Christian Holst

Kulturmanagement :: Digitale Transformation :: Künstliche Intelligenz


Autor: Christian Holst

  • Vergütungsumfrage im britischen Kultursektor

    Quasi als Nachtrag zum letzten Beitrag noch ein Verweis auf eine britische Vergütungsumfrage unter Kulturschaffenden (gibt’s eigentlich wirklich kein besseres Wort?!?). Diese zeigt ein ähnliches Bild wie die theaterjobs.de-Umfrage, umfasst jedoch den gesamten Kultursektor, nicht nur den Theaterbereich: Trotz in der Regel hoher Qualifikation sind Verdienst und Verdienstaussichten bescheiden. Das durchschnittliche Jahreseinkommen eines britischen Kulturarbeiters beträgt knapp 20.000 Pfund (ca. 24.000 EUR) und die Befragten gehen davon aus, dass sich das auch nicht wesentlich verändern wird. So weit, so wenig überraschend. Aufschlussreicher ist das Profil des typischen Kulturschaffenden:

    The survey found the profile of a typical person participating in the arts sector is a female (Anm.: Der Frauenanteil im britischen Kultursektor beträgt gem. dieser Befragung 77%!), aged 34.5 who lives in London, is highly educated with a minimum of a undergraduate degree, and probably a post-graduate degree. (…) She is motivated not by money but by her passion for the arts and overall enjoys good job satisfaction.

    Diese Ergebnisse machen einerseits deutlich, dass Frauen nicht aufgrund struktureller Diskriminierung in der schlecht zahlenden Kulturbranche arbeiten (müssen), sondern es aufgrund von persönlicher Neigung und selbstbestimmten Entscheidungen tun. Und sie machen andererseits deutlich, dass der Gender Pay Gap damit zu tun hat, dass schlecht zahlende Branchen offenbar Arbeit zu bieten haben, die insbesondere Frauen attraktiv finden.

  • Vergütungsumfrage von theaterjobs.de

    Gerade stieß ich auf eine Vergütungsumfrage unter sogenannten «Theaterschaffenden», die es amtlich macht: am Theater wird man nicht reich – zumindest nicht reich an Geld. Durchgeführt wurde die Umfrage von theaterjobs.de. In der Auswertung werden verschiedene Berufsgruppen am Theater in Hinblick auf einige Kriterien wie den mittleren Verdienst, Einkommensunterschiede bei Männern und Frauen und selbständige und unselbständige Beschäftigungsverhältnisse untersucht. Die Ergebnisse kommentiert Sören Fenner, Geschäftsführer von theaterjobs.de, wie folgt:

    Unsere befragten Theaterleute verdienen wenig, haben unsichere Beschäftigungsverhältnisse und Frauen verdienen deutlich weniger als Männer. Gleichzeitig werden auf dieser Basis Inszenierungen produziert, die ethische Grundwerte wie Gleichheit, Gerechtigkeit und Verantwortung an ihr Publikum vermitteln. Wie passt das zusammen?

    Ulf Schmidt hat diesen Widerspruch einmal mit den Worten vom «Theater als moralischer Anstalt und unmoralischem Unternehmen» auf den Punkt gebracht. Dass die Zahl der deutlich schlechter bezahlten Freiberufler in den letzten Jahren rasant gestiegen ist, passt da nur ins Bild.

    Leider lässt sich aus der Auswertung der Umfrage nicht viel mehr ablesen, als ebendiese wenig überraschenden Feststellungen. Und richtiggehend unsinnig wird es bei der Bewertung der Einkommensunterschiede von Männern und Frauen. Hier wird der gleiche Fehler gemacht wie beim Gender Pay Gap, der angeblich über 20 % betragen soll, wenn sauber gerechnet wird aber nur 2% beträgt: In der Umfrage wurde offenbar weder nach dem Arbeitspensum (Vollzeit, Teilzeit?) noch nach Hierarchiestufe und Karrierelevel (Führungs- oder Budgetverantwortung?) oder Berufserfahrung gefragt. Dementsprechend mangelt es den Zahlen an Aussagekraft. Bei den freiberuflich arbeitenden Autoren scheint die Schere besonders groß zu sein: Laut der Umfrage erhalten weibliche Autoren nur 43% des Stundenlohns männlicher Kollegen. «Negativrekord in Sachen Geschlechtergerechtigkeit» heißt es dazu. Eine Aussage, die nur Sinn ergeben würden, wenn ein und derselbe Auftraggeber diese unterschiedlichen Stundenlöhne zahlen würde. Wenn es sich zum Beispiel zeigen würde, dass weibliche Autoren eher für die freie Szene schreiben und männliche Autoren eher für die öffentlich finanzierten Häuser, dann wäre der Pay Gap schnell erklärt. Am Ende überwiegt doch der Eindruck, dass am Theater nur wenige bekommen, was sie verdienen und ein mehr oder weniger großer Teil des Lohn in Form unsicherer Hoffnung auf Selbstverwirklichung ausgezahlt wird.

