Christian Holst

Kulturmanagement :: Digitale Transformation :: Künstliche Intelligenz


Blog

  • Drohkulisse demografischer Wandel

    Im Rahmen der allgemeinen Reformitis, die ja mittlerweile auch den Kulturbereich zu infizieren droht, darf auch der demografische Wandel als Drohkulisse nicht fehlen. Viele Einrichtungen treibt die Angst um, dass ihnen in den nächsten 20 Jahren das Publikum wegsterben werde. Deswegen schießen aller Orten so genannte Education-Programme aus dem Boden, die die Kartenverkäufe von morgen sicher stellen sollen. Abgesehen davon, dass es natürlich überhaupt nicht schadet, gute Kulturangebote für Kinder und Jugendliche zu entwickeln und das Interesse, das in diesem Alter geweckt wird, sicher am nachhaltigsten ist, frage ich mich aber, auf welcher empirischen Grundlage man hier agiert. Gibt es hierzu wirklich fundierte Zahlen, an denen nichts zu deuteln ist? Würde mich sehr interessieren.

    Grundsätzlich ist es ja durchaus plausibel, dass vor allem ältere Menschen Kultureinrichtungen besuchen. Junge Menschen wissen mit einer speziellen Szene- oder Subkultur in aller Regel mehr anzufangen, als mit traditioneller Kultur. Die Schlussfolgerung, die traditionellen Kultureinrichtungen müssten dann eben hier andocken, halte ich für ebenso falsch, wie die des Musiklehrers, mit der 9. Klasse mal einen Bushido-Song zu analysieren. Da macht man sich nur lächerlich. Berufseinsteiger, die sich im Job beweisen müssen, sind auch keine ideale Zielgruppe für zusätzliche emotionale und intellektuelle Herausforderungen am Feierabend. Junge Eltern haben dann weder den Nerv, noch die Zeit, noch das Geld regelmäßig das Theater oder die Oper zu besuchen. Bleiben die älteren Menschen über 45 übrig, die mittlerweile lokal verankert sind, entsprechend verdienen, sich weder beruflich noch privat die Hörner abstoßen müssen und daher einem anspruchsvollen Freizeitvergnügen gegenüber aufgeschlossen sind.

    Auch das ist freilich nur eine Hypothese, aber vielleicht plausibel genug, um nicht in Panik auszubrechen, weil man im Konzert- oder Theatersaal vor allem die sogenannten Best oder Silver Agers zu Gesicht bekommt. Jenseits von Vermutungen kann man sich eigentlich nur bewegen, wenn deutschlandweit über Jahrzehnte hinweg eine einheitliche Studie durchgeführt würde, die über die demografischen Entwicklungen unter den Besuchern Aufschluss gäbe. Untersuchungen, mit je unterschiedlichem Forschungsdesign, die je spezielle kulturelle Milieus oder Traditionen betrachten, sollten zumindest mit größter Vorsicht genossen werden.

    Also bemüht man sich als öffentlich finanzierte Kultureinrichtung weiterhin (wie man es unabhängig von vermeintlich alarmierenden Studien sowieso tun sollte), ein umfassendes Kulturangebot zu machen, bei dem Kinder und Jugendliche die Faszination der jeweiligen Kunstgattung erfahren können und junge und mittelalte Erwachsene ebenso auf ihre Kosten kommen wie die langjährigen treuen Abonnenten jenseits der 60.

  • Bond ist wieder da

    »Ich war nie weg« sind Bonds letzte Worte in Quantum of Solace (Trailer). Das ist nicht ganz richtig, denn im vorherigen Film war von dem MI6-Agenten nicht viel zu erkennen. Bond war hier mehr der kleine Bruder von Bruce Willis, was sich jetzt erfreulicherweise wieder geändert hat. Zwar fehlen Miss Moneypenny und Q weiterhin, aber an erstere gibt es immerhin eine kurze Reminiszenz, als Bond die Rezeptionistin in einem Hotel um den Finger wickelt. Ansonsten hat der Film aber alles, was ich von einem Bond-Film erwarte: Verfolgungsjagden mit allen möglichen Verkehrsmitteln vom Auto übers Boot bis zum Flugzeug, spektakuläre Stunts, ein wehrloses und deswegen später totes Bond-Girl, ein schlagkräftiges, das am Leben bleibt, ein explosives Ende und den trockenen Witz und Charme, der im letzten Film wie gesagt weitgehend fehlte. Feines Unterhaltungskino.

