In nahezu jeder Hinsicht ein Gegenteil zum Rheingold-Film von Karajan ist die Inszenierung
von Joachim Schlömer aus dem viel diskutierten Stuttgarter Ring. Die Personenregie ist um ein vielfaches lebendiger und schildert sehr viel genauer (oder überhaupt) die emotionalen Zustände und die Konflikte zwischen den handelnden Personen. Man versteht, warum Alberich nach der Demütigung durch die Rheintöchter das Rheingold entwendet, man merkt, dass es einen Konflikt zwischen den Riesen und den Göttern und zwischen Wotan und Fricka usw. gibt. Die Personen agieren tatsächlich so menschlich, wie es bei Wagner angelegt ist. Wo bei Karajan praktisch jede schauspielerische Aktion fehlt, wird in dieser Inszenierung allerdings nicht selten mit dem kleinen Repertoire einschlägiger Operngestik überperformt, was unterm Strich genauso wenig glaubwürdig, nur nicht ganz so langweilig ist. (mehr …)
Kategorie: Theater
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Das Rheingold II: Das Stuttgarter Rheingold
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Internationaler Museumstag: Revolution verschlafen
Auf Kulturelle Welten schreibt Jörn Borchert über den 18. Internationalen Museumstag, der dieses Jahr auch in Second Life begangen werden soll. Das International Council of Museum (ICOM) entblödet sich nicht, dies vollmundig als Revolution anzukündigen. Das wäre es bestenfalls vor zwei Jahren gewesen, vor dem längst wieder abgeklungenen Hype um Second Life. Mit dem Satz
Dass in die klassischen Museen das Eingang findet, was im realen Leben keinen festen Sitz mehr hat, das ist nicht neu.
bringt Borchert ein interessantes Dilemma der meisten klassischen Kultureinrichtungen auf den Punkt: Sie dokumentieren und verwalten das, was sich als kulturgeschichtlich relevant erwiesen hat, aber sie sind selbst kaum je Orte kultureller Innovation oder zukunftsweisender Kreativität. Das gilt für Museen ebenso wie für Theater – mit dem Unterschied, dass bei letzteren viel weniger Bereitschaft herrscht, diese Tatsache einzugestehen.
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Ausweg aus dem Museum? -
Dudamel rollt roten Teppich aus
Gestern hatte ich Gelegenheit in der Staatsoper Berlin Gustavo Dudamel zu erleben. Dudamel hat als Dirigent des Simón Bolívar-Jugendorchesters eine außerordentliche Karriere hingelegt und ist seit kurzem groß im Geschäft mit Vertrag bei der Deutschen Grammophon, Gastdirigaten an den großen Opernhäusern und großen Orchestern, derzeit einem Chefposten bei den Göteborger Symphonikern und ab 2009 beim Los Angeles Philharmonic.
Mein Eindruck war allerdings eher der vom grundsoliden Kapellmeister als der vom »charismatischen Pultstar«, was im Großen und Ganzen für Dudamel spricht. Er dirigierte La Bohème sehr präzise, konzentriert und souverän und sah seine Aufgabe offenbar vor allem darin, den Sängerinnen und Sängern den roten Teppich auszurollen. So wurde es eine feine, dezente Bohème auf hohem Niveau. Allerdings fehlte so auch der Funke Inspiration, den ein Pultstar, kaum aber ein Kapellmeister entzünden kann.
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Khuon zum Subventionsgemäkel
Die Äußerungen etlicher Theaterleute, z.B. Schlingensief, Stein oder Peymann, lassen mitunter mehr auf Wahnsinn denn auf Genie schließen. Thalia-Theater-Intendant Ulrich Khuon schafft es dagegen auch mit bedachten, klugen Äußerungen in die Medien. Aktuell äußert er sich bei Spiegel online zu dem Gemäkel in den Feuilletons der Süddeutschen und der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, es gebe zuviel Kultur-Subvention. Das fügt sich zwar harmonisch in den Chor zeitgeistiger Klagen über die ausufernde staatliche Einmischung in eigentlich alles, lässt sich aber durch ein paar einfache Zahlen mühelos widerlegen. Dazu muss man noch nicht besonders klug sein. Klug sind aber Khuons inhaltliche Entgegnungen, insbesondere der letzte Absatz des Artikels.
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Eindimensional
Eigentlich ist theater-tv.com eine gute Idee. Die Videos sind, wie die gesamte Seite, gut gemacht. Eine Produktion, von der ich viel schlechtes gehört habe, schien mir vom Film her zu urteilen durchaus einen Besuch wert. Das spricht zumindest aus Theatermarketing-Sicht für grundsätzlichen Sinn und Zweck des Portals.