  • Winterreise

    Denn das Schöne ist nichts
    als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen,
    und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht,
    uns zu zerstören.

    Rilkes Zeilen aus der ersten Duineser Elegie klingen, auf eine künstlerische Darbietung bezogen, erstmal nicht nach einem Lob. Aber eigentlich kann man einem Künstler kein größeres machen. Die Worte beschreiben für mich die perfekte Kunsterfahrung und geben eine Definition von Schönheit, die so pointiert wie vollständig ist. Ich musste an sie denken, als ich kürzlich in einem kleinen Schulsaal saß und Schuberts Winterreise hörte. Ich war mit keinen allzu grossen Erwartungen an das Kulturprogramm der Zürcher Vorstadt zu diesem Liederabend gegangen und umso mehr gefangen von der grossartigen Darbietung von Marret Winger (Sopran) und Steffen Hartmann (Klavier).

    Hartmann sagte in einer kurzen Erläuterung zu Beginn des Konzerts, dass Schubert das Gefühl der Fremdheit, das viele Menschen in unserer Zeit erleben würden, vorausgeahnt und antizipiert hätte. Mit ihrer Interpretation machten Winger und Hartmann allerdings deutlich, dass Schuberts und Müllers Werk weit über ein epochenspezifisches Lebensgefühl hinausgeht und vielmehr eine zeitlose menschliche Urangst beschreibt: Die Angst, allein zu sein, nicht gewollt zu sein, die Angst vor Sinnlosigkeit, die so tief geht, dass der Tod zur verlockenden Option wird. Zugleich zeigten sie, wie stark es sich bei der Winterreise um Zukunftsmusik handelt, wie viel Schubert hier in musikalischer Hinsicht vorausgeahnt hat, so modern, brüchig und «mahlerisch» klang manche Stelle an diesem Abend. Denn wie später Mahler entwickelt auch Schubert aus der scheinbar unverfänglichen Form des Liedes abgründige Dramen, deren Erschütterungsfaktor Rilkes Schönheitsdefinition voll und ganz entspricht.

    Im kleinen Rahmen mit ca. 40 Konzertbesuchern hat so ein Liederabend eine beklemmende Intensität. In etwa so, als würde jemand bei einem im Wohnzimmer anfangen zu singen, was fraglos eine Zumutung wäre. Und in einem guten, nicht ganz so überrumpelnden Sinne ist es das auch noch in so einem intimen Konzertrahmen, wo die Künstler und Publikum ohne trennenden Bühnenabsatz oder gar Graben auf einander treffen. Es ist ein bisschen so, als würde man im Zoo direkt ins Raubtiergehege gehen und nach dem Motto «Die haben mindestens so viel Angst vor dir, wie du vor ihnen» hoffen, das nichts passiert. Und auch wenn nichts passiert, dann wundert es einen nach einem solchen Konzert nicht, dass Schuberts Freunde verstört reagierten als er ihnen – sich selbst am Klavier begleitend – die Lieder erstmals vorspielte. Auch hier greift das Rilke-Zitat.

    Im Nachklang des Konzerts hörte ich auf spotify in verschiedene Interpretationen rein. Eine, die mich total faszinierte, ist die Aufnahme von Nataša Mirkovic De Ro und Matthias Loibner. Loibner begleitet die Sängerin, die mit wunderbar unprätentiöser und zurückgenommener Stimme singt, mit Drehleier. Dieses gebrechliche, schnarrende, klappernde, in jeder Hinsicht unzulängliche Instrument verstärkt noch einmal das Brüchige, Spröde dieses Liederzyklusses.

