Christian Holst

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Schlagwort: Regietheater

  • Kehlmann füllt das Sommerloch im Feuilleton

    Mit seiner Festrede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele hat Daniel Kehlmann einen erbosten Aufschrei der deutschen Feuilletonisten provoziert. Eine gute Zusammenfassung der Reaktionen gibt es bei nachtkritik.de. Viele sprechen für sich; besonders witzig zu lesen fand ich Joachim Lottmanns «Schützenhilfe».

    Wenn man die Rede liest, scheint es, dass trotz laufender Festivalsaison auch im Feuilleton das Sommerloch herrscht und dem «Regietheater», trotz aller unbestreitbaren Anstrengungen, mittlerweile die Kraft für genügend Aufreger und Gesprächsstoff ausgegangen ist.

    Dabei plädiert Kehlmann – sehr diplomatisch eigentlich – nur für mehr ästhetische Offenheit und weniger Ideologie auf der Bühne. Er sagt:

    Eher ist es möglich, unwidersprochen den reinsten Wahnwitz zu behaupten, eher darf man Jörg Haider einen großen Mann oder George W. Bush intelligent nennen, als leise und nüchtern auszusprechen, dass die historisch akkurate Inszenierung eines Theaterstücks einfach nur eine ästhetische Entscheidung ist, nicht besser und nicht schlechter als die Verfremdung, auf keinen Fall aber ein per se reaktionäres Unterfangen.

    Wie richtig diese Erkenntnis ist, zeigt ein Blick auf die kurzen Videos im Youtube-Channel des Covent Garden Opera House, auf den ich kürzlich im Kulturmanagementblog aufmerksam geworden bin: pralles, ideenreiches, lebendiges, dünkelfreies Theater.

    Des weiteren meint Kehlmann, dass die relvante ästhetische Auseinandersetzung mit heutigen Fragen und Themen trotz allem Bemühen um «Heutigkeit» kaum noch im Theater stattfindet (Liest er etwa dieses Blog? 😉 ):

    Und unterdessen bleibt der Großteil der interessierten Menschen, die einstmals Publikum gewesen wären, daheim, liest Romane, geht ins Kino, kauft DVD-Boxen mit den intelligentesten amerikanischen Serien und nimmt Theater nur noch als fernen Lärm wahr, (…) ohne Relevanz für Leben, Gesellschaft und Gegenwart.

    Ein Theaterkritiker muss gegen diese Feststellung allein schon aus ganz existenziellem Interesse anschreiben. Sie zu widerlegen wäre dabei eine rein empirische Angelegenheit, aber so lange sich keiner ihrer annimmt, wird der Ideologieverdacht des Theaters nicht aus der Welt zu schaffen sein. Also: Welches war die letzte Theater-Inszenierung, die eine bemerkenswerte gesamtgesellschaftliche Relevanz entfalten konnte? Mein Tipp: Eine solche Analyse wird den Verdacht nur erhärten.

  • Lohengrin meets Lehman Brothers

    Das scheinbar Antiaufklärerische, das in Lohengrin im sog. Frageverbot zu Tage tritt, ist vermutlich schon in tausenden von Inszenierungen kritisiert und auseinandergedröselt worden. Jetzt, wie es scheint, einmal mehr in der Neuinszenierung an der Staatsoper Unter den Linden. Regisseur Herheim entblödet sich nicht, es gar «faschistoid» zu nennen.

    Natürlich muss es einem gebildeten Mitteleuropäer zu Beginn des 21. Jahrhunderts komisch vorkommen, dass Lohengrin seiner Braut Elsa verbietet, nach seinem Namen und seiner Herkunft zu fragen und diese sich zunächst darauf einlässt. Geschenkt. Das ist aber so offenkundig und oberflächlich, dass es inzwischen einfach nichts mehr hergibt. Entsprechend: Wer wäre denn so blöd, die Menschheit im Rahmen einer Märcheninterpretation mit der Erkenntnis erleuchten zu wollen, dass es sprechende Wölfe oder Feen, die drei Wünsche erfüllen, in Wirklichkeit gar nicht gibt und hier nur Döntjes erzählt werden?

    Das Ganze ist umso einfältiger, als die eigentliche Frage in Lohengrin eine hochbrisante, hochaktuelle und auch gar nicht so schwer erkennbare ist, vorausgesetzt, man verbaut sie sich nicht durch pseudo-aufklärerische, neunmalkluge Voreingenommenheit. Es ist ganz simpel die Frage von Vertrauen, die Wagner in dieser Oper dramatisiert. Ein Vertrauen übrigens, das Lohengrin nicht nur einer notleidenden Person als Preis für seine Hilfe abringt, sondern eines, das Elsa vorschießt, als sie sich mit «inbrünstigem» Gebet gegen die Verleumdung durch Telramund verteidigt.

    Und weil Theater ja immer «heutig» sein soll: Diese eigentliche Frage im Lohengrin ist eine, die zur Zeit die gesamte ökonomische Welt in ihren Grundfesten erschüttert und überhaupt eine ganz zentrale Frage in offenen Gesellschaften ist. In diesem Kontrast zeigt sich, dass Elsas Vertrauen zumindest auf den zweiten Blick auch nicht naiver ist als dasjenige, das viele gebildete Mitteleuropäer zu Beginn des 21. Jahrhunderts in die «unsichtbare Hand» bzw. die «Selbstheilungskräfte» des Marktes setzen.

    Wie auch immer. Diese Überlegung ist jetzt sicher nicht als Idee zu verstehen, Lohengrin in der nächsten Neuinszenierung an der Wallstreet statt in Brabant spielen zu lassen und aus Elsa eine toughe Brokerin und aus Lohengrin einen spendierfreudigen Finanzpolitiker zu machen. Es ist ein Plädoyer dafür, Lohengrin (für andere Opern gilt das entsprechend) und indirekt auch das Publikum nicht für so dumm und reaktionär zu halten, wie sie definitiv nicht sind.

  • Rutschgefahr

    Bei ihren Promoauftritten für Feuchtgebiete war Charlotte Roche immer ein Garant für gute Unterhaltung. Das lag zum einen an ihr selbst und zum anderen natürlich auch am Thema. Auf youtube gibts u.a. ihre charmanten Auftritte bei der N3-Talkshow und bei Kerner, der hörbar Mühe mit dem Thema hat, zu sehen.

    Von darstellenden Umsetzungen ihres Buches wollte Roche zunächst nichts wissen. Das Neue Theater Halle hat aber offenbar lange genug gebettelt und stellt sich jetzt der letzten Herausforderung des Regietheaters, wie es die Süddeutsche formuliert, indem es eine Bühnenfassung des Bestsellers herausbringt. So gering die Rutschgefahr in kommerzieller Hinsicht sein dürfte, so groß ist sie vermutlich in künstlerischer. Deswegen schon mal ein herzliches toi, toi, toi!