Christian Holst

Kulturmanagement :: Digitale Transformation :: Künstliche Intelligenz


Blog

  • Wie Glenn Gould und Luciano Pavarotti das klassische Konzert schöpferisch zerstörten und warum sie trotzdem kein schlechtes Gewissen zu haben brauchen

    «Man muss das Konzert verändern, um es zu erhalten.» Der Satz von Martin Tröndle ist zu einem Mantra der klassischen Musikszene geworden. Die Hoffnung scheint zu sein, dass die Innovationslogik normaler Märkte auch frischen Wind und neue Kunden in die altehrwürdige klassischen Musik bringt. Übersehen wird bei dieser Forderung, dass die «schöpferische Zerstörung» der Innovation das klassische Konzert bereits vor Jahrzehnten zum Stadion- oder wahlweise Wohnzimmer-Konzert weiterentwickelt hat. Um zwei Beispiele zu nennen: Glenn Goulds späte Interpretationen, z.B. der Goldberg-Variationen, sind ausschließlich auf Tonkonserve rezipierbar (gewesen) und ein ästhetisches Ergebnis nicht nur der technischen und interpretatorischen Fähigkeiten Glenn Goulds am Instrument, sondern auch der bewusst und offen genutzten Studio- und Schnitttechnik der frühen 80er Jahre.

    www.youtube.com/watch?v=N2YMSt3yfko

    Knappe zehn Jahre später schmetterten die drei Tenöre ihr «Nessun dorma» vor 6.000 Personen in den Nachthimmel über den Caracalla-Thermen (Veranstaltungsort!). Weitere knapp 800 Mio. Menschen sahen sich das Ereignis im Fernsehen an.

    www.youtube.com/watch?v=LYAsFelf7no

    Darüber hinaus haben die neuen technischen Möglichkeiten bereits lange vor Gould ganz neue Arten von Musik hervorgebracht. Der weitaus überwiegende Teil der zeitgenössischen Musik (nicht nur aus dem klassischen Sektor) ist ohne den Einsatz elektronischer Instrumente und Medien überhaupt nicht denkbar. Innovationen wie die elektronische Verstärkung haben nicht nur die Rezeption – Stichwort Stadionkonzerte -, sondern auch die Musik selbst radikal verändert. Dass diese Innovationen mit der klassischen Musik nichts zu tun haben, kann man nur glauben, wenn man die strikte Trennung zwischen E- und U-Musik für sinnvoll und die klassische Musik für eine abgeschottete Nische hält.

    Aber selbst wenn man mal die Kategorie der E-Musik beibehält: Mehr oder weniger in zeitlicher Nähe zu Tröndles Aufruf sind inzwischen zahlreiche Initiativen entstanden, die klassische Konzerte zwar nicht unbedingt schöpferisch zerstören, aber doch unter anderen Vorzeichen präsentieren wollen. So zum Beispiel das Podium-Festival oder die Y-Night in der Schweiz, um nur zwei Beispiele zu nennen. Mittlerweile handelt es sich dabei nicht mehr nur um eine Graswurzel-Bewegung: Gerade hat Yannick Nézet-Séguin in einer Keynote für die Classical Next neue Spielorte, neue Dresscodes und neues Repertoire gefordert. Und vor einigen Monaten gab es im Web eine von Radiohead-Mitglied Johnny Greenwood angestoßene Diskussion, ob man im Sinfoniekonzert zwischendrin klatschen dürfen sollte, spontaner programmieren könnte oder während der Konzerte nicht ein Smartphone benutzen dürfe.

    Gareth Davies, Solo-Flötist beim London Symphony Orchestra, stellt mit durchaus einleuchtenden Argumenten in Frage, ob sich durch solche Ansätze wirklich etwas ändert. Für ihn bleiben die Innovationsversuche bei klassischen Konzerten sehr oberflächlich:

    There seems very little invention and much more repackaging.

    Und er führt diese These dann anhand einiger Beispiele näher aus, zum Beispiel:

    Don’t get me started on fancy lighting. Why on earth anyone thinks that the holy grail of audiences for classical music – young people – who have been brought up on YouTube, video games, 3D films, iPhones and on demand content, are going to be impressed by subtly changing mood lighting during a symphony which never asked for it in the first place, is beyond me.

    Später im Text berichtet er vom jährlichen Trafalgar Square-Konzert des London Symphony und ist sich sicher, dass die Hauptfaszination des Ereignisses mit 10.000 Besuchern sich im Kern nicht von der eines Sinfoniekonzerts in einem herkömmlichen Konzertsaal unterscheidet:

    What we presented was great music performed at the top level conducted by the best.

    Und so lange das den Kern des Erlebnisses klassischer Musik ausmacht, ist für mich auch die Frage, was denn eigentlich genau verändert oder erneuert werden muss? Natürlich, warum soll man Musik nicht visualisieren

    www.youtube.com/watch?v=JhHFzLfQDVQ

    oder Klassik im Club spielen und die Zuhörer dabei ein Bier trinken lassen? Dagegen spricht in meinen Augen genau so wenig, wie eine Mahler-Sinfonie im Wohnzimmer oder im Auto zu hören (letzteres offenbar eine Leidenschaft, die Udo Lindenberg und Angela Merkel teilen). Ich bezweifel nur, dass das die Zukunft der klassischen Musik ist (der Weg in eine neue Ära, wie es auf der Website von Klassik im Club heißt) und sie zu einem hippen Phänomen machen wird.