  • Stream a little stream…

    Christian Henner-Fehr fragt in einem aktuellen Artikel, ob die digitale Verbreitung von Opernaufführungen und anderen Kulturveranstaltungen zu einer Verdrängung der kleinen Häuser führen könnte. Er bezieht sich dabei auf einen Blogbeitrag von Michael Kaiser, der eine Handvoll Superinstitutionen entstehen sieht, die mit Hilfe von digitalen Vertriebskanälen ihre Vormachtstellung über die Region hinaus absichern und ausbauen können – zu Lasten von kleineren Häusern mit weniger Mitteln und weniger Renommee.

    Ich denke, diese Konzentration auf die grossen Häuser findet ohnehin schon statt, auch unabhängig von digitalen Verbreitungskanälen, die allerdings als Katalysator wirken. Dass große Häuser diese neuen Kanäle nutzen, zeigt eher deren bestehende Vormachtsstellung und deren Fähigkeit, für bestimmte Projekte potente Sponsoren zu akquirieren. Denn die braucht es für digitale Übertragungsangebote. Bislang ist noch keins dieser Angebote selbsttragend oder gar profitabel – zumindest in Europa, nähere Zahlen aus den USA kenne ich nicht. Zudem sind öffentlich finanzierte Einrichtungen an ihren Leistungsauftrag gebunden und müssen ihre Mittel verwenden, um diesen Auftrags zu erfüllen. Die hohen Investitionen für ein hochklassiges digitales Angebot, die aufgrund des beständigen technischen Fortschritts auch hoch bleiben, müssen deswegen durch Drittmittel gedeckt sein.

    Zu den wirtschaftlichen Risiken kommt noch die Frage der inhaltlichen Akzeptanz eines solchen Angebots. Sir Peter Jonas glaubt nicht an das Streaming. Es könne zwar funktionieren – «so wie Masturbation als Ersatz für oder Ergänzung zu Sex mit anderen funktionieren kann» – aber der Kick bleibe bescheiden, verglichen mit dem Besuch einer Opernaufführung, die echtes Risiko bedeute: von peinlich bis fantastisch sei hier alles möglich und dass man nicht genau wisse, was an diesem Abend passieren werde, mache genau den Reiz einer Live-Aufführung aus.

    Diese Einstellung hat sicher mit Jonas‘ kultureller Sozialisation und seinem Anspruch an ein kulturelles Erlebnis zu tun. Mir persönlich geht es da nicht anders. Ich finde auch, dass es kaum etwas Langweiligeres gibt, als eine Opernaufführung am Bildschirm anzuschauen. Denn den Sehgewohnheiten, die wir am Bildschirm entwickelt haben, kann eine von Opernaufführung nicht gerecht werden. Zum einen, weil die Aufführungen nicht auf die Rezeption am Bildschirm hin inszeniert werden: zuviel große Geste in Nahaufnahme, zuviel Schminke. Zum anderen aufgrund der Dramaturgie der Stoffe selbst. In der Oper werden die Situationen chronologisch erzählt und langsam entwickelt. Durch Film und Internet sind wir dagegen an eine Dramaturgie gewöhnt, die uns sehr viel Kombinations- und Assoziationsarbeit überlässt. Bildschirmgeschichten werden in der Regel anhand von kurzen, pointierten Szenen erzählt, oftmals mit verschiedenen Handlungssträngen parallel, die immer wieder unterbrochen, wieder aufgenommen, verwoben werden usw usf. Ich finde es deswegen oftmals schon ermüdend, Filme aus den 70er Jahren zu schauen, die noch ein ganz anderes Tempo haben.

