Kürzlich wurden die ersten Bayreuther Festspiele unter der Leitung von Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier eröffnet – ohne Premiere. Wobei, das stimmt nicht ganz, denn eine Premiere gab es doch – den Podcast der Bayreuther Festspiele. Das ist erstmal eine gute Idee und läuft deswegen hier auch unter meiner in letzter Zeit stark vernachlässigten «Best practice»-Reihe. Auch wenn die Bezeichnung Podcast eigentlich irreführend ist. Denn streng genommen handelt es sich um einen Videocast und noch strenger genommen online gesendetes Bayreuther-Festspiele-TV. Bayreuther-Festspiele-TV deswegen, weil die kurzen Episoden, in denen immer ein Thema rund um die Festspiele behandelt wird, nichts anderes als nett gemachte PR-Clips sind. Die Bayreuther Festspiele nutzen Web 2.0-Medien für Web 1.0-Kommunikation. Es gibt zwar die Möglichkeit, den Pod- bzw. Videocast per RSS zu abonnieren, aber keinen Youtube-Kanal, wo sie gesammelt eingestellt würden, keine Twitter- oder Facebookankündigungen von neuen Episoden, keine Möglichkeit zu kommentieren oder sich mit anderen «Wagnerpsychopathen» zu vernetzen usw. Auch die Machart ist für meinen Geschmack noch sehr glatt und absichtsvoll und hat wenig von dem authentisch-persönlichen und im besten Sinne amateurhaften Charme, den gute Podcasts wie Schlaflos in München, Toni Mahoni oder das Literaturcafé haben. Trotzdem, verglichen mit der Medienarbeit, die offenbar noch vor zwei Jahren bei den Bayreuther Festspielen gepflegt wurde (s. Artikel in der Zeit Nr. 31), ist das nicht weniger als eine sehr begrüßenswerte Revolution!
Blog
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Die Fledermaus in Interlaken
Die Operette gilt gemeinhin als die minderwertige, weil weniger anspruchsvolle, Variante der Oper. Nachdem ich am Wochenende die äußerst kurzweilige Premiere der Fledermaus bei den Operettenfestspielen Interlaken miterlebt habe, frage ich mich allerdings, warum das so ist. Denn all das Unmoderne, Pathetische und Fragwürdige der Gattung Musiktheater, das Opernregisseuren aus oftmals nachvollziehbaren Gründen Schwierigkeiten macht, all das wird in der Operette keinesfalls zum ästhetischen Problem oder Glaubwürdigkeitsdefizit. Im Gegenteil, das Unglaubwürdige, Überdrehte, Stereotype der Gattung wird zum ästhetischen Prinzip und bleibt im Werk selbst durchaus nicht unreflektiert. Ein Beispiel aus der Fledermaus ist die Arie «Mein Herr Marquis». Das Stubenmädchen Adele trifft hier auf einer Party auf ihren Chef, der sie trotz der ungewohnt feinen Kleidung (natürlich) erkennt. In der besagten Arie anverwandelt sich Adele den aristokratischen Walzertakt und unterstellt ihrem Chef, seine attraktive Zofe – der er gattungstypischerweise nachstellt – auch in anderen Frauen zu sehen. Und als sei Eisenstein mit diese Rollentypen musikalischer Komödien vertraut, nimmt er seinem Stubenmädchen schließlich ab, tatsächlich eine Künstlerin zu sein.
Natürlich gibt es auch jede Menge schlichteren Humor, insbesondere im sehr gedehnten Auftritt des Gerichtsdieners Frosch (Sprechrolle). Ohne den zusätzlichen Witz der Musik ist es dann doch kaum etwas anderes als die Wiener Variante des Ohnsorg-Theaters. Anders herum läuft der ewige Dreivierteltakt ohne Handlung für meinen Geschmack auch schnell ins Leere. Ein komplettes Neujahrskonzert mag ich mir zumindest nicht anhören. Wenn beides so kombiniert wird, wie insbesondere im zweiten Akt der Fledermaus, und dazu charmant und einfallsreich in Szene gesetzt ist wie in Interlaken, dann macht es aber einfach Spaß.
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Einsame Musiker: hier wird ihnen geholfen
Ein Leben für die Musik kann sehr einsam machen. Viele große Komponisten und Musiker wussten im wahrsten Sinne ein Lied davon zu singen: Beethoven, Schubert, Brahms, Gould, Callas, Elvis – die Liste ließe sich mühelos fortsetzen. Vielleicht hätte Ihnen geholfen werden können, wenn es zu ihrer Zeit das Internet schon gegeben hätte. Denn hier gibt es eine Dating-Plattform speziell für Musiker: einsamermusiker.de – für alle, die den Rhythmus haben, aber nicht allein grooven wollen.
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KM-Magazin zum Thema Kultur und Web 2.0
Das aktuelle KM-Magazin dreht sich um das Thema der stART: Kultur und soziale Medien/Web 2.0. Ich weise auf diese Ausgabe einerseits deswegen speziell hin, weil sie insgesamt ein Highlight und perfekte Vorbereitungslektüre für die Konferenz ist. Aber auch, weil dort auf den Seiten 31-35 ein Artikel zu lesen ist, den ich zusammen mit Frank Tentler geschrieben habe. Thema: Erfolgsfaktor Community-Building.
