Heute ist die Website zur stART.09 online gegangen. Die Konferenz zum Thema Kultur und Web 2.0 wird am 24. und 25. September 09 in der Duisburger Mercatorhalle stattfinden. Der allerersten Resonanz zufolge rennen wir offene Türen ein. Ebenfalls heute gestartet ist der »Call for paper«: Wer Interesse hat, selbst einen Vortrag oder einen Workshop zur Tagung beizusteuern, ist herzlich eingeladen, sich zu bewerben. Alle Infos dazu gibt es auf der Website, ebenso wie den offiziellen Clip und Banner zum Einbetten und -binden auf der eigenen Seite. Einzelheiten zum Programm, zu Referenten, zu Ticketbestellung und -preisen etc. werden in den kommenden Wochen folgen.
Autor: Christian Holst
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Viel oder gut – Was kann Social Media?
Bei allen Chancen von sozialen Medien (Social Media), die sich durch Offenheit und gleiche Augenhöhe von Sender und Rezipient ergeben, ist die Kommunikation, die sie hervorbringen, oftmals unverbindlich, unkonzentriert, lakonisch, redundant und mitunter leichtfertig. Das Prinzip des Einfach-mal-Machens, das viele der Social Media-Dienste überhaupt erst hervorgebracht hat, obwohl es kein tragfähiges Geschäftsmodell gibt, schlägt auch inhaltlich durch und bestimmt die Kommunikation mittels dieser Dienste. Auch hier gilt der von mir gern zitierte Satz, dass das Medium an den Gedanken mitschreibt. Es wundert daher nicht, dass man in sozialen Medien vor allem pragmatisch ausgerichtete How-to-Anleitungen findet (die durchaus sehr gut sein können!), Tipps, Linksammlungen, Clips oder mal mehr mal weniger unterhaltsame Folienpräsentationen, die ebenfalls zum «einfach mal machen» animieren wollen. Das ist eine spezielle Qualität mit viel Potenzial, keine Frage. Aber lassen sich Social Media-Dienste auch dort, wo man thematisch und inhaltlich tiefer schürfen möchte, sinnvoll einsetzen? Diese Frage ist speziell hinsichtlich der Nutzung von Social Media durch Kultur- und Bildungseinrichtungen spannend, wie mir in einem kürzlichen Beitrag im Kulturmanagement-Blog deutlich wurde. Soziale Medien sind Popularisierungswerkzeuge, die Quantität und Effizienz erzeugen können. Aber eignen sie sich auch für qualitativ hochwertige, effektive Auseinandersetzung mit Kunst, Wissenschaft, Kultur? Wird Wikipedia irgendwann z.B. zitierfähig oder das dacapo-Blog eingefleischte Fans der Duisburger Philharmoniker hervorbringen? Und: soll es das überhaupt?
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Jodeldiplom
Meine erste Begegnung mit dem Jodeln hatte ich bei Otto Waalkes, der diese Disziplin für einen Norddeutschen erstaunlich gut beherrscht. Die meisten Durchschnittsdeutschen tun sich dagegen mit dieser eigenartigen Sangeskunst ziemlich schwer, wie Frau Hoppenstedts ersten unsicheren Schritte auf dem Weg zum Jodel-Diplom zeigen:
Was bei Loriot nur Gag ist, ist in der Schweiz Realität: Melanie Oesch, Sängerin der Schweizer Familienband Oeschs die dritten, hat sich tatsächlich ein Diplom erjodelt: sie wählte Jodeln als Abiturprüfungsfach. Oeschs die dritten sind in der Schweizer Volksmusikszene übrigens gerade der Renner und schaffen es, wie auch andere Jodelgruppen, regelmässig in die Schweizer Popcharts.
