Das Web: kein Wohlfühlort für Intellektuelle

Veröffentlicht von Christian Holst am

Mein Güte! Adam Soboczynskis Artikel Das Netz als Feind in der gerade noch aktuellen Ausgabe der Zeit hat die Blogosphäre ganz schön aufgemischt und zu zahlreichen Repliken angeregt (s. z.B. hier, hier, hier oder hier), die den Autor Lügen strafen sollen in Bezug auf seine Behauptung, dass das Web den Intellektuellen zum Schweigen bringe. Ich bin so überhaupt erst aufmerksam geworden auf den Artikel.

Die Aufregung kann ich dabei nicht so ganz nachvollziehen. Natürlich ist der Untertitel «Warum der Intellektuelle im Internet mit Hass verfolgt wird» ebenso effektvoll übertrieben wie der gesamte Artikel eine wohlkalkulierte Provokation gegenüber überzeugten Webverfechtern ist. Neben Sex and Crime ist Provokation das Mittel der Wahl, um Aufmerksamkeit zu erzeugen und gerade den Wettstreit um Aufmerksamkeit bezeichnet Soboczynski als charakteristisch für das Web. Dass er nicht wisse, wovon er rede, kann man ihm daher schwerlich vorwerfen: Die Blogosphäre ist dankbar auf die Provokation eingestiegen.

Wie auch immer. Im Grunde verknüpft Soboczynski zwei recht banale Sachverhalte. Der erste besagt, dass Popularität und inhaltlicher Anspruch einen grundsätzlichen Gegensatz bilden. Das ist adornitisches Grundwissen, dessen prinzipielle Richtigkeit jeden Tag in allen Medien zu beobachten ist. Ausnahmen bestätigen die Regel. Das zweite ist die Erkenntnis, dass das Internet kein Medium ist, das sich für jede Art der Kommunikation gleichermaßen eignet. Die Aufregung, die dieser Artikel ausgelöst hat, scheint sich aber gerade aus der Überzeugung zu speisen, das Internet müsse alles können und für alles gut und geeignet sein.

Ich habe vor einiger Zeit geschrieben, die Kommunikation im Web 2.0 sei typischerweise «unverbindlich, unkonzentriert, lakonisch, redundant und mitunter leichtfertig» und habe versucht zu zeigen, dass das strukturell begründet ist. Der Preis für die Vergesellschaftung von Kommunikationsmedien ist eben, dass Niveau nicht garantiert werden kann (genauso wenig freilich per se verhindert wird) und vermehrt mentaler Dünnpfiff dokumentiert wird, der vormals nur mündlich verbreitet wurde. Einem anspruchsvollen Diskurs ist solche offene Struktur abträglich. Für ihn braucht es Zugangsbeschränkungen und Qualitätskontrollen, die der Idee von Social Media entgegenstehen. Deswegen finde ich den Gedanken sehr nachvollziehbar, dass das Internet tatsächlich kein Wohlfühlort für Intellektuelle ist.


18 Kommentare

Petra · 28. Mai 2009 um 8:33

Höchst interessanter Gedanke!
Dazu würde passen, dass es längst einen hochwertigen Diskurs zum Thema gibt (und zwar auch schon vor Soboczynski) – aber eben nicht öffentlich. Wenn im Internet, dann in Mitgliedsbereichen von Spezialforen, in Mailinglisten etc.
Und warum? Einfach, um den Diskurs halten und aufbauen zu können und nicht auf das abzurutschen, was in den Kommentarflächen des Feuilletons tagtäglich passiert: Das unmäßige Abladen von privatem Unmut.

Und das sind oft Leute, die auch Web 2.0 nutzen – die aber fein unterscheiden zwischen den unterschiedlichen medialen Möglichkeiten.

C. Henner-Fehr · 28. Mai 2009 um 17:26

Christian, nehmen wir mal an, Deine Behauptung stimmt. Soboczynski ist ein Intellektueller, der die „Blogosphäre ganz schön aufgemischt“, mit dem Untertitel „effektvoll übertrieben hat und das ganze als „wohldosierte Provokation“ versteht.

Außerdem behauptest Du, dass die Kommunikation im Web2.0 typischerweise unverbindlich, unkonzentriert, lakonisch, redundant und mitunter leichtfertig sei.

Jetzt ist es doch aber so, dass Soboczynski und die ZEIT nicht unbedingt dem Web2.0 zuzurechnen sind. Deiner Meinung nach sind das die „Guten“, während sich im Web2.0 die „Schlechten“ tummeln.

Wenn Soboczynski aber nur provozieren wollte und die Blogosphäre versucht, sich mit seinem Artikel auseinanderzusetzen, dann hat sich da doch etwas verschoben. Der Intellektuelle gibt geistigen Müll von sich, also genau das, was Du dem Web2.0 vorwirfst. Dort hat man sich, wie ich finde, sehr ernsthaft mit diesem Artikel auseinandergesetzt.

Wenn das also nur eine Provokation sein sollte, dann heißt das, spätestens jetzt kann ich Soboczynski nicht mehr ernst nehmen. Es ist keine wirklich intellektuelle Leistung, andere kritisieren zu wollen und dann, wenn es ernst wird, festzustellen, dass es eh nur eine Provokation sein sollte.

In dem ich mein Gegenüber lächerlich mache, entziehe ich der Debatte die Grundlage. Damit kann ich leben, aber ich fürchte, dieser Schuss geht nach hinten los. Das Geschäftsmodell der ZEIT ist nämlich vom Untergang bedroht, meines nicht. 🙂

CH · 28. Mai 2009 um 17:52

@Petra Ja eben, was du schreibst, bestätigt, dass das Web kein Niveau garantieren kann, es aber auch nicht grundsätzlich ausschließt.