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Nellie McKay – Meisterin der Ironieironie
Vor einigen Jahren kündigte Sat1 seine Filme immer als «FilmFilm» an. Während diese Wortdopplung hier natürlich ziemlich schwachsinniges Werberdeutsch war, ist die Dopplung Ironieironie in meinen Augen eine perfekte Umschreibung dessen, was die Sängerin Nellie McKay macht:
Hier nimmt sie nicht nur den einschlägigen Forderungskatalog fundamentalistischer Feministinnen aufs Korn, sondern zugleich auch die ebenso einschlägigen Entgegnungen von deren Kritikern. Die Studioversion des Songs gibts übrigens auf der myspace-Seite von Nellie McKay. Wenn man dort (oder bei youtube) noch ein paar andere Songs von ihr hört, kommt man schnell drauf, dass es sich um eine ganz großartige, äußerst vielseitige, witzige Musikerin und hervorragende Sängerin handelt. Mit eingängigen Melodien, witzigen Arrangements und eben ironisch-ironischen Texten ist sie in meinen Augen so etwas wie eine sehr gelungene Mischung aus Alanis Morisette und Frank Zappa. Sehr empfehlenswert.
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Gustav Mahler bloggt auch
Bloggen scheint momentan in zu sein bei den großen Gestalten der Kulturgeschichte: Zu Goethe und Schiller gesellt sich jetzt auch Gustav Mahler. Er kann sich aus den gleichen Gründen wie Goethe und Schiller nicht selbst um das Projekt kümmern, deswegen übernimmt das in seinem Fall die Universal Edition. Die Idee ist es, im Blog alle Informationen zu den Aktivitäten und Feierleichtkeiten in den Mahler-Jahren 2010 und 2011 zu veröffentlichen. 2010 wird Mahlers 150-jähriger Geburtstag gefeiert, 2011 seines 100-jährigen Todestags gedacht.
Derzeit gibt es im Blog vor allem eine ganz interessante Interviewreihe, in der verschiedene Dirigenten darüber sprechen, wie sie auf den Geschmack gekommen sind, was sie an Mahlers Musik fasziniert, aber auch, womit sie Schwierigkeiten haben. Gerade das Interview mit Daniel Barenboim finde ich sehr aufschlussreich und interessant, insbesondere seine klare Haltung dazu, inwieweit Mahlers Musik aus seiner Biographie zu entschlüsseln ist.
Übrigens: Mahler ist nicht nur mit einem Blog im Web 2.0 vertreten, sondern hat auch eine Facebook-Fanseite.
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Goethe und Schiller gebloggt
Vor kurzem mischte Adam Soboczynski mit einem Artikel in der Zeit die deutsche Blogosphäre auf. Das Internet sei kein Ort für Intellektuelle, war seine provokative These. Diese wird nun durch ein kürzlich gestartetes Blog Lügen gestraft, ein Blog nämlich, in dem sich zwei unbestrittene Geistesgrößen der deutschen Kulturgeschichte die Ehre geben: Goethe und Schiller.
In dem Blog erscheint der Briefwechsel der beiden in Echtzeit. Das heißt die Briefe werden in der korrekten Reihenfolge, jeweils auf den genau Tag 215 Jahre nachdem sie verfasst wurden (1794-1805) veröffentlicht. Da Goethe und Schiller sich aus naheliegenden Gründen nicht selbst um das Projekt kümmern können, hat der Germanist Giesbert Damaschke diese Aufgabe übernommen.
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Junge Konzertbesucher – in Paris gibt’s sie
Norman Lebrecht schreibt in seinem Blog über eine Studie, nach der die Pariser Konzert- und Opernbesucher im Durchschnitt 32 Jahre alt sind. Das passt so gar nicht zu den Sorgen über die Überalterung der Konzertbesucher oder gar deren langsames Aussterben, wie man sie sonst kennt. Die Gründe für das niedrige Durchschnittsalter sieht Lebrecht darin, dass sich die klassische Musikszene in Paris zur Zeit in Aufbruchsstimmung befindet und ihr elitäres, exklusives Image verloren hat. Konzerte und Oper werden als anspruchsvolle, aber eben auch unterhaltsame, angenehme Freizeitgestaltung wahrgenommen, bei der man nette Leute treffen und sich niveauvoll amüsieren kann. Dazu kommt, dass international berühmte, einheimische Künstler in Fernsehshows auftreten und ihre Arbeit damit populär machen.
Ob das das ganze Geheimnis ist? Ich denke, gewisse inhaltliche Voraussetzungen müssen auch erfüllt sein, damit solch ein Boom mehr als eine Modeerscheinung ist. Da wäre es zum Beispiel interessant zu wissen, ob die musikalische Bildung in Frankreich anders aussieht, wie die Spielpläne gestaltet werden, was an Einführungen und Kulturvermittlung durch die Kultureinrichtungen jenseits von Fernsehauftritten angeboten wird usw.
