Christian Holst

Kulturmanagement :: Digitale Transformation :: Künstliche Intelligenz


Blog

  • Ästhetik und Fußball

    Dass Finanzprodukte anhand von ästhetischen Kriterien bewertet werden, wurde bereits vor längerem einmal in der ZEIT konstatiert. Aktien «performen» mehr oder weniger gut und haben – wenn es richtig gut läuft – «Fantasie»; nicht wenige ehemalige «Börsenstars» hoffen auf ein «Comeback», jetzt nach der Krise. Auch Kreditbedarf würde nicht mehr berechnet, sondern «dargestellt».

    Ein ähnliches Phänomen gilt auch für Fußball, wie aktuell in der Berichterstattung zur WM gut zu beobachten. Pässe, Tore, Flanken, Eckstöße sind «schön», zumindest wenn Könner am Werk sind, alles andere wird den «Dribbelkünstlern» überlassen. Und mitunter bekommt man den Eindruck, diese ästhetischen Kriterien würden sogar zum Maß aller Dinge erhoben. Das machte der spektakuläre Sieg der Schweizer «Nati» gegen die Spanier deutlich. In ästhetischer Hinsicht hatten die Schweizer wenig zu bieten und die Spanier darum große Mühe zu akzeptieren, dass nicht ihr «schöner» Offensiv-Fußball über Sieg oder Niederlage entschied, sondern die Anzahl der am Ende des Spiels geschossenen Tore pro Mannschaft. Effektiver war in diesem Fall daher die pragmatische, aus dem Militärischen entlehnte Reduit-Strategie der Schweizer, die die ästhetische Überlegenheit der Spanier ins Leere laufen ließ. Auch die akustische Umweltverschmutzung durch die an dieser WM so beliebten Vuvuzelas zeigt ja übrigens, dass die Verbindung Fußball und Ästhetik unterm Strich nicht funktioniert. Selbst Könner wie diese drei Musiker des Berliner Konzerthausorchesters können diesem «Instrument» keine Musik entlocken: 😉

    Gut, Brahms und Ravel überfordern auch etwas die Möglichkeiten des Instruments. Ganz anders das «Vuvuzela Concerto in B Flat» eines unbekannten, aber vermutlich zeitgenössischen Komponisten. Musikalisch im wahrsten Sinne des Wortes sehr «eintönig», ist es technisch doch durchaus anspruchsvoll: Hier kommt es auf eine perfekte Zirkularatmung des Instrumentalisten an.

  • Zwei Hinweise betreffend die stARTconference

    Vor wenigen Tagen ist die erste Programm-Version erschienen. Vorerst zwar in einer vorläufigen Version, aber um die 90% der Referenten und Veranstaltungen stehen bereits fest, einige weitere Veranstaltungen werden noch dazu kommen und werden gerade abschließend definiert. Wie im vergangenen Jahr sind es wieder ca. 50 verschiedene Referenten, die auf der Konferenz sprechen werden. Die Schwerpunkte sind «Geschäftsmodelle» und «mobiles Web».

    Außerdem ist gerade das eBook mit den Artikeln der 21 sehr lesenswerten Beiträge zur Blogparade erschienen, die die stARTconference gemeinsam mit dem Kulturmanagement Network veranstaltet hat. Besonderer Dank und Anerkennung gebührt Karin Janner, die das Projekt koordiniert hat, und Birigt Schmidt-Hurtienne, die die Beiträge lektoriert und das eBook gelayoutet hat.

    Geschäftsmodelle im Web 2.0 – Blogparade stARTconference + Kulturmanagement Network

    (Das eBook gibt es natürlich auch im PDF.)

  • Museen wie Parkhäuser: Freier Eintritt, kostenpflichtiger Austritt

    Die Frage nach innovativen Geschäftsmodellen für den Kulturbereich beschäftigt nicht nur die die diesjährige stARTconference, sondern auch den Schweizer Ökonomen Bruno S. Frey. In den klassischen Kultureinrichtungen spielen bei der Preisbildung kulturpolitische, inhaltliche Erwägungen eine große Rolle, weniger formale Prinzipien wie die Preisregulierung durch Angebot und Nachfrage. Nicht selten wird die Kunst diesen Prinzipien sogar bewusst entzogen, schließlich sei sie nicht in gleicher Weise marktgängig zu machen wie ein Staubsauger oder ein Haarschnitt.

