zumindest mal interessant sein können, ob hier nicht ein viel versprechender Berührungspunkt zwischen moderner Technik und der musealen Kunstform Oper liegt, die ja normalerweise mit einem denkbar altertümlichen Apparat aufgeführt wird.

    Wie auch immer, wir haben wir uns stattdessen ein Konzert mit dem hervorragenden (Knaben-)Chor des St. John’s College, Cambridge, angehört. Der erste Teil bestand aus Musik von Purcell, die ich langweiliger als erwartet fand, der zweite Teil vor allem aus Brittens »Ceremony of Carols« für Chor und Harfe, die wirklich großartig ist.

  • Psychologie des Theaters

    In der Zeit gibt es gerade eine interessantes Interview mit der Sängerin Vesselina Kasarova. Zum einen beschreibt sie sehr eindrücklich den unglaublichen psychischen Druck, dem insbesondere Sänger, aber eigentlich aufführende Künstler insgesamt, ausgesetzt sind. Der ist wirklich beträchtlich. In der Champions League, in der Kasarova spielt, sicher besonders, aber grundsätzlich ist das an all den Staatsopern und -theatern auch nicht viel anders. Der Konkurrenzkampf ist ziemlich gnadenlos und jede jede neue Besetzungsrunde und jedes Vorsingen hält Kränkungen und Demütigungen bereit, die schnell an die Substanz gehen.

    Die andere Seite dieser Kränkungen ist dann das Lamentieren über unfähige Kollegen (Dirigenten, Regisseure, Sänger), die auch in diesem Interview vorkommen. Interessanterweise wird nie von verschiedenen Auffassungen gesprochen, sondern immer gleich von Unfähigkeit. Auch das finde ich sehr typisch. Insofern gewährt dieses Interview einen kleinen, aber grundlegenden Einblick in die Psychologie des Theaters.

    Ganz großartig beschrieben wird das übrigens in dem »Opernroman« von Petra Morsbach. Ein toller Roman, der in nüchterner, einfacher Sprache Szenen aus dem Leben verschiedener KünstlerInnen eines fiktiven mittelmäßigen Opernhauses portraitiert. Es hat mir vor allem deswegen so gut gefallen, weil es deutlich macht, dass die menschlichen Dramen, die sich hinter den Kulissen abspielen, häufig viel anrührender und ergreifender sind, als das was auf der Bühne passiert.

  • Das Gute, Schöne, Hehre

    Im aktuellen Crescendo schreibt Katharina Wagner über das Gute, Schöne, Hehre – in ziemlich geschwurgeltem Stil, damit jeder merkt, dass sie auch studiert hat. Ein schönes Schwurgelbeispiel ist, wo sie schreibt, dass ihr beim Schluss vom Rheingold »leicht und regenbogenbunt« ums Herz wird und von »Frühlingsfrische und Riesenwaschkraft« schwadroniert. Ja, und der Regisseur, der die allzu einfachen Antworten scheut, wird vom Publikum ausgebuht. Dummes Publikum, schlauer Regisseur. So ist das nämlich! Wird bestimmt eine hochintelligente Meistersinger-Inszenierung in Bayreuth, nur keiner wird es merken.

  • Schon wieder ins Innere der Figuren verlegt

    Gestern schon wieder Oper. Diesmal in Oldenburg: Dialogues des Carmélites (Gespräche der Karmeliterinnen) von Francis Poulenc in einer Inszenierung von Jörg Behr. Der war Regieassistent an der Stuttgarter Oper, was man irgendwie sehen konnte, denn seine Inszenierung hat ein ziemliches Wieler-Morabito-Viebrock-Look-and-Feel.

    ln in der Kurzeinführung wurde übrigens gesagt, das Besondere der Inszenierung sei, dass die Handlung ins Innere der Figuren, genauer der einen Hauptfigur, verlegt sei. Naja, so besonders ist das natürlich nicht. Außerdem war der Gedanke nicht sonderlich konsequent umgesetzt, so dass die Inszenierung ohne Programmzettel und Kurzeinführung praktisch nicht zu begreifen war. Eigentlich geht Blanche – toll gesungen und gespielt von Anja Metzger – aufgrund unbestimmter Existenzangst ins Kloster, um dort Ruhe zu finden. In dieser Inszenierung nun existiert das Kloster und die Schwestern allerdings nur in Blanches Vorstellungswelt, wo sie es sich als Fluchtort vor den sexuellen Übergriffen des Vaters aufgebaut hat. Nicht konsequent war da z.B., dass die echten Figuren mit den imaginierten interagierten, weswegen diese Trennung von realer Welt und Vorstellungswelt überhaupt nicht klar wurde.

