Audience Development als letzte Schlacht des klassischen Kulturmarketings?

Veröffentlicht von Christian Holst am

Vor einigen Wochen ging es hier um die Angebotsorientierung, die bei den meisten öffentlich finanzierten Kultureinrichtungen anzutreffen ist. Aber ich bin natürlich nicht der erste, dem das auffällt. Armin Klein etwa fordert schon seit langem und immer wieder konsequente Besucherorientierung von den Kultureinrichtungen und betont ebenso regelmäßig, dass das nicht den Ausverkauf künstlerischer Unabhängigkeit und Freiheit bedeutet. Bislang bestimmen zwei Konzepte die Diskussion und Bemühungen zu diesem Thema: Kulturvermittlung und Audience Development (AD).

Kunstvermittlung im engeren Sinn will den Zugang zu professionellen künstlerischen Produktionen ermöglichen, indem diese zum Beispiel durch Führungen, Vorträge, Programmhefte in ihren Inhalten und ihrer Ästhetik verständlich gemacht werden. (Birgit Mandel)

Kulturvermittlung reagiert damit auf die Entwicklung, dass Kenntnisse und Wissen des klassischen Bildungsbürgertums beim Publikum heute nicht mehr vorausgesetzt werden können. Sie versucht, durch Vorträge, Führungen, Workshops und vieles mehr die Inhalte und Ästhetik dem Publikum näher zu bringen, damit es möglichst viel vom Kunstgenuss hat. Kunstvermittlung oder auch Education gehört mittlerweile auf die ein oder andere Art und Weise zum Standard praktisch jeder Kulturinstitution und hat ein ganz eigenes, neues Berufsfeld hervorgebracht.

Das Audience Development geht darüber hinaus und zielt darauf, das Gesamterlebnis des Besuchers, die Customer Experience, positiv zu gestalten. Von der ersten Kontaktaufnahme, z.B. dem Besuch der Website, über den Kauf eines Tickets, das Ambiente eines Hauses, den gastronomischen Service, Vermittlungsangebote wie oben genannt bis zum künstlerischen Angebot selbst. Über die Kulturvermittlung hinaus meint Audience Development also auch zielgruppengerechte Werbung, Markenbildung, Kundenbindung, Service und weiteres mehr. Da Kultureinrichtungen das meiste davon aber nicht erst machen, seit der Begriff Audience Development in Deutschland kursiert, ist die Frage, was denn eigentlich der Unterschied zur ganz normalen Kunden- und Serviceorientierung im Marketing ist? Dass die Kernleistung, das künstlerische Angebot, nicht auf Basis expliziter Kundenwünsche entwickelt wurde, sondern in einem von der Öffentlichkeit abgekoppelten künstlerisch-ästhetischen Prozess? In den heutigen übersättigten Märkten ist es ohnehin der Ausnahmefall, dass Produkte auf Basis von Kundenbefragungen und Bedarfsanalysen entwickelt werden. Bis 2007 hat niemand das Smartphone vermisst, dass er 2009 kaum noch aus der Hand gelegt hat. Bei Kultur wie bei Smartphones, Reisen, Kleidung etc. wird das Geld viel mehr mit Lifestyle-Entscheidungen gemacht, der eigentliche Bedarf ist meist für sehr wenig Geld zu decken.

Dennoch scheint der vom «Markt» abgekoppelte künstlerische Prozess der Schlüssel zum Verständnis des Begriffs Audience Development zu sein: Denn wo dieser Prozess und sein Resultat im Sinne der Freiheit und Eigenlogik der Kunst für unantastbar erklärt werden, da bleibt ja nur die Stellschraube Publikum, um die Kunst an den Mann und die Frau zu bringen. So gesehen ist der Begriff Audience Development zwar einerseits eine Mogelpackung hinsichtlich der Besucherorientierung, die er verspricht, aber in Bezug auf die Kernleistung nicht einlösen kann. Andererseits ist er diesbezüglich auch wiederum sehr ehrlich, denn wörtlich bedeutet er ja, dass sich doch bitteschön das Publikum im Sinne der Kulturanbieter entwickeln und steuern lassen soll. Mit dem angenehmen Effekt, dass die Institution hinsichtlich Strukturen, Kultur, Prozessen, Marketing und Finanzierung so bleiben kann, wie sie war und ist.

Interessanterweise legen ja auch Zeitungen und Fernsehsender mittlerweile Audience Development-Programme auf, also Unternehmen, die sehr wohl marktorientiert arbeiten, deren herkömmlichen Geschäftsmodelle aber aufgrund der Digitalisierung erodieren. Vor diesem Hintergrund erscheint Audience Development als die letzte große Schlacht, in der die großen, alten Kulturtanker ihre institutionelle Logik gegen die Dynamik des gesellschaftlichen und digitalen Wandels zu verteidigen versuchen. Dass diese Schlacht nicht zu gewinnen ist, sollte jedem klar sein. Für die Kultureinrichtungen liegt allenfalls ein bisschen Zeitgewinn drin. Einen Zeitgewinn, den sie nutzen können, um sich mit ihrem eigenen Development zu beschäftigen. Ein paar interessante, grundlegende Anregungen dazu gibt es im Vortrag oder Blogbeitrag «Der digitale Kulturbetrieb» von Christian Henner-Fehr.


2 Kommentare

Barbara P. · 20. Januar 2017 um 10:00

Lieber Christian Holst,

zunächst: danke für deine vielen spannenden Blogbeiträge!

Was das Konzept des Audience Developments angeht, so bin ich doch anderer Auffassung. Bei dieser Idee geht es meiner Meinung nach nicht um die übliche Kundenorientierung wie du es ansprichst, sondern darum, für eine Kultureinrichtung vollkommen neue Zielgruppen zu erschließen.

Ich würde den Begriff nicht wörtlich übersetzen und daraus ableiten, dass sich das Publikum an die Institution anzupassen hat – vielmehr geht es hier um das Gegenteil: nämlich darum, was seitens der Kultureinrichtung geleistet werden muss, damit völlig neue Interessenten und Segmente Interesse daran zeigen.

Demnach geht es um das Entwickeln neuer Ideen und Konzepte, damit mehr und vor allem neue Personen angesprochen werden – und die Institution somit gerade nicht im Stillstand verharren kann.

Mit besten Grüßen,
Barbara P.

Christian · 21. Januar 2017 um 21:17

Danke für den Kommentar. Da schließen sich für mich einige Fragen an. Zum Beispiel auf welche Definition du dich stützt? Wenn ich etwa hier nachlese, dann sind es doch im Wesentlichen die klassischen Instrumente des Marketings und der Kommunikation, die beim Audience Development eingesetzt werden. Da wird vielleicht ein bisschen anders kommuniziert, aber Organisationsentwicklung passiert da nicht.
Eine anderer Punkt, bei dem ich sehr skeptisch bin, ist der Anspruch, ganz neue Zielgruppen zu erreichen. Das ist bekanntermaßen sehr schwierig und sehr ineffizient. Warum werden nicht Nicht-Mehr-Besucher in den Fokus genommen? Menschen, von denen man weiß, dass sie eigentlich gern ins Theater gehen.
Aber vielleicht kennst du ja gute Beispiele, wo das Audience Development in deinem Verständnis gute Erfolge erzielt hat? Fände ich spannend…

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