    Vielleicht aber wie ein Parkhaus? Der Schweizer Ökonom Bruno Frey schlägt in seinem Aufsatz Pay as you go vor, die Zahlmodalitäten in Museen nach dem Vorbild von Parkhäusern zu gestalten: Beim Eintritt erhält man ein Ticket, beim Verlassen des Museums zahlt man entsprechend der Zeit, die man im Museum verbracht hat. Wer viel Kunst „konsumiert“, zahlt viel, wer wenig konsumiert, zahlt gar nichts (z.B. für die erste halbe Stunde) oder wenig. Der Preis rationiert auf diese Weise das knappe Gut Kunst. Wer die Ausstellung nicht interessant findet, verlässt das Museum schnell wieder und macht Platz für andere, die es hoffentlich mehr interessiert. Und dem Nutzer kommt dieses Preisbildungs-Modell zugute, indem er nur zahlt, wenn und solange es ihm gefällt. Bei Kunst weiß man das in aller Regel erst hinterher. Insofern vielleicht gar keine blöde Idee?!

  • Museen wie Parkhäuser: Freier Eintritt, kostenpflichtiger Austritt

    Die Frage nach innovativen Geschäftsmodellen für den Kulturbereich beschäftigt nicht nur die die diesjährige stARTconference, sondern auch den Schweizer Ökonomen Bruno S. Frey. In den klassischen Kultureinrichtungen spielen bei der Preisbildung kulturpolitische, inhaltliche Erwägungen eine große Rolle, weniger formale Prinzipien wie die Preisregulierung durch Angebot und Nachfrage. Nicht selten wird die Kunst diesen Prinzipien sogar bewusst entzogen, schließlich sei sie nicht in gleicher Weise marktgängig zu machen wie ein Staubsauger oder ein Haarschnitt.

    Vielleicht aber wie ein Parkhaus? Der Schweizer Ökonom Bruno Frey schlägt in seinem Aufsatz Pay as you go vor, die Zahlmodalitäten in Museen nach dem Vorbild von Parkhäusern zu gestalten: Beim Eintritt erhält man ein Ticket, beim Verlassen des Museums zahlt man entsprechend der Zeit, die man im Museum verbracht hat. Wer viel Kunst „konsumiert“, zahlt viel, wer wenig konsumiert, zahlt gar nichts (z.B. für die erste halbe Stunde) oder wenig. Der Preis rationiert auf diese Weise das knappe Gut Kunst. Wer die Ausstellung nicht interessant findet, verlässt das Museum schnell wieder und macht Platz für andere, die es hoffentlich mehr interessiert. Und dem Nutzer kommt dieses Preisbildungs-Modell zugute, indem er nur zahlt, wenn und solange es ihm gefällt. Bei Kunst weiß man das in aller Regel erst hinterher. Insofern vielleicht gar keine blöde Idee?!

  • Blogparade stARTconference: Allianzen für Kulturcommunities

    «Geschäftsmodelle im Web 2.0» und Kultureinrichtungen – dieser Zusammenhang mag zunächst etwas abwegig erscheinen – schließlich beschäftigen sich, zumindest die öffentlich finanzierten, Kultureinrichtungen auch im «echten Leben» nicht unbedingt mit Geschäftsmodellen für ihre Arbeit. (Simon Frank geht in seinem Beitrag zur startconference-Blogparade auf diesen Graben genauer ein.) Teilweise herrscht sogar die Haltung vor, dass Kultur ein Anrecht auf Alimentierung hat, schließlich sei sie «kein Luxus, sondern Notwendigkeit» (ehem. EU-Kulturkommissar Ján Figel’). Dennoch: in Zeiten knapper werdender öffentlicher Kassen ist es für Kultureinrichtungen strategisch angebracht, auch über alternative Finanzierungsformen (wie eben tragfähige Geschäftsmodelle) zumindest einmal nachzudenken. Weil das Web 2.0 hier interessante, neue Möglichkeiten bietet, ist es sinnvoll, diese einmal in Bezug auf ihre Anwendbarkeit im Kulturbereich abzuklopfen.

