Christian Henner-Fehr fragte kürzlich «Heißt Ihre Zielgruppe ‹alle›?» und thematisierte damit den oft formulierten Anspruch von Hochkultureinrichtungen, für alle Bevölkerungsgruppen da sein zu wollen. Projekte wie «Oper für alle» oder Scheinanglizismen wie Public Viewing bezeichnen die Aktivitäten, die diesem Anspruch Rechnung tragen sollen. Für Christian Henner-Fehr ist schnell klar, dass es sich dabei höchstens um einen kulturpolitischen Vorsatz handeln kann, als Marketingstrategie jedoch zwangsläufig scheitern muss, weil «alle» als Zielgruppe zu unspezifisch sind und der Marketingaufwand ins Unermessliche wachsen müsste, wenn man mit dieser Strategie Erfolg haben wollte.
Meines Erachtens geht es sogar noch einen Schritt weiter. Denn Marketing heißt nicht nur die Auswahl und Definition bestimmter Zielgruppen, sondern auch die gezielte Ausgrenzung von Zielgruppen, die man eben gerade nicht erreichen möchte. «Kick out the wrong customers» besagt eine saloppe Formel. Das klingt zunächst politisch ziemlich unkorrekt, aber die Probleme der Marken Lonsdale und Fred Perry machen beispielhaft deutlich, worum es dabei geht. Denn beide Marken kämpften jahrelang mit dem Image, Neonazi-Marken zu sein. Aus diesem Grund richteten sie ihr Marketing gezielt so aus, dass sie für diese Kundengruppe unattraktiv wurden, z.B. indem Lonsdale den Christopher-Street-Day in Köln sponserte und mit dem Spruch warb «Lonsdale loves all colours».
Bei öffentlich finanzierten Kultureinrichtungen ist ein Ansatz a la «Kick out the wrong customers» wesentlich problematischer, schließlich sollte das Steuergeld, das dort ausgegeben wird, allen zugute kommen. Dennoch wäre es illusorisch zu glauben, dass hier keine Selektionsprinzipien greifen würden. Sie greifen einfach subtiler. Durch die Auswahl von Kunstwerken und Künstlern, durch die Art, wie der Diskurs über das kulturelle Erbe geführt wird und die Art, wie der ästhetische Anspruch formuliert und realisiert wird findet aktive Ausgrenzung statt. Durch die Art der sozialen Begegnung, Lage, Erscheinungsbild und Einrichtung der Räumlichkeiten usw. kommen weitere Ausgrenzungsfaktoren hinzu, die auf den überwiegenden Teil der Bevölkerung höchst abschreckend wirken: Ins Theater gehen beispielsweise etwa nur 4-6% der Bevölkerung, weihnachtliche Familienbesuche der «Zauberflöte» und des «Zauberers von Oz» eingerechnet. Der Vorteil dieser subtilen Art der Ausgrenzung ist, dass man explizit den gegenteiligen Anspruch behaupten kann. Wobei auch das nicht immer der Fall ist: Gerade haben eine Reihe von Kultureinrichtungen in einer größeren Schweizer Stadt Vergünstigungen gekappt, die den Besucherkreis zunächst erfolgreich erweitert und vergrößert haben. Der Grund: man wollte nicht mehr jeden Hans und Franz als Besucher haben, die einmal kommen und sich dann nie wieder blicken lassen.
Wie immer man das beurteilt glaube ich, dass der Anspruch, Hochkultur sei für alle, ein sozialromantisches Lippenbekenntnis ist, das nicht funktioniert weil es nicht funktionieren kann. Die Frage, ob Kultur für alle ist oder nicht, ist in meinen Augen weder eine Frage des Kulturmarketings, noch der Kulturpolitik, sondern vor allem der kulturellen Bildung. Denn nur die ermöglicht den nachhaltigen Zugang und ein dauerhaftes Interesse.
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