    Eine Szene spielt übrigens auf der Bregenzer Seebühne während einer Aufführung von Tosca und zeigt in schöner Weise und ähnlich wie das Finale in Der Pate III, welche dramatischen Qualitäten Oper auch nur als Hintergrundgeschehen abgibt, wenn sie gekonnt in Szene gesetzt wird.

  • Deutsche Orchester mischen ganz oben mit (Best practice IV)

    Einmal im Jahr macht die Zeitschrift Gramophone eine Kritikerumfrage, um die besten Orchester der Welt zu ermitteln. Beim diesjährigen Ranking kommen drei der Top10-Orchester aus Deutschland, gleich viele wie aus den USA. Die Berliner Phllharmoniker kommen dabei auf Platz 2, von dem sie die Wiener Philharmoniker verdrängt haben. Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks erreicht Platz 6 und die Sächsische Staatskapelle Dresden Platz 10. Gewonnen hat, wie schon im letzten Jahr, das Concertgebouworkest Amsterdam. Was immer von solchen Rankings zu halten ist: das deutsche Ergebnis kann sich sehen lassen.

  • Deutsches Kulturmodell rabiat verteidigen (Best practice III)

    Ich hatte es schon im Beitrag zur NPO-Blogparade gesagt, dass das deutsche Kulturmodell durchaus Grund gibt, stolz darauf zu sein. Die Intendantin der Berliner Philharmoniker, Pamela Rosenberg, sieht das offenbar ähnlich. Sie wird im Zusammenhang mit den immensen, existenzbedrohenden Problemen amerikanischer Kultureinrichtungen in der Zeit mit folgender Aussage zitiert:

    Das deutsche Modell ist absolut das beste. Man muss es rabiat verteidigen.

    Noch scheinen deutsche Sponsorengelder sicher, Sponsoren wie Autostadt oder Deutsche Bank machen betont auf zuversichtlich. Trotzdem: diese Gelder hängen von der Willkür der Geber ab, deren Reaktion auf einen eventuellen nächsten Schock wohl keiner vorhersagen kann. Deswegen nehme ich Rosenbergs Zitat zum Anlass, das deutsche Kulturmodell als solches ebenfalls als Best practice in meiner kleinen Reihe aufzuführen.

  • Best Practice II: Bayerische Philharmonie

    Die lebhafte Diskussion zu Armin Kleins »Der exzellente Kulturbetrieb« veranlasste mich zu der Behauptung, ich würde keine Kultureinrichtungen kennen, die so schlecht arbeiten würden, wie Klein es in seinem Buch als allgemeines Niveau suggeriert. Ich muss gestehen, dass mir mittlerweile doch zwei bis drei eingefallen sind, die wirklich ziemlich unprofessionell arbeiten. Trotzdem scheinen mir diese Negativ-Beispiele lange nicht so repräsentativ, wie Klein nahelegt und wie es auch in der Diskussion über das Buch immer wieder behauptet wurde. Deswegen habe ich mir vorgenommen, ab und an über Kultureinrichtungen zu schreiben, in denen mit klarem Ziel vor Augen etwas bewegt wird, wo neue Konzepte erprobt werden, neue oder gute alte Ideen Wirklichkeit geworden sind und die die unvergleichliche Vielfalt, Leistungsfähigkeit und vor allem auch Breitenwirkung des deutschen Kulturlebens veranschaulichen.