    Dazu gibt es doch zu viel klassische Musik, die sich einfach am besten in der konzentrierten, stillen Atmosphäre eines Konzertsaals rezipieren lässt. Meine These ist: je grösser die Besetzung, desto bedeutender ist der geeignete Raum. Ich habe vor langer Zeit einmal Mahlers Vierte in einer Reithalle gehört. Es spielte das Deutsche Symphonieorchester Berlin unter der Leitung von Kent Nagano. Es war also sicher keine schlechte Interpretation. Was ich in Erinnerung habe ist allerdings die Schwalbenfamilie, die unter dem Dach der Reithalle nistete und keine Rücksicht auf Orchester und Publikum nahm, sondern alle paar Minuten die von der Futtersuche zurückkehrende Mutter lautstark begrüßte. Vor nicht so langer Zeit hörte ich die Vierte wieder einmal. Diesmal in der Zürcher Tonhalle, einem Saal mit einer Akustik, die derart transparent ist, dass ich Details hörte, die mir bei keinem vorherigen Konzert, in keiner Aufnahme und schon gar nicht in der Reithalle je aufgefallen waren. Ein anderes Beispiel: Ebenfalls vor langer Zeit hörte ich Mahlers Achte in der Kieler Ostseehalle unter der Leitung von Christoph Eschenbach. Es war also ziemlich sicher eine schlechte Interpretation. Aber die Halle gab dem Stück den Rest. Und wiederum ein positives Erlebnis war die Aufführung des gleichen Stücks im KKL Luzern, angeblich einem der weltweit besten Konzertsäle. Auch wer mal eine Aufführung im Bayreuther Festspielhaus miterlebt hat weiß, dass der Saal selbst ein Instrument ist, das die Qualität einer Aufführung maßgeblich mit beeinflusst. Insofern ist es zwar mal eine nette Aktion, wenn das Ensemble Spira mirabilis Beethovens 2. auf dem Piazza di Vicchio in Florenz spielt. Aber kreuzende Autos und Mofas sind kein Gewinn für die Musik und es hat wohl seinen Grund, dass das Ensemble normalerweise auch lieber in Konzertsälen oder Kirchen auftritt.

    www.youtube.com/watch?v=xYBYq5-4IC4

    Das eigentliche Problem der klassischen Musik liegt in meinen Augen weniger daran, dass die Verpackung unattraktiv geworden ist, als an zwei anderen Punkten:

    Klassische Musik spielt als zeitgenössische Musik praktisch keine Rolle. Nicht einmal die Filmmusik hat sie sich nachhaltig erobern können. Schönberg, Korngold und Schostokowitsch schrieben auch für den Film. Die heutigen Filmkomponisten werden in der Klassikszene jedoch kaum wahr- geschweige denn ernst genommen. Alle Jubeljahre findet man vielleicht einmal John Williams Star Wars-Suite auf dem Programm eines Sinfonieorchesters. Ansonsten ist die zeitgenössische Musik eine weitestgehend durch öffentliches Geld und Stiftungsmittel am Leben gehaltene Nische ohne ästhetische Relevanz über deren Grenzen hinaus.

    Das zweite Problem ist ein Missverständnis, dem auch viele Theater und Opernhäuser mit ihrem «musealen» Repertoire aufsitzen. Es ist der Glaube, einen Bezug zur Gegenwart vermitteln zu müssen und diese Musealität um jeden Preis zu vermeiden. Aber was soll ein Kunstwerk aus dem 18. oder 19. Jahrhundert denn anderes als (auch) museal sein? Es ist alt, es ist ästhetisch und technologisch nicht auf dem Stand unserer Zeit. Na und? Dass etwas museal ist heißt ja nicht, dass wir es nicht mehr ohne Weiteres verstehen können, dass es uns nicht berühren, faszinieren, anregen, abstoßen oder sonstwie erreichen kann. Ironischerweise geht das vielen Menschen viel eher mit der zeitgenössischen klassischen Musik so.

    Der effektivste Hebel, der klassischen Musik wieder zu mehr Relevanz und Beliebtheit zu verhelfen, scheint zu sein, das aktive Musizieren von früh an zu einem selbstverständlichen Teil des Lebens zu machen. Alle erfolgreichen Vermittlungskonzepte, von El Sistema bis Rhythm Is It oder Jedem Kind ein Instrument, setzen nämlich genau an diesem Punkt an. Und eine Studie der Uni St. Gallen bestätigt diesen Ansatz. Die kurz gefasste Erkenntnis der Studie lautet: Wer selbst ein klassisches Instrument lernt und als Kind aktiv (klassische Musik) musiziert, wird mit großer Wahrscheinlichkeit sein Leben lang einen positiven Bezug zur klassischen Musik behalten, zumindest als Fan, vielleicht auch als aktiver (Amateur-)Musiker.

    Eine aufgehübschte Verpackung kann demnach nicht die inhaltliche Vermittlung ersetzen. Vielleicht führen solche Aufhübschungen sogar eher in die Irre, weil sie wahrscheinlich ineffektiv bleiben werden, wenn es darum geht, die Relevanz der klassischen Musik zu erhalten. (Als ich mal eine Klassik im Club-Veranstaltung besucht habe, bestand das Publikum – so war zumindest mein Eindruck – mindestens zur Hälfte aus Mitarbeitern von Kultureinrichtungen, die sich dieses neue Format einmal anschauen wollten.) Und wenn die inhaltliche Vermittlung gelingt, ist die Verpackung wie es scheint ohnehin zweitrangig. Dann kann man ein konventionelles Sinfoniekonzert ebenso genießen, wie ein «Nessun dorma» beim Open Air-Konzert, ein Streichquartett im Club oder eine Glenn Gould-Aufnahme im Wohnzimmer.

  • Neun Sinfonien

    Via Mehr Licht bin ich auf eine Blog-Aktion aus den USA gestossen, bei der man 9 Sinfonien für die einsame Insel bestimmen soll. Dabei darf jeder Komponist nur einmal vorkommen, die Nummerierung zeigt keine Platzierung an, sondern die Nummer der jeweiligen Sinfonie. Weiter unten findet ihr meine Liste. Ich gebe zu: Im Vergleich zu anderen Bloggern, die diese Idee aufgegriffen haben, ist meine Auswahl recht unoriginell und naheliegend. Aber dass soviel Mahler, Bruckner und Beethoven gespielt wird, hat vor allem damit zu tun, dass sie einfach wegweisende, herausragende Musik komponiert haben. Deswegen würde ich auch unbedingt ihre Musik auf eine einsame Insel nehmen wollen. Kürzlich hat Volker Hagedorn sich in der Zeit beklagt, dass in den Konzertsälen das immer gleiche gespielt würde – eben Mahler, Brahms, Beethoven usw. Um zu beweisen, dass es ja auch jenseits dieser Komponisten gute Musik gibt, berichtet er von einem Konzerterlebnis mit der zweiten Sinfonie des «Zuspätromantikers» Thodore Dubois. Bei Licht besehen muss man aber wohl doch festhalten, dass das Lob auf Dubois vor allem der Pointe des Artikels wegen so euphorisch ausfällt, nicht weil Dubois wirklich so ein herausragender, zu Unrecht vergessener Komponist war. Außerdem besuchte ich kürzlich eine Aufführung der h-Moll-Messe unter der Leitung von John Eliot Gardiner und stellte einmal mehr fest: Weder als Zuhörer noch als Interpret scheint sich die Auseinandersetzung mit einem solchen Werk je zu erschöpfen. Für die Werke in der Liste gilt das in meinen Augen ganz entsprechend.