    Trotzdem hat mir die Inszenierung eigentlich ganz gut gefallen, denn sie war handwerklich gut und wirkungsvoll gemacht, sehr gute Personen- und gute Lichtregie, da gibt es gar nichts zu meckern. Richtig gut fand ich den Schluss, bei dem ich mich irgendwie an den Schluss von Der Pate III erinnert gefühlt habe, wo auch zu hochdramatischer, religiös konnotierter Opernmusik eine Reihe von Hinrichtungen stattfinden. Das geht wirklich unter die Haut.

  • Ins Innere der Figuren verlegt

    Gestern waren wir in Tristan und Isolde im Bremer Theater. Beim Blättern im Programmheft vor Beginn der Oper fiel mir ein Wagner-Zitat ins Auge, in dem es heißt: »nur mittelmäßige Aufführungen können mich retten!« Mich überkam da schon die Befürchtung, das könne als vorweggenommene Entschuldigung für die Inszenierung gemeint sein. Aber so schlimm war es nicht.

    Die Inszenierung war in einem neutralen Sinne einfach nichts sagend. Sehr abstrakt und minimalistisch angelegt, gewissermaßen »entrümpelt«, auch wenn das heute natürlich keine originelle Idee mehr ist. Im Prinzip ist »Tristan« aber die Oper von Wagner, die das am besten verträgt, weil die Handlung »ganz ins Innere der Figuren verlegt« ist, wie es immer so schön heißt. Die Regisseurin Reinhild Hoffmann machte Ernst mit diesem Gedanken, so dass es fast schon eine konzertante Aufführung in Kostüm war. Die Inszenierung blieb so zwar frei von modernistischem Schnickschnack und »heutigen« oder gar »verstörenden« Gags, aber leider auch von zwingenden Momenten und Bildern. Nur das Schlussbild war eine Ausnahme, wo es vom Schnürboden auf die den Liebestod sterbende Isolde herunterregnete, was durch geschickte Beleuchtung wirklich ziemlich gut aussah. Was das allerdings mit dem Liebestod zu tun hat, ist dann wieder eine andere Frage, eine, die nicht beantwortet wurde.

    Musikalisch war die Aufführung allerdings außerordentlich gut und wirklich leidenschaftlich präsentiert. Die Sänger waren durch die Bank bemerkenswert – und bis auf Matthias Schulz als Tristan allesamt aus dem eigenen Ensemble rekrutiert. Lediglich den Kurwenal fand ich etwas schwach. Für die beiden Titelhelden und Orchester samt Interims-GMD Stefan Klingele gab es dann zu Recht tosenden Beifall.

  • Operntest Essen

    Zum Start meines Wochenendes in Essen habe ich die Oper »getestet«, die ja laut Feuilleton mittlerweile auf den UEFA-Cup-Plätzen der deutschen Opernliga mitspielt. Gestern gab es die Derniere von »Die Nase«, einer Oper von Schostakowitsch nach einer Erzählung von Gogol. Die Story ist ziemlich gaga, die Musik grell, schrill und meistens ziemlich laut. Sie klingt eigentlich so, wie ich glaube, wie nichtbewanderte Menschen sich moderne Musik vorstellen. Die Inszenierung von Johannes Schaaf fand ich solala, irgendwie ein routiniertes Regietheater-Einfälle-Mosaik mit Autos und Motorrädern, die im Schneckentempo auf die Bühne und wieder runterfuhren, fahrradfahrendem und tischtennisspielendem Chor und weiterer lustiger Sachen. Naja, hat mich jetzt nicht so überzeugt. Wirklich gut war allerdings das Orchester unter Soltesz – unglaublich virtuos, präzise und genau. Nicht zu Unrecht gabs dafür dann auch den meisten Applaus.