Den Anspruch »Kulturinfos in einer neuen Dimension« löst die Seite allerdings nur ein, sofern man die Betonung auf das Wörtchen »einer« legt. Denn die multidimensionalen, unendlichen Weiten des sog. »Web 2.0« bleiben komplett ungenutzt. Warum sind die Videos nicht als Videocast erhältlich? Warum gibt es keine Kommentarfunktion, keine Bewertungsfunktion, keine Einbettungs- oder auch nur Empfehlungsfunktion, um die sog. »viralen Effekte« zu nutzen. Es ist eine Website, die es nur deswegen vor 5 oder 10 Jahren noch nicht hätte geben können, weil die Verbindungen zu langsam waren. Ich weiß, ich wiederhole mich, aber diese Seite ist wieder ein Beleg dafür, dass »heutige« Kommunikation eben doch nicht das Ding von Theaterleuten ist.
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Ausweg aus dem Museum?
»Wir verehren Altes, nur weil es alt ist.« ist eine zentrale These eines Essays aus der Zeit vom 3.1.08 (Siehe auch Kulturmanagement-Blog und Kulturblog.ch). Warum das Berliner Stadtschloss originalgetreu wieder aufgebaut werden soll, gar nicht mal nur konserviert, sondern komplett neu wieder aufgebaut, das verstehe ich tatsächlich auch nicht. Aber ansonsten glaube ich doch eher, dass wir Altes verehren, weil es gut und verehrungswürdig ist. Was überdauert hat, ist ja nur die Spitze eines Eisberges alter Kunst, von dem sich der weitaus größte Teil unter der Wasseroberfläche befindet, soll heißen: verworfen und vergessen ist. Es ist auch nur ein verschwindend kleiner Teil verglichen mit dem, was an zeitgenössischer Kultur rezipiert wird. Zu glauben, diese fände im Museum oder im Theater statt, ist fast ein bisschen rührend. Wer geht schon ins Museum?
Einen »Ausweg aus dem Museum«, wie Blom das nennt, muss deswegen nur der suchen, der selbst in alten Kategorien denkt und nicht merkt, dass der Botticelli von heute möglicherweise Modefotograph ist und kein Maler und die heute bedeutenden Dramatiker nicht mehr für das Theater schreiben, sondern »Star Wars« oder »2001: A Space Odyssey« und anderes drehen und gedreht haben. Wer im Theater das wirklich »Heutige« sucht, wird dort deswegen trotz allen Regietheaters nicht fündig werden. Das Theater war das authentische Medium von Shakespeare, Schiller, Verdi und anderen. Heute ist es als Institution selbst Museum und als solches hat es seine Nische verdient. Museen freilich auch, aber die machen in der Regel auch keinen Hehl draus, dass es bei ihnen Altes zu sehen gibt.
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Fünf Mal Oper
Da ich fand, dass es mal wieder Zeit ist für eine neue Folge in der Reihe »Fünf mal…« ist, hier und heute fünf hörenswerte Opern.
Norma mochte schon Wagner, was erstaunlich ist, weil er ja normalerweise kein gutes Haar an der italienischen Oper ließ. Und Norma ist durch und durch italienische Oper: Liebe, Eifersucht, Tod und wunderbare Melodien. Seit ich Norma an der Stuttgarter Staatsoper gesehen habe, mag ich sie auch. Hauptgrund war die wirklich phänomenal singende Catherine Naglestad, die auf sehr eindrucksvolle Weise vorgeführt hat, in welche euphorische Verzückung man durch vollendeten Belcanto versetzt werden kann.
Ich zähle mich nicht zu den großen Mozartfans und freue mich durchaus über so ketzerische Aussagen wie den berühmten Kommentar von Glenn Gould zur g-Moll Sinfonie: »Die Sinfonie in g-Moll besteht aus acht bemerkenswerten Takten umgeben von einer halben Stunde Banalität.« Hehe! Allerdings bin ich ein großer Fan von Le Nozze di Figaro. Für mich zweifellos und mit Abstand die beste Mozartoper und eine der besten Opern überhaupt. Wenn es gut läuft, sitzt man im Theater und ist nach zwei Takten Ouvertüre einfach gut drauf. Wenn es nicht so gut läuft, kann es allerdings auch ein langer Abend werden.
Sehr viel deutscher als diese beiden Opern ist Wagners Parsifal. Für ihren quasi-religiösen Charakter, der schon in der bemerkenswerten Gattungsbezeichnung Bühnenweihfestspiel zum Ausdruck kommt, wurde und wird sie häufig belächelt. Zu allererst von Nietzsche, heute von jedem Regisseur, der nicht für blöd und reaktionär gehalten werden möchte. Das ist schade, denn in dieser Hinsicht ernst genommen wäre das Bühnenweihfestspiel mit Sicherheit »verstörender« als das, was Regisseuren so dazu einfällt.
