Christian Holst

Kulturmanagement :: Digitale Transformation :: Künstliche Intelligenz


Schlagwort: Führung

  • Führung im Kulturbetrieb II

    In neueren Führungskonzepten wird unterschieden zwischen transaktionaler und transformationaler Führung. Transaktionale Führung versteht Arbeit als ein Tauschverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, die Individualinteressen der Mitarbeiter und die Unternehmensinteressen werden über eine Tauschaktion (Transaktion) ins Verhältnis gesetzt: Leistung gegen Belohnung. Der Mitarbeiter wird im Sinne der klassischen wirtschaftswissenschaftlichen Terminologie als rational denkender und handelnder Nutzenmaximierer, als homo oeconomicus, gesehen. MbO fällt unter diesen Ansatz der transaktionalen Führung. Über die speziell im Kulturbetrieb aber auch allgemein damit einhergehenden Probleme habe ich im ersten Teil beschrieben. Oftmals wird das transaktionale Modell übrigens dem Manager zugeschrieben, während sich der Leader des transformationalen Modells bediene. Aufgrund dessen, was ich im ersten Teil über Leadership geschrieben habe, kann ich mich dieser Auffassung allerdings nicht anschließen.

    Transformationale Führung

    Im Unterschied zum transaktionalen Modell umfasst die transformationale Führung auch soziale und emotionale Aspekte von Führung und spricht damit auch höhere Bedürfnisse des Menschen an. Hier geht es darum, den Mitarbeitern persönliche Entfaltungsmöglichkeiten zu geben, die intrinsische Arbeitsmotivation auf den Unternehmenszwecks auszurichten und den Mitarbeiter auf diese Weise zum Mitunternehmer zu machen, man könnte auch sagen zu «transformieren». Analog zu den berühmten vier P des Marketing, bietet das Modell der transformationalen Führung vier Is als Merkhilfe. Denn transformationale Führung ist

    • Identifizierend. Damit ist ein authentisches Verhalten der Führungskraft gemeint, der dadurch Respekt und Vertrauen gezollt werden und die durch Übereinstimmung von Reden und Handeln zur Identifikationsfigur wird.
    • Inspirierend. Die Führungskraft vermag es, Sinn zu stiften (zum Beispiel mittels Vision, Symbolen, Bilder) und dadurch die Bedeutung von Zielen und Aufgaben zu erhöhen. Die Identifikation mit den Zielen der Firma wird so nicht nur durch monetäre oder Status-Anreize erreicht, sondern auch durch persönliche Verbundenheit.
    • Intellektuell. Die Mitarbeiter werden aber auch auf geistiger, intellektueller Ebene angeregt, Denkmuster zu hinterfragen und aktiv neue Erkenntnisse und Einsichten anzustreben, Probleme als Chance zu begreifen, etwas neues zu lernen und im Sinne des Ganzen zu denken und Verantwortung zu übernehmen (Mitunternehmertum).
    • Individuell. Im Rahmen der transformationalen Führung geht die Führungskraft individuell auf die Mitarbeiter und ihre sozialen Interaktionen ein, fördert und fordert den Einzelnen gemäß seinen Stärken und Schwächen und entwickelt Perspektiven mit ihm/ihr.

    Insbesondere den letzten Punkt erachte ich in Hinblick auf Führung im Kulturbetrieb für besonders wichtig, denn es ist ja nicht nur ein Klischee, dass Künstler Individualisten sind und dementsprechend auch individuell behandelt werden wollen. Der ehrgeizige, aber unerfahrene Jungschauspieler muss anders geführt werden als die Diva auf der Höhe ihrer Karriere und anders als der alternde Schauspieler, dessen beste Zeit vorbei ist. Der gewissenhafte Verwaltungsangestellte muss anders geführt werden als der genialische, aber launenhafte Hausregisseur. Diese, zugegebenermaßen etwas klischeehaften, Beispiele beziehen sich allein auf die Funktion des Mitarbeiters und zeigen, dass bereits in Bezug auf dieses eine Kriterium verschiedenste Führungsansprüche bestehen.