  • Moskau Tscherjomuschki

    Gestern war ich das erste Mal seit ziemlich genau 11 Monaten wieder in Oldenburg im Theater. Aber es kam mir vor, als sei es erst vorgestern gewesen. Das klingt natürlich furchtbar floskelig, aber es war wirklich so. Alles ganz vertraut und so. Obwohl natürlich auch einiges anders ist mittlerweile, überall z.B. große grüne „Os“ in der Gegend rumstehen und an den Wänden hängen.

    Zu sehen gab es »Moskau Tscherjomuschki« von Schostakowitsch in einer Inszenierung von David Herrmann. Der war letzten Sommer so ungefähr direkt von den Salzburger Festspielen nach Oldenburg gereist, um das Stück dort als Eröffnungspremiere im Musiktheater herauszubringen. Auch wenn zu meiner Zeit keine Salzburger Festspiel-Regisseure inszeniert haben, konnte ich einen Qualitätssprung nach oben nicht ausmachen. Denn dafür, dass die Musik richtig fetzt, war die Inszenierung ziemlich flau. Beispiel: Bei der wilden Autofahrt durch Moskau schaukelten die Sänger gemütlich in Skiliftsesseln in den Schnürboden. Für sich genommen kein schlechter Effekt, aber für diese Situation nicht passgenau. Allerdings muss man auch sagen, dass die Handlung einfach nicht sonderlich viel hergibt: Eine Reihe von Leuten bezieht frisch gebaute Plattenbauten im Moskauer Vorort Tscherjomuschki (Kirschgarten); der eine und die kommen sich näher und es gibt ein paar Streitigkeiten mit Hausbesitzer und -meister. Sehr wohl was hergeben tut aber die quirlige, ironische, aber äußerst eingängige und effektvoll instrumentierte Musik. Das Überdrehte und Groteske, die krachend-pompösen Märsche, mit denen der bürokratische Apparat parodiert wird, das rührend Sentimentale, mit dem das banale Streben nach ein bisschen privatem Glück in Form einer kleinen Plattenbauwohnung portraitiert wird – all das blieb in der Inszenierung allerdings verschenkt.

    P.S.: Für das neue Spielzeitheft wurden übrigens einige Änderungen am Corporate Design vorgenommen, weswegen es jetzt sehr viel besser aussieht als das letzte Heft. Auch der neue Spielplan ist nun Oldenburg-adäquater, mit nicht mehr fast ausschließlich Opern des 20. Jahrhunderts im Musiktheater sondern einer guten Mischung aus Repertoire-Schlagern und seltener gespielten Werken. Tja, manche Erfahrungen muss wohl jeder selbst machen… 😉

  • Ganz großes Kino

    Zugfahrt gestern: Der Pate III. In der Kritik kommt dieser Film ja nicht so gut weg, irgendwo habe ich gelesen, Coppola habe ihn nur gemacht, weil er Geld brauchte. Ich muss aber sagen, dass ich das dem Film nicht angemerkt habe. Ich finde sogar, er ist fast der beste der Reihe, zumindest besser als der mit Oscars überhäufte Teil II. Die Story mit dem Vatikan ist vielleicht nicht so der Knaller, weil ein bisschen spekulativ und an den Haaren herbeigezogen. Toll ist aber, wie hinter all der Skrupellosigkeit die Tragik gezeigt wird, wie die Menschen charakterlich zerbröckeln, vor allem natürlich Michael Corleone; wie ihm die Endgültigkeit und Unentrinnbarkeit seiner Fehler und Entscheidungen langsam bewusst wird. Absolut grandios finde ich den Schlussteil, wo sich diverse Ermordungen der Feinde der Familie mit Einblendungen einer Aufführung von Cavalleria Rusticana abwechseln, während der ein Anschlag auf Michael Corleone ausgeübt werden soll. Das ist wirklich spannend und einfach wahnsinnig virtuos in Szene gesetzt. Bei all dem nicht zu vergessen natürlich die geniale Filmmusik von Nino Rota und Carmine Coppola. (Francis Coppola machte es ja nicht viel anders als die Mafia und brachte seine halbe Familie auf der Gehaltsliste der Paten-Trilogie unter.)

