Dirigenten als Vorbilder für Manager
Schon öfters habe ich die Idee kritisiert, die Arbeitsweise von klassischen Orchestern zum Vorbild für Führung in Unternehmen zu nehmen. Der Grund: Orchester sind streng hierarchische Organisationen, in denen Entscheidungen nach dem Top-down-Prinzip getroffen werden. Das ist nicht gerade das Non-Plus-Ultra moderner Führung. Natürlich – bestimmte Organisationen müssen aus Effizienzgründen streng hierarchisch funktionieren, nämlich solche, in denen schnelle, schwerwiegende Entscheidungen getroffen werden müssen, die man andernorts lieber erstmal gründlich diskutieren würde: Luftfahrt, Kliniken, Militär oder eben auch Orchester. Wo möglich wird man aber darum bemüht sein, möglichst viel Freiräume und Eigenverantwortung zu zu lassen. Von einer Jazzband könnte man da sehr viel mehr lernen: hier wird ein weiter musikalischer Rahmen gesteckt, in dem sich jedes Mitglied entfalten kann ohne wie ein Rädchen in einem Uhrwerk funktionieren zu müssen. «Besser strategische Anweisungen als operative», heißt dieses Prinzip in Management-Lehrbüchern.
Trotzdem, die Idee, dass der Dirigenten das Sinnbild eines vorbildhaften «Leaders» ist, scheint populär zu sein – der Dirigent Itay Talgam erklärt Führung bzw. «Leadership» anhand berühmter Dirigenten:
«Der Dirigent muss eine musikalische Vision haben» sagt Talgam und bezieht sich damit gleich auf einschlägiges Management-Vokabular. Aus musikalischer Sicht ist diese These jedoch sehr fragwürdig, denn wenn es ein gutes Konzert werden soll, dann stammt die musikalische Vision vom Komponisten, nicht vom Dirigenten. Dessen Aufgabe ist es, diese zu entschlüsseln und zu interpretieren. Wenn man hier schon dieses Management-Vokabular anwenden möchte, dann wäre es deshalb richtiger in Bezug auf die Aufgabe des Dirigenten von einer musikalischen Mission zu sprechen.
Anhand von einigen Konzertausschnitten vorbildhafte Führungsprinzipien abzuleiten muss deswegen im Anekdotenhaften, Allgemeinen steckenbleiben: Der eine Dirigent guckt mürrisch, der andere «happy» – wobei «happy» zu sein natürlich besser ist. Dass der mürrische Dirigent eher düstere Musik dirigiert und der andere fröhliches Showdirigieren am Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker macht, interessiert Talgam schon nicht mehr. Über Kleibers Dirigat von Beethovens Siebter sagt Talgam, er öffne einen Raum, in dem sich das Orchester interpretativ ausleben könne (im Sinne der strategischen statt operativen Anweisungen, s.o.). Würde er Kleiber auch bei der Probe zeigen, könnte man sehen, dass das ganz und gar nicht sein Anspruch war. Gerade in den Proben, wo abgesehen von der Vorbereitung der Löwenanteil der Arbeit stattfindet, würde aber letztlich sichtbar, wie ein Dirigent wirklich überzeugen, vermitteln, begeistern, sprich führen kann.
Natürlich ist der Vortrag nett anzusehen und durchaus unterhaltsam und interessant. Dass man als Manager daraus etwas lernen kann, bezweifel ich allerdings.
27 Kommentare
VioWorld · 11. Juni 2009 um 15:03
Na, Sie kritisieren aber wirklich gerne 🙂
Spaß beiseite: Als (beinahe) professioneller Orchestermusiker muss ich sagen: Orchester sind definitiv nicht hierarchisch organisiert! Natürlich gibt es einen Leitwolf, nämlich den Dirigenten, aber wenn er nicht kooperativ mit dem Orchester arbeitet, hat er nichts zu lachen. Despoten wie Karajan gehören längst der Vergangenheit an.
CH · 11. Juni 2009 um 17:40
Ja, wenn das nicht so wäre, würde ich gar nicht bloggen. 🙂
Ich denke, es ist wichtig, die Begriffe präzise zu verwenden. Hierarchie ist ja nicht gleichbedeutend mit Despotie oder Diktatur und ich habe versucht zu zeigen, dass in manchen Organisationen aus bestimmten Gründen klare Hierarchien herrschen müssen. Orchester gehören dazu, weil ein 70-Personen-Orchester sich sonst nie einig wird, wie man Beethoven richtig interpretiert. Die hierarchische Ordnung stellt hier die Effizienz sicher. Und die besteht nicht nur im Verhältnis zwischen Dirigent und Orchester, sondern auch zwischen 1. und 2. Konzertmeister, zwischen den Konzertmeistern und Solisten bzw. Stimmführern, zwischen Solisten/Stimmführern und «Tuttischweinen», zwischen den Pulten, den Instrumentengruppen usw. Ein Orchester ist also außerordentlich hierarchisch organisiert. Dagegen gibt es auch überhaupt nichts zu sagen. Ich störe mich nur daran, wenn das zu einer generell vorbildhaften Führungskultur hochstilisiert wird wie in dem Vortrag, wie beim Leaderchor oder wie bei den Seminaren des RIAS-Jugendorchesters. Das ist einfach nicht sauber argumentiert, weil es sich ja so gut anhört. Orchester stehen für das Schöne, Gute, Wahre – da kann doch sicher jeder etwas lernen.