    Zu den neuen Geschäftssystemen, die das Internet und insbesondere das Web 2.0 hervorgebracht haben, gehören z.B.:

    • Crowdsourcing, d.h. die Auslagerung von Tätigkeiten an Amateure oder Fans. Beispiel aus dem Kulturbereich ist die Verfilmung von Paolo Coelhos «Hexe von Portobello» durch seine Fans. (Genaue Projektbeschreibung im Blog «socialnetworkstrategien».)
    • Crowdfunding, eine Unterform des Crowdsourcing, bei der es um das Sammeln kleiner Geldbeträge in sozialen Netzwerken im Internet geht. Ein Beispiel aus dem Kulturbereich ist sellaband.
    • «Long Tail» meint die Möglichkeit, auch kleine Absatzmengen und Nischenprodukte über einen durch das Internet geografisch skalierten Markt profitabel zu vertreiben. Ein Beispiel aus dem Kulturbereich ist die Band Element of Crime, die Konzertmitschnitte ihrer aktuellen Tournee über iTunes bzw. Tunecore verkauft, insbesondere an die, die live beim Konzert dabei waren und eine akustische Erinnerung haben möchten.
    • Finanzierung durch individualisierte, kontextabhängige Werbung à la Google. Wirklich ausgefeilte Modelle sind mir im Kulturbereich nicht bekannt. Am nächsten an dieses Modell heran kommt der Musikerstellenmarkt vioworld.de, wenngleich die Werbung hier nicht automatisiert geschaltet wird.
    • Freemium-Modelle, bei denen Basisdienste zum Zwecke der Marktdurchdringung kostenlos, weitere Dienste zu Profitzwecken jedoch kostenpflichtig angeboten werden. Nach diesem Prinzip funktioniert das Kulturmanagement Network mit einem kostenlosen redaktionellen Angebot und einem kostenpflichtigen Stellenmarkt.

    Typischerweise leben diese Geschäftsmodelle von geografisch groß abgesteckten Märkten. Der einzelne Zahlungs- oder Rechnungsbetrag ist meist klein, dem entsprechend hoch müssen die Absatzzahlen sein, bevor nennenswerte Umsätze zustande kommen. Viele Kultureinrichtungen sind jedoch lokal oder regional verankert und haben für diese geografisch begrenzte Öffentlichkeit eine wichtige Bedeutung, aber kaum darüber hinaus. Diese Öffentlichkeit bzw. den Markt geografisch zu erweitern ist zwar dank des Internets theoretisch kein Problem mehr, aber dennoch muss man davon ausgehen, dass es trotzdem bestenfalls eine Option für kulturelle «Big Player» wie die Berliner Philharmoniker ist. Deren Konzertmitschnitte lassen sich über die Digital Concert Hall nicht nur regional, sondern weltweit vermarkten. Aber selbst dieses Vertriebsmodell ist bislang auf die großzügige Unterstützung der Deutschen Bank angewiesen und trägt sich noch nicht von allein. Umso weniger kommt – zumindest derzeit – ein solches Modell für andere deutsche Kulturorchester in Frage.

    Eine einfache Anwendung der klassischen Web 2.0-Geschäftsmodelle scheint also für traditionelle Kultureinrichtungen zumindest momentan nicht sehr aussichtsreich. Eine Chance könnte aber in Allianzen mit anderen Kultureinrichtungen aus der Region liegen. Solche Ansätze sind schon verschiedentlich vorhanden. Zum Beispiel pflegen die Berliner Bühnen eben so wie die nordrheinwestfälischen je einen gemeinsamen Terminkalender. Das bietet Mehrwert für den Theaterbesucher, der auf einen Blick das aktuelle, gesamte Angebot findet, ebenso wie für die Einrichtung, die ihre Termine nur noch über eine Datenbank verwalten muss. Dieses Modell ist ausbaufähig. Die partizipativen Medien bieten Möglichkeiten, auch inhaltlich solche gemeinsamen Auftritte und eine regionale Kultur-Community über die Grenzen einzelner Einrichtungen und Sparten hinweg aufzubauen. Die Kultureinrichtungen schöpfen aus einem großen Fundus an interessanten Menschen und Geschichten, die redaktionell attraktiv sind. Weiterhin können Ticketservices und Tourismusanbieter von so einem Portal profitieren und es ihrerseits mit eigenen Angeboten weiter aufwerten. Das klassische Marketing- und Markendenken wird durch ein solches Portal herausgefordert, denn hier steht nicht die Einrichtung im Vordergrund, sondern die künstlerischen Inhalte. Aber gerade um die geht es ja. So gesehen, bietet das Web 2.0 die Möglichkeit, den kulturellen Auftrag durch Vernetzung mit Besuchern und Partnern breit und umfassend abzustützen. Und zwar in einer Weise, die auch ökonomisch in absehbarer Zeit interessant werden dürfte.

