Vor einiger Zeit habe ich bemängelt, dass Strategiearbeit in den mittlerweile sehr zahlreichen Kulturmanagement-Ausbildungen keine Rolle spielt. (Eine Ausnahme macht die FH Merseburg.) Neuerdings gibt es einen Lehrgang Theater- und Musikmanagement an der LMU – wieder ohne Strategie. Man spricht zwar von «innovativen Konzepten» und «zukunftsorientierten Lösungsansätzen» und zeigt sich selbst sehr innovativ mit einem Blendid-Learning-Ansatz, d.h. einer integrierten Form aus Präsenzveranstaltungen und E-Learning. Die Dozenten sind hochkarätig, wenngleich sie alle in den Dunstkreis des Münchner Kulturklüngels zu gehören scheinen. Aber gut, von den Funktionären des Münchner Kulturlebens kann man sicher viel lernen. Unter den deutschen Städten hat nur Berlin noch mehr Kultur zu bieten. Trotzdem: die Strategiearbeit bleibt wieder auf der Strecke. Aber wer mit dem Gedanken spielt, sich dort zu bewerben, kann ja mal an folgender, strategisch relevanter, Fragestellung üben: Kann sich die Investion der Studiengebühren und Aufenthaltskosten in München je rentieren, angesichts der niedrigen Löhnen, die einem am Theater winken? 😉
Kategorie: Theater
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Kehlmann füllt das Sommerloch im Feuilleton
Mit seiner Festrede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele hat Daniel Kehlmann einen erbosten Aufschrei der deutschen Feuilletonisten provoziert. Eine gute Zusammenfassung der Reaktionen gibt es bei nachtkritik.de. Viele sprechen für sich; besonders witzig zu lesen fand ich Joachim Lottmanns «Schützenhilfe».
Wenn man die Rede liest, scheint es, dass trotz laufender Festivalsaison auch im Feuilleton das Sommerloch herrscht und dem «Regietheater», trotz aller unbestreitbaren Anstrengungen, mittlerweile die Kraft für genügend Aufreger und Gesprächsstoff ausgegangen ist.
Dabei plädiert Kehlmann – sehr diplomatisch eigentlich – nur für mehr ästhetische Offenheit und weniger Ideologie auf der Bühne. Er sagt:
Eher ist es möglich, unwidersprochen den reinsten Wahnwitz zu behaupten, eher darf man Jörg Haider einen großen Mann oder George W. Bush intelligent nennen, als leise und nüchtern auszusprechen, dass die historisch akkurate Inszenierung eines Theaterstücks einfach nur eine ästhetische Entscheidung ist, nicht besser und nicht schlechter als die Verfremdung, auf keinen Fall aber ein per se reaktionäres Unterfangen.
Wie richtig diese Erkenntnis ist, zeigt ein Blick auf die kurzen Videos im Youtube-Channel des Covent Garden Opera House, auf den ich kürzlich im Kulturmanagementblog aufmerksam geworden bin: pralles, ideenreiches, lebendiges, dünkelfreies Theater.
Des weiteren meint Kehlmann, dass die relvante ästhetische Auseinandersetzung mit heutigen Fragen und Themen trotz allem Bemühen um «Heutigkeit» kaum noch im Theater stattfindet (Liest er etwa dieses Blog? 😉 ):
Und unterdessen bleibt der Großteil der interessierten Menschen, die einstmals Publikum gewesen wären, daheim, liest Romane, geht ins Kino, kauft DVD-Boxen mit den intelligentesten amerikanischen Serien und nimmt Theater nur noch als fernen Lärm wahr, (…) ohne Relevanz für Leben, Gesellschaft und Gegenwart.
Ein Theaterkritiker muss gegen diese Feststellung allein schon aus ganz existenziellem Interesse anschreiben. Sie zu widerlegen wäre dabei eine rein empirische Angelegenheit, aber so lange sich keiner ihrer annimmt, wird der Ideologieverdacht des Theaters nicht aus der Welt zu schaffen sein. Also: Welches war die letzte Theater-Inszenierung, die eine bemerkenswerte gesamtgesellschaftliche Relevanz entfalten konnte? Mein Tipp: Eine solche Analyse wird den Verdacht nur erhärten.
