Drohkulisse demografischer Wandel

Veröffentlicht von Christian Holst am

Im Rahmen der allgemeinen Reformitis, die ja mittlerweile auch den Kulturbereich zu infizieren droht, darf auch der demografische Wandel als Drohkulisse nicht fehlen. Viele Einrichtungen treibt die Angst um, dass ihnen in den nächsten 20 Jahren das Publikum wegsterben werde. Deswegen schießen aller Orten so genannte Education-Programme aus dem Boden, die die Kartenverkäufe von morgen sicher stellen sollen. Abgesehen davon, dass es natürlich überhaupt nicht schadet, gute Kulturangebote für Kinder und Jugendliche zu entwickeln und das Interesse, das in diesem Alter geweckt wird, sicher am nachhaltigsten ist, frage ich mich aber, auf welcher empirischen Grundlage man hier agiert. Gibt es hierzu wirklich fundierte Zahlen, an denen nichts zu deuteln ist? Würde mich sehr interessieren.

Grundsätzlich ist es ja durchaus plausibel, dass vor allem ältere Menschen Kultureinrichtungen besuchen. Junge Menschen wissen mit einer speziellen Szene- oder Subkultur in aller Regel mehr anzufangen, als mit traditioneller Kultur. Die Schlussfolgerung, die traditionellen Kultureinrichtungen müssten dann eben hier andocken, halte ich für ebenso falsch, wie die des Musiklehrers, mit der 9. Klasse mal einen Bushido-Song zu analysieren. Da macht man sich nur lächerlich. Berufseinsteiger, die sich im Job beweisen müssen, sind auch keine ideale Zielgruppe für zusätzliche emotionale und intellektuelle Herausforderungen am Feierabend. Junge Eltern haben dann weder den Nerv, noch die Zeit, noch das Geld regelmäßig das Theater oder die Oper zu besuchen. Bleiben die älteren Menschen über 45 übrig, die mittlerweile lokal verankert sind, entsprechend verdienen, sich weder beruflich noch privat die Hörner abstoßen müssen und daher einem anspruchsvollen Freizeitvergnügen gegenüber aufgeschlossen sind.

Auch das ist freilich nur eine Hypothese, aber vielleicht plausibel genug, um nicht in Panik auszubrechen, weil man im Konzert- oder Theatersaal vor allem die sogenannten Best oder Silver Agers zu Gesicht bekommt. Jenseits von Vermutungen kann man sich eigentlich nur bewegen, wenn deutschlandweit über Jahrzehnte hinweg eine einheitliche Studie durchgeführt würde, die über die demografischen Entwicklungen unter den Besuchern Aufschluss gäbe. Untersuchungen, mit je unterschiedlichem Forschungsdesign, die je spezielle kulturelle Milieus oder Traditionen betrachten, sollten zumindest mit größter Vorsicht genossen werden.

Also bemüht man sich als öffentlich finanzierte Kultureinrichtung weiterhin (wie man es unabhängig von vermeintlich alarmierenden Studien sowieso tun sollte), ein umfassendes Kulturangebot zu machen, bei dem Kinder und Jugendliche die Faszination der jeweiligen Kunstgattung erfahren können und junge und mittelalte Erwachsene ebenso auf ihre Kosten kommen wie die langjährigen treuen Abonnenten jenseits der 60.


8 Kommentare

Christian Henner-Fehr · 26. November 2008 um 15:51

Greg Sandow hat vor einigen Jahren das Orchesterpublikum in den USA untersucht und ist dabei zu sehr interessanten Schlussfolgerungen gekommen.

Seiner Meinung sollten sich Kultureinrichtungen auf der Suche nach ihrem Publikum nicht auf Altersgruppen konzentrieren, sondern auf Kohorten. Die zwischen 1948 und 1957 Geborenen stellen für ihn so eine Kohorte dar.

Diese stellten sowohl 1992 als auch 2002 unter den Konzertbesuchern die größte Gruppe. Das Problem besteht nun darin, so Sandow, dass keine Kohorten mehr nachkommen.

Seinen Beitrag habe ich vor längerer Zeit mal in einem Blogpost zusammengefasst.

CH · 26. November 2008 um 22:05

Ja, auf deinen Post bin ich auch auf der Google-Suche nach guten Studien zum Thema gestoßen. Der Ansatz erscheint mir sehr sinnvoll und schlüssig. Die Studie bezieht sich allerdings auf den amerikanischen Klassikmarkt. Bei einem grundlegend anders aufgestellten Bildungs- und Kultursystem ist aber die Frage, ob sich dieses Ergebnis so ohne Weiteres übertragen lässt? Da kann man wieder nur vermuten.

Christian Henner-Fehr · 26. November 2008 um 22:16

Meinst Du, dass in einem anderen „Kultursystem“ das Kohortenprinzip nicht anwendbar ist?

CH · 27. November 2008 um 8:09

Doch, prinzipiell schon. Nur dass in den USA keine Kohorten nachkommen, ist kein Beleg dafür, dass das in Deutschland auch so ist. Das meinte ich. Man kann es vermuten, aber beweisen könnte das nur eine deutsche Studie. Um strategisch auf diese Entwicklung reagieren zu können, braucht es des Weiteren auch Erkenntnisse, WARUM keine mehr nachkommen, die Feststellung DASS bringt einen noch nicht viel weiter. Gucken die jetzt lieber Fernsehen, surfen die alle bei StudiVZ, ist ihnen der Eintritt zu teuer, die Inszenierungen zu blöd? Ohne das zu wissen, kann man m.E. nicht adäquat auf das Problem reagieren.

Christian Henner-Fehr · 27. November 2008 um 8:20

Stimmt, womit wir wieder beim Thema wären: warum gibt es in den USA dazu und zu vielen anderen Themen Studien und hier nicht? Das ist doch ärgerlich und sollte gleich mit der Aufforderung verbunden werden, nicht nur künstlerische Projekte zu fördern, sondern eben auch das Entstehen der notwendigen Infrastruktur.

Aber vielleicht gibt es solche Studien ja schon, irgendwo, gut versteckt. 😉

CH · 27. November 2008 um 15:52

Es müsste ja vor allem eine Studie sein, bei der alle Kultureinrichtungen an einem Strang ziehen. Kultur ist Ländersache und das macht es wahrscheinlich schwer, deutschlandweit einheitlich vorzugehen.

Eine sehr interessante Studie ist allerdings die Nichtbesucherbefragung des Deutschen Bühnenvereins. Natürlich lernt man von Nichtbesuchern viel besser, was man besser machen könnte als von Leuten, die sowieso schon kommen. Insofern wundert es mich nicht, dass diese Studie manch interessantes Ergebnis bereithält.

Christian Henner-Fehr · 27. November 2008 um 17:30

Na gut, aber so eine Studie müsste ja über einen längeren Zeitraum gehen, sonst kann ich die Kohorten ja nicht entdecken.

CH · 28. November 2008 um 11:23

Ja, das ist richtig. Einmal um sich auf Änderungen einstellen zu können, aber auch, um zu sehen, welchen Erfolg die Maßnahmen hatten, mit denen man auf der Erkenntnisse aus den vorangegangenen Studien reagiert hat.

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