    Situative Führung

    Einen Ansatz, diesen unterschiedlichen Ansprüchen Rechnung zu tragen, bietet die situative Führung, z.B. in Form des Reifegradmodells von Hersey und Blanchard. Hierbei wird je nach Reifegrad und Motivation des Mitarbeiters ein anderer Führungsstil empfohlen. In Abhängigkeit von Motivation und Reifegrad wird unterschiedlich geführt:

    • Ist die fachliche Kompetenz und Motivation hoch, kann gemäß dem Management by Exceptions delegiert werden («delegating»). Diese Führung ist weder sonderlich aufgabenorientiert, noch sonderlich beziehungsorientiert.
    • Ist die fachliche Kompetenz hoch, die Motivation jedoch niedrig, zum Beispiel bei altgedienten Routiniers, wird weniger aufgabenorientiert, dafür stark beziehungsorientiert geführt («participating», kooperativer Stil).
    • Ist die fachliche Kompetenz niedrig, aber die Motivation hoch, zum Beispiel bei ambitionierten Anfängern, wird gleichermaßen stark beziehungs- und aufgabenorientiert geführt («selling», trainieren)
    • Bei geringer Reife und niedriger Motivation des Mitarbeiters erhält dieser einfach Anweisungen («telling», unterweisen). Die Führung konzentriert sich auf die Aufgabe, nicht auf die Beziehung zum Mitarbeiter.

    Jenseits von dieser schematisierten Darstellung situativer Führung umfasst diese freilich auch Führungshandeln in Bezug auf gruppendynamische und zwischenmenschliche Sym- und Antipathien. Um bei den konkreten Beispielen zu bleiben: Die Leiter der Schreinerwerkstatt und der Malerei, die sich seit Jahren in den Haaren liegen, müssen anders angesprochen werden als Disponent und Schauspieldirektor, die beste Freunde sind usw.

    Wie ich bereits im ersten Teil angesprochen habe, arbeitet in Kultureinrichtungen typischerweise eine besonders bunte Mischung an verschieden ausgebildeten und sozialisierten Menschen, weswegen die Führungsanforderungen hier wahrscheinlich anspruchsvoll und vielfältig wie kaum sonst irgendwo sind. Aber nicht nur im Kulturbereich, sondern insgesamt im kreativen, wissensbasierten, innovativen, dynamischen Umfeld, wo große Komplexität herrscht und Ziele nicht statisch definiert werden können, sondern sich kontinuierlich ändern und angepasst werden müssen, bietet sich daher intuitives, transformationales Führungshandeln zugunsten von Führungstechniken an. Transformationale Führung beinhaltet gegenüber der transaktionalen Führung, zu der MbO gerechnet werden kann, einen entscheidenden Paradigmenwechsel in der Sicht auf Führung: Der Vorgesetzte wird zur Führungskraft. Führungsinteraktionen berücksichtigen nicht mehr nur die vertikale Ebene von Vorgesetztem zu Mitarbeiter, sondern auch die horizontale Ebene der Mitarbeiter und ihre wechselseitige Beeinflussung untereinander. Die Führungskraft versucht komplexe, soziale Interaktionen in ihrem Team so zu beeinflussen, dass dieses seine Kreativität und Produktivität voll entfalten kann und in den Dienst der Sache stellt. Das heißt, die Führungskraft kann nicht mehr unbedingt wissen, was am Ende herauskommt und ist im besten Fall selbst von dem Ergebnis positiv überrascht.

  • Führung im Kulturbetrieb I

    Vor einiger Zeit rezensierte Christian Henner-Fehr in seinem Blog Armin Kleins Buch zu «Leadership im Kulturbetrieb». In den Kommentaren entspann sich dann eine Diskussion zu Sinn und Unsinn von Kleins Vorstellungen, die mich dazu veranlasst haben, das Thema für mich noch einmal gründlich aufzurollen und Führungsprinzipien für Kulturbetriebe zu skizzieren, die ich als tauglicher erachte. Die Ergebnisse stelle ich hier in zwei Teilen unter der Überschrift «Führung im Kulturbetrieb» zur Diskusion. Der erste Teil widmet sich noch einmal den zentralen Instrumenten, die Klein vorschlägt, der zweite denjenigen, die ich für geeigneter halte.