    1. Messiaen: Turangalila
    2. Brahms
    3. Schumann
    4. Beethoven
    5. Prokofiev
    6. Schostakowitsch
    7. Mahler
    8. Bruckner
    9. Schubert

    Noch ein paar Anmerkungen: Die Turangalila-Sinfonie von Messiaen passt nicht ganz ins Schema. Soweit ich weiss, ist es aber sein einziges Werk, das er explizit als Sinfonie bezeichnet und somit ist es quasi eine Nr. 1. Unter den Komponisten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist Messiaen für mich der herausragendste, weil ich ihm glaube. Seine künstlerische Botschaft mag naiv wirken, es mag avanciertere Komponisten geben – aber seine Kunst hat eine Tiefe, die in meinen Augen kein anderer Komponist der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erreicht hat.

    Alex Ross hat sich entschieden, Beethoven ganz außer Konkurrenz zu lassen, weil er eh genug Aufmerksamkeit erhält. Aber ich finde das geht nicht. Die 4. Sinfonie ist nicht ganz so populär wie die 5., 7. oder 9. In meinen Augen steht sie diesen Stücken aber in nichts nach.

    Sollte man sich für ein einziges Werk aus dieser Liste entscheiden müssen, dann wäre es für mich die Bruckner-Sinfonie. Auch wenn mir eigentlich der Ansatz gefällt, dass diese Sinfonie mehr und mehr in der raueren, ungehobelteren Urfassung gespielt wird, würde ich doch die überarbeitete Fassung mitnehmen. Denn nur die gibt es in der unübertroffenen Interpretation von Stanislaw Skrowaczewski.

  • Wer Visionen hat, baut ein Festspielhaus

    In ihrem Beitrag zur Blogparade #kultur_unternehmen schreibt Anke von Heyl:

    Unternehmerisches Denken in der Kultur – das hat keine Tradition bei uns in Deutschland.

    Auf die Nachkriegszeit bezogen stimmt diese These sicherlich weitgehend, was Museen und Theater angeht. Wenn von (Hoch-)Kultur die Rede ist, denken wir zuerst an die öffentlich finanzierten Häuser, an die Freiheit der Kunst, die durch öffentliches Geld garantiert werden soll und an Kultur als meritorisches Gut «für alle». Es gehört zu den kulturpolitischen Selbstverständlichkeiten, dass Hochkultur in bester Qualität nur zu haben ist, wenn sie öffentlich finanziert wird. Entsprechend ist dann vielerorts auch die Anspruchshaltung gegenüber der öffentlichen Hand. Die Debatte um den Münchner Konzertsaal hat das kürzlich wieder gezeigt.

    Kulturunternehmer

    Wenn man jedoch noch etwas weiter zurück schaut, dann stellt man schnell fest, dass unternehmerisches Denken sehr wohl eine Tradition in der Kulturszene hat. Der Zusammenhang von Künstlertum und Unternehmertum war für die meisten derjenigen Künstler, deren Werke heute in den öffentlich finanzierten Kulturhäusern dargeboten werden, eine Selbstverständlichkeit. Seit Mozart 1781 den Dienst beim Salzburger Erzbischof quittierte, arbeitete er als freischaffender Komponist, als Freelancer. Auch Beethoven ging keiner «unselbständigen Tätigkeit» nach, sondern bezog sein Einkommen durch Zuwendungen von Mäzenen sowie in Form von Tantiemen und Konzerteinnahmen. Entsprechendes gilt für Giuseppe Verdi und Giacomo Puccini. Und es gilt in ganz besonderer Weise für Richard Wagner. Kaum ein anderer Komponist entspricht dem Idealtypus des Kulturunternehmers so wie er.

    In ihrem Buch Die neuen Kulturunternehmer definiert Birgit Mandel in Übereinstimmung mit Untersuchungen aus dem englischsprachigen Raum zwei Hauptmotive von Kulturunternehmern: Zum einen das Streben nach Unabhängigkeit und zum anderen das Verwirklichen eigener Ideen oder Visionen. Machtstreben, der Wunsch, viel Geld zu verdienen oder einen Ausweg aus der Arbeitslosigkeit zu finden – also Motive, die bei Unternehmern anderer Branchen eine wichtige Rolle spielen – haben für Kulturunternehmer dagegen in der Regel kaum Bedeutung (vgl. Mandel, 2007, S. 37).

    Streben nach Unabhängigkeit

    Natürlich war das Streben nach Unabhängigkeit auch für Wagner ein zentrales Anliegen, ist es doch überhaupt erst die Voraussetzung, um das zweite Motiv, also eigene künstlerische Visionen, realisieren zu können. Und so kennzeichnet es Wagners frühe Jahre, sich die Unabhängigkeit nach und nach zu erarbeiten, die die öffentlich finanzierten Kultureinrichtungen heute so selbstverständlich reklamieren. Wagner startete seine Kapellmeisterlaufbahn unter dürftigen Bedingungen als Chordirektor in Würzburg und als musikalischer Leiter in Magdeburg, Bad Lauchstädt, Königsberg und Riga. Den Tiefpunkt bildeten die sog. Pariser Hunger-Jahre. Hier, in der damaligen Weltopernhauptstadt, musste er sich mit Gelegenheitsjobs, die er zurecht als unter seinem Niveau wahrnahm, über Wasser halten.

    Das Streben nach Unabhängigkeit bezog sich für Wagner aber nicht in erster Linie auf wirtschaftliche, sondern auf künstlerische Unabhängigkeit. 1843 wurde er Königlich Sächsischer Hofkapellmeister an der Dresdner Oper, wo er über vergleichsweise gute Arbeitsbedingungen verfügte. Das hieß in seinem Sinne: Arbeitsbedingungen, die sich an den Anforderungen der Kunst orientierten und nicht umgekehrt, die Kunst an den Arbeitsbedingungen ausgerichtet wurde. In Mein Leben schreibt er zu seiner Berufung nach Dresden von seinem

    enthusiastischen Glauben an die Möglichkeit, das Verwahrloste zu regenerieren,wahrhaft veredelnden Einfluss zu gewinnen und die Erlösung der in schmachvollen Banden liegenden Kunst herbeizuführen.