    Dies ist ein Beitrag zur Blogparade der startconference. Auf der verlinkten Seite finden sich weitere Informationen dazu, wie so eine Blogparade funktioniert.

  • Beethoven-Analyse im Sportreportjargon

    In den Kommentaren zu einem Artikel von Christian Henner-Fehr, in dem es um die (Un)Vereinbarkeit von Fußball und Kunst ging, stieß ich neulich auf diesen grandiosen Youtube-Clip (nur Audio):

    Ganz erstaunlich, wie gut es einer einigermaßen fundierten musikalischen Analyse von Beethovens Fünfter steht, wenn sie in dampfplaudernden Sportreporter-Jargon eingekleidet wird. Man könnte doch noch glatt auf die Idee kommen, die sich abzeichnende Rezession des Konzertwesens sei tatsächlich in erster Linie ein Vermittlungsproblem. 😉

  • stART10: Run auf Tickets

    Gestern startete der Ticketverkauf zur stART10. Die ersten 100 Tickets gibt es zu einem Überraschungspaket-Preis von 100 EUR. Rund die Hälfte der Tickets ist allerdings schon weg! Wer noch von diesem Preis profitieren möchte, sollte sich also beeilen. Aber auch ein Ticket zum Early-Bird-Tarif (290 EUR) lohnt auf jeden Fall die Investition. Für Studierende und Personen, die zwei oder mehr Karten kaufen, gibt es nochmal einen Rabatt von 20%. Am Programm wird derzeit noch gebastelt, erste Informationen werden aber in Kürze auf der Konferenz-Website bekannt gegeben.

  • Johannes-Passion: «Mein teurer Heiland»

    Letzte Woche hatte ich das Vergnügen, mit dem Berner Kammerchor zwei Mal die Johannes-Passion aufführen zu können. Eins meiner Lieblingsstücke aus dieser Passion ist die Bass-Arie mit Chor «Mein teurer Heiland». Als kunstvolle Verschränkung von Arie und Choral in jeweils unterschiedlichen Taktarten ist sie einerseits musikalisch besonders. Aber auch inhaltlich ist sie in meinen Augen zentral, weil sie aus den Ereignissen des Karfreitags, dem Tod Jesu, bereits das Ostereignis, die Erlösung durch Auferstehung herausdeutet. Das Bild, in dem dies ausgedrückt wird, ist dabei durchaus makaber: «Und neiget das Haupt und verschied» singt der Evangelist zuvor. Der Solist interpretiert dies als Nicken, das seine Frage «Ist aller Welt Erlösung da?» mit «Ja» beantwortet.

  • Airbag für die Pferdekutsche: Innovation im klassischen Konzert

    Die weltweite Nachfrage nach Kraftfahrzeugen wird eine Million nicht übersteigen – allein schon aus Mangel an verfügbaren Chauffeuren.

    Diese Äußerung von Gottlieb Daimler bringt ein elementares Problem von Innovationen auf den Punkt: Wir wissen nicht, was wir nicht wissen und wo unsere blinden Flicken sind.