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Dirigenten als Vorbilder für Manager
Schon öfters habe ich die Idee kritisiert, die Arbeitsweise von klassischen Orchestern zum Vorbild für Führung in Unternehmen zu nehmen. Der Grund: Orchester sind streng hierarchische Organisationen, in denen Entscheidungen nach dem Top-down-Prinzip getroffen werden. Das ist nicht gerade das Non-Plus-Ultra moderner Führung. Natürlich – bestimmte Organisationen müssen aus Effizienzgründen streng hierarchisch funktionieren, nämlich solche, in denen schnelle, schwerwiegende Entscheidungen getroffen werden müssen, die man andernorts lieber erstmal gründlich diskutieren würde: Luftfahrt, Kliniken, Militär oder eben auch Orchester. Wo möglich wird man aber darum bemüht sein, möglichst viel Freiräume und Eigenverantwortung zu zu lassen. Von einer Jazzband könnte man da sehr viel mehr lernen: hier wird ein weiter musikalischer Rahmen gesteckt, in dem sich jedes Mitglied entfalten kann ohne wie ein Rädchen in einem Uhrwerk funktionieren zu müssen. «Besser strategische Anweisungen als operative», heißt dieses Prinzip in Management-Lehrbüchern.
Trotzdem, die Idee, dass der Dirigenten das Sinnbild eines vorbildhaften «Leaders» ist, scheint populär zu sein – der Dirigent Itay Talgam erklärt Führung bzw. «Leadership» anhand berühmter Dirigenten:
«Der Dirigent muss eine musikalische Vision haben» sagt Talgam und bezieht sich damit gleich auf einschlägiges Management-Vokabular. Aus musikalischer Sicht ist diese These jedoch sehr fragwürdig, denn wenn es ein gutes Konzert werden soll, dann stammt die musikalische Vision vom Komponisten, nicht vom Dirigenten. Dessen Aufgabe ist es, diese zu entschlüsseln und zu interpretieren. Wenn man hier schon dieses Management-Vokabular anwenden möchte, dann wäre es deshalb richtiger in Bezug auf die Aufgabe des Dirigenten von einer musikalischen Mission zu sprechen.
Anhand von einigen Konzertausschnitten vorbildhafte Führungsprinzipien abzuleiten muss deswegen im Anekdotenhaften, Allgemeinen steckenbleiben: Der eine Dirigent guckt mürrisch, der andere «happy» – wobei «happy» zu sein natürlich besser ist. Dass der mürrische Dirigent eher düstere Musik dirigiert und der andere fröhliches Showdirigieren am Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker macht, interessiert Talgam schon nicht mehr. Über Kleibers Dirigat von Beethovens Siebter sagt Talgam, er öffne einen Raum, in dem sich das Orchester interpretativ ausleben könne (im Sinne der strategischen statt operativen Anweisungen, s.o.). Würde er Kleiber auch bei der Probe zeigen, könnte man sehen, dass das ganz und gar nicht sein Anspruch war. Gerade in den Proben, wo abgesehen von der Vorbereitung der Löwenanteil der Arbeit stattfindet, würde aber letztlich sichtbar, wie ein Dirigent wirklich überzeugen, vermitteln, begeistern, sprich führen kann.
Natürlich ist der Vortrag nett anzusehen und durchaus unterhaltsam und interessant. Dass man als Manager daraus etwas lernen kann, bezweifel ich allerdings.
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Kommt Kunst von Kompilieren?
Eine Prämisse adornitischer Ästhetik lautet, das Neue, Unerhörte ist das Gute. Das hat für lange Zeit in den Künsten eine obsessive Originalitätssucht nach sich gezogen und tut es bis heute. Ironischerweise haben sich die Künste mit dem Hochhalten dieser Idee geradewegs ins Bedeutungsabseits manövriert und das beschworen, was sie um jeden Preis verhindern wollten, nämlich antiquiert, reaktionär oder epigonal zu sein. Die heute relevante Ästhetik hat sich hingegen damit abgefunden, dass es alles schon einmal gegeben hat und dass Kreativität im Sinne eines ständigen «Materialfortschritts» eine Sackgasse ist. Der Ausweg: das, was es schon gibt, neu kompilieren und zusammensetzen. Die technischen Weiterentwicklungen – angefangen beim Dual Turntable über Sampler und virtuellem Tonstudio im PC bis hin zur offenen Musikdistribution im Web 2.0 – machen es möglich.
Dass sich auch aus der frei verfügbaren, immensen Materialfülle des Bestehenden beeindruckende neue Werke kreieren lassen, zeigt das Beispiel thru-you.com des Künstlers Kutiman. Der Kunstbegriff erweitert sich damit von der genialen Schöpfung eines einzelnen Künstlers, zu den eher mittelmäßigen künstlerischen Aktivitäten vieler Einzelner, die auf genialische Weise kompiliert wurden.