    In diesem Impetus verfasste er in Dresden mehrfach Schriften zur Reform des Hoftheaters, die die Arbeit noch stärker an den Erfordernissen der Kunst ausrichtete: eine gute Schauspielausbildung für Sänger, ganzjährige Engagements der Sänger, nur drei Vorstellungen pro Woche und eine Kommission zur Leitung des Theaters. Des Weiteren forderte er, gezielt deutsche Dichter und Komponisten zu beauftragen, um der französischen und italienischen Oper eine spezifisch deutsche entgegen stellen zu können. Und er führte aus, dass das ganze Theaterwesen getragen werden sollte von einer freien künstlerischen Genossenschaft des Volkes unter Leitung des Dichters bzw. des Darstellers.).

    Diese Vorschläge wurden allerdings abgelehnt. Kein Wunder, sie hätten einen radikalen Bruch mit den Aufführungsroutinen der damaligen Zeit bedeutet. Selbst aus heutiger Sicht ist nicht alles selbstverständlich, was Wagner damals forderte. Die Kluft zwischen künstlerischem Anspruch und Theaterrealität war für Wagner jedenfalls so riesig, dass er schließlich zu der Überzeugung kam, eine Theaterreform sei nur durch eine Gesellschaftsreform möglich. Aus diesem Grund bekannte er sich offen zu den republikanischen Bestrebungen des Vormärz und wurde damit für seinen Arbeitgeber untragbar.

    Wer Visionen hat…

    In Wagners Reformplänen wird bereits das zweite wichtige Merkmal erfolgreicher Unternehmer deutlich, das sich später auch mehr und mehr auch in seinen künstlerischen Werken niederschlug: das «Think big», das Visionäre. Natürlich kann man einen gewissen Größenwahn unterstellen, wenn die eigenen Opern in einem eigens dafür erbauten Festspielhaus aufgeführt werden sollen – ein Festspielhaus, das am besten sogar noch nach der ersten und einzigen Vorstellung gleich wieder niedergebrannt werden soll. Aber letztlich ging es auch bei dem Bau des Festspielhauses nicht um das persönliche Ego, sondern um die künstlerische Vision. Denn diese war in den Opernhäusern der damaligen Zeit nicht realisierbar. Wagner gesamtes künstlerisches Wirken lässt sich auf den einfachen Nenner der Illusionsästhetik herunterbrechen. Je später umso mehr wird in Wagners Schriften, seiner Musiksprache (Parsifal), seinen Inszenierungsanweisungen und seinem Wirken als Kulturmanager, Theatermacher, Regisseur, Dirigent und nicht zuletzt als Bauherr des Bayreuther Festspielhauses das Bestreben deutlich, den Faktor des Vermittelten, des Medialen einer Aufführung aus dem Bewusstsein von Publikum und Sängern zu verbannen:

    Die Kunst hört, genaugenommen, von da an Kunst zu sein auf, wo sie als Kunst in unser reflektierendes Bewußtsein tritt.

    In diesem Sinne ist auch Wagners viel zitierter und häufig missinterpretierter Ausspruch zu verstehen, dass er, nachdem er das unsichtbare Orchester geschaffen habe, nun auch das unsichtbare Theater erfinden wolle. Der Bau des Bayreuther Festspielhauses – in dem die Musik aus dem Irgendwo kommt und sich alle Aufmerksamkeit auf die Bühne richtet – war demnach weniger der Versuch, sich selbst ein Denkmal zu setzen, als vielmehr ein Medium herzustellen, das seiner Vision von der perfekten Illusion gerecht wurde.

    Wagner und das Geld

    Freilich kann man nicht über Wagner als Unternehmer sprechen, ohne das Thema Geld anzuschneiden. Denn unternehmerisch tätig zu sein, heißt zwangsweise auch, wirtschaftliche Rahmenbedingungen gestalten zu müssen. Es scheint zum Allgemeinwissen über Richard Wagner zu gehören, dass er nicht mit Geld umgehen konnte und ein skrupelloser Schnorrer war, was der Unternehmerthese zunächst zu widersprechen scheint. Barry Millington (1992, S. 113) schreibt allerdings

    Zu diesem Thema (Wagner und das Geld, C.H.) wurde noch mehr Unsinn geschrieben als zu den meisten anderen Fragen, die Wagner betreffen.

    Und das will was heißen. Tatsächlich relativiert sich dieses Bild sehr schnell, wenn man weiß, dass König Ludwig II. – Wagners großzügigster Mäzen und Unterstützter – dem Komponisten in 19 Jahren Bekanntschaft weniger Geld zukommen ließ, als die Einrichtung des Schlafzimmers in Herrenchiemsee kostete. Das Bild relativiert sich weiter, wenn man sich vor Augen führt, dass Wagner über viele Jahre massive Geldnöte in Kauf nahm, um seine Kunst nicht zu korrumpieren. Wäre Wagner künstlerisch bei seinen frühen Erfolgsopern Rienzi und Tannhäuser stehen geblieben, hätte er wie Verdi oder Puccini schnell ein gutes Auskommen erzielen können – allerdings zum Preis seiner eigentlichen künstlerischen Vision.

    Wenn heute Unternehmer- und Künstlertum als Gegensatz verstanden werden, bzw. das eine dem anderen nur dienen und zuarbeiten soll, dann wundert es nicht, dass Wagners gelegentlich aufblitzende unternehmerische Schlitzohrigkeit in Künstlerkreisen anstößig erscheint, die von öffentlicher Finanzierung profitieren. Jedoch gab es Mitte des 19. Jahrhundert noch kein Urheberrecht und Verleger, Impressarios und Gönner handelten auch stets in ihrem eigenen Interesse. So war es nur konsequent, dass Wagner ein Einkommen für seine künstlerische Arbeit verlangte. Bemerkenswerterweise forderte Wagner dieses Einkommen in der Regel nicht als Gegenleistung für bereits erbrachte Leistungen, sondern quasi als Investition in erst zu erbringende Werke. Auch darin zeigt sich sein durchaus unternehmerisches Denken.