    Meine Kritik zielte darauf, dass Klein den Modebegriff «Leadership» auf den Kulturbereich überträgt und dabei in meinen Augen wesentliche Aspekte und Führungsbedingungen außer Acht lässt. Für Klein läuft es, grob gesagt, darauf hinaus, dass er «Leadership» mittels Vision und die Umsetzung der Vision mittels Management by Objectives (MbO) empfiehlt.

    Leadership

    Zunächst zum Thema «Leadership»: Fredmund Malik hat diesen Modebegriff sehr überzeugend auseinandergenommen. Es beginnt damit, dass es sich bei dem Begriff um schlecht rückübersetztes Englisch handelt und er eigentlich nichts anderes als Management meint. Die scheinbar so sinnfällige Unterscheidung zwischen dem Manager, der exekutiert, kontrolliert, stabilisiert etc. und dem Leader, der durch sein Charisma begeistert und visionengetrieben gestaltet und innoviert etc. wird bei Malik damit schnell zur hinfälligen Unterscheidung. Damit einher geht für Malik auch die Tatsache, dass nicht Persönlichkeitsmerkmale und Charisma entscheidend für Führungserfolg sind, also nicht, was jemand ist, sondern, was jemand tut. Sowohl die großartigsten, als aber auch die schrecklichsten Ereignisse der Geschichte wurden durch «Leader» herbeigeführt. Die detaillierte Kritik lässt sich nachlesen in dem Buch: Leadership. Best practices und Trends von Heike Bruch und Bernd Vogel. Reflexionen zum Begriff des Leadership wie Malik sie anstellt, sucht man bei Klein jedoch vergebens. Man mag es nun kleinkariert finden, Klein dafür zu kritisieren, dass er einen trotz aller Fragwürdigkeiten ja durchaus geläufigen Fachterminus übernimmt. Mich stört es auch nur insoweit, als es der erste Hinweis auf das geringe Reflexionsniveau des Buches ist, das im Weiteren zu m.E. nutzlosen, wenn nicht gar irreführenden Empfehlungen kommt.

    Führung mittels Vision

    Dabei ist Führung über Vision erstmal ein einleuchtendes Konzept. Es basiert auf der Erkenntnis, dass extrinsische Motivatoren nicht reichen, um Höchstleistung zu erbringen und dass ein Unternehmen seinen Mitarbeitern (Lebens-)Sinn vermitteln, d.h. eine ganz wörtlich zu verstehende «sinnvolle» Tätigkeit bieten muss, um zu Höchstleistungen anszuspornen. Zugespitzt gesagt, soll die Vision dem Mitarbeiter vermitteln, warum es sich für ihn lohnt, Lebenszeit in dieses Unternehmen zu investieren. Eine Vision soll organisationale Energie freisetzen, die sich mittels Bezahlung oder anderer extrinsischer Motivatoren nicht heben lässt. Wenn Nike die Vision verfolgte: «Crush Adidas», dann ist damit ein klar definiertes, erreichbares, sportliches Ambitionsniveau festgelegt, dass durchaus in der Lage ist, Potenzial freizusetzen.

    Öffentlich finanzierte Kulturbetriebe funktionieren jedoch anders als ein Unternehmen wie Nike. Zum einen sind die Mitarbeiter (zumindest die künstlerischen) in aller Regel in hohem Maße intrinsisch motiviert, was sie allerlei Zumutungen bezüglich Bezahlung und Arbeitszeiten wegstecken lässt. Die Notwendigkeit den Mitarbeitern Sinn für ihre Arbeit zu versprechen, ist damit zwar nicht per se unnötig aber deutlich geringer als in Industrie- oder anderen Dienstleistungsunternehmen. Dazu kommt, dass die öffentlich finanzierten Kulturbetriebe einen öffentlichen Auftrag haben, der ihnen einen recht eng definierten Handlungsrahmen und -horizont vorgibt. Ein Dreisparten-Stadttheater soll auch in fünf Jahren noch Stadttheater sein und die Einwohner der finanzierenden Kommune mit anspruchsvollem Theater versorgen. Es kann gewisse Schwerpunkte setzen, aber grundsätzlich muss es für jung und alt, für Schauspiel-, Tanz- und Opernfans, für Unterhaltungsfans wie für hornbebrillte Literaturfreaks ein ansprechendes Angebot machen. Es ist zum Beispiel nicht frei zu entscheiden, dass beste Jugendtheater oder die avantgardistischste Experimentierbühne des deutschsprachigen Raums zu werden und dementsprechend alle Kräfte auf dieses Ziel zu fokussieren.