    Ein Beispiel für solch eine ambitionierte Kultureinrichtung mit anspruchsvollem, stimmigem Konzept ist die Bayerische Philharmonie. Der Verein bietet ein umfassendes Angebot von der Vermittlung der Grundlagen des symphonischen Musizierens in der Kinderphilharmonie über Kammermusikkurse mit Solisten der drei großen Münchner Orchester und Professoren bis hin zu Orchesterakademien mit Dirigenten wie Sir Colin Davis, Zubin Mehta oder Esa-Pekka Salonen. Wer Profi-Musiker werden will, kann also seine gesamte Ausbildungszeit über in der Bayerischen Philharmoine Ensembleerfahrung sammeln: mit neun Jahren in die Kinderphilharmonie München, mit 14 ins Münchner Jugendorchester, mit 19 oder 20 in die Junge Münchner Philharmonie bis er oder sie dann mit 26 oder 27 eine Stelle in einem Profi-Orchester antritt, Lehrer wird oder was auch immer.

    Aufgebaut hat das der Dirigent Mark Mast, der 1994 die Leitung des Münchner Jugendorchesters übernahm, damit aber nicht ganz ausgelastet war und das Programm in der oben beschriebenen Weise erweiterte, nebenbei aber auch noch Intendant des Schwarzwald Musikfestivals und der Sergiu Celibidache-Stiftung ist. Ein Kulturunternehmer also, wie ihn Armin Klein sich nicht besser hätte ausdenken können. 😉

  • Die Walküre in Hamburg: »Man ist begeistert.«

    Bei allem, was mich am Theater stört und aufregt, gibt es doch gelegentlich Abende, die für alle anderen entschädigen. Abende, in denen man etwas erlebt, was man nur im Theater erleben kann und die das beste Argument für das Theater sind. Ein solcher Abend war der gestrige mit einer fulminanten Aufführung der Walküre an der Staatsoper Hamburg.

    Ich rede dabei von der musikalischen Seite der Aufführung und vor allem von Simone Young. Wenn gern gesagt wird, dass Frauen für bestimmte Positionen das Doppelte leisten müssen wie Männer, dann gilt das für Dirigentinnen wahrscheinlich ganz besonders. Denn was Young mit dem Orchester leistet, ist wirklich ganz außerordentlich. Da bereits das Rheingold musikalisch ausgezeichnet war, schien auch die gestrige Orchesterleistung kein Zufall zu sein. Young dirigiert sehr expressiv und energiegeladen, dabei unglaublich souverän, hochkonzentriert und präzise. Und genauso spielt das Orchester dann auch. Ähnlich wie Karajan in seiner Aufnahme mit den Berliner Philharmoniker, rückte Young die lyrischen, zarten Aspekte der Oper in den Fokus, was aber nicht hieß, dass es zum Beispiel im Walkürenritt nicht auch ordentlich zur Sache gegangen wäre.

    Tatsächlich ist Die Walküre, wie Young in diesem Video zur Inszenierung sagt, die emotionalste der Ring-Opern und insofern praktisch ein Garant für feuchte Augen – das Rascheln der Taschentücher bei »Wotans Abschied« war nicht zu überhören – und erhöhten Puls. Oder wie Loriot zum euphorischen Schluss des ersten Aufzugs meint: »Es handelt sich dabei um Inzest und Ehebruch. Man ist begeistert. Nur Hunding verschläft eine der eindrucksvollsten Liebeserklärungen der Opernbühne.«

    Die Inszenierung von Claus Guth war mit üblichem Regisseursdünkel am Stück vorbeikonzipiert. Sängerisch war die Aufführung durchwachsen: Stuart Skelton und Yvonne Naef als Siegmund und Sieglinde waren ziemlich ideal, bei Deborah Polaski (Brünnhilde) und Falk Struckmann (Wotan) dagegen haben die großen Wagner-Partien bereits ihren Tribut gefordert: die Stimmen sind zwar mächtig und kraftstrotzend, aber dadurch auch schwerfällig und ungenau.