    *

    Nicht nur an den Beispielen im Buch Kultur unternehmen. Wie junge Musiker das Kulturmanagement neu erfinden, bereits am Beispiel Richard Wagners zeigt sich, dass die Freiheit der Kunst nicht durch ihre Durchalimentierung durch die öffentliche Hand gesichert wird. Vielmehr entscheidend ist die unternehmerische Haltung des Künstlers. Die Haltung beschränkt sich nicht nur auf die künstlerische Arbeit selbst, sondern bezieht sich genauso auf die organisatorischen Faktoren, die das Kunsterlebnis maßgeblich bedingen.

  • Online-Kurs: Managing the arts

    Meine alte Uni, die sich heute Leuphana nennt, bietet zusammen mit dem Goethe-Institut einen «Mentored open online course» (MOOC) in «Managing the arts» an. Der Kursinhalt wird auf der Website folgendermaßen skizziert:

    Learn about challenges for cultural managers around the world, acquire marketing and management skills and gain direct insights into four arts organizations. Share your ideas with an international learning community and obtain a university certificate.

    Einen kleinen Vorgeschmack auf das, was einen erwartet, gibt auch Kursleiter Chris Dercon (Direktor der Tate Modern) in diesem Video:

    Die Teilnahme am Kurs ist kostenlos, die Einschreibung erfolgt ganz einfach via Facebook- oder LinkedIn-Connect. Am Schluss erhält man sogar 5 ECTS-Punkte und ein Zertifikat. Super Sache also und ich bin sehr gespannt, wie diese Digital School funktionieren wird.

    Über eine Sache bin ich allerdings gestolpert: Den Titel der Veranstaltung – «Managing the arts». Nennt mich einen Klugscheißer, aber nachdem ich mich gerade ausführlicher mit dem Thema Kultur unternehmen beschäftigt habe, war ich doch stutzig, ob sich Kunst und Kultur wirklich «managen» lassen. Das Wort «Kulturmanagement» benutze ich ganz selbstverständlich, weil es zu einem allgemein gebräuchlichen und verständlichen Begriff für die organisatorische Arbeit rund um Kulturangebote geworden ist. Wenn jeder weiß, was gemeint ist, ist es in meinen Augen nicht so relevant, ob der Begriff in der Sache wirklich 100%ig treffend ist.  Die Formulierung, dass diese oder jene Person Kunst «managed», würde mir allerdings nicht so leicht über die Lippen gehen. Das mag zunächst etwas wortklauberisch erscheinen, aber dahinter steckt ein tiefer gehender Gedanke, den ich kurz erläutern möchte.

    In der Betriebswirtschaftslehre setzt sich immer mehr die Erkenntnis durch, dass die Hauptfunktionen von Management – nämlich das Planen, Steuern und Kontrollieren – sich zwar auf industrielle Prozesse anwenden lassen, in einem dynamischen, wissensgeprägten und personalintensiven Umfeld aber zur Illusion werden. Gut ausgebildete, hochmotivierte Menschen lassen sich ebenso wenig managen wie Märkte. Dementsprechend werden die klassischen Managementinstrumente wie Zielvereinbarung, Planungssitzungen, (klassisches) Projektmanagement, Quartalsberichte etc. immer mehr in Frage gestellt, bis hin zu der Feststellung, dass Management sogar verzichtbar sei. In der Kulturmanagementlehre gelten diese klassischen Instrumente dagegen immer noch als «state of the art». Möglicherweise, weil sich das Management der großen, öffentlich getragenen Einrichtungen erst seit vergleichsweise kurzer Zeit professionalisiert hat. Zwei Beispiele aus einschlägigen Kulturmanagement-Lehrbüchern:

      • Lewinski-Reuter und Armin Klein nennen die Zielvereinbarung als Mittel der Wahl für die erfolgreiche Mitarbeiterführung. Darüber ist man in der Führungslehre für Dienstleistungs- und Industrieunternehmen längst hinweg. Nach meiner Wahrnehmung spielt es in der Praxis der Kulturbetriebe auch nur eine sehr untergeordnete Rolle, weil es ein völlig ungeeignetes Instrument ist, wenn es um Hochleistung geht.
      • Zwei einschlägige Bücher von Sven-Oliver Bemmé und Armin Klein zum Projektmanagement im Kulturbereich gehen mit keinem Wort auf die agilen Formen des Projektmanagements ein. Dabei sind diese nicht nur in der Software-Entwicklung längst gang und gäbe, sondern werden abseits vom Hochschulbetrieb auch für das Kulturmanagement diskutiert (s. z.B. hier und hier).

    Die Liste ließe sich fortsetzen. Vor diesem Hintergrund lohnt in meinen Augen ein genauerer Blick, ob und wenn ja, in Bezug auf welche Aspekte Kunst und Kultur denn wirklich gemanaged werden kann. Im Kulturbereich arbeiten viele hochmotivierte, hochspezialisierte Leute, denen extrinsische Anreize in aller Regel herzlich egal sind. Der Prozess der Leistungserstellung ist mitunter extrem komplex und anspruchsvoll; jede Standardisierung (auf die Management meist hinaus will) eine Gefahr der künstlerischen Originalität und damit Qualität. Ich glaube, es ist kein Zufall, dass für die meisten herausragenden Kulturinstituionen unserer Tage eher das Motto gilt «enterprising the art», auch wenn das vielleicht kein vernünftiges Englisch ist. Ich bin gespannt, inwieweit der Online-Kurs, der sich in Form und inhaltlichem Anspruch ja sehr zeitgemäß und kosmopolitisch präsentiert, diese Aspekte reflektieren wird.

  • Aufruf zur Blogparade «Kultur unternehmen»

    Neulich habe ich es schon mal kurz angedroht: Anlässlich der Veröffentlichung meines Büchleins Kultur unternehmen. Wie junge Musiker das Kulturmanagement neu erfinden möchte ich gern eine Blogparade veranstalten. Das Thema ist – Überraschung! – Kultur unternehmen.

    Wieviel Unternehmertum braucht die Kulturszene? Welche Kulturunternehmer oder welche kulturunternehmerischen Initiativen (auch im Amateuerbereich) haben euch begeistert? Oder abgeschreckt? Sind Kulturbesucher nicht auch Kulturunternehmer? Ist das mit dem Unternehmertum nicht einfach nur ein nerviges Trendwort? Oder gar ein Euphemismus, um das Kürzen der Kulturetats zur «Chance» hochzuadeln? Den Assoziationen und der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.