    Beide Faktoren schließen eine Vision nicht aus, reduzieren aber ihre Wirksamkeit erheblich und stellen sie damit als effektives Führungsinstrument in Frage. Die Vision, die sich für ein Stadttheater oder ein städtisches Museum entwickeln ließe, wäre ziemlich zahnlos. Anders sieht es natürlich bei privat finanzierten Kulturunternehmen aus. Das heisst: Führung über Vision kann im Einzelfall geeignet sein, ist es aber nicht allgemein.

    Management by Objectives

    MbO wurde in den 1950er Jahren von dem Management-Vordenker Peter Drucker entwickelt. Die Idee von MbO ist es, dass jeder Vorgesetzte mit seinen Mitarbeitern Ziele vereinbart, die es zu erreichen gilt. Die Zielerreichung wird durch den Vorgesetzten regelmäßig kontrolliert und häufig mit einer außerordentlichen Geldzuwendung oder evtl. einer Weiterbildung oder Beförderung belohnt. Der Fortschritt gegenüber älteren Führungskonzepten ist, dass der Mitarbeiter frei in der Wahl der Mittel und Wege zur Zielerreichung ist, der Vorgesetzte funkt ihm nur im Ausnahmefall dazwischen (Management by Exception). Das erhöht seinen Gestaltungs- und Entfaltungsmöglichkeiten und damit seine Motivation. MbO ist daher ein geeignetes Führungsinstrument für Unternehmen, in denen sich die Ziele operationalisieren und quantitativ definieren lassen und dessen Mitarbeiter hohe Handlungskompetenz haben, klassische Beispiele dafür sind Vertrieb und Außendienst. Der Motivationsansatz ist jedoch extrinsisch. Es besteht kein Grund für den Mitarbeiter, über das definierte Ziel hinaus Einsatz zu zeigen oder das Ziel gar besonders ehrgeizig zu definieren. Der Mitarbeiter funktioniert hier wie ein Hund, den man für ein Leckerli in die Höhe springen lässt. Der Hund springt so hoch wie er muss, um an die Beute heranzukommen, aber nicht höher, selbst wenn er könnte.

    Man stelle sich jetzt vor, wie solches Führungstechnik in einem Kulturbetrieb angewendet werden soll. Kulturbetriebe zeichnen sich dadurch aus, dass sie über eine besonders bunte Palette an Mitarbeitern verfügen. Besonders deutlich wird das am Theater, wo Verwaltungsbeamte, Musiker, bildende Künstler, Juristen, Betriebswirte, Geisteswissenschaftler, Techniker und Handwerker arbeiten. Museen, Verlage haben eine ähnlich große Bandbreite, vielleicht etwas weniger differenziert aufgefächert. Die Unterschiedlichkeit der Mitarbeiter spiegelt sich auch in den unterschiedlichen Verträgen wieder: Am Theater ist von der Beamtenbesoldung über den TVöD/BAT über die TVK (Orchester), NV Bühne mit verschiedenen Regelungen für verschiedene Berufsgruppen bis hin zu Gastspielverträgen alles vertreten.