  • Erstaunlich sakral

    Vergangenen Samstag bekam die Zürcher Oper eine zweite Chance. Es gab Parsifal, Inszenierung Hans Hollmann, von dem ich noch nie was gehört hatte, musikalische Leitung Bernard Haitink, den ich endlich einmal hören wollte. Auch wenn die Inszenierung sehr abstrakt war, hat sie mir unterm Strich doch ganz gut gefallen. Erstaunlich war nämlich, dass die sakralen Handlungen, die sonst meist dem aufklärerischen Anspruch des Regisseurs zum Opfer fallen, allesamt sehr konkret gezeigt wurden. Bei der ersten Gralsenthüllung wurden tatsächlich Wein und Brot ausgeteilt, im dritten Aufzug gab es eine echte Fußwaschung, eine echte Salbung etc. Ironischerweise ist eine solche (zumindest im Ansatz) »buchstabengetreue« Umsetzung mittlerweile viel verstörender und provozierender, als das ehrwürdige Bühnenweihfestspiel in einem Bahnhofsklosetting o.ä. spielen zu lassen.

    Wirklich großartig waren auch die Lichteffekte, die einen großen Reiz der Inszenierung ausmachten. Die Verfolger waren absolut präzise, durch geschicktes Abdimmen verschwanden Personen einfach im Nichts oder traten nur als Schemen in Erscheinung. Auch die Szene der Blumenmädchen war auf einem sehr gelungenen Lichteffekt aufgebaut: Sie waren dunkel gekleidet und trugen farbige, reflektierende Tafeln vor sich her, die in der Gesamtwirkung ein zwar abstraktes, aber sehr eindrucksvolles Blumenmeer in der ansonsten fast komplett schwarzen Bühne bildeten.

    Das Orchester unter Haitink war phänomenal, insbesondere wenn man bedenkt, dass es sich lediglich um eine Wiederaufnahme handelte mit vermutlich entsprechend wenig Proben. Da stimmte einfach alles. Die großen Partien waren zwar mit hochkarätigen Leuten besetzt, die aber teilweise nicht gerade ihren besten Tag erwischt hatten.

    Nichtsdestotrotz: Chance genutzt.

  • Wink mit dem Lattenzaun

    Um hier die Reihe meiner Opernkommentare fortzusetzen, ein kleiner Bericht aus dem Berner Stadttheater, wo ich vorgestern Le Nozze di Figaro sah. Die Vorstellung begann damit, dass kreischende Choristinnen Flugblätter aus den Rängen ins Parkett warfen, auf denen die Abschaffung des Rechts der ersten Nacht gefordert wurde. Aus dieser Forderung ergeben sich nämlich die zahlreichen Konflikte und Intrigen der Oper. (Eine Tatsache übrigens, die eine plausible Aktualisierung der Handlung praktisch unmöglich macht.) Um dies noch einmal zu verdeutlichen, blickte man während der Ouvertüre auf die Projektion eines entblößten, jungfräulichen Schoßes. Das war aber auch schon die einzige originelle Idee des Abends, die immerhin noch bis zur Pause im Bühnenbild präsent blieb. Dies bestand nämlich aus zwei Seitenwänden, die nach hinten auf einen gemeinsamen Fluchtpunkt zuliefen. Vor diesem befand sich ein schmaler Durchgang, auf den sich alles Rein-raus konzentierte. Dr. Freud winkt mit dem Lattenzaun.

    Ansonsten erschöpfte sich die Regie in gepflegtem Rampenstehtheater. Anstatt den überschäumenden Witz der Musik auch szenisch umzusetzen, nahm der Regisseur (Stephan Müller) nur die Gags mit, die auch wirklich nicht zu verfehlen sind und platzierte den ein oder anderen unmotivierten Einfall. Z.B. ließ er Figaros Arie im vierten Akt vor geschlossenem Vorhang und bei erleuchtetem Saal spielen. Die Sänger waren durch die Bank sehr gut, da gab es gar nichts zu mäkeln, und verfügten allesamt auch über die für diese Oper unabdingbare optische Attraktivität.

    Fazit: Also, weh getan hat’s nicht, aber eine gute Figaro-Inszenierung sieht definitiv ganz anders aus.