In der Ausgabe Nr. 30 der ZEIT war ein Portrait über Amir Kassaei zu lesen, dem Kreativchef von DDB Deutschland. (Leider ist es online nicht verfügbar.) Werbung werde sich zukünftig mehr an den echten Bedürfnissen der Verbraucher orientieren müssen, leiser werden und auf «Relevanz» (= Inhalte) statt auf «Awareness» (= bloße Aufmerksamkeit) setzen. Er scheut sich dabei nicht vor großen Worten, wenn er in diesem Zusammenhang vom «Streben nach Wahrhaftigkeit» spricht. War das nicht immer der Job der Kultur? Dieser Anspruch klingt für mich jedenfalls wie eine Kampfansage an den Kulturbetrieb, der einen großen Teil seiner Deutungshoheit ohnehin bereits an die Werbeindustrie hat abtreten müssen. Gegenwartskultur wird inzwischen erheblich durch die Werbeindustrie geprägt oder aber innerhalb kürzester Zeit von dieser vereinnahmt. Die Grenzen zwischen Kultur und Kommerz, die nach Horkheimer und Adorno so klar zu ziehen waren, verwischen zusehends.
In einem anderen Interview wird Kassaei nach der besten Online-Kampagne aller Zeiten gefragt und führt den uniqlo screensaver als Beispiel gelungener Werbung im obigen Sinne an. Tatsächlich ist der Screensaver des Kleidungs-Labels mit schönen Bildern und kurzen Tanzperformances in uniqlo-Kleidung ein schönes Beispiel für dezente, kulturell geschmackvoll aufgeladene Werbung, ein stilsicherer Mash-Up aus Gebrauchswert, Reklame und kulturellem Inhalt. Vielleicht liegt darin nicht nur die Zukunft der Werbung, sondern auch die der Kultur? Näher am «Verbraucher» durch Kombination mit Gebrauchsgegenständen und anders finanziert durch Kombination mit Werbung?