  • Reihe Best Practice I: Kleinstkindertheater

    Ausgehend von meinen Anmerkungen zu Armin Kleins Buch »Der exzellente Kulturbetrieb«, hat sich im Kulturmanagment-Blog eine kontroverse Diskussion entwickelt, ob Klein mit seiner Einschätzung denn nun richtig liegt oder eher nicht. Dabei ist vielleicht noch einmal wichtig, klar zu stellen, dass ich nicht alles falsch finde, was Klein schreibt. Zu vieles finde ich aber entweder einseitig oder zu oberflächlich, zum Beispiel wenn Klein einfordert, dass Kulturbetriebe nach ihrer eigenen, nicht nach behördlicher, Logik arbeiten sollen, sie aber seinerseits nicht anhand ihrer eigenen betrieblichen Logik berät, sondern die (nicht nur für den Kulturbetrieb) fragwürdige der allgemeinen BWL anlegt.

    Da ich mit meiner Meinung doch relativ allein dastehe und Kleins pessimistische Einschätzung tendenziell eher geteilt wird, habe ich mir gedacht, eine kleine Reihe über innovative Konzepte in deutschen Kultureinrichtungen (es werden wohl in erster Linie Theater und Orchester werden) zu machen. Sachdienliche Hinweise sind natürlich herzlich willkommen.

    In einem Kommentar fragt Christian Henner-Fehr, wer denn in Deutschland etwas zum Thema Audience Development mache. Wie der Zufall es wollte, bin ich heute über ein passendes Beispiel aus Dresden gestolpert: ein Kleinstkindertheaterfestival für Unter-Drei-Jährige. Das ist strategisch natürlich äußerst gewieft, weil man die Kinder so mit Theater anfixen möchte, noch bevor sie in die Fänge von Handys, Computern oder Fernsehern geraten. Aber mal ehrlich: Ist das jetzt exzellent oder einfach gaga? Ist das innovativ gedacht oder die Bankrotterklärung des Theaters? Mir scheint die Grenze nicht ganz scharf gezogen zu sein. Trotzdem sei dieses Beispiel mit durchaus ernstem Hintergrund zur Diskussion gestellt, denn Klein fordert vom exzellenten Kulturbetrieb:

    Die Aufmerksamkeit sollte in Zukunft also sehr viel verstärkter dem Publikum von morgen und seiner zielgerichteten Entwicklung (»Audience Development«, wie es im Amerikanischen heißt) gelten.

  • NPO-Blogparade: Selbstbestätigung durch Finanzkrise

    »Keine Panik. Das ist schon wieder nicht das Ende« titelt die aktuelle Brandeins zur Finanzkrise und bietet damit eine treffende Einschätzung und sinnvolle Handlungsempfehlung. Denn die Panik ist ja nicht nur Folge der Krise, sondern – zumindest zum Teil – auch deren Ursache. Gerade dadurch ist die Krise nicht auf den Finanzsektor beschränkt geblieben, sondern hat gesamtwirtschaftliche Auswirkungen, deren Ausmaß für mich als Laien nicht abzusehen ist, die früher oder später aber natürlich auch die NPOs und Kultureinrichtungen treffen können. Insbesondere solche, die verstärkt auf die viel gepriesenen kurzfristigen, projektorientierten Finanzierungsformen wie Sponsoring, Fundraising und Fördergelder gesetzt haben. Was das im Einzelnen bedeuten könnte könnte, haben Karin Janner und Brigitte Reiser bereits im Rahmen der NPO-Blogparade dargestellt.

    Wie Kulturstaatsminister Bernd Neumann kürzlich bemerkte, ist die Lage für öffentlich finanzierte Kultureinrichtungen grundsätzlich weniger dramatisch, da ihre Finanzierung mit öffentlichen Mitteln stabiler, langfristiger und nachhaltiger ist. Eine Chance, die ich daher in der Finanzkrise sehe, besteht in einem klaren, selbstbewussten Bekenntnis zu dem deutschen Kulturmodell mit breiter öffentlicher und damit relativ krisensicherer Finanzierung. Anstatt wie Armin Klein radikales Umdenken einzufordern und das angeblich so viel besucherorientiertere, unbürokratischere, visionsgeleitete amerikanische Kultursystem als Modell der Zukunft zu verklären, können wir uns ruhig mal darüber freuen, doch erstaunlich viele und grundlegende Dinge richtig gemacht zu haben und den scheinbar typisch deutschen Selbstzweifel und -hass durch die scheinbar typisch amerikanische Selbstgewissheit ersetzen. Besser werden zu wollen, ist natürlich nach wie vor erlaubt.

  • Wir sind besser als Armin Klein glaubt

    Bücher, die in dramatischer Weise gesellschaftliche Missstände aufzeigen und schonungslos Reformen fordern haben seit einiger Zeit Konjunktur: Gabor Steingart, Hans Werner Sinn, Meinhard Miegel, Paul Kirchhoff usw. Da konnte es nicht ausbleiben, dass sich früher oder später eine Kassandra zu Wort melden würde, um auch dem deutschen Kulturbetrieb als solchem gehörig die Leviten zu lesen und ein tiefgreifendes Umdenken zu fordern. Die Rede ist von Armin Kleins Buch Der exzellente Kulturbetrieb.

    Diesen Büchern ist gemein, dass sie allesamt auf wenigen, immergleichen Mantren beruhen, die in jeweils verschiedenen Abwandlungen lauten: zuviel Staat, zuviel Regulierung und Bürokratie, zu wenig Eigenverantwortung und Eigeninitiative, verbitterte Besitzstandswahrung aller Orten, weiterwurschteln ohne Ziel und Vision. Um es vorweg zu nehmen, es ist die größte Schwäche von Kleins Buch, sich unreflektiert dieser Reformrhetorik zu bedienen.

    Schenkt man Klein Glauben, ist die deutsche Kulturlandschaft mittlerweile so verkorkst, dass nur noch ein harter, sauberer Schnitt und ein Neustart bei Null hilft. So besteht das erste Kapitel mit dem Titel »Zeit, dass sich etwas bewegt« in einer Auflistung all der Probleme, mit denen Kultureinrichtungen angeblich und tatsächlich zu kämpfen haben. Diese Bestandsaufnahme ist bereits höchst fragwürdig, weil Klein sich fast ausschließlich auf Zeitungsartikel (immerhin niveauvoller Zeitungen wie der FAZ und der Zeit) beruft (S. 16ff.), wissenschaftliche Studien aus zweiter Hand zitiert (z.B. S.21) und andere Wissenschaftler streckenweise aus der Sekundärliteratur zitiert werden (z.B. Luhmann, S. 47). Weiter geht es mit begrifflichen Unklarheiten. Klein spricht zum Beispiel von Subventionen für öffentliche Kulturbetriebe, später von Kultur als meritorischem Gut, d.h. als Leistungen, die auf Basis eines gesellschaftlichen Konsenses öffentlich finanziert werden. Dass öffentliche Finanzierung und Subvention jedoch zwei grundsätzlich verschiedene Dinge sind, wird deutlich, wenn man von staatlichen Subventionen für das Schulwesen oder die Polizei spricht. Klingt unsinnig, eben weil es keine Subventionen sind. Rein aus solchen formalen Gründen sind schon mal schwere Bedenken bei der Seriosität der Analyse anzumelden.

    Für den in Kleins Augen unumgänglichen Neustart empfiehlt er Kulturbetrieben zunächst einmal, Vision und Mission zu formulieren. Das heißt für ihn zum einen zu klären, wohin wollen wir uns entwickeln? (Vision) und zum anderen klar zu kriegen, warum gibt es uns heute? (Mission) Die Einschätzung, dass es ein gravierendes Problem im Kulturbereich gibt, weil diese Fragen oftmals nicht ausreichend beantwortet sind, kann ich nicht teilen. Die Aufgabe eines Stadttheaters (anhand dessen Beispiel Klein das Vorgehen deutlich macht) oder Landesmuseums ist in aller Regel klar umrissen und langfristig definiert. Da sich solche Einrichtungen nicht in einer hochdynamischen Konkurrenzsituation mit anderen Wettbewerbern befinden, lässt sich zudem die für private Unternehmen geltende Logik nicht ohne Weiteres auf öffentliche Kulturbetriebe übertragen.

