Christian Holst

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Schlagwort: Itay Talgam

  • Dirigenten als Vorbilder für Manager

    Schon öfters habe ich die Idee kritisiert, die Arbeitsweise von klassischen Orchestern zum Vorbild für Führung in Unternehmen zu nehmen. Der Grund: Orchester sind streng hierarchische Organisationen, in denen Entscheidungen nach dem Top-down-Prinzip getroffen werden. Das ist nicht gerade das Non-Plus-Ultra moderner Führung. Natürlich – bestimmte Organisationen müssen aus Effizienzgründen streng hierarchisch funktionieren, nämlich solche, in denen schnelle, schwerwiegende Entscheidungen getroffen werden müssen, die man andernorts lieber erstmal gründlich diskutieren würde: Luftfahrt, Kliniken, Militär oder eben auch Orchester. Wo möglich wird man aber darum bemüht sein, möglichst viel Freiräume und Eigenverantwortung zu zu lassen. Von einer Jazzband könnte man da sehr viel mehr lernen: hier wird ein weiter musikalischer Rahmen gesteckt, in dem sich jedes Mitglied entfalten kann ohne wie ein Rädchen in einem Uhrwerk funktionieren zu müssen. «Besser strategische Anweisungen als operative», heißt dieses Prinzip in Management-Lehrbüchern.

    Trotzdem, die Idee, dass der Dirigenten das Sinnbild eines vorbildhaften «Leaders» ist, scheint populär zu sein – der Dirigent Itay Talgam erklärt Führung bzw. «Leadership» anhand berühmter Dirigenten:

    «Der Dirigent muss eine musikalische Vision haben» sagt Talgam und bezieht sich damit gleich auf einschlägiges Management-Vokabular. Aus musikalischer Sicht ist diese These jedoch sehr fragwürdig, denn wenn es ein gutes Konzert werden soll, dann stammt die musikalische Vision vom Komponisten, nicht vom Dirigenten. Dessen Aufgabe ist es, diese zu entschlüsseln und zu interpretieren. Wenn man hier schon dieses Management-Vokabular anwenden möchte, dann wäre es deshalb richtiger in Bezug auf die Aufgabe des Dirigenten von einer musikalischen Mission zu sprechen.

    Anhand von einigen Konzertausschnitten vorbildhafte Führungsprinzipien abzuleiten muss deswegen im Anekdotenhaften, Allgemeinen steckenbleiben: Der eine Dirigent guckt mürrisch, der andere «happy» – wobei «happy» zu sein natürlich besser ist. Dass der mürrische Dirigent eher düstere Musik dirigiert und der andere fröhliches Showdirigieren am Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker macht, interessiert Talgam schon nicht mehr. Über Kleibers Dirigat von Beethovens Siebter sagt Talgam, er öffne einen Raum, in dem sich das Orchester interpretativ ausleben könne (im Sinne der strategischen statt operativen Anweisungen, s.o.). Würde er Kleiber auch bei der Probe zeigen, könnte man sehen, dass das ganz und gar nicht sein Anspruch war. Gerade in den Proben, wo abgesehen von der Vorbereitung der Löwenanteil der Arbeit stattfindet, würde aber letztlich sichtbar, wie ein Dirigent wirklich überzeugen, vermitteln, begeistern, sprich führen kann.

    Natürlich ist der Vortrag nett anzusehen und durchaus unterhaltsam und interessant. Dass man als Manager daraus etwas lernen kann, bezweifel ich allerdings.