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Peymann gewinnt im Preiskampf
«Preiskampf» – so ist die hier zu sehende Jurysitzung zur Vergabe des 3sat-Preises beim Theatertreffen 09 betitelt gewesen. Wahrscheinlich wurde Claus Peymann in die Jury berufen, um sicher zu stellen, dass es auch wirklich ein Kampf wird. Dass Peymann ihn gewonnen hat, wundert nicht. Wenngleich er seinen «Sieg» natürlich weniger einem konsensfähigen Vorschlag als vielmehr seiner Streitlust und Starrköpfigkeit verdankt.
Interessant in dieser Diskussion ist in meinen Augen vor allem die Auseinandersetzung zwischen ihm und der Theaterkritikerin Eva Behrendt (ab Min. 34:45). Während sie immer wieder dafür plädiert, «originelle Regiekonzeptionen und -handschriften» zu würdigen und die Jury sogar als «feige» bezeichnet, dass sie sich genau dies nicht traue, fordert Peymann, große Spieler auszuzeichnen, die Geschichten vermitteln können. Das Theater funktioniere schließlich nicht ohne die Schauspieler, adjutiert C. Bernd Sucher. Die ewige Suche nach neuen Regiehandschriften sei bloß etwas für eine Jury «von überdrüssigen, gelangweilten Theaterkritikern» und zeuge nur von deren «Snobismus», poltert Peymann weiter. Jawoll!
Ich finde es bezeichnend, dass die Theaterrevolutionäre von vor 40 Jahren (Peymann, Stein, Zadek) auch heute diejenigen sind, die die unkonventionellen und unbequemen Gedanken in die Theaterszene bringen. Denn dass jüngere Regisseure es allzu oft darauf absehen, überreizte Kritiker auf sich aufmerksam zu machen und deren blasierter Dünkelhaftigkeit Nahrung zu bieten, mag zwar ein pauschaler Vorwurf sein, aus der Luft gegriffen ist er aber nicht.
P.S.: Interessant in diesem Zusammenhang ist auch ein Interview der Berliner Zeitung mit Peymann von vor 2 Jahren.
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Lohengrin meets Lehman Brothers
Das scheinbar Antiaufklärerische, das in Lohengrin im sog. Frageverbot zu Tage tritt, ist vermutlich schon in tausenden von Inszenierungen kritisiert und auseinandergedröselt worden. Jetzt, wie es scheint, einmal mehr in der Neuinszenierung an der Staatsoper Unter den Linden. Regisseur Herheim entblödet sich nicht, es gar «faschistoid» zu nennen.
Natürlich muss es einem gebildeten Mitteleuropäer zu Beginn des 21. Jahrhunderts komisch vorkommen, dass Lohengrin seiner Braut Elsa verbietet, nach seinem Namen und seiner Herkunft zu fragen und diese sich zunächst darauf einlässt. Geschenkt. Das ist aber so offenkundig und oberflächlich, dass es inzwischen einfach nichts mehr hergibt. Entsprechend: Wer wäre denn so blöd, die Menschheit im Rahmen einer Märcheninterpretation mit der Erkenntnis erleuchten zu wollen, dass es sprechende Wölfe oder Feen, die drei Wünsche erfüllen, in Wirklichkeit gar nicht gibt und hier nur Döntjes erzählt werden?
Das Ganze ist umso einfältiger, als die eigentliche Frage in Lohengrin eine hochbrisante, hochaktuelle und auch gar nicht so schwer erkennbare ist, vorausgesetzt, man verbaut sie sich nicht durch pseudo-aufklärerische, neunmalkluge Voreingenommenheit. Es ist ganz simpel die Frage von Vertrauen, die Wagner in dieser Oper dramatisiert. Ein Vertrauen übrigens, das Lohengrin nicht nur einer notleidenden Person als Preis für seine Hilfe abringt, sondern eines, das Elsa vorschießt, als sie sich mit «inbrünstigem» Gebet gegen die Verleumdung durch Telramund verteidigt.