Hagen (VioWorld) · 12. Juni 2009 um 10:32
„Saubere Argumentation“ ist eine Sache (da bin ich nicht für zuständig), einen solchen Workshop selber mitzuerleben eine andere.
Den LeaderChor habe ich letztes Jahr mit organisiert, habe also auch das Ergebnis, bzw. die Stimmung live erleben und viele Gespräche mit begeisterten Teilnehmern führen können. Wer sieht, wie sich die „Leader“ von Simon Halseys fordernden aber kollegialen Führungsstil mitreißen lassen, und nach dem Konzert glücklich sind wie Chorknaben nach ihrem ersten Auftritt, der zweifelt nicht an dem Sinn solcher Workshops. Vielleicht ist es ja einfach die Erfahrung, mal die Rollen zu tauschen und sich führen zu lassen. Wenn das Schöne, Gute, Wahre auch noch seinen Beitrag leistet – umso besser!
CH · 12. Juni 2009 um 18:58
Also, damit wir uns nicht missverstehen: ich singe selbst in einem Chor und kann das jedem nur empfehlen. Aber nicht, weil ich mal geführt werden möchte, auch nicht weil Singen gesund sein soll, nicht weil Musikmachen die Synapsen in Schwung hält, sondern um Musik zu machen. Dass das viele positive Nebeneffekte hat, ist unbestritten. Aber wenn man diese Nebeneffekte zum Wesentlichen hochstilisiert und einen Hype darum herum baut, dann stört mich das. Auch wenn Musiker nicht selten sehr geschäftstüchtig sind, sind sie Musiker und keine Managementtrainer. 🙂
VioWorld · 12. Juni 2009 um 19:16
Zugegeben, das mit dem Hype stimmt natürlich. Und zweifellos betreiben die Ensembles mit solchen Workshops auch Image- und Kontaktpflege. Aber schaden tut es sicher niemandem. Doch selbst wenn ein „Manager“ (es sind ja nicht nur Spitzenmanager unter den Teilnehmern) nur den reinen Kunstgenuss aus solch einer Veranstaltung mitnimmt (und möglicherweise mal über Kultursponsoring nachdenkt), ist doch schon was gewonnen. Für das RIAS-Jugendorchester ist dies übrigens schlichtweg ein Überlebensmodell, nachdem der Sender die Subventionen eingestellt hat. Ich finde, da spricht nichts dagegen.
CH · 12. Juni 2009 um 19:29
Nein, da spricht nichts dagegen und schaden tut das natürlich niemandem, das ist auch nicht mein Punkt gewesen. Aber wenn es auf den reinen Kunstgenuss ankommt, dann sollte man das imho auch so sagen. Das reicht doch wohl als Grund! 🙂
Christian Henner-Fehr · 12. Juni 2009 um 21:25
Geht es jetzt um Leadership oder um Hierarchien?
Zu den Hierarchien: Ob ein Orchester oder generell ein Kulturbetrieb streng hierarchisch ist, hängt, denke ich, von der jeweiligen Einrichtung ab. Es gibt Museen, die funktionieren streng hierarchisch, aber natürlich gibt es auch Museen, bei denen das etwas anders ist. Selbiges gilt für Orchester.
Trotzdem: sie alle funktionieren hierarchisch. Christian, Du schreibst, Entscheidungen, die nach dem Top-Down-Prinzip getroffen werden, sind nicht das Non-Plus-Ultra moderner Führung. Aber mit dieser Aussage springst Du von der Hierarchie zum Thema Führung.
Das Gegenteil von Hierarchie ist die Heterarchie. Aber selbst ein heterarchisches System muss temporär Hierarchien zulassen, um funktionieren zu können (je größer die Struktur, desto wichtiger ist die Hierarchie). Die entscheidende Frage ist, auf welcher Grundlage die Hierarchie gebildet wird. Starre Strukturen sind, da hast Du Recht, nicht mehr zeitgemäß. Aber auch wenn Partizipation, etc. im Vordergrund stehen, muss zu einem bestimmten Zeitpunkt jemand die Verantwortung übernehmen, womit wir wieder beim Oben und Unten wären. Aber eben nur für die jeweilige Entscheidung. Bei der nächsten Entscheidung kann die Hierarchie schon wieder ganz anders aussehen.
Heterarchische Organisationen gibt es im Grunde genommen weder im Kunst- und Kulturbereich noch in den großen Wirtschaftsunternehmen. Der einzige ernsthafte Versuch im Kulturbereich (in einer großen Organisationsstruktur) fand in der Berliner Schaubühne statt und endete nach einer gewissen Zeit, ohne dass dieses Modell Nachahmer gefunden hätte.
Die Jazzband, die Du als Beispiel nennst, kommt der Sache schon sehr nahe. Die Improvisation „funktioniert“, weil es gewisse Freiräume gibt. Trotzdem funktioniert sie aber wie ein Uhrwerk, was den Rahmen angeht, denn Improvisation funktioniert auch nach Regeln und basiert auf Exaktheit.
Im Unternehmensbereich ist mir auch kein Beispiel bekannt, was hetrarchische Strukturen angeht. Mag sein, dass es Versuche gibt, durchgesetzt hat sich das heterarchische Modell dort aber auch nicht.
Das heißt, in Sachen Hierarchie gibt es keinen Grund, ein Orchster als Vorbild zu nehmen, wobei ich da Johannes Baumann (?) von Vioworld Recht geben muss. Die Zeiten, in denen man wie von Karajan ein Orchester „führen“ konnte sind vorbei.