    Daimlers Einschätzung ist aus heutiger Sicht vor allem amüsant. Kurios dagegen ist es, wenn man Innovation auch aus der Rückschau nicht erkennt. So scheint es mir der Fall bei einer These zu sein, die gerade für Aufsehen sorgt: Das Klassikpublikum stirbt nach aktuellen Hochrechnungen aus, das traditionelle Konzert müsse sich darum erneuern, um sich zu erhalten. Es sei allerdings nicht die klassische Musik, die nicht mehr interessiere, sondern die Darbietungsform, die veraltet und nicht mehr zeitgemäß sei und viele Leute daher von der klassischen Musik fern halte. Das heutige Konzertwesen sei praktisch unverändert das Konzertwesen, dass sich zwischen 1880 und 1910 herausgebildet habe.

    Man muss ein ziemlich enges Blickfeld haben, um zu übersehen, dass die kreative Schumpetersche Zerstörung im Bereich des Konzertwesens schon längst für radikale Innovationen gesorgt hat: Zum einen sind Konzerte durch moderne Technik und Logistik skalierbar geworden und damit marktfähig geblieben. Sie finden heute nicht mehr nur in Konzertsälen statt, sondern auch in Mehrzweckhallen und Sportarenen. Das sind zwar meistens keine klassischen Konzerte, aber auch. Man denke etwa an die Drei Tenöre, Carmina Burana oder Beethovens Neunte mit dem Philharmonischen Orchester Bratislava in der städtischen Mehrzweckhalle oder dem Aida-Spektakel in der Color-Line-Arena etc. Es gibt ein breites Angebot an Veranstaltungen mit klassischer Musik, die jenseits des bürgerlichen Konzertsaals oder Opernhauses aufgeführt wird. Wer Angst vor dem Konzertsaal hat, aber unbedingt klassische Musik hören möchte, der hat heute zahlreiche Möglichkeiten, das live zu tun. Das in diesem Rahmen aber keinen aufsehenerregenden Interpretationen entstehen, hat seine Gründe: die Darbietungsform wird dem Inhalt nicht vollständig gerecht.

    Darüber hinaus haben die Tonträger haben das Wohnzimmer zum Konzertsaal gemacht und so die Form des Konzerts innoviert. Würde die These stimmen, dass es einfach die seit zig Jahren unveränderte Form des Konzerts ist, die viele von klassischer Musik abschreckt, dann dürfte der Tonträger-Markt im Klassikbereich boomen. Das tut er aber nicht. Er tat es parallel mit dem Konzertwesen. Weil Plattenfirmen aber nicht öffentlich finanziert werden, mussten sie sich drauf einstellen und haben weitgehend die Vermarktungsmechanismen der Pop-Musik übernommen. Eine Geschäftsmodellinnovation.

    Man sieht daran, ebenso wie an der Einführung von elektronischen Instrumenten oder Stadionkonzerten im 20. Jahrhundert: Die Form bzw. die Umstände wirken immer auf den Inhalt zurück. Das Werk ist nicht eine absolute, künstlerische Idee, das in beliebigen sozialen, historischen, technischen oder kulturellen Kontexten bestehen könnte, sondern immer spezifischer Ausdruck solcher Kontexte. Deswegen ist das klassische Konzertwesen heute zwangsläufig museal: es basiert weitgehend auf Repertoire, das 100 Jahre oder älter ist und verweist damit auf ein soziotechnokulturelles Umfeld, das Geschichte ist. Aber museal ist hierbei im besten Sinne zu verstehen: Das Museum neutralisiert den Umstand, dass wir die alten Kunstwerke nicht mehr in ihrem spezifischen Kontext wahrnehmen können und macht uns genau dies deutlich.

    Auch die Form des bürgerlichen Konzerts ist mitsamt ihren Inhalten, d.h. insbesondere den romantischen Tondichtungen und Sinfonien, museal in diesem Sinne und sie kann es auch nur sein, weil man heute andere Formen und dementsprechend Inhalte hat, sich musikalisch auszudrücken. Die Frage kann daher nicht sein, wie man die den sinfonischen Werken gemäße Darbietungsform ändert, sondern ob man das «bürgerliche Konzert» als ausreichend wichtiges kulturelles Erbe erachtet, es weiterhin zu fördern und zum kulturellen Kanon zu rechnen.