    Es bedarf nicht viel, um zu erkennen, dass sich eine solche Bandbreite an Personen, jede mit einem unterschiedlich zum Haus definierten Verhältnis in Form des jeweiligen Arbeitsvertrages, nicht mit einer Führungstechnik erfolgreich führen lässt. In einer Versicherung, bei einem Maschinenbauer, oder in einem Callcenter gibt es eine solch große Bandbreite typischerweise nicht. Aber selbst hier wäre es fahrlässig davon auszugehen, dass deswegen alle Mitarbeiter mit einer einzigen Führungstechnik geführt werden könnten.

    An eine weitere Grenze stößt MbO im kreativen, wissensintensiven, dynamischen Umfeld. Wenn niemand weiß, wie das Ziel konkret aussehen soll, dann lässt sich nicht definieren, wie der Beitrag jedes einzelnen dazu aussehen soll und es lässt sich auch viel schlechter abschätzen, wie umfangreich dieser Beitrag und dementsprechend, wie groß die Belohnung für diesen Beitrag ausfallen muss. Um es noch einmal am Beispiel des Theaters konkret zu machen: Mit einem Schauspieler kann vereinbart werden, wieviel unterschiedliche Rollen er in einer Spielzeit zu spielen bekommt und wieviele Abende er auf der Bühne stehen muss. Das Entscheidende jedoch, nämlich wie er diese Arbeit inhaltlich auszufüllen hat, lässt sich nicht über Zielvereinbarung klären, gerade das muss aber geführt werden. Regieteam und Schauspielensemble müssen es in permanenter Interaktion (= Proben) miteinander freilegen. Die Führungsherausforderung liegt hier darin, soziale Interaktion zu steuern und zwar nicht nur im hierarchischen Verhältnis zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter (wie bei MbO), sondern in der gesamten Gruppe. Und sie liegt darin, Potenzial freizusetzen, von dem möglicherweise zuerst weder der Regisseur noch der Schauspieler wussten, dass es überhaupt vorhanden war. Wenn das gelingt, entsteht eine großartige Inszenierung und das möglichst oft zu erreichen muss das oberste Ziel der Leitung sein. Mit dem Verwaltungsleiter kann der Intendant dagegen wahrscheinlich wunderbar über MbO arbeiten.

    Das Hauptproblem von MbO gerade im Kulturbereich sehe ich daher in der «One-fits-all»-Logik, die nicht funktionieren kann. Eine Fokussierung auf dieses Instrument halte ich daher für im besten Fall weitgehend nutzlos – eben überall dort, wo sich Ziele nicht operationalisieren lassen und das ist im Kulturbereich sehr weitläufig der Fall – , im schlechtesten Fall für schädlich, weil die teilweise Wirkungslosigkeit der Führungstechnik auf die gesamte Organisation frustrierend und lähmend zurückwirken könnte.

  • Dirigenten als Vorbilder für Manager

    Schon öfters habe ich die Idee kritisiert, die Arbeitsweise von klassischen Orchestern zum Vorbild für Führung in Unternehmen zu nehmen. Der Grund: Orchester sind streng hierarchische Organisationen, in denen Entscheidungen nach dem Top-down-Prinzip getroffen werden. Das ist nicht gerade das Non-Plus-Ultra moderner Führung. Natürlich – bestimmte Organisationen müssen aus Effizienzgründen streng hierarchisch funktionieren, nämlich solche, in denen schnelle, schwerwiegende Entscheidungen getroffen werden müssen, die man andernorts lieber erstmal gründlich diskutieren würde: Luftfahrt, Kliniken, Militär oder eben auch Orchester. Wo möglich wird man aber darum bemüht sein, möglichst viel Freiräume und Eigenverantwortung zu zu lassen. Von einer Jazzband könnte man da sehr viel mehr lernen: hier wird ein weiter musikalischer Rahmen gesteckt, in dem sich jedes Mitglied entfalten kann ohne wie ein Rädchen in einem Uhrwerk funktionieren zu müssen. «Besser strategische Anweisungen als operative», heißt dieses Prinzip in Management-Lehrbüchern.