Aufgrund des ebenfalls religiös anmutenden Sujets irgendwie ähnlich ist Olivier Messiaens Oper Saint Francois d’Assise. Noch mehr als bei Parsifal ist bei Francois d’Assise allerdings die Frage, ob man von Oper überhaupt sprechen kann. Messiaen gab dem Werk den Untertitel »Franziskanische Szenen«, was sicher eine treffendere Gattungsbezeichnung ist. Bei den Szenen handelt es sich eher um szenische Meditationen über Stationen im Leben des Franz von Assisi. Erstaunlich ist der tiefe, gänzlich undistanzierende, unironische Ernst dieses Werks. Die Auftritte des Engels gehören in meinen Augen zu dem Schönsten, was die Musik des letzten Jahrhunderts zu bieten hat (weil es eigentlich wie Musik des vorletzten Jahrhunderts klingt 😉 ), die Szene, in der Franziskus die Wundmale empfängt, zu dem Monumentalsten und Beeindruckendsten.
Über The Fairy Queen von Purcell habe ich schon einmal im Beitrag Fünf Mal Barock geschrieben. Meistens finde ich Barockoper ziemlich langweilig, aber diese ist wirklich bezaubernd.
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Braver Hamlet
In der aktuellen Neon gibt es ein Interview mit jungen Theatermachern. Unter anderem wird dort der Trend angesprochen, dass junge Leute offenbar lieber brav inszenierte Klassiker als deren ausgeflippte Neu- und Umdeutungen sehen: »Vielleicht wollen die Leute gar nicht wissen, was Hamlet einem heute zu sagen hat. Vielleicht wollen sie Hamlet einfach nur mal sehen.« Die Schlussfolgerung zu dieser Aussage ist, dass den Leuten die Inszenierungen wohl häufig wurscht seien. Ich glaube allerdings, es sind weniger die Inszenierungen – ob brav oder ausgeflippt, Hamlet wird so oder so inszeniert – es sind die Regisseure und deren Ideen, die vielen Leuten egal sind.
In Bezug auf die Konkurrenzsituation Kino – Theater heißt es: »Das Live-Erlebnis ist aber wieder im Kommen, weil es unmittelbarer ist.« Dass das Theater unmittelbar sein soll, halte ich allerdings für ein großes Missverständnis, wo man hier doch die »Mittelbarkeit« des Apparates, der Aufführung, der Interpretation, der Wirkung an allen Enden und Ecken bemerkt und sie nicht selten in Theaterstücken reflektiert wird. Es ist vielleicht ehrlicher, authentischer, weil echte Menschen zu sehen sind und nicht deren Projektionen, aber es ist kaum je unmittelbar. Was das angeht, tun sich Theater und Kino nicht viel, das Kino ist nur wesentlich besser darin, seine »Mittelbarkeit« zu verstecken.
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Auszeichnung für Ruth-Berghaus-Look-And-Feel
Das (Musik-)Theater Bremen ist von den Kritikern der Opernwelt zur Oper des Jahres 2007 gewählt worden. Zusammen mit der Komischen Oper Berlin. Allerdings war wohl weniger die künstlerische Qualität der letzten Saison ausschlaggebend, als viel mehr die schwierigen kulturpolitischen Bedingungen, unter denen Intendant Pierwoß 13 Jahre lang zu leiden hatte. In den Laudatios zu seinem Abgang war überhaupt vor allem davon die Rede, dass er sich von der opportunistischen, unbeständigen Politik nicht hat unterkriegen lassen. So heißt es auch bei der Opernwelt zur Begründung: »Mit Geduld, Leidenschaft, Leidensbereitschaft und Durchsetzungsvermögen sorgte Pierwoß für Oper auf Höhe der Zeit – gegen massive Widerstände aus der Politik«. Wobei »Oper auf der Höhe der Zeit« in meinen Augen nicht stimmt. Was ich gesehen habe, war leider einmal zu oft 80er-Jahre-Regietheater im Ruth-Berghaus-Look-And-Feel. 11 Uraufführungen hin oder her.
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Blitzmerker
Ist doch immer wieder schön, wenn einer so auf die Kacke haut. 🙂 Die Formulierung: »Da kommt ihr nicht mehr raus, ihr könnt dann nur noch länger wichsen.« bringt das wesentliche Problem des derzeitigen Innovationsverständnisses am Theater auf den Punkt. Aber die Gegenbewegung scheint sich immer mehr als Trend zu etablieren, wenn mittlerweile auch Peymann mit einigen interessanten, etwas sachlicheren Gedanken in dieses Horn stößt. Steins Wallenstein-Inszenierung soll übrigens ganz toll und kurzweilig sein, trotz 10 Stunden Länge. Sagte mir allerdings ein Wagner-Fan, der als solcher auch mit 16 Stunden »Ring des Nibelungen« kein Problem hat.