    Ich glaube deswegen auch nicht so recht an die Streaming-Konzepte, zumindest nicht an die, die bezahlt werden müssen. Sie sind allenfalls für Opernfreaks interessant, die gern in der Wiener Staatsoper säßen, es aber nicht können, weil die Anreise aus Atlanta oder Taipeh nunmal zu aufwändig wäre. Für sie ist es aber wirklich nur ein Ersatz. Aussicht auf Erfolg haben m.E. solche Formate, die einen eigenen Eventcharakter bieten können. Wie die Kinoübertragungen der Met und des Royal Opera House, wo man zusammen mit anderen Oper sieht und hört. Das ist etwas zwar ganz anderes als einer Bühnenaufführung beizuwohnen; trotzdem können solche Formate einen eigenen Eventcharakter und speziellen Charme entwickeln. Sie bieten somit ein zwar anders geartetes, aber gleichwertiges Erlebnis wie eine Opernaufführung. Dabei kann der Eventcharakter sicher auch virtuell erzeugt werden, in Social Media, über die man sich in Echtzeit mit anderen austauschen kann (wie bei Fußballspielen) oder über andere Second Screen-Angebote. Aber ohne das, bleibt die Opernrezeption am Bildschirm fade.

    Für die Anbieter solcher Angebote geht es momentan wohl mehr um Image und Ausstrahlung als um neue Einnahmequellen. Denn mit solchen Angeboten kann sich die Oper volkstümlicher geben, als sie oftmals wahrgenommen wird und sie kann über die Vorreiterrolle, die mit solchen Angeboten noch verbunden ist, positive PR erzeugen. Man kann jetzt schon sehen, dass diejenigen Häuser ein internationales Image haben, die in diversen Märkten präsent sind: im Buch-, DVD- und Tonträger-Markt, im Kino etc. Image und Präsenz beflügeln sich gegenseitig. Die Aufführungsübertragungen werden dies weiter untermauern und darin besteht aktuell der Nutzen für die Häuser. Damit diese Übertragungen auch zu Einnahmequellen werden können, müssten zum einen die Leistungsvereinbarungen mit den öffentlichen Trägern angepasst werden, was langwierig genug werden dürfte. Zum anderen müsste die Darbietungsform neu erfunden werden – mit Blick auf die erzählerischen Möglichkeiten und Voraussetzungen des jeweiligen Mediums, in dem Oper gezeigt werden soll. Das ist dann eigentlich eine neue Kunstform…

  • Theater als das schlechte Gewissen der anderen

    Die Theater scheinen für die Kulturwelt das zu sein, was die Grünen in der Politik sind: das schlechte Gewissen der anderen. Diese Schlussfolgerung legt ein Fall nahe, der sich kürzlich am Burgtheater ereignete. Anlässlich des 125-jährigen Geburtstags wurde dort ein Kongress veranstaltet mit dem Titel «Von welchem Theater träumen wir?» Ein Billetteur, so nennt man in Österreich offenbar den Zuschauerdienst, verstand diese rhetorische Frage absichtlich miss und versuchte eine kurze Pause zu nutzen, um in einer kurzen Ansprache das Theater zu schildern, von dem er träumt: Eines, zu dem die Billetteure dazugehören und nicht in ein Sicherheitsunternehmen ausgelagert sind, das wohl nicht im Burgtheater, aber an vielen anderen Orten offenbar in massive Menschenrechtsverletzungen involviert ist. Auf youtube findet man den Versuch, die Rede zu halten, auf nachtkritik.de dann die schriftliche Version der Performance, die geplant war und die mehr als unglückliche Antwort des Burgtheaters darauf. Ausserdem eine Reihe von Kommentaren, in denen diese Antwort auseinander genommen wird und dem Billetteur zu seinem Mut gratuliert wird. Angesichts der Selbstgerechtigkeit, die einen aus der Erklärung der Theaterleitung anspringt, bleibt mir die Frage: Wie kommt es, dass Theater einerseits lautstark beanspruchen, unverzichtbare kritische Instanz der Gesellschaft zu sein, ihr den Spiegel vorzuhalten und so weiter und andererseits noch nicht einmal dann merken, wie schlecht vor der Tür des Glashauses gekehrt worden ist, in dem sie selbst sitzen, wenn sie mit der Nase in diesen Dreck gestossen werden. Dieser Eindruck muss ja zumindest entstehen, wenn man so wenig auf die inhaltlichen Vorwürfe eingeht. «Illusion ist immer noch das Kerngeschäft des Theaters, so sehr mir da einige widersprechen werden», schreibt Frederik Tidén. «Die Illusion des trompe l’oeil und der vierten Wand ist nur einer anderen Illusion gewichen: Der Illusion auf der richtigen Seite zu stehen.»