Und weil Theater ja immer «heutig» sein soll: Diese eigentliche Frage im Lohengrin ist eine, die zur Zeit die gesamte ökonomische Welt in ihren Grundfesten erschüttert und überhaupt eine ganz zentrale Frage in offenen Gesellschaften ist. In diesem Kontrast zeigt sich, dass Elsas Vertrauen zumindest auf den zweiten Blick auch nicht naiver ist als dasjenige, das viele gebildete Mitteleuropäer zu Beginn des 21. Jahrhunderts in die «unsichtbare Hand» bzw. die «Selbstheilungskräfte» des Marktes setzen.
Wie auch immer. Diese Überlegung ist jetzt sicher nicht als Idee zu verstehen, Lohengrin in der nächsten Neuinszenierung an der Wallstreet statt in Brabant spielen zu lassen und aus Elsa eine toughe Brokerin und aus Lohengrin einen spendierfreudigen Finanzpolitiker zu machen. Es ist ein Plädoyer dafür, Lohengrin (für andere Opern gilt das entsprechend) und indirekt auch das Publikum nicht für so dumm und reaktionär zu halten, wie sie definitiv nicht sind.
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Oper rechnet sich
Weil Theater und Musik nicht einfach nur schön sein sollen, wenn sie viel kosten, werden seit einiger Zeit so genannte Umwegrentabilitäten errechnet, die aufzeigen sollen, dass es sich bei der öffentlichen Finanzierung von Theatern um lohnende Investitionen in den jeweiligen Standort handelt. Laut einer aktuellen Studie bringt die Wiener Staatsoper dem Staat eine Rendite von satten 11%: 51,5 Mio. EUR steckte die öffentliche Hand in die Oper, 57,4 Mio. flossen an sie zurück. Der gesamte Wertschöpfungseffekt belief sich sogar auf 138,3 Mio. EUR. Solche Zahlen können der Oper natürlich nur recht sein. Trotzdem wäre interessant zu wissen, wie man diese Zusammenhänge aufgedröselt haben will.
Und wenn schon solche Berechnungen angestellt werden, dann sollte der Intendant der Wiener Staatsoper meines Erachtens für sein Haus konsequenterweise eine Erfolgsbeteiligung in Höhe von mindestens 50% der Rendite einfordern. Nicht als persönlichen Bonus, sondern als thesaurierten Gewinn zur Reinvestition. Wann bekommt man die Argumentation für eine Etaterhöhung denn sonst schon einmal so schön auf dem Silbertablett präsentiert?
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Kulturdatenbank (Best practice VII)
Wer in Berlin ins Theater gehen möchte, steht vor der Qual der Wahl, sich aus dem Angebot von 46 Bühnen mit oftmals täglich wechselndem Programm etwas dem Geschmack und den Vorlieben Gemäßes aussuchen zu müssen. Bei gründlicher Recherche läuft dieses Unterfangen Gefahr, länger zu dauern, als der Theaterabend selbst, zumindest solange man nicht auf den Online-Theaterspielplan berlin-buehnen.de zurückgreift. Auf dieser Webseite werden nämlich die Spielpläne aller Berliner Theater mitsamt Besetzung, Fotos und Inhaltsangaben zusammengeführt. Über eine einfache Abfrage lassen sich die Daten z.B. nach Sparte oder Datum filtern, über die Suchanfrage erfährt man, wann und wo der Lieblingsschauspieler zu sehen ist, so dass man das Angebot schnell auf ein überschaubares Maß eingedampft hat und eine informierte Entscheidung treffen kann.
Technisch fusst die Seite auf der Kulturdatenbank. Eine Datenbank, deren Einsatz grundsätzlich jeder Kultureinrichtung zu empfehlen ist, weil sich mit ihr auf einfachste Weise der eigene Spielplan verbreiten und mit einer Reihe von weiteren Services (Ticketkauf, Stadtplan, Bahnanreise etc.) verknüpfen lässt. Auf diese Weise profitieren nicht nur die Besucher selbst davon, sondern ebenso z.B. die Medien oder Partner aus dem Tourismus. Auch für größere Bundesländer (s. nrw-buehnen.de) oder deutschlandweit für einzelne Kunstformen kommt die Datenbank mittlerweile zum Einsatz.