@Christian Mir geht es nicht um die Guten auf der einen und die Bösen auf der anderen Seite. Das ist eine Engführung, die Soboczynski macht und die die Blogosphäre, zumindest zum Teil, aufgegriffen hat. In dem Punkt schlage ich mich aber nicht auf Soboczynkis Seite.

Was ich aber richtig finde und wo Soboczynksi über die reine Provokation hinausgeht, ist die These, dass das Netz als Kommunikationsinstrument gewisse Standards aus strukturellen Gründen einfach nicht erfüllen kann. Einfaches Beispiel: Wikipedia ist nicht zitierfähig und leicht manipulierbar, so dass der deutsche Wirtschaftsminister mal schnell einen weiteren Vornamen angedichtet bekommt. Und das obwohl Wikipedia sicher eines der Angebote im Netz mit der besten Reputation ist. Einer Enzyklopädie mit wissenschaftlicher Redaktion dahinter würde das nicht passieren. Aber es ist eben auch nicht Web 2.0 und hat dessen Vorteile nicht: es ist nicht so schnell und aktuell.

Ich meine, man muss sich einfach sehr genau Gedanken darüber machen, was das Web kann und was andere Medien besser können und zwar ideologiefrei. Denn das scheint mir der Grund für die Emotionalität dieser Debatte zu sein, dass beide Standpunkte verideologisiert sind. Das führt zu nichts.

C. Henner-Fehr · 28. Mai 2009 um 17:59

Schön und gut, Christian. Wir können die Debatte gerne führen und sie wird ja auch bereit sgeführt. Nur wozu brauche ich dann so einen unqualifizierten Beitrag? Wenn Soboczynksi etwas zu sagen hat, dann kann er das gerne tun. So lange es aber nur zu Provokationen reicht und er auf dem dünnen Ast sitzt, stelle ich mir die Frage, warum ich mich mit ihm abgeben soll?

Wo liegt der Mehrwert für mich? Da diskutiere ich lieber ernsthaft im Web2.0 und lass die Zeitung Zeitung sein.

CH · 28. Mai 2009 um 21:04

Es scheint fast, als würdest du diesen Artikel persönlich nehmen? Ich habe ja versucht klar zu machen, dass ich den inhaltlichen Kern der Kritik berechtigt und bedenkenswert finde und den eben nicht unqualifiziert finde. Für die aufgeblasene, elaborierte Form des Artikels mag das dagegen schon gelten.

Der Mehrwert für dich/uns liegt doch zumindest schon mal darin, einen Aufhänger für einen Blogpost gehabt zu haben. 😉

C. Henner-Fehr · 29. Mai 2009 um 6:18

„Es scheint fast, als würdest du diesen Artikel persönlich nehmen?“

Es gibt das berühmte Beispiel, bei dem der Mann nach Hause kommt, sich vor den Fernseher setzt und sagt: „es ist kein Bier mehr da.“ Seine Frau reagiert darauf erbost: hol Dir Dein Bier doch selbst“, worauf der Mann antwortet: „habe ich gesagt, dass Du das Bier holen sollst?“

Es gibt, haben ein paar mehr oder weniger bekannte Experten festgestellt, in der Kommunikation eine Sach- und eine Beziehungsebene. Wenn mir nun jemand auf der Beziehungsebene erzählt, dass er ein Intellektueller ist und ich ein Trottel, dann darf ich das persönlich nehmen. Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter: wenn man den Sender ernst nimmt, dann muss man seine Aussagen auf der Beziehungsebene ernst nehmen.

Tue ich das nicht, dann brauchen wir über die Inhalte nicht zu reden. Das ist die alte Masche: jemanden zu provozieren und sich dann auf die inhaltliche Ebene zurück zu ziehen.

Warum sollte ich also seine Aussagen nicht persönlich nehmen? Sie waren doch auch so gemeint, oder?

CH · 29. Mai 2009 um 6:46

Hm. Auch wenn ich hoffe, dass das ein oder andere, was ich im Web schreibe nicht ganz doof ist, halte ich mich deswegen noch nicht für einen Intellektuellen. Andererseits fühle ich mich auch nicht angesprochen, wenn Soboczynski auf die schimpft, die das Web als Gedankenmülldeponie benutzen. Deswegen habe ich mich da auch nicht gemeint gefühlt. Auch wenn Soboczynski sich selbst wahrscheinlich dazu rechnen würde weil er für die ZEIT schreibt, würde ich ihn ebenso wenig als Intellektuellen sehen. Er kann zwar schreiben und wie gesagt kann ich seiner Kernthese etwas abgewinnen, aber maßgeblich ist seine Meinung sicher nicht, solange es bei bloßer Provokation (die ich im Einzelfall völlig in Ordnung finde) bleibt.

C. Henner-Fehr · 29. Mai 2009 um 7:02

Das ist ja auch ok, aber das heißt gleichzeitig, Du nimmst ihn nicht ernst.

CH · 29. Mai 2009 um 8:29

Naja, ich orientiere mich in meiner Meinungsbildung ja nicht nur an Nobelpreisträgern, sondern auch an «normalen» Menschen. Aber ich nehme die Provokation nicht so ernst, das ist richtig.

Petra · 29. Mai 2009 um 9:30

HF: „Wenn mir nun jemand auf der Beziehungsebene erzