Im Rahmen der allgemeinen Reformitis, die ja mittlerweile auch den Kulturbereich zu infizieren droht, darf auch der demografische Wandel als Drohkulisse nicht fehlen. Viele Einrichtungen treibt die Angst um, dass ihnen in den nächsten 20 Jahren das Publikum wegsterben werde. Deswegen schießen aller Orten so genannte Education-Programme aus dem Boden, die die Kartenverkäufe von morgen sicher stellen sollen. Abgesehen davon, dass es natürlich überhaupt nicht schadet, gute Kulturangebote für Kinder und Jugendliche zu entwickeln und das Interesse, das in diesem Alter geweckt wird, sicher am nachhaltigsten ist, frage ich mich aber, auf welcher empirischen Grundlage man hier agiert. Gibt es hierzu wirklich fundierte Zahlen, an denen nichts zu deuteln ist? Würde mich sehr interessieren.
Grundsätzlich ist es ja durchaus plausibel, dass vor allem ältere Menschen Kultureinrichtungen besuchen. Junge Menschen wissen mit einer speziellen Szene- oder Subkultur in aller Regel mehr anzufangen, als mit traditioneller Kultur. Die Schlussfolgerung, die traditionellen Kultureinrichtungen müssten dann eben hier andocken, halte ich für ebenso falsch, wie die des Musiklehrers, mit der 9. Klasse mal einen Bushido-Song zu analysieren. Da macht man sich nur lächerlich. Berufseinsteiger, die sich im Job beweisen müssen, sind auch keine ideale Zielgruppe für zusätzliche emotionale und intellektuelle Herausforderungen am Feierabend. Junge Eltern haben dann weder den Nerv, noch die Zeit, noch das Geld regelmäßig das Theater oder die Oper zu besuchen. Bleiben die älteren Menschen über 45 übrig, die mittlerweile lokal verankert sind, entsprechend verdienen, sich weder beruflich noch privat die Hörner abstoßen müssen und daher einem anspruchsvollen Freizeitvergnügen gegenüber aufgeschlossen sind.
Auch das ist freilich nur eine Hypothese, aber vielleicht plausibel genug, um nicht in Panik auszubrechen, weil man im Konzert- oder Theatersaal vor allem die sogenannten Best oder Silver Agers zu Gesicht bekommt. Jenseits von Vermutungen kann man sich eigentlich nur bewegen, wenn deutschlandweit über Jahrzehnte hinweg eine einheitliche Studie durchgeführt würde, die über die demografischen Entwicklungen unter den Besuchern Aufschluss gäbe. Untersuchungen, mit je unterschiedlichem Forschungsdesign, die je spezielle kulturelle Milieus oder Traditionen betrachten, sollten zumindest mit größter Vorsicht genossen werden.
Also bemüht man sich als öffentlich finanzierte Kultureinrichtung weiterhin (wie man es unabhängig von vermeintlich alarmierenden Studien sowieso tun sollte), ein umfassendes Kulturangebot zu machen, bei dem Kinder und Jugendliche die Faszination der jeweiligen Kunstgattung erfahren können und junge und mittelalte Erwachsene ebenso auf ihre Kosten kommen wie die langjährigen treuen Abonnenten jenseits der 60.
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