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«Effi Briest» als Soap Opera
Vom 5. bis zum 15. Februar war Berlinale. Harald Martenstein war dort und hat für die Zeit ein kleines Tagebuch im Stile seiner legendären Kolumne geschrieben. Der Eintrag des siebten Berlinale-Tages beschäftigt sich mit Sinn und Unsinn der Aktualisierung von Klassikern, in diesem Falle «Effi Briest», das die Regisseurin laut Martenstein in «Gute Zeiten, schlechte Zeiten» verwandelt. Sein Fazit:
Klassiker werden Klassiker, wie etwa «Effi Briest» oder «Der Prozess», weil ihre Geschichte auch etwas Zeitloses hat, eine Kraft, wie sie kein einziges dämliches Fernsehspiel besitzt. Ist das so schwer zu kapieren? Offenbar ja.
Ja, tatsächlich. Das Gros der Theaterregisseure tut sich mit dieser Erkenntnis ja ebenso schwer.
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Mediendarwinismus
Mittlerweile habe ich einige Einträge darüber geschrieben, dass ich das Theater für ein antiquiertes Medium halte, das ungeeignet ist, heutige Stoffe und Themen angemessen zu reflektieren. Bei aller Sympathie für diese These, bleibt mir doch die Frage, warum dieser Umstand zwar für das Theater, aber nicht für andere alte Medien, Bücher zum Beispiel, gelten soll. Zwar gibt es vielleicht den ein oder anderen, der den Bedeutungsverlust des Buches bzw. dessen weitreichende Ablösung durch digitale Textspeicher ebenso kommen sieht. Trotzdem glaube ich nicht, dass das Buch so bald zu einem medientechnologischen Museumsstück wird, wie das Theater.
Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen ist die Reichweite eines Mediums entscheidend. Durch die Allverfügbarkeit von Inhalten, den die Digitalisierung mit sich gebracht hat, geraten die alten Medien unter Druck. Medien, die keine Reichweiten erzielen, werden teuer und unrentabel. Bücher sind hier weit weniger anfällig als Theater, die ortsgebunden sind oder deren Mobilität zumindest einen hohen logistischen Aufwand nach sich zieht.
Der andere Grund ist, dass ein Buch keine anderen rezeptiven Anforderungen als ein digital gespeicherter Text stellt. Ob man Goethes Faust lieber als Reclam-Heft oder lieber bei Gutenberg liest, ist vor allem eine Geschmacksfrage. Verstehen kann man den Text in beiden Fällen gleich gut oder schlecht, weil man die gleichen Buchstaben liest und kognitiv verarbeitet. Der Film hingegen hat es gegenüber dem Theater wesentlich leichter, das «Als-ob» zu vermitteln, die illusorischen Möglichkeiten sind um ein Vielfaches größer. Dem kann das Theater nur die Interaktion entgegensetzen und vielleicht noch die Einmaligkeit des Moments, wobei weder das eine noch das andere zwangsläufig ein Qualitätsversprechen bedeutet. (Man denke an Stadelmeiers legendäre Begegnung mit dem interaktiven Theater oder die uninspirierten Repertoirevorstellungen, in denen man schon so saß). Und wahrscheinlich ist es auch nur noch eine Frage von ein paar Jahren, bis der Film auch diese «Unique Selling Propositions» in perfekter Illusion nachbilden kann.
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Liebenswerter Anachronismus
Die Frankfurter Rundschau berichtet über den Trend an deutschen Bühnen, erfolgreiche Romane wie Feuchtgebiete oder Tintenherz zu Theaterstücken umzuarbeiten (Irgendwo gab es doch bestimmt auch schon eine Bühnenfassung von Harry Potter!?). So hat man nicht nur eine Uraufführung zu vermelden, die eine gesunde Verankerung in der Jetztzeit nahelegt, sondern auch die Hoffnung, trittbrettfahrend von dem Erfolg des Buches zu profitieren. Natürlich ist das durchaus legitim. Aber es ist auch eine weitere Bestätigung für meine schon öfters geäußerte These, dass das Theater längst nicht mehr das Medium gesellschaftlicher Selbstreflexion und Vordenkerei ist, sondern ein liebenswerter Anachronismus, der künstlerischen und unterhalterischen Trends nur mehr nachjagt. Das hat natürlich auch mit Geld zu tun. Warum sollte ein herausragender Dramatiker für das Theater schreiben, wenn er beim Film/Fernsehen ein Vielfaches verdient?