    Die Blogparade läuft bis zum 28. Februar 2015., zum Verweisen auf eure Beiträge könnt ihr die Hashtags #kultur_unternehmen und #blogparade verwenden.

    Aber was genau ist nochmal eine Blogparade? Der Chefblogger erklärt das folgendermassen:

    Ein Blogparade oder auch Blog-Karneval ist eine Blogaktion. Ein Blogger der so eine Blogparade erfindet, definiert ein bestimmtes Thema, zum Beispiel.

    Was ist die originelles Art ein Anzug zu tragen?
    Wie öffnet man eine Flasche Bier am originellsten?
    Danach schreibt der Blogparade-Erfinder ein Beitrag darüber. Er ruft die Bloggemeinde auf, in einem bestimmten Zeitraum (meistens 1-4 Wochen) einen Blogbeitrag zu diesem Blogstöcken zu schreiben, und dort ihre Antwort zu liefern. Die anderen Blogger müssen dann zur Teilnahme nur noch den Blogparade-Erfinder benachrichten (zb via eigenen Kommentar im Kommentarfeld)

    Nach Ablauf der Frist, sammelt der Blogparade-Erfinder die Antworten, verlinkt diese und/ oder kommentiert diese. Er kann dann zb die kreativste Antwort auszeichnen, oder die längste… Den Ideen sind keine Grenzen gesetzt.

    Also: wer etwas zum Thema Kultur unternehmen beizusteuern hat, bitte mitmachen! Wer Leute kennt, die etwas dazu zu sagen haben, bitte anstiften mitzumachen. Vielen Dank schonmal! Anders als das Buch, soll die Blogparade nicht auf den (klassischen) Musikbereich beschränkt bleiben. Je unterschiedlicher die Beiträge und Ansätze, umso besser und spannender. Da mich das Thema zur Zeit wirklich sehr interessiert, bin ich gespannt auf eure Meinungen und Einschätzungen.

     

    Beiträge

    Anke von Heyl: Kultur unternehmerisch denken – Interview mit Pausiano-Gründer Holger Simon

    Klaus Pertl: Die besten Vertriebskanäle finden – Interview mit Antje Hinz vom Silberfuchs-Verlag

    Klaus Pertl: Akquise durch Expertise – Interview mit Jonas Möhring von 123comics.net

    Claudia Brose: KULTUR unternehmen – Unternehmertum bei Kultureinrichtungen in den USA

    Wolfgang Muchitsch – Unternehmertum im Kulturbereich

    Christian Holst – Wer Visionen hat, baut ein Festspielhaus

  • Floskelalarm: Theater muss auch subversiv sein!

    Aus der Reihe «Falsch zugeordnete Zitate»:

    Theater muss auch subversiv sein!

    Veronica Ferres

    Ach nein, es war Peter Konwitschny. Zu seinem 70. Geburtstag schenkt er sich und uns ein paar Floskeln, die noch aus dem letzten Jahrtausend übrig geblieben waren. Ach ja, und ein bisschen Publikumsbeschimpfung gibt’s noch oben drauf. Anyway: Herzlichen Glückwunsch!

  • Klassikszene: Vitalfunktionen ok

    In der Klassikszene scheint gerade Optimismus vorzuherrschen. Volker Hagedorn fordert in der Zeit: Hört doch bitte endlich auf zu jammern. Es werde oft geweint, wo es eigentlich Grund zum Lachen gäbe, meint er mit Verweis auf eine Publikumsstatistik der Deutschen Orchestervereinigung.

    Von 2005 bis 2012 ist die Zahl derer, die sich Konzerte der öffentlich finanzierten Orchester in Deutschland anhörten, von etwa 3,9 Millionen auf knapp 4,3 Millionen jährlich gestiegen, parallel zur Zahl der Konzerte selbst: von 8.653 auf 10.371.

    Die Neujahrsmeldung des Blogs Orchesterland, hinter dem ebenfalls die Deutsche Orchestervereinigung steht, stößt ins gleiche Horn. Der Post zeigt ein steigendes Interesse an klassischer Musik anhand von gestiegenen Auslastungszahlen bei verschiedenen Festivals und Opernhäusern und Sinfonieorchestern auf.

    Allerdings lohnt ein genauerer Blick auf diese Zahlen. Denn nach einer Statistik des Musikinformationszentrums (MIZ) sind die Konzertbesuche seit 2005 recht stabil geblieben. Einen Anstieg gab es zwischen 2005 und 2012 nur dadurch, dass die Rundfunkorchester erst seit 2006 mit erfasst werden. Und wenn man sich gemäß den von Hagedorn genannten Zahlen das Verhältnis von zusätzlichen Konzerten (1.718) zu zusätzlichen Besuchern (400.000) anschaut, kommt man auf durchschnittlich 233 Besuche pro zusätzlichem Konzert. Damit liegt die Vermutung auf der Hand, dass schwerpunktmäßig das kammermusikalische Angebot vergrößert wurde, nicht das Orchesterkonzert-Angebot. Diese Entwicklung würde übrigens dem Trend entsprechen, der auch bei Theatern zu beobachten ist, nämlich immer mehr kleine Veranstaltungen mit einem stabilen oder sogar schrumpfenden Personalstock anzubieten.

    Auch die Neujahrsmeldung von Orchesterland lohnt ein genaueres Hinsehen: Eine gestiegene Auslastung sagt nämlich nichts über die Zahl der verkauften Tickets aus. Sie beschreibt das Verhältnis von angebotenen Plätzen zur Nachfrage. Die Auslastung kann daher sowohl steigen, wenn die Nachfrage bei stabilem Platzangebot wächst, als auch, wenn das Platzangebot bei stabiler Nachfrage schrumpft. Die von Orchesterland angeführte Berliner Staatsoper erzielte 2014 eine «Rekordauslastung», obwohl sie 7.000 Besuche weniger hatte als 2013.