    Wenn man sich mit den empirischen Befunden beschäftigt, warum kein junges Klassikpublikum nachwächst, dann findet man ebenfalls deutlich bestätigt, dass es nicht die veraltete Darbietungsform ist, die die zeitlosen Inhalten verleidet. Eine Studie der Uni St. Gallen zeigt, dass die musikalische Sozialisation und Bildung der entscheidende Faktor ist. Eine Zusammenfassung dieser Studie und ihrer Schlussfolgerungen findet man in „Das Orchester“, Ausgabe 9/2005. Die kurz gefasste Erkenntnis dort: Wer selbst ein klassisches Instrument lernt und als Kind aktiv (klassische Musik) musiziert, wird mit großer Wahrscheinlichkeit sein Leben lang einen positiven Bezug zur klassischen Musik behalten, zumindest als Fan, vielleicht auch als aktiver (Amateur-)Musiker. Die zu Recht Aufsehen erregenden Musik- bzw. Kulturvermittlungsangebote setzen deswegen genau bei diesem Punkt an: Jedem Kind ein Instrument, Rhythm Is It, Jungend-Sinfonie-Orchester der Tonhalle Düsseldorf etc. Alles andere mag eine nette Ergänzung und im Einzelfall durchaus angebracht sein, aber es wird wahrscheinlich nichts Grundlegendes bewirken. Eine Pferdekutsche kann auch nicht auf dem allgemeinen Auto-Markt konkurrieren, sobald man ihr einen Airbag einbaut. Ebenso wenig wird man junge Leute nachhaltig für klassische Musik begeistern, indem man in der Eingangshalle Techno spielt, wie der Intendant der Elbphilharmonie vorschlägt – offenbar in Unkenntnis, dass Techno heute auch schon ein «musealer» Musikstil des letzten Jahrtausends ist.

    Die Krise der Kunst ist nicht eine Krise ihrer Darbietungsform sondern ihrer gesellschaftlichen Relevanz. Aber auch die funktioniert nicht nach unbestechlichen Naturgesetzen.

  • Studie zum Schweizer Kulturverhalten

    Im Jahr 2008 führte das Bundesamt für Statistik gemeinsam mit dem Bundesamt für Kultur eine repräsentative, gesamtschweizerische Erhebung zum Kulturverhalten durch. Ziel der Erhebung war es, die bisherigen Kenntnisse über das Kulturverhalten zu erweitern und zu aktualisieren (die letzte gesamtschweizerische Erhebung stammt aus dem Jahr 1988), internationale Vergleichbarkeit zu ermöglichen und statistische Grundlagen für die Schweizer Kulturpolitik zu liefern.

    Die Vermutung, dass kulturelles Interesse insbesondere bei älteren Menschen ausgeprägt sei, bestätigt die Studie nur teilweise. Tendenziell wird das kulturelle Angebot von jungen Menschen sogar am meisten genutzt. Allerdings zeigt sich, dass sich die von jungen Menschen bevorzugten kulturellen Aktivitäten auf die Bereiche Kino, Konzerte jeder Art und Festivals beziehen, also vergleichsweise wenig auf den Bereich der «Hochkultur».

    Auch wenn man durchaus davon ausgehen kann, dass das kulturelle Interesse einerseits grundsätzlich erhalten bleibt und sich im Laufe des Lebens in Richtung «Hochkultur» verändern mag, bleibt diese Erkenntnis für die Museen und Kultureinrichtungen durchaus zweischneidig. Denn mit einer wachsenden Bedeutung der von jungen Menschen favorisierten Kulturformen gerät die Legitimation öffentlicher Finanzierung von Hochkultur einerseits unter Druck. Warum sollten die ohnehin knappen Kulturbudgets für Kunstformen verwendet werden, die nur auf geringeres Interesse stoßen und wenn, dann auf das Interesse einer typischerweise zahlungskräftigen Klientel? Anderseits stellt ein grundlegend hohes kulturelles Interesse bei jungen Menschen eine gute Ausgangsbasis dar, sie mittel- und langfristig als Besucher zu gewinnen – egal um welche Art Kultur es sich handelt. Verglichen mit den Durchschnittswerten der 27 EU-Mitglieder aus dem Jahr 2007 fällt das kulturelle Interesse in der Schweiz in Bezug auf alle kulturelle Aktivitäten ohnehin überdurchschnittlich aus.