Interessant sind Orchester im Hinblick auf einem bestimmten Ansatz von Leadership. Der Dirigent ist im Idealfall in seiner Rolle als Leader eine Art sozialer Architekt (siehe dazu mein Blogpost ), dessen Aufgabe es ist, „to create the space for people to act on what matters to them“.
Da sehe ich manche, nicht alle Dirigenten sehr wohl als Vorbild, denn in einem Orchester lässt sich dieses Schaffen sozialer Räume sehr anschaulich, weil konzentriert, darstellen.
Leadership bedeutet vor allem soziale Kompetenz, um die Menschen um mich herum – in diesem Fall die Orchestermusiker – zu „enablen“. Das funktioniert erstens über die Begeisterung und zweitens über die Fähigkeit, das Orchestergebilde mit sozialen Strukturen zu versehen.
Bei Projekten wie dem LeaderChor geht es ja vor allem darum, Muster aufzuzeigen und das in einem Bereich, der den Teilnehmern unbekannt ist und in dem sie obendrein ihre eigene Kreativität ausleben können. Wenn sie das in ihr eigenes daily business transportieren können, ist viel gewonnen. Daher sehe ich, solange die Sache professionell betrieben wird, solche Projekte gar nicht so negativ, ganz im Gegenteil.
CH · 13. Juni 2009 um 10:49
Geht es um Hierarchie oder Führung? Diese beiden Themen lassen sich wohl kaum voneinander trennen. Das Top-Down-Prinzip ist ein Führungsprinzip, das eine Hierarchie voraussetzt. Orchester sind immer hierarchisch aufgebaut, es gibt einige sehr wenige Ausnahmen von Kammerorchestern (Orpheus Chamber Orchestra). Es ist auch klar, dass die anders nicht funktionieren. Du hast natürlich Recht, es gibt auch kein Unternehmen ohne Hierarchie, denn ohne Hierarchie gibt es auch keine Verantwortung. Daher müsste man von flachen vs. tiefen(?) Hierarchien sprechen.
Dass ein Dirigent eine Art sozialer Architekt ist, sehe ich aber eben nicht so, denn die soziale Struktur ist in einem Orchester klar vordefiniert, jeder hat eine genau zugeordnete Rolle und Verantwortung innerhalb der Gruppe. Genauer lässt sich das kaum definieren, als in einem Orchester. Begeisterung zu erzeugen ist vielleicht ein Teil der Aufgabe eines Dirigenten, aber letztlich nicht das Entscheidende. Sie ist keine Voraussetzung, um eine außerordentliche Leistung zu erbringen. Es sind Erfahrung und Kompetenz. Beim Dirigenten vor allem musikalische und analytische Kompetenz. Wenn er die hat, hat er auch die Autorität vor jedem Orchester der Welt und wer diese Voraussetzung hat, kann ein guter Dirigent sein, egal, ob er beim Dirigieren freundlich guckt oder grimmig, ob er mit ausladender oder reduzierter Gestik arbeitet. Das sagt gar nichts.
Weil diese fraglichen Kurse bzw. Vorträge aber etwas anderes suggerieren, bin ich ihnen gegenüber skeptisch. Dass man als Manager über einen möglichst weiten Horizont verfügen sollte und die Beschäftigung mit Kunst oder Musik da sehr geeignet sein kann, diesen zu erweitern, ist für mich wie gesagt außer Frage. Aber das ist ja nicht der formulierte Anspruch dieser Kurse.
Christian Henner-Fehr · 14. Juni 2009 um 21:37
Ein Dirigent kann noch so erfahren und kompetent sein, wie er will. Mag sein, dass er damit ein guter Dirigent ist (ich weiß nicht, nach welchen Kriterien Du das beurteilst). Aber das heißt doch noch lange nicht, dass das Endergebnis im Zusammenspiel zwischen Dirigent und Orchester ein gutes ist?
Ein Dirigent kann noch so gut sein, wie er will. Wenn die Chemie zwischen ihm und dem Orchester nicht stimmt, dann macht das Orchester unter Umständen mit ihm was es will. Und nicht was er will. Solche Situationen habe ich mehr als einmal selbst erleben dürfen.
Ich denke nicht, dass mit der Funktion, ein Orchester musikalisch zu führen, automatisch auch die soziale Führungsrolle verbunden ist. Das sind zwei Paar Stiefel, die man nicht durcheinander bringen sollte.
CH · 15. Juni 2009 um 8:38
Ja und nein. Talgam und Co. setzen voraus, dass ein guter Dirigent (Kleiber, Bernstein) vorbildhaft für Manager ist. Meine Kritik an diesem Konzept ist genau die, dass das zwei verschiedene Dinge sind und Dirigieren und Management nicht allzu viel miteinander zu tun haben. Deswegen kann ein musikalisch hochkompetenter Dirigent mit seiner administrativen Führungsrolle z.B. als Chefdirigent überfordert sein, aber trotzdem herausragende Konzerte geben und auf dem Pult unangefochten sein. Kleiber ist dafür ein gutes Beispiel. Er hat die letzten 30 Jahre seines Lebens kein festes Engagement mehr gehabt und soweit ich weiß nie einen Chefposten an einem großen Haus bekleidet. Vermutlich weil er selbst wusste, dass seine Stärken nicht auf diesem Gebiet lagen. Trotzdem hat er legendäre Konzerte gegeben. Das ging, weil er musikalisch über jeden Zweifel erhaben war.