    Dennoch teile ich den Optimismus, was die Klassikszene angeht. Er leitet sich aber nicht aus irgendwelchen Zahlen ab, sondern aus einem anderen Argument, das Hagedorn nennt, nämlich der zunehmenden unternehmerischen Vitalität der Szene. Hagedorn nennt als Beispiele den Aufstieg zahlreicher kleiner hervorragender Labels, die Menge und Qualität an spezialisierten freien Ensembles und das Musikmagazin VAN, das Musikjournalismus ins digitale Zeitalter transformiert. Ja, es sind die unternehmerischen Initiativen in der Klassikszene, die sie nach vorne bringen und inhaltlich am Leben halten. Deswegen: So lange die Klassikszene vital bleibt, werden sich auch Zuschauer für dieses Angebot begeistern lassen.

  • Erwartungen übertreffen

    Dass Kultureinrichtungen sich etwas einfallen lassen müssen, um ihre Relevanz und damit auch ihren Fortbestand zu sichern, ist mittlerweile Konsens. Konsens war bislang aber auch, dass neues Publikum über Vermittlung, professionalisiertes Marketing und Update oder Aufhebung der alten Rituale (Kleidung, Verhaltenskodex etc.) gewonnen und gebunden werden muss, damit die programmatischen Entscheidungen nach rein künstlerischen Kriterien getroffen werden können. Dass ein fundamentales Problem der öffentlich finanzierten Kultureinrichtungen gerade in diesem hermetischen Deutungsanspruch über das Repertoire bestehen könnte, wurde bisher kaum zugestanden. Insofern fand ich ein Interview von Birgit Mandel mit der taz sehr interessant. Mandel sagt dort:

    Ich selbst bin zunächst davon ausgegangen, dass man die Sache einfach anders verkaufen muss: mit neuen Kommunikationsweisen, schönen Rahmenbedingungen. Aber das stimmt nicht, es ist ziemlich deutlich, dass man ein neues Publikum nur dann dauerhaft gewinnen wird, wenn es das Gefühl hat: Die Programme, die gezeigt werden, haben etwas mit meinem Leben zu tun. Und da wird es heikel.

    Warum?

    Da heißt es bei den Machern: Sollen wir uns von Kulturnutzern die Programmpolitik schreiben lassen? Und machen wir dann nur noch Mainstream und verlieren alle Qualitätsansprüche?

    Das Argument, dass künstlerische Qualität und Publikumserfolg in aller Regel nicht zusammengehen, ist zwar schon etwas fadenscheinig geworden, aber scheinbar trotzdem noch fest in den Köpfen der Kulturmacher verankert. Mandel lässt hier die Fadenscheinigkeit zwar anklingen, indem sie zu verstehen gibt, dass es wohl nicht reichen wird, die Sache einfach anders zu verpacken ohne auch den Inhalt mit den Interessen des Publikums in Einklang zu bringen. Wirklich abrücken von diesem Anspruch mag sie aber auch nicht, wenn sie im Weiteren sagt:

    Die Lösung besteht wahrscheinlich darin, dass man seine eigene Mission, seinen eigenen Anspruch an die Arbeit nicht aufgibt, nur um dem Publikum das zu geben, was es schon immer will. Das ist auch total langweilig. Sondern, dass man bei dem, was man ohnehin machen möchte, andere Nutzergruppen stärker mit einbezieht.

    Ist es wirklich langweilig, dem Publikum zu geben, was es schon immer wollte? Ich denke, was das Kulturpublikum schon immer will, ist gerade, sich nicht zu langweilen. Und langweilig wird es da, wo Kulturveranstalter nicht über die Minimalerwartungen des Publikums hinausgehen, ihm also nur geben, womit es sich gerade so zufrieden gibt. Auch wenn es ein viel strapaziertes Beispiel ist, sei hier auf Steve Jobs verwiesen, der meinte: «Meistens wissen die Leute nicht, was sie wollen, bis man es ihnen zeigt.» Das ist nicht nur ein gutes Motto für den Innovationswillen herkömmlicher Unternehmen. Es gilt überall da, wo Kreativität den Kern des Geschäfts ausmacht. Übertragen auf die kulturunternehmerische Arbeit heißt das in meinen Augen: Versuche, die Erwartungen des Publikums nicht (nur) zu erfüllen, sondern in einer Weise zu übertreffen, die es nicht erwartet.

  • Das Buch ist da! – «Kultur unternehmen»

    Es war lange nichts mehr los auf diesem Blog. Der letzte Eintrag stammt von Mitte August. Der wesentliche Grund dafür lag darin, dass die Zeit, die ich normalerweise zum Bloggen erübrigen kann, in die Fertigstellung eines Buches geflossen ist, das nun pünktlich zum Weihnachtsgeschäft erschienen ist. Kultur unternehmen: Wie junge Musiker das Kulturmanagement neu erfinden heißt es. Darin zeige ich in sechs kurzen Fallstudien zu verschiedenen Arbeitsfeldern des Kulturmanagements, z.B. zu Führung, Innovation, Marketing und PR sowie Kulturvermittlung, wie junge Kulturunternehmer Paradigmen der Kulturmanagementlehre neu definieren und frische Impulse setzen. Grundlage für die Fallstudien sind Interviews mit Kulturunternehmern, die jeweils in mindestens einem der genannten Arbeitsfeldern Beispielhaftes erreicht haben. Meine Gesprächspartner waren

    Auch wenn sich zeigt, dass es den exzellenten Kulturbetrieb nach Lehrbuch nicht geben kann, weil künstlerische Zielsetzungen und organisatorische Rahmenbedingungen immer sehr individuell aufeinander abgestimmt werden müssen, so ist es doch meine Hoffnung, dass dieses Büchlein gewisse Denkanstöße und Ideen gibt, wie zeitgemässes Kulturmanagement oder besser Kulturunternehmertum aussehen kann. Damit das gelingen kann, muss in meinen Augen ein zentrales Paradigma der Kulturmanagementlehre über Bord geworfen werden: Nämlich dass Kulturmanagement eine Hilfsfunktion sei, die das Kunstmachen ermöglichen soll, ohne inhaltlich darauf einzuwirken. Dieser Grundsatz mag theoretisch schlüssig sein, zumal wenn das Geld fürs Kunstmachen vom Staat kommt, der sich die Kunst damit freilich nicht willfährig machen können soll. Der Blick auf die Praxis zeigt jedoch, dass dieser Anspruch naiv und nicht einzulösen ist. Kulturmanagement ist idealerweise eine Funktion, die sich rückstandslos im Kunstmachen auflöst, das natürlich nie frei von sozialen, gesellschaftlichen, politischen, ethischen oder ökonomischen Kategorien stattfinden kann. Sozusagen ganz im Sinne von Goethes Epirrhema: «Nichts ist drinnen, nichts ist draussen; denn was innen, das ist aussen.»