    Trotzdem, die Idee, dass der Dirigenten das Sinnbild eines vorbildhaften «Leaders» ist, scheint populär zu sein – der Dirigent Itay Talgam erklärt Führung bzw. «Leadership» anhand berühmter Dirigenten:

    «Der Dirigent muss eine musikalische Vision haben» sagt Talgam und bezieht sich damit gleich auf einschlägiges Management-Vokabular. Aus musikalischer Sicht ist diese These jedoch sehr fragwürdig, denn wenn es ein gutes Konzert werden soll, dann stammt die musikalische Vision vom Komponisten, nicht vom Dirigenten. Dessen Aufgabe ist es, diese zu entschlüsseln und zu interpretieren. Wenn man hier schon dieses Management-Vokabular anwenden möchte, dann wäre es deshalb richtiger in Bezug auf die Aufgabe des Dirigenten von einer musikalischen Mission zu sprechen.

    Anhand von einigen Konzertausschnitten vorbildhafte Führungsprinzipien abzuleiten muss deswegen im Anekdotenhaften, Allgemeinen steckenbleiben: Der eine Dirigent guckt mürrisch, der andere «happy» – wobei «happy» zu sein natürlich besser ist. Dass der mürrische Dirigent eher düstere Musik dirigiert und der andere fröhliches Showdirigieren am Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker macht, interessiert Talgam schon nicht mehr. Über Kleibers Dirigat von Beethovens Siebter sagt Talgam, er öffne einen Raum, in dem sich das Orchester interpretativ ausleben könne (im Sinne der strategischen statt operativen Anweisungen, s.o.). Würde er Kleiber auch bei der Probe zeigen, könnte man sehen, dass das ganz und gar nicht sein Anspruch war. Gerade in den Proben, wo abgesehen von der Vorbereitung der Löwenanteil der Arbeit stattfindet, würde aber letztlich sichtbar, wie ein Dirigent wirklich überzeugen, vermitteln, begeistern, sprich führen kann.

    Natürlich ist der Vortrag nett anzusehen und durchaus unterhaltsam und interessant. Dass man als Manager daraus etwas lernen kann, bezweifel ich allerdings.

  • Rundkfunkchor Berlin sucht singende Manager für LeaderChor

    Der Rundfunkchor Berlin lädt Manager und Führungskräfte zu einem Workshop-Wochenende vom 11. bis 14. September ein, an dem ein Programm mit Werken von Händel, Palestrina, Brahms und Whitacre erarbeitet und gemeinsam mit Mitgliedern des Rundfunkchores aufgeführt wird. Dieser so genannte «LeaderChor» (was für ein Wortspiel!) wird vom Chefdirigent Simon Halsey geleitet. Der Chor ist Teil des umfangreichen Rundfunkchor-Projekts «Broadening the Scope of Choral Music», das zum Ziel hat, «professionelle Chormusik auf den unterschiedlichsten Ebenen der Gesellschaft neu und anders erlebbar zu machen», wie es auf der Homepage des Chores heißt. Eine schöne Idee.

    Im Rahmenprogramm dieses Workshops soll es auch um die Kunst gehen, zu führen und sich führen zu lassen. Interessanterweise glauben Kunst- und Kultureinrichtungen oftmals, hier etwas zu vermitteln zu haben. Vor längerer Zeit habe ich über die Disziplin der Wirtschaftsästhetik berichtet, einer Unterdisziplin des Kulturmanagements, in der es um ebendiese Fragen geht. Hierbei wird allerdings außer Acht gelassen, dass die autokratische Führungskultur, wie sie in Kultureinrichtungen üblich ist und strukturbedingt oftmals auch notwendig sein mag, schon länger nicht mehr dem «State of the Art» einer modernen Managementlehre entspricht. Wo es geht, sollte ein guter Manager seinen Laden nicht wie ein Orchester oder ein Ensemble führen, in dem jedem Mitglied eine «von oben» definierte Rolle zugedacht wird, sondern eher wie eine Jazzband, wo jeder Raum für ausschweifende Soli und Improvisationen erhält und sich trotz aller individuellen Entfaltungsmöglichkeiten ein harmonisches Ganzes ergibt.

    Wer Interesse hat, mitzumachen: Hier geht’s direkt zum Anmeldeformular.