Etwas anderes ist es wie gesagt, wenn der Dirigent auch Chefdirigent ist, d.h. das Orchester auch jenseits des Podiums leitet. Dann reicht musikalische Kompetenz nicht, dann sind Managementqualitäten gefragt. Aber darum ging es in Talgams Vortrag ja nicht. Hier war die Frage, was einen Dirigenten auf dem Podium auszeichnet, wie er dort arbeitet. Und da bleibe ich dabei, dass er von einem professionell denkenden Orchester dann akzeptiert wird, wenn er musikalisch etwas zu sagen hat. Ich wüsste keinen großen Dirigenten, bei dem das nicht zutreffen würde, d.h. der aufgrund seiner Leaderqualitäten ein legendärer Dirigent geworden wäre. Im Gegenteil, viele von diesen großen Dirigenten sind höchst fragwürdige «Leader» und in sozialer Hinsicht höchst unbegabt gewesen.
C. Henner-Fehr · 15. Juni 2009 um 9:22
„Und da bleibe ich dabei, dass er von einem professionell denkenden Orchester dann akzeptiert wird, wenn er musikalisch etwas zu sagen hat.“
Und das ist in der Wirtschafts anders?
CH · 15. Juni 2009 um 9:45
Ja, musikalische Fähigkeiten werden in der Wirtschaft leider nicht mit Führungsposten honoriert. 😉
Im Ernst: Jetzt bewegen wir uns auf ein derart allgemeines Level zu, dass man zwischen allem und jedem Parallelen herleiten kann. D.h. natürlich erhält man in der Wirtschaft auch Verantwortung und Respekt über die entsprechende Sachkompetenz. Wer Unternehmer ist und nicht in einer traditionsreichen, hierarchisch strukturierten Firma arbeitet, der muss allerdings tatsächlich auch ein «sozialer Architekt» sein, weil es evtl. noch keine sozialen Strukturen gibt, die geeignet sind, sein Anliegen umzusetzen.
C. Henner-Fehr · 15. Juni 2009 um 10:04
Schon, nur dass ein Dirigent kein sozialer Architekt sein kann bzw. sein muss, dieser Behauptung kann ich überhaupt nicht zustimmen.
Ob Kleiber Managementfähigkeiten hatte oder nicht, weiß ich nicht. Mir ging es aber eher um Leadership und die entsprechenden Fähigkeiten muss er gehabt haben, gerade wenn er immer nur temporär irgendwo gearbeitet hat.
Vielleicht drücke ich es anders aus: wer der Funktion nach eine Führungsrolle innehat (z.B. der Dirigent), der muss deshalb nicht das Alpha dieser Gruppe (des Orchesters) sein.
CH · 15. Juni 2009 um 10:56
Es ist doch problematisch zu glauben, dass man ein bestimmtes Persönlichkeitsprofil bzw. bestimmte persönliche Qualitäten aufweisen muss, um ein Unternehmen oder ein Orchester oder was auch immer erfolgreich leiten zu können. Claudio Abbado ist einer der bedeutendsten lebenden Dirigenten, aber ein erstaunlich unsicher und schüchtern wirkender Mann, der in Proben leise und recht monoton spricht und der kaum imstande sein soll, Konflikte auszutragen. Also alles andere als ein typischer Leader. Pierre Boulez ist ein furztrockener Typ, nüchtern, emotionslos, macht auf dem Podium kaum mehr als den Takt zu schlagen. Auch kein typischer Leader, aber ein anerkannt großartiger Dirigent. Die Liste ließe sich ohne weiteres fortsetzen. Ich sehe da keine Gemeinsamkeit, außer, dass diese Leute ihr Handwerk außergewöhnlich gut beherrschen und fähig sind, die musikalische Botschaft einer Partitur in Klang umzusetzen, weil ihre analytischen Fähigkeiten (Partiturstudium) und ihr künstlerisches Gespür für Klang, musikalische Dynamik und Gestaltung etc. herausragend sind.
Was ich damit sagen möchte: es gibt kein Patentrezept zum «Leader» zu werden und es ist auch überhaupt nicht nötig eine «Leader»- oder Alphatier-Persönlichkeit zu sein, um gute oder sehr gute Arbeit zu leisten. Vielleicht hilft es, mag sein und viele Dirigenten sind sicher ausgeprägte Machtmenschen. Trotzdem: Das einzige, was man in meinen Augen als Manager von Dirigenten lernen kann, ist, sich auf den Inhalt der Aufgabe zu konzentrieren. Das ist aber genau das Gegenteil von dem, was Talgam in seinem Vortrag nahelegt. Da geht es um Äußerlichkeiten, plakativ gesprochen: Wie guckt Muti? Wie guckt Bernstein? Was motiviert besser?
Christian Henner-Fehr · 16. Juni 2009 um 12:38
Das heißt, Du bist der Ansicht, ein Dirigent benötigt keine Sozialkompetenz, sondern es reicht, wenn er über die entsprechenden künstlerischen Fähigkeiten. Richtig?