Dieses Lied ist übrigens ein weiterer Beleg dafür, dass es hinter der pittoreksen Fassade des Schlagers durchaus sehr schlüpfrig zugeht – auch wenn eine Zeile wie «So üben wir die ganze Nacht, bis morgen früh der Tag erwacht: dann jodelst du ganz sicherlich, genauso gut wie ich!» natürlich lange nicht an z.B. Roland Kaisers erotische Eskapaden in «Santa Maria» oder «Manchmal möchte ich schon mit dir…» heranreichen.
(Dass der Name der Gruppe Bezug auf das dentale Equipment des Stammpublikums Bezug nähme, wäre übrigens ein Trugschluss: die Familienband heißt so, weil sie mittlerweile in der dritten Generation musiziert.)
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Mediendarwinismus
Mittlerweile habe ich einige Einträge darüber geschrieben, dass ich das Theater für ein antiquiertes Medium halte, das ungeeignet ist, heutige Stoffe und Themen angemessen zu reflektieren. Bei aller Sympathie für diese These, bleibt mir doch die Frage, warum dieser Umstand zwar für das Theater, aber nicht für andere alte Medien, Bücher zum Beispiel, gelten soll. Zwar gibt es vielleicht den ein oder anderen, der den Bedeutungsverlust des Buches bzw. dessen weitreichende Ablösung durch digitale Textspeicher ebenso kommen sieht. Trotzdem glaube ich nicht, dass das Buch so bald zu einem medientechnologischen Museumsstück wird, wie das Theater.
Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen ist die Reichweite eines Mediums entscheidend. Durch die Allverfügbarkeit von Inhalten, den die Digitalisierung mit sich gebracht hat, geraten die alten Medien unter Druck. Medien, die keine Reichweiten erzielen, werden teuer und unrentabel. Bücher sind hier weit weniger anfällig als Theater, die ortsgebunden sind oder deren Mobilität zumindest einen hohen logistischen Aufwand nach sich zieht.
Der andere Grund ist, dass ein Buch keine anderen rezeptiven Anforderungen als ein digital gespeicherter Text stellt. Ob man Goethes Faust lieber als Reclam-Heft oder lieber bei Gutenberg liest, ist vor allem eine Geschmacksfrage. Verstehen kann man den Text in beiden Fällen gleich gut oder schlecht, weil man die gleichen Buchstaben liest und kognitiv verarbeitet. Der Film hingegen hat es gegenüber dem Theater wesentlich leichter, das «Als-ob» zu vermitteln, die illusorischen Möglichkeiten sind um ein Vielfaches größer. Dem kann das Theater nur die Interaktion entgegensetzen und vielleicht noch die Einmaligkeit des Moments, wobei weder das eine noch das andere zwangsläufig ein Qualitätsversprechen bedeutet. (Man denke an Stadelmeiers legendäre Begegnung mit dem interaktiven Theater oder die uninspirierten Repertoirevorstellungen, in denen man schon so saß). Und wahrscheinlich ist es auch nur noch eine Frage von ein paar Jahren, bis der Film auch diese «Unique Selling Propositions» in perfekter Illusion nachbilden kann.
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Der Roman zum Umzug: Heidiland
Lange Zeit hat es mir keinen Spaß mehr gemacht Romane zu lesen. Nach 20 Seiten fand ich es immer irgendwie langweilig, selbst bei guten Büchern, und habe stattdessen lieber DVD geguckt o.ä. Jetzt aber habe ich den Roman zum Schweiz-Umzug gelesen: «Heidiland». Hier wird am Beispiel einer jungen Ärztin das deutsche Gastarbeiterdasein in der Schweiz literarisch aufbereitet. So geht es einerseits um die Integrationsschwierigkeiten, mit denen auch Deutsche sich konfrontiert sehen, zum Beispiel was die Sprache angeht, die berühmt-berüchtigten Waschtage, der dezentere Umgangston, die Bahn, auf deren Unpünktlichkeit man sich nicht verlassen darf usw. Andererseits geht es um die deutsche Parallelgesellschaft, die sich mittlerweile in der Schweiz und offenbar insbesondere an den Kliniken, entwickelt hat und die einerseits Halt und Heimat gibt, in der sich andererseits aber auch typisch deutsche Gehässigkeiten fortsetzen, z.B. die Karrierekämpfe und ein harscher «Ruck-zuck, zack-zack»-Tonfall. Gewisse Klischees sind so natürlich unvermeidbar, aber zugleich auch nicht von der Hand zu weisen.