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Warum das Theater?
Christian Henner-Fehr warf neulich die Frage auf, welches die Aufgaben von Theatern heutzutage seien. Moralische Anstalten, wie Schiller und einige andere gefordert hatten, seien es ja nicht mehr. Ich wäre mir da nicht so sicher. Bis heute wird am Theater moralisiert, was das Zeug hält. Sicher formuliert man nicht mehr ganz so pathetisch, dass man »zur Veredelung der Sitten« beitragen möchte, aber die Hoffnung, das Theater möge die Besucher als etwas bessere Menschen wieder entlassen ist ungebrochen. Das Theater sieht sich nach wie vor als Instanz, die die Gesellschaft an ihre eigenen Grundsätze gemahnt, ihr »den Spiegel vorhält«, wie es immer so schön heißt, den Finger in die Wunden legt, verstört, unbequeme Fragen stellt und unser (musik-)dramatisches Kulturerbe dahingehend befragt, was es denn heute noch zu sagen habe.
Versteht man den Theaterbetrieb als Gesellschaft im Kleinen, muss einem das ziemlich selbstgerecht vorkommen, da sich hier viele Errungenschaften noch nicht durchgesetzt haben, die gesellschaftlich völlig selbstverständlich sind. Kaum irgendwo gibt es noch derart hierarchische, im Wesen feudalistische Organisationsstrukturen und Arbeitsbedingungen, kaum irgendwo sonst sind Personen und Posten so eng miteinander verknüpft, kaum irgendwo sonst herrschen derart anachronistische Arbeitsstrukturen (ein Theaterbetrieb ist ja praktisch das Abbild eines mittelalterlichen Dorfes, in dem die unterschiedlichsten Handwerkszünfte in direkter Nachbarschaft zueinander existieren), kaum eine Branche, in der die Arbeitstechnik sich so langsam und wenig weiter entwickelt hat, wie im Theater. Die Beleuchtung, die Bühnen- und Tontechnik mögen besser und sicherer sein als noch vor fünfzig oder hundert Jahren. Im Grunde wird am Theater aber noch immer genau so gearbeitet, wie zu der Zeit, als man in Pferdekutschen statt im ICE reiste. Für das Musiktheater bezieht sich diese Diagnose nicht nur auf den Apparat, sondern genauso auf das Repertoire: die einigermaßen regelmäßig gespielten Opern, die jünger als 100 Jahre sind, kann man an einer Hand abzählen.
Ausgerechnet ein Medium, das sich seit Jahrhunderten praktisch nicht weiter entwickelt hat, soll nun also in besonderer Weise unsere heutige Wirklichkeit reflektieren und hinterfragen können? Diese Vorstellung halte ich für ebenso naiv, als würde man wieder Tieropfer darbringen, um die nächste Naturkatastrophe abzuwenden und so abwegig, als würde man die Bedienungsanleitung für einen DVD-Player mit Keilschrift in Tontafeln ritzen. Die strukturellen Bedingungen am Theater erlauben nicht, den Zustand und die Komplexität der heutigen Gesellschaft glaubwürdig darzustellen und zu reflektieren, allein schon, weil es selbst weit hinter diesen Zustand zurückfällt.
In meinen Augen kann sich das Theater sträuben wie es will, es ist ein musealer Apparat der museale Inhalte und Weltdeutungen vermitteln kann. Was überhaupt nicht schlecht ist. Es bietet einfach eine Möglichkeit, große Kunstwerke aus unserem kulturellen Vermächtnis in dem ihnen gemäßen Medium wieder zu geben und damit zu bewahren. Oper auf DVD ist in aller Regel gähnend langweilig, deswegen braucht es dramatische Museen, in denen man diese altertümliche Kunstform weiterhin rezipieren kann. Bewahren und zugänglich machen – das sind einige der ehrenwerten Aufgaben, die Museen erfüllen. Mehr kann auch das Theater, das ja selbst Museumsstück ist, nicht leisten. Die Kunstwerke sind alt, der Apparat ist alt und beides wird auch durch alle Gewaltanwendung nicht »heutig«.