    Überhaupt wird allzu oft die Marktlogik umstandslos auf den Kulturbereich angewandt und Methoden und Instrumente aus der BWL propagiert, die dort auch nicht mehr der letzte Stand der Forschung sind oder für Kulturbetriebe gar nicht sinnvoll greifen. Während Klein z.B. im Rahmen der strategischen Neuausrichtung die gute alte Situations- und SWOT-Analyse empfiehlt, wären gerade für gesellschaftlich stark verpflichtete und vernetzte Einrichtungen, wie Kulturbetriebe es sind, neuere, systemische Methoden und ganzheitliches Management mit Auswertung über Balanced Scorecards wesentlich sinnvoller.

    Das gleiche Problem im Kapitel »Konsequente Besucherorientierung«, wo das klassische Marketingmodell der BWL ohne weiteres auf den Kulturbereich übertragen wird, ungeachtet der Tatsache, dass zum Beispiel für die Preispolitik oftmals gänzlich andere Regeln gelten und ungeachtet der Tatsache, dass dieses Modell auch längst nicht mehr unumstritten ist. Überhaupt könnte man sich wünschen, dass ein kulturell beleckter Autor zunächst einmal den Begriff des Marketings für den Kulturbereich ganz grundsätzlich kritisch reflektiert. In dieser Hinsicht sehr empfehlenswert sind die Bücher von Peter Bendixen.

    Im Kapitel »Die lernende Kulturorganisation« beklagt Klein die überbordende Bürokratie in Kultureinrichtungen und kritisiert, dass Theater und Museen, die ja oftmals als nachgeordnete Behörden oder Regiebetriebe organisiert sind, nach Behördenlogik arbeiten und nicht der Logik ihrer speziellen Aufgabe folgen würden. Eine erstaunliche Feststellung für jemanden, der selbst am Theater gearbeitet hat. Gerade hier ordnen sämtliche Abteilungen (abgesehen vielleicht von der Lohnbuchhaltung) ihre Arbeitsweise der Logik des Betriebs unter: »Dienst nach Bedarf« ist das Motto für fast alle Mitarbeitergruppen, nicht »Dienst nach Vorschrift«. Sonst wären Nacht- und Wochenendarbeit für Künstler, Leitungsteam, Technik und Werkstätten eben so wenig eine Selbstverständlichkeit wie Überstunden für termingerechte Fertigstellung von jeweils individuell gefertigten Bühnenbildern und Kostümen.

    Die Liste ließe sich ohne Weiteres fortsetzen. Kulturmanagement sollte sich in meinen Augen jedoch davor hüten, einfach eine BWL für Kulturbetriebe zu sein, vielmehr eine um eine kulturelle Dimension erweiterte BWL, die nicht nur für Kultureinrichtungen stimmt, sondern alle Bereiche des Wirtschaftslebens bereichern kann. Wer regelmäßig Brand eins liest (aktuell mit einem wirklich witzigen Titel!), sollte wissen, was ich meine. Erfolgreiches, nachhaltiges, modernes Management braucht immer eine kulturelle Dimension. Das sollte das Kulturmanagement zu allererst begreifen. Das diesbezügliche Reflexionsniveau in Kleins Buch ist dürftig, die erwähnten Bücher von Bendixen zeigen, dass und wie es anders geht.

    Darüber hinaus ärgert mich, dass Klein mit zeitgeistiger Reformrhetorik die deutsche Kulturlandschaft schlechter macht, als sie ist. Sie ist einzigartig in ihrer Vielfalt und ihrer Leistungsfähigkeit, bei allen unbestreitbaren Herausforderungen und Problemen. Eine Antwort auf die oben erwähnten Bücher von Kirchhoff, Sinn und Co. ist Peter Bofingers Wir sind besser als wir glauben. Das sollte auch die Antwort der Kulturmanager auf Kleins Buch sein!