Die «Migrations-Problematik» ist allerdings nur einer von mehreren Handlungssträngen. Parallel dazu geht es auch um das gespannte Verhältnis der Heldin zu ihrem planlosen Freund, das komplizierte Verhältnis zum dominanten Vater, der außerdem mit seiner Firma nach Moldawien expandiert, eine Bürgerinitiative sowie eine Miniaturvariante von Jürgen Harksen. Von A-Z wird die Auswanderung daher nicht beschrieben, was mich zuerst etwas stutzig machte, weil ich das aufgrund einer Rezension erwartet hatte. Aber das ist freilich nichts, was sich dem Buch vorwerfen ließe. Insgesamt plätschert der Roman angenehm unterhaltend vor sich hin, ohne eine echte Linie oder ein klares Anliegen, aber durchaus humorvoll, virtuos und bildreich. Das Ende allerdings kam mir reichlich konstruiert vor. Als hätte die Autorin gemerkt, dass ihr auf einmal – nach 320 Seiten – nur noch 20 weitere bleiben, alles zu einem guten Ende zu bringen. Entsprechend unwahrscheinlich und unmotiviert sind dann die Ereignisse der letzten Seiten.
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Über die eigenen Gedanken gestolpert
Förster und Kreuz, die sich selbst als «Business-Querdenker mit dem Hang zu unkonventionellen Ideen» rühmen, haben vor ein paar Tagen ein eBook mit 99 Zitaten für andere Querdenker veröffentlicht. Ihre ziemlich aufgeplusterte Selbstbeschreibung suggeriert, es handele sich um einen Hang zu eigenen Ideen. Warum sollten sie sonst die Business-Querdenker sein? Tatsächlich zeigt dieses eBook aber im Kleinen, wie die anderen Bücher von Förster und Kreuz im Grossen funktionieren: man sammele gute Ideen und Sprüche von findigen, schlauen Unternehmern, sortiere sie thematisch, gieße etwas lauwarme Instant-Theoriesoße darüber und kompiliere das Ganze zu einem Buch. Das ist in Wirklichkeit «nachdenken» in wörtlichstem und schlechtestem Sinne und wird dem großspurigen innovativen Anspruch nicht gerecht. Was das Problem an der Sache ist, wird klar, wenn man das Bild, auf dem die Selbstbeschreibung fußt, konsequent zu Ende denkt: Wer quer denkt, wird über seine eigenen Gedanken stolpern, wenn er nach vorn will. Lieber also die Gedanken nach der Marschrichtung ausrichten und, wenn das Nachdenken in positivem Sinne schon solche Mühe bereitet, dann wenigstens «vordenken».
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Thomas Mann goes Rosamunde Pilcher
In Heinrich Breloers Verfilmung der Buddenbrooks ist Thomas Manns Geschichte kaum mehr als ein Anlass für ein hochopulentes, gelecktes Kostümspektakel. Zweieinhalb Stunden trägt das natürlich keineswegs und nicht selten musste ich mich mit Blick auf die Kinokarte versichern, dass ich nicht in einer Rosamunde Pilcher-Verfilmung saß, so wattig waren die Konflikte und Personen in ihre dekorativen Kostüme und Kulissen verpackt. Bereits in der in Schweizer Kinos üblichen Pause hatte ich deswegen das Gefühl von zweieinhalb Stunden in den Knochen.