CH · 16. Juni 2009 um 15:18
Das wäre jetzt meine Meinung in einer sehr zugespitzten Form, ja. Ohne die Zuspitzung würde ich nicht so weit gehen zu sagen, dass er gar keine braucht. Sozialkompetenz ist aber keine zwingende Voraussetzung, damit ein Dirigent einen guten Job machen kann, sie entscheidet nicht darüber, ob jemand ein herausragender Dirigent ist oder nicht, sondern eben seine musikalischen Fähigkeiten. Wenn Sozialkompetenz dazu kommt, umso besser für die Musiker, die mit ihm arbeiten. Es gibt einige Beispiele großer Dirigenten oder allgemein Künstler, wo das, was man normalerweise unter Sozialkompetenz versteht, gegen Null tendiert (z.B. Toscanini oder Celibidache), es gibt Beispiele, bei denen die Sozialkompetenz ganz durchschnittlich ist (Abbado, Boulez, s. letzter Kommentar) und es gibt Beispiele, wo sie hoch ist (Bernstein, Rattle).
Christian Henner-Fehr · 17. Juni 2009 um 21:02
Also keine Sozialkompetenz brauchen sie. Und Alphatiere müssen sie auch nicht sein. Ich glaube, Du unterschätzt da diesbezüglich die Fähigkeiten einiger Dirigenten.
CH · 18. Juni 2009 um 7:58
Ich habe versucht, konkret zu sein in meiner Begründung. Du kannst ja mal anhand der genannten Beispiele (oder auch anderer) sagen, warum meine These nicht stimmt. Worin genau besteht die spezielle Sozialkompetenz von z.B. Abbado oder die angeblich fehlende bei Muti, die sie von anderen Dirigenten unterscheidet? Warum ist Muti trotzdem so ein erfolgreicher Dirigent? So ist deine Gegenaussage einfach sehr allgemein.
clientt · 22. Juni 2009 um 23:04
Ich lese gerade das Gespräch über Führung und Hierarchie im Orchester. Ich finde es erstaunlich, wie schnell CH dabei ist, große Dirigenten unter diesen beiden Begriffen zu bewerten. Na ja.
Aber unabhängig davon, möchte ich kurz auf die Frage eingehen, wie ein Dirigent zu seinem Ergebnis kommt. Jegliches Musizieren basiert auf sozialem Miteinander. Mehr nicht. Menschen müssen es mit Menschen hinbekommen. Die Frage in der Leitung eines Orchester – in jeder anderen Besetzung auch – ist immer die Gleiche. Wie können alle Musiker so synchonisiert werden, dass jeder Einzelne sein persönliches Ziel im Erreichen des Gemeinsamen im selben Moment findet. Wie schafft man es, dass jeder seine Individualität zum Erreichen des Gemeinsamen einsetzt. Oder anders, wie kann eine innere und äußere Interpreation in Übereinstimmung gebracht werden, so dass eine Synergie im Flowerlebnis entsteht. Was für eine Aufgabe! Und es gibt viele Wege dies zu erreichen. Es gibt charismatische Führungspersönlichkeiten, die dies allein durch ihre Autorität hinbekommen. Ich habe Karajan nie live gesehen, aber die Zuhörer sprechen immer wieder von magischen Momenten. Also muss da schon was geklappt haben. Die Frage, wie es ein Abbado schafft, obwohl er so zerbrechtlich daherkommt, ist doch auch eine Spannende? Klar ist, er schafft es. Celibidache war aus meiner Sicht einer der größten Könner auf diesem Gebiet. Ob man es sozialkomeptenz nennen will, wenn einzelne im Orchester bloßgestellt werden, sei dahingestellt. Er hat es aber mit seiner Persönlichkeit geschafft, jeden einzelnen Musiker so zu motivieren, dass er angstfrei alles geben könnte.
Was will ich damit sagen? Musik machen ist ein soziales Phänomen. Es braucht soziale Kompetenz in Verbindung mit einem Führungmodell. Ob mit oder ohne Dirigent. Das gilt für jedes andere Team auch. Natürlich kann ich am Beispiel eines Orchesters, jeden dieser Aspekte sichtbar machen und auch trainieren. Wenn das Seminar gut ist.
Die Arbeit mit einem Orchester finde ich persönlich auch spannender, als mit irgendwelchen Team aus der Arbeitswelt. Und wo ist denn schon das Ergebnis einer Zusammenarbeit im selben Moment des Tuns wahrzunehmen? Außerdem sind die Aspekte des Spiels und der Kreativität – also die Fähigkeit zum schöpferischen Sebstausdruck – , doch Elemente, die jeglicher Motivation zugrundeliegen. Was sonst immer so versteckt daherkommen ist in einem Orchester explizites Them. Ist doch toll und dankbar, wenn man es versteht, auf diesen Ebenen zu arbeiten.
Damit liegt die Sinn und die Qualität eines Managementseminarses nicht daran, ob das Modell eines Orchesters ein Schlüssiges und Übertragbares ist, sondern – wie immer -, daran wie es konzepiert, geführt und geleitet wird.
So, ich habe Euch hoffentlich nicht gelangweilt.
Viele Grüße,
clientt
Christian Henner-Fehr · 23. Juni 2009 um 7:13
Musik als „soziales Phänomen“ beschreibt die Sache recht gut, denke ich.
Ich habe diese magischen Momente bei Karajan erleben dürfen und das nicht nur als Zuhörer. Er konnte in Proben absolut pedantisch sein und wenn er mit etwas nicht zufrieden war, dann war er sauer und verschwand für etliche Minuten.