    Nachtrag vom 19. Oktober: nachtkritik.de führte noch ein kurzes Interview mit Burgtheaterdirektor Matthias Hartmann zu dem Fall. Vielsagend ist die Antwort auf die Frage, wie sich neoliberales Geschäftsgebahren und utopisches Moment des Theaters vereinbaren lassen. Hartmann spielt der Politik den schwarzen Peter zu und verweigert jede unternehmerische Verantwortung für das Haus, das er leitet. Mit dieser Haltung haben sich Kultureinrichtungen vielleicht in den 1970er Jahren führen lassen, heute kostet sie das Theater seine (mittelfristige) Zukunft.

  • Frauenquote im Kulturbereich?

    Dass Kultur im Bundestagswahlkampf praktisch keine Rolle gespielt hat, liegt in der Natur der Kulturfinanzierung in Deutschland begründet: sie ist Kommunen- und Ländersache. Insofern verwundert es nicht, dass kaum eine der fünf (nunmehr vier) großen Parteien der Kultur mehr als zwei Seiten ihres Wahlprogramms gewidmet hat. Kulturmanagement-Network hat sich dennoch die Mühe gemacht und die Positionen in einer Serie dargestellt. Aufgrund des mauen Interesses und der geringen Bedeutung der Kulturpolitik in der Bundespolitik blieb eine Meldung fast völlig unbeachtet, die jedoch eigentlich einige grundsätzliche Überlegungen provoziert. Und zwar forderte Jürgen Trittin im Namen der Grünen eine Frauenquote für Kulturberufe. Auf den ersten Blick betrachtet hat diese Forderung zumindest mehr Sinn, als Privatunternehmen eine solche Quote aufzuzwingen. Schliesslich leben viele grosse Kultureinrichtungen von staatlichem Geld. Die Vertragsfreiheit, wie sie für private Unternehmen gilt, steht hier also ohnehin unter einem gewissen Vorbehalt politischer Zielsetzungen. Warum also nicht auch unter dem Vorbehalt einer Frauenquote?

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  • Wagner als Vordenker eines neuen Theaters

    In der aktuellen Ausgabe der Mitteilungen der Richard Wagner-Gesellschaft ist ein längerer Aufsatz von mir erschienen, den ich auch hier zugänglich mache. Der Aufsatz basiert auf einem Vortrag, den ich im Frühjahr auf einer Tagung der Wagner-Gesellschaft halten durfte. Er greift im ersten Teil einen Blogpost aus dem März auf. Wenn man etwas weiterliest, kommt aber auch noch Neues…

    Anlässlich des bevorstehenden Verdi- und Wagner-Jubiläumsjahr fragte die ZEIT im Herbst 2012 zehn Opernintendanten, wen der beiden sie für den größeren Komponisten hielten. Das Ergebnis war nicht überraschend, wenngleich doch interessant. Acht der zehn hielten es für am diplomatischsten, beiden die gleiche Größe und Bedeutung beizumessen und ließen allenfalls noch ihre private Vorliebe durchblicken. Zwei Intendanten allerdings schlugen sich eindeutig auf Seiten Verdis. Seine Opern seien kürzer, humaner, ehrlicher, konstruktiver. Wie man aus diesem flauen Lob unschwer ableiten kann, sind es jedoch nicht die Vorzüge und Qualitäten Verdis, die sie zu dieser Einschätzung bringen: Adjektive wie «kürzer» oder «konstruktiver» sind nicht gerade erste Wahl für eine ernst gemeinte Lobeshymne. (mehr …)

  • Was Kunst ist, entscheidet das Gericht

    Nachdem Jonathan Meese bei einem öffentlichen Interview “Muskelbewegungen” ausführte, die für andere wie ein Hitlergruß aussahen, musste sich jetzt ein Gericht mit der Frage beschäftigen, ob ein Hitlergruß Kunst sein kann. Mit seiner schalen Provokation hat Meese im ersten Schritt Nazi-Symbolen zu unverdienter Öffentlichkeit verholfen: In den Feuilletons ist das Thema überall präsent. Das Gericht ist jetzt zu dem Schluss gekommen, Meeses öffentliches Zeigen des Hitlergrußes sei durch die Kunstfreiheit gedeckt. Da könnte man im zweiten Schritt glatt auf die Idee kommen, Nazi-Aufmärsche zukünftig zu Kunsthappenings zu adeln und auf diese Weise auch kunstfernen Bevölkerungsschichten niedrigschwellige künstlerische Entfaltungsmöglichkeiten zu bieten.