  • Langweilig und uninspiriert: Rienzi in Bremen

    Gestern schrieb Christian Henner-Fehr darüber, was Marketingleute von Künstlern lernen können. Etwas verkürzt gesagt: Passion und Begeisterung. Dass das leider nicht immer stimmt, konnte ich gestern in der ermüdenden Rienzi-Inszenierung von Katharina Wagner erleben, die ich als weiteren griffigen Beleg für die Verankerung des Theaters in vordemokratischen Strukturen abgebucht habe. Denn dass man Wagner hier ans Regiepult gelassen hat, hat rein gar nichts mit Eignung zu tun, sondern leitet sich scheinbar allein aus einem ungeschriebenen Stammesrecht ab.

    Dass mir die Inszenierung gefallen könnte, schien mir von vornherein eher unwahrscheinlich. Da ich Katharina Wagners Wirken bislang allerdings nur im Feuilleton verfolgt hatte, wollte ich mir jedoch einen Eindruck verschaffen, obwohl in Kritiken zum Beispiel zu lesen war: »Grell, laut, plakativ, mit visuellen Faustschlägen.« Ich finde diese Beschreibung etwas irreführend, denn sie suggeriert, dass es überhaupt Regie-Ideen gegeben hat. Es gab aber praktisch keine. Gerade mal zehn Minuten von 3 Stunden Oper mit dauerpräsentem Chor wusste Wagner tatsächlich etwas mit diesem anzufangen (im 3. Aufzug, als die Römer ihre Gefallenen beklagen). Ansonsten stand er einfach auf der Bühne herum und sang. Oder: Rienzi trifft sich mit seinen Verbündeten im Frisörsalon – sowas gab es schon einmal zu oft, als dass man es noch als grell, laut oder plakativ bezeichnen könnte. Zumal Katharina Wagner aus diesem Setting überhaupt nichts macht. Auch hier sitzen die Protagonisten einfach herum, bekommen eine neue Perücke aufgesetzt und fertig. Auch der unvermeidliche Bezug zu Hitler ist kein Schocker (obwohl die Oper in dieser Hinsicht wirklich ergiebig wäre!): Rienzi führt einen speziellen Gruß ein, indem er bei ausgestrecktem Arm mit dem Zeigefinger in die Luft zeigt. Aber selbst solch eine fantasielose Idee ist dann einfach schlecht ausgeführt, denn Rienzi sieht dabei (auch dank Glitzerhemd) eher wie ein John Travolta in Saturday Night Fever aus denn wie ein gefährlicher Demagoge. Statt Passion und Begeisterung also Langeweile und Ideenlosigkeit. Dass das Leitungsteam von der Oper – die ganz offenkundig nicht zu Wagners besten gehört, auch das ist aber keine neue Erkenntnis! – nicht viel hält, war übrigens auch dem sehr dürftigen Programmheft zu entnehmen. Das obligatorische Adorno-Zitat, das in keinem Opernprogrammheft fehlen darf und die nichtbegründete, flaue Behauptung, dass dem Rienzi-Stoff nur mit Dekonstruktion und Ironie beizukommen sei (Deswegen nutzt Rienzi als Waffe einen Laubpuster!). Auch hier kaum mehr. Insgesamt schien also die gesamte Arbeit an der Oper extrem uninspiriert gewesen zu sein. Das hat man am Theater nicht immer im Griff, aber es ist bitter, wenn dann noch nicht einmal handwerkliche Mindeststandards erfüllt werden.

    Auch musikalisch war die Aufführung übrigens ein ziemlicher Flop, das Orchester klang dünn und pappig, besonders die Blechbläser machten den gesamten Abend über einen uneingespielten Eindruck und intonierten erschreckend unsauber. Mark Duffin meisterte die mörderische Titelpartie ganz beachtlich, außerdem ragte Tamara Klivadenko als Adriano aus dem ansonsten mittelmäßigen Ensemble positiv hervor. Schwer gemacht wurde es den Sängern allerdings auch durch das offene Bühnenbild; bei einer Oper mit großem Orchester eine echte Rücksichts- (oder Ahnungs)losigkeit seitens des Regieteams. Trotzdem schien mir, als habe der neue Intendant kein glückliches Händchen bei der Zusammenstellung seines neuen Ensembles bewiesen. Aber vielleicht ist es auch nur schlecht bei Stimme wegen des aktuellen Kälteeinbruchs.