In Sachen Führung sicher nicht das, was man heute beigebracht bekommt. Aber gleichzeitig konnte er so motivieren, dass ihm alle sein Verhalten nachsahen.
CH · 23. Juni 2009 um 13:36
@clientt und Christian Henner-Fehr: «Soziales Phänomen» ist mir zu allgemein. Ich übertreibe es jetzt, um zu verdeutlichen, was mich stört: Ein Brötchen beim Bäcker zu kaufen ist auch eine soziale Interaktion und wenn ich die zum Anlass nehme, mein gewinnendes Lächeln zu trainieren, dann nützt mir das auch für meinen Managerberuf. Sollten Bäckereien jetzt Managementseminare anbieten?
In Anlehnung an Watzlawick kann man auch sagen: Man kann nicht nicht sozial interagieren. Auch ein Tyrann erreicht seine Ziele und kann Menschen in seinem Sinne beeinflussen. Das ist aber nicht per se vorbildhaft oder nachahmenswert.
«Es braucht ein Führungsmodell»: Ja, ich sage ja, dass es ein klares Führungsmodell gibt in einem Orchester, das durch die Hierarchie definiert ist. Im Zweifel kann ein Dirigent sich darauf berufen und disziplinarische Maßnahmen durchführen. Aber das Führungsmodell ist eben nicht durch bestimmte, allgemein gültige persönliche Merkmale von Dirigenten definiert.
«Jegliches Musizieren basiert auf sozialem Miteinander. Mehr nicht.» Würde diese Aussage stimmen, wäre ich Konzertmeister der Wiener Philharmoniker. 🙂
Beispiel Karajan: er wurde in seinen letzten Jahren von seinem Orchester gehasst, sein Verhalten wurde ihm nicht mehr nachgesehen, sondern es kam zum offenen Machtkampf zwischen ihm und dem Orchester. In punkto sozialkompetenter Führung ein Super-Gau. Trotzdem käme keiner auf die Idee ihm abzusprechen, dass er einer der bedeutendsten Dirigenten des letzten Jahrhunderts war und bis zuletzt großartige Konzerte gegeben hat. Ergo: Die Qualität als Dirigent hat nicht vorrangig mit sozialen Fähigkeiten zu tun, sondern mit musikalischen. Sein Verhalten wurde ihm nicht nachgesehen, weil er motivieren konnte, sondern weil er musikalisch etwas drauf hatte. Man von ihm noch die perfekte Selbstinszenierung lernen. Und man kann von ihm tatsächlich auch lernen, ein Unternehmen zu führen, aber nicht aufgrund seines Führungsstils als Dirigent, sondern weil er ein äußerst cleverer Geschäftsmann war, der z.B. früh die Möglichkeiten der CD und Bild-Ton-Medien erkannt hat und darauf gesetzt hat.
Es gibt aber kein Persönlichkeitsmerkmal, das allen großen Dirigenten gemeinsam wäre und aus dem man einen guten, vorbildhaften Führungsstil ableiten könnte. Es sind oftmals interessante, aber immer gänzlich unterschiedliche Persönlichkeiten. Deswegen halte ich nichts davon, in diesen besagten Kursen an diesem Punkten anzusetzen und Leuten zu vermitteln: sei so, verhalte dich so, dann bist du ein guter Führer. Gemeinsam ist diesen Dirigenten nur, dass sie etwas von Musik verstehen.
Schlussendlich bleibt also die Frage: Warum gibt es viele Dirigenten, die keine typischen oder zumindest vorbildhaften «Leader» sind, aber keinen einzigen, der zwar ein toller Leader ist, aber keine Ahnung von Musik hat?
clientt · 23. Juni 2009 um 15:15
„Ein Brötchen beim Bäcker zu kaufen ist auch eine soziale Interaktion und wenn ich die zum Anlass nehme, mein gewinnendes Lächeln zu trainieren, dann nützt mir das auch für meinen Managerberuf“. Aus welchem Grund sollte ein Managertraining in einem Brötchengeschäft nicht möglich sein? (siehe die Fish- Philosophie).
Ich denke, wir sprechen etwas aneinander vorbei. Ich habe mich gar nicht auf die verschiedenen Führungsmodelle bezogen, die in einem Orchester sichtbar werden können. Dies sind so vielfältig, wie es Dirigenten gibt. Ob ich diese nun mag oder nicht. Und, alle diese Modelle sind selbst wieder dem sozialen Wandel unterzogen. Klar, das Karajan als autoritärer „Führer“ in seiner Hochzeit die Erwartungen/Bedürfnis der Gesellschaft erfüllt hat, irgendwann nicht mehr. Man sagt, dass unter Karajan zeitweise sogar Stasi-Methoden angewandt hat, um Geiger zu kontrollieren (versteckte Mikros am Pult). Im übrigens wurde ihm sein mimosenhaft autoritäres Verhalten zunehmend nicht mehr nachgesehen. Und damit einher ging auch die Kritik an seiner musikalischen Leistung. Allerdings habe so viele Menschen an ihm verdient, dass viele diesen Mythos so lange wie möglich schützen wollten.
Will sagen, es lassen sich alle Führungsmodelle mit allen ihren Facetten im Orchester beobachten. Nur weil offiziell festgelegt ist, wer der Chef ist, nivelliert dies nicht alle Unterschiedlichkeit (wie in jedem Unternehmen auch! Auch ein Manager ist ein Angestellter).