  • Die Dialektik der Internet-Demokratisierung

    «Hyperlinks untergaben Hierarchien» lautet die 7. These des Cluetrain Manifests. Dass es gerade Hyperlinks sein sollen hat wohl vor allem mit der schönen Alliteration zu tun, inhaltlich stehen sie vielmehr stellvertretend für die digitale Welt allgemein. In dieser werden Informationen aufgenommen, verarbeitet und an Schaltstellen weitergeleitet, die das Signal wieder aufnehmen, verarbeiten, weiterleiten usw. Da sich jeder, weitgehend unabhängig vom sozialen Status, Einkommen und Bildung, in dieses Netz einklinken und selber Schaltstellen verwalten, selber Informationen bereitstellen und kuratieren kann, werden Hierarchien in der Kommunikation aufgelöst. Dieser Umstand wird nicht nur medientheoretisch interpretiert, sondern durchaus auch sozial und politisch, weswegen gern von der «Demokratisierung» der Medien die Rede ist, auch wenn streng genommen deren Vergesellschaftung gemeint ist.

    Die ehemalige Journalistin und heutige Oberbürgermeisterin von Kiel, Susanne Gaschke, veranlasste das vor einiger Zeit, ironisch vom neuen «Heilsversprechen des Kapitalismus» zu sprechen. Sie meinte, das Web 2.0 werde zum Sinnbild und Erzeugnis eines globalen Kapitalismus hochstilisiert, der, nachdem er den Sozialismus als Kontrastfolie verloren habe, nun ein neues Versprechen liefern müsse. Die digitalen Medien würden nun Bildung, Aufklärung und demokratische Partizipation für alle Menschen von jung bis alt verheißen. Der arabische Frühling schien das zu bestätigen, gelang doch einigen tausend Twitterern in wenigen Wochen, was der stets bemühten und hochtechnisierten US-Armee in Jahren nicht gelang: einen demokratischen Aufbruch herbeizuführen. Auch bei den Protesten in der Türkei spielten die sozialen Medien wieder eine wichtige Rolle.

    Es ist daher eine paradoxe Wendung, dass das Internet, das einst euphorisch als Demokratiebringer bejubelt wurde, nun zu einem unkontrollierten Herrschaftsinstrument geworden ist, das zwar nicht in seiner Realität, aber in seinem Potenzial alles Dagewesene in den Schatten stellt. Die sowieso nicht ganz ernst gemeinte (d.h. repräsentative) Demokratie, wie sie auch in Deutschland praktiziert wird, lässt es vollends zum Schauspiel verkommen – wobei, das Bild des Marionettentheaters eigentlich besser passt. Man muss gar nicht mal einen besonderen Sinn für Verschwörungstheorien haben, um die Demokratisierung der Medienwelt nur als Vorspiel dieses digitalen Totalitarismus‘ zu begreifen. Denn der funktioniert nur mit denen, die sich über irgendeine Schaltstelle einklinken.

    Bleibt die Frage wie man darauf konkret reagieren soll. Die sicherste Variante wäre, Internetanschluss und Mobilfunkabo zu kündigen. Da dieser Schritt im Normalfall aber zu radikal sein dürfte, kommen die Vorschläge von c’t oder netzpolitik wohl eher in Frage: surfen via VPN oder Tor Bundle. Allerdings wurde Tor bereits von der NSA gehackt. Als Cloud empfiehlt sich wuala, wo die Daten clientseitig verschlüsselt werden. Beim Mobilfunk lässt sich allerdings wohl kaum etwas machen, außer threema als Messenger zu benutzen.

    Da Humor ist, wenn man trotzdem lacht, könnten die Abhöraktionen am Ende doch ihr Gutes haben: der Postillon berichtet, dass die GEMA Gebühren auf Prism- und Tempora-Mitschnitte erheben wird und empfiehlt jedem Bundesbürger, möglichst bald einen Wahrnehmungsvertrag abzuschließen.

  • Noch ein Rückblick: das stARTcamp Ruhr York

    Dass das stARTnetzwerk auch ohne grosse jährliche stARTconference äusserst aktiv und engagiert ist, zeigt sich an der wachsenden Zahl an stARTcamps. Sie sind mehr als ein guter Ersatz für die grosse Konferenz, bilden sie doch die dezentralen Strukturen ihres Themas, also des Social Webs, in der analogen Welt ab und entsprechen diesem Thema insofern auch ideal in der Form. Es erscheint mir daher folgerichtig, dass die planungsintensive und zentral organisierte Konferenz zumindest zwischenzeitlich durch die spontaneren Camps abgelöst wurde. Dieses Jahr gibt es neben den zwei «etablierten» stARTcamps in München und Köln zwei Premieren: eine in Oberhausen mit dem stARTcamp Ruhr York, das vor zwei Wochen stattgefunden hat, (#scry13) und eine mit dem stARTcamp Wien (#scvie), das im August stattfinden wird.

    Zum stARTcamp Ruhr York gibt es mittlerweile einige Rückblicke: von Christian Henner-Fehr, Claudia, Wibke Ladwig, Tanja Leuthe, Michael Masberg und Anke von Heyl. (Kein Anspruch auf Vollständigkeit.) Da ja aber jeder sein eigenes stARTcamp erlebt, will ich hier noch meinen Bericht folgen lassen.

    Wibke Ladwig und Harald Link sondierten in ihrer Session «Exreme Iron Meta-Blogging für Kunst, Kultur und Kreativität» das allgemeine Euphorie-Potenzial für ihre Idee, einen Metablog zu schaffen, an dem sich verschiedene Kulturblogger beteiligen würden. Die Begeisterung für diese Idee war zweifelsfrei da. Offen blieb die Frage, wer bei so einem ambitionierten Projekt den Lead übernehmen würde und wie die konkrete Ausgestaltung sei. Eher a la Rivva (Aggregation themenrelevanter Feeds) oder eher a la Carta (redaktionell bespieltes Portal)? Sehr kurzweilig und inspirierend war die Runde kreatives Schreiben, die Anke von Heyl anleitete und deren Ergebnisse hier zu bewundern sind. Jelena Löckner und Rebecca Hagelmoser zeigten in ihrer Session «Forget the Hero – Hilfe aus der narratologischen Toolbox», dass die Heldenreise als bewährte Plotstruktur des Storytellings in der digitalen Welt für Unternehmenskommunikation nur schlecht funktioniert. Als Alternative stellten sie das Konzept der «Storyworld» dagegen, dass der nichtlinearen, fragmentarischen Kommunikation in der digitalen Welt wesentlich besser gerecht wird. Das war spannend und sehr fundiert, aber dass man als Social Media Manager in der praktischen Arbeit kaum je in diese recht abstrakten Sphären vorstösst, zeigte sich in der nachfolgenden Session, die von mir als eine Art «Selbsthilfegruppe» von Social Media-Verantwortlichen in Theatern gedacht war. Auch wenn diese Betitelung unnötig selbstmitleidig klingt, bestätigte sich doch die Einsicht, dass man sich in der praktischen Arbeit eher mit banalen Problemen herumschlägt. Als ein Beispiel sei die von einer Session-Teilnehmerin benannte bürokratische Hürde angeführt, Facebook-Werbung, die über Kreditkarte gebucht werden muss, ordnungsgemäss abzurechnen. Trotz solcher Problemchen scheint mir inzwischen die Einsicht und der Wille vorhanden zu sein, im Social Web mit einem guten Auftritt präsent zu sein. Und auch scheint sich die Einsicht durchgesetzt zu haben, dass Social Media nicht allein den Praktikanten überlassen werden kann, sondern fest eingeplante personelle Kapazitäten verlangt.

    Das Druckluft ist ein idealer Veranstaltungsort für ein stARTcamp: mit schlunzig-charmanten Räumlichkeiten unterschiedlicher Grösse, guter Infrastruktur (d.h. für ein Barcamp: offenes W-LAN und Beamer für die Referenten, die Folien vorbereitet haben) und netten Mitarbeitern. Einzige Einschränkung: die Zwangsbeglückung mit veganem Essen, die Veranstaltern offenbar bei Anmietung der Räumlichkeiten verordnet wird. Trotzdem eine absolut gelungene Premiere. Herzlichen Dank und Glückwunsch an die Organisatoren!