    Die Artikel wurden für die Buchveröffentlichung noch einmal überarbeitet, die Interviews von meinen Gesprächspartnern noch einmal gesichtet und ggf. aktualisiert. Neu und bisher unveröffentlicht ist das Einleitungskapitel sowie das ausführliche Interview mit Louis Dupras, dem Geschäftsführer der Berner Camerata. Das Buch ist sowohl in klassischer Papierform als auch als E-Book erhältlich (iTunes, /eBook.de/libri.de). Das gedruckte Buch kostet 8.90 EUR bzw. 13.50 CHF, die E-Book-Variante in den ersten vier Wochen nach Erscheinen 3.99 EUR, danach 5.99 EUR. Rezensionsexemplare können über presse@bod.de bezogen werden. Mein besonderer Dank gilt der Redaktion des KM Magazins, in dem die meisten Artikel zwischen Herbst 2012 und Frühjahr 2013 erstveröffentlicht wurden.

    Natürlich freue ich mich über alle Rezensionen und Empfehlungen auf euren Blogs und Kanälen. Und ich freue mich, wenn ich mit dem Buch zu einer Diskussion beitragen kann, wie sich das Kulturmanagement im Sinne eines frischen, zeitgemäßen Kulturlebens weiter entwickeln sollte. Vor diesem Hintergrund plane ich, eine Blogparade zu dem Thema des Buches veranstalten. Dazu dann in Kürze mehr.

  • Kulturmanagementlehre: Auf dem digitalen Auge blind

    Das Kulturmanagement als akademische Disziplin feiert dieses Jahr seinen 25-jährigen Geburtstag. Anlässlich dieses Jubiläums unternahm Stephan Opitz kürzlich in der Süddeutschen Zeitung unter dem Titel «Ungeklärte Kernfragen» (leider nicht online verfügbar) eine kritische Würdigung: Die Entstehung des Faches verdanke sich einerseits der Verwandlung von Kultur- und Bildungsereignissen in Events, die in den 1980er Jahren vorangeschritten sei, sowie den zunehmenden Finanzschwierigkeiten, mit denen der in den 1970er massiv ausgebaute Kultursektor seit den 1990er Jahren zu kämpfen habe.

    Dafür sollte man das betriebswirtschaftliche Einmaleins lernen, um mit Marketingmethoden, führungstechnischen und finanzwirtschaftlichen Kompetenzen andererseits der Kultur auf die Sprünge zu helfen.

    Grundlegende Aspekte seien in der Ausbildung allerdings auf der Strecke geblieben, so Opitz. Etwa die Frage «Was ist Kultur – und warum soll sie von wem für wen vermittelt werden?», also die nach der grundlegenden Funktion, Bedeutung und Rolle von Kultur in der Gesellschaft. Als jemand, der im kulturwissenschaftlichen Grundstudium dauernd auf Adorno und im Hauptstudium dauernd auf Systemtheorie gestoßen wurde, kann ich den Eindruck nicht teilen, dass diese Frage zu kurz gekommen wäre. Auch im engeren Sinne ist die Kulturvermittlung, nicht zuletzt als Antwort auf den viel beschworenen demographischen Wandel, ein zentrales Thema in der Disziplin Kulturmanagement geworden und Gegenstand jeder gefühlten zweiten Abschlussarbeit, von der ich höre.

    Dass es ungelöste Kernfragen im Kulturmanagement gibt, sehe ich dennoch genauso. In meinen Augen dreht sich eine zentrale Kernfragen darum, wie sich der öffentlich finanzierte Kultursektor den digitalen Wandel zu Nutze macht bzw. der digitale Wandel Tatsachen mit sich bringt, auf die die Kultureinrichtungen zu reagieren haben. Eine Vorstellung davon, wie dies zu einer existenziellen Kernfrage werden könnte, erhält man mit Blick auf die kommerziellen Kulturbetriebe – insbesondere Verlage und Musikbusiness – deren Geschäftsmodelle durch digitale Innovationen entweder bereits überrollt wurden oder gerade überrollt werden. Ein aktuelles Beispiel ist der Streit zwischen Amazon und Hachette bzw. namhaften Autoren aus den USA. Öffentlich finanzierte Kultureinrichtungen mögen hier dank der öffentlichen Finanzierung etwas Schonzeit haben, früher oder später wird sie das Thema auch einholen.

    Zwar ist das Thema Kultur und Digitalisierung Gegenstand der einen oder anderen Publikation, aber als Kernfrage wird es in der Kulturmanagementlehre kaum verstanden. Was sich immerhin in Theorie und Praxis durchgesetzt hat, ist die Erkenntnis, dass auch Kultureinrichtungen digitale Medien für die (externe) Kommunikation nutzen können und sollten. Dieses Subthema der Digitalisierung hat somit inzwischen auch teilweise Eingang in die Studienpläne der Kulturmanagementlehrgänge und die Ressourcenplanung der Kultureinrichtungen gefunden. Aber damit fängt es erst an: Die Digitalisierung betrifft genauso auch die interne Kommunikation, das Marketing und den Kundenservice (Stichwort Big Data und Business Intelligence), das Wissensmanagement, die Rezeptionsgewohnheiten, ästhetische Innovationen, Crowdfunding und die Veränderung des Entscheidungsverhaltens der Besucher oder Kunden (s. hierzu etwa Zero Moment of Truth). Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen.

    Mein Eindruck ist, dass der blinde Fleck, den Opitz‘ Analyse diesbezüglich hat, symptomatisch für die gesamte Disziplin des Kulturmanagements ist. Wenn man aber Überlegungen über die Weiterentwicklung des Faches Kulturmanagements anstellt, ist es in meinen Augen zentral, dem Thema «digitaler Wandel» einen größeren Stellenwert einzuräumen. Mit der defensiven Strategie, das Thema so lange zu verdrängen, bis es sich selbst mit Macht aufdrängt, verpasst man die Chance, etwas draus zu machen. Das wär ebenso schade wie dumm.