„Jegliches Musizieren basiert auf sozialem Miteinander. Mehr nicht.“ verbindest Du mit der Idee einen Konzertmeisterjob bei den Wiener Philharmoniker ausfüllen zu können? Ist ja toll, kannst Du auf dem Niveau Geige spielen?
Ich stimme Dir voll überein, mit der Aussage „Es gibt aber kein Persönlichkeitsmerkmal, das allen großen Dirigenten gemeinsam wäre und aus dem man einen guten, vorbildhaften Führungsstil ableiten könnte“. Was allen Dirigenten und Managern verbindet ist, dass sie einen Weg finden müssen, mit Menschen ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Und da muss jeder seinen Weg finden.
Übrigens finde ich diese Seminare auch zweifelhaft. Muss allerdings ehrlicherweise sagen, dass ich noch nie an einem teilgenommen habe. Mein Grund ist ein anderer. Es scheint mir eine Modeerscheinung zu sein, aus allem ein Event zu machen. Es ist schick, mit einem tollen Dirigenten und einem tollen Orchester zusammen zu arbeiten. Der Aufwand und Kosten sind hoch, das Prestige der Seminare ebenso. Es scheint mir eine Modeerscheinung zu sein, die eher dem Selbstzweck dient und gleichzeitig Sponsorenbeziehungen knüpfen und pflegen soll.
CH · 23. Juni 2009 um 15:54
@clientt Zum Bäckerbeispiel: 😉 Wenn das so ist, finde ich auch Managementseminare mit Orchestern ok.
Mir ging es in dem ursprünglichen Beitrag um die Ableitung von Managementprinzipien aus den Dirigaten und Stilen verschiedener großer Dirigenten. Natürlich findet Führung im Orchester statt, das bestreite ich nicht. Auch nicht, dass soziale Fähigkeiten des Dirigenten die Zusammenarbeit mit einem Orchester positiv beeinflussen können. Ich meine nur, dass man diesen Punkt nicht zu etwas Entscheidendem hochstilisieren muss. Dank der Hierarchie kann ein Orchester auch dann gut spielen, wenn der Dirigent ein sozialer Analphabet ist (Celi, Toscanini). Ein Lehrer z.B. braucht viel mehr soziale Fähigkeiten als ein Dirigent. Man sollte das in meinen Augen bei diesem Beruf nicht so überhöhen.
Ich kann natürlich nicht auf dem Niveau der Wiener Philharmoniker Geige spielen (ich kann es überhaupt nicht). Aber genau das meinte ich: wer nicht ein absoluter Könner in musikalischer Hinsicht bin, hat keine Chance. Soziale Fähigkeiten muss man beim Vorspielen nicht beweisen. Wenn das ein Kriterium wäre, würden sich meine Chancen auf den Job aber beträchtlich erhöhen. 🙂
Dass diese Seminare zu einer allgemeinen Eventisierung gehören klingt plausibel. Ich finde es halt etwas absurd, Leute vor ein Orchester zu stellen, die inhaltliche keine Ahnung haben, was sie tun, aber aufgrund von formalen Aspekten etwas lernen sollen. Das ist so, als würden Fluggesellschaften Manager zukünftig mal ins Cockpit setzen, damit sie ein Gefühl für Verantwortung bekommen. Funktioniert bestimmt. Wichtiger wäre trotzdem zu wissen, wofür all die Knöpfe da sind.
Christian Henner-Fehr · 23. Juni 2009 um 19:33
@Christian: den „typischen“ Leader gibt es nicht, aber es gibt bestimmte Muster, die sich wiederholen. Schau Dir mal die Rangdynamik an, die empathische und narzistische Alphas kennt, die wenn sie es übertreiben, vom Omega gestürzt werden können.
Es geht auch nicht darum, das große Vorbild zu finden. Die Geschichte ist voller negativer Beispiele, wo Leadership funktioniert hat und man sich gewünscht hätte, dass sie nicht funktioniert.
Aber ein Dirigent und sein Orchester sind ein kleiner Mikrokosmos, wo man das alles sehr schön studieren kann.
Die Qualität setze ich dabei voraus. Ohne die geht gar nichts. Deshalb kann jemand, der „keine Ahnung“ von der Sache hat, auch kein toller Leader werden. Wie soll der sonst motivieren.
„Das ist so, als würden Fluggesellschaften Manager zukünftig mal ins Cockpit setzen, damit sie ein Gefühl für Verantwortung bekommen.“
Genau vor diesem Hintergrund finden doch die ganzen Outdoorveranstaltungen statt. Der Vorteil: in Deinem eigenen Job bist Du irgendwann einmal betriebsblind. In einer anderen Umgebung kannst Du die Handlungsmuster leichter erkennen.
Dieser Ansatz, in fremden Bereichen Muster zu erkennen und sich zu überlegen, wie man sie für die eigene Arbeit verwenden kann, ist übrigens einer, der häufig verwendet wird, wenn es um das Thema Innovation geht. Da geht der Manager vielleicht wirklich zum Bäcker und lernt von diesem.
Beim Thema Dienstleistung können wahrscheinlich viele Manager vom Bäcker lernen. 😉
CH · 24. Juni 2009 um 7:51
Ja, das Leadership-Konzept ist insgesamt nicht ganz unproblematisch, insofern kann man den Sinn entsprechender Seminare schon viel grundsätzlicher hinterfragen. Aber das wäre dann ein ganz anderes Thema, was mit Dirigieren nicht mehr viel zu tun hat.
Qualität ist nicht gleich Qualität. Sie ist einerseits natürlich eine Voraussetzung, die alle Dirigenten erfüllen müssen. Trotzdem gelingt es bestimmten Dirigenten besser oder überzeugender als anderen, eine Partitur zu durchdringen und zu interpretieren.
Die Outdoorveranstaltungen: Ja, klar in diesen Kontext gehören irgendwie auch Dirigierseminare für Manager. Nur: beim Bungee-Jumping oder Teambuilding im Hochseilgarten kann man in kurzer Zeit alles lernen, was man wissen muss, um die Aufgabenstellung auch von der Sache her bewältigen zu können. Das geht beim Seminar mit Dirigieren oder Flugzeugfliegen eben nicht. Da ist eine jahrelange Ausbildung in der Sache notwendig. Man spielt Dirigent oder Pilot, aber man tut dessen Aufgaben nicht wirklich. Den Bungee-Sprung schon. Genau deswegen stört mich ja dieser Ansatz, dass man da so mir nichts dir nichts etwas über Leadership bzw. Führung lernen können soll, obwohl man z.B. noch nicht einmal Noten lesen können muss. Die Frage ist deswegen doch: lernt man da wirklich etwas oder ist es einfach mal eine interessante Erfahrung, die bestenfalls Spaß macht.
Was du über Innovationen schreibst, ist natürlich richtig. Ich glaube aber, dass dieser Vergleich etwas hinkt. Denn ich meinte das Bäckerbeispiel nicht so, dass der Manager dort etwas in Sachen Dienstleistung lernen könnte, sich also etwas abguckt, sondern dass er dort an seinen sozialen Fertigkeiten arbeitet. Wieder auf das Dirigentenbeispiel angewendet würde das heißen, dass soziale Mechanismen im Unternehmen grundlegend anders funktionieren müssten als in einem Orchester, damit ein Manager in dieser Hinsicht etwas lernen kann.
C. Henner-Fehr · 25. Juni 2009 um 9:18
@Christian: „Das Leadership-Konzept ist insgesamt nicht ganz unproblematisch“ und „Qualität ist nicht gleich Qualität“.
Ähm ja, und das heißt??
Wenn ein Manager sich mit dem Dirigieren versucht, dann ist es sicher nicht sein Ziel, sich als Dirigent zu etablieren. Da verstehst Du diese Seminare falsch. Es geht um Modelle, Konzepte und je weiter ein Bereich oder eine Branche von mir entfernt ist, desto mehr kann ich mich auf die Prinzipien konzentrieren.
Die sozialen Mechanismen müssen sich zwischen Unternehmen und Orchester gar nicht unbedingt unterscheiden. Geht es da nicht eher darum, sich bestimmte Prozesse bewusst zu machen? Und ganz generell: das Soziale, das sind immer die Menschen und die sind nie gleich.
CH · 25. Juni 2009 um 10:30
«Das Leadership-Konzept ist insgesamt nicht ganz unproblematisch» heißt: Das ist ein ganz neues Thema, das über das hinaus geht, was hier diskutiert wird. Inhaltlich ist es die Frage, ob man als Führungskraft aus diesem Konzept etwas Sinnvolles ziehen kann oder ob es einfach mal ein spannendes Event ist.
Zum Thema Qualität hast du geschrieben «Die Qualität setze ich dabei voraus. Ohne die geht gar nichts. Deshalb kann jemand, der “keine Ahnung” von der Sache hat, auch kein toller Leader werden. Wie soll der sonst motivieren.»
Meine Antwort darauf war so gemeint: Qualität (gemeint in Bezug auf die Kompetenz in der Sache) ist letztlich nicht die allgemeine Voraussetzung, wie du schreibst, sondern der feine Unterschied zwischen einem guten Dirigenten und einem herausragenden Dirigenten. Der Unterschied liegt eben nicht in den «Leader»-Fähigkeiten, sondern in den künstlerischen Fähigkeiten. Und Künstler sind mitunter sehr verschrobene Menschen, die mit anderen entweder nur sehr schlecht zurecht kommen oder eben dann, wenn sie auf eine klare Hierarchie zurückgreifen können. Bands, in denen sich eine Person so aufführt wie z.B. Celibidache vor seinem Orchester, lösen sich in aller Regel nach kurzer Zeit auf, eben weil es keine definierte hierarchische Ordnung gibt, nach der sich die anderen solches Verhalten bieten lassen müssten.
Es ist mir schon klar, dass es bei den besagten Seminaren nicht darum geht, aus Managern große Dirigenten zu machen. Meine Zweifel zielten nicht darauf, sondern auf die Frage, wie ich irgendetwas aus einem Beruf lernen soll, von dem ich die grundlegendsten fachlichen Basics nicht beherrsche?? Ich glaube eben, dass kompetente Führung vor allem aus der Sache kommen muss, nicht aus diesen viel zitierten Leaderfähigkeiten. Ansonsten gelten die allgemeinen Spielregeln für soziale Interaktionen. Alles, was on top kommt, ist schön, aber nicht erfolgskritisch. Wenn etwas anderes suggeriert wird, dann halte ich das einfach für irreführend. Deswegen bin ich bei diesen Seminaren skeptisch in Bezug auf den ganz konkreten Nutzen. Dass es Spaß macht, mal ein Orchester zu dirigieren – daran habe ich eigentlich keine Zweifel. 🙂