Dass sich der Stoff dabei packend dramatisieren lässt, habe ich vor zwei Jahren bei einer Theateraufführung am Stadttheater Bern gesehen. Allein, da trugen die Schauspieler den Abend, nicht die Schauplätze. Dabei ist die Besetzung des Films sicher nicht schlecht, aber egal ob Mark Waschke als Thomas Buddenbrook, Armin Müller-Stahl als Jean oder die unvermeidliche Iris Berben als Betsy, alle blieben blass und banal. Bedingte Ausnahme war die immerhin charmante Toni von Jessica Schwarz, einziges echtes Highlight August Diehl als Chrischan.
Die einzige kleine Freude an dem Film waren damit eigentlich die wenigen Stellen, an denen (auch nicht immer ganz authentisch) plattdeutsch gesprochen wurde. Dann habe ich mit gönnerhaftem Blick (natürlich unbemerkt) in die dunkle Runde der Berner Kinogänger geguckt und gedacht: Tja, das versteht ihr jetzt mal nicht. Ich gebe zu: ein ziemlich kindisches Vergnügen und auch nur eins, weil der Film sonst keins war.
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365/365
Das Jahr 2008 ist vorbei, Zeit, ein erstes knappes Fazit zu ziehen, was sich in Sachen «Kultur und Web 2.0» oder zumindest «Kultur und Internet» getan hat. Um es vorweg zu nehmen: So einiges.
Zunächst gibt es eine ganze Reihe neuer Kulturblogs, deren neueste Christian Henner-Fehr aktuell bespricht. Aber beispielsweise auch das Kulturmarketingblog und dieses Blog in seiner jetzigen Form sind Jahrgang 2008.
Die spannendsten Web/Kulturprojekte des vergangenen Jahres sind in meinen Augen allerdings das dacapo-Blog der Duisburger Philharmoniker und die digitale Konzerthalle der Berliner Philharmoniker. Da capo hat beispielhaft gezeigt wie klassische Kulturinstitutionen Blogs für erfolgreiche Kommunikation nutzen können und welche Wirkung sich mit vergleichsweise geringem finanziellen Aufwand erzeugen lässt. Die Digitale Konzerthalle wiederum, die ich kürzlich kommentiert habe, hat zwar nichts mit Web 2.0 zu tun, ist aber beispielhaft für ein professionell gemachtes, innovatives Webprojekt einer Kultureinrichtung.
Sicher kann noch keine Rede davon sein, dass sich Kultur und Web 2.0 nun endgültig gefunden haben. Aber es gibt guten Grund guter Dinge zu sein, dass 2009 ein Jahr wird, in dem weitere spannende Ereignisse und Entwicklungen auf diesem Gebiet stattfinden werden. Gerade aus Duisburg dürfen wir wohl noch einiges erwarten…
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Ausziehen oder nicht ausziehen?
Wie neue Publikumsschichten für das Theater erschlossen und begeistert werden können – das ist eine der ganz großen Fragen, die Theaterleute umtreibt. Eine wirklich schlüssige Antwort darauf hat bislang niemand gefunden. Vielleicht auch, weil man sich gedanklich in seinen Vorstellungen darüber festgefahren hat, was Theater überhaupt sein kann und soll? Wenn sich die derzeitigen Besucherzahlen nur unter größten Mühen überhaupt halten lassen, sollte man vielleicht lieber beim Theaterbegriff selbst ansetzen?! Eine Vorlage dazu lieferte gerade ein holländisches Gericht, das entschied: Peepshows sind Theatervorstellungen. Zwar waren für diese Schlussfolgerung steuerrechtliche Überlegungen ausschlaggebend, keine inhaltlichen oder ästhetischen, aber die Begründung ist durchaus prägnant und einleuchtend: Bei Peepshows wie bei »Hamlet« gibt es eine Bühne, eine Vorstellung und zahlendes Publikum. Vielleicht sollte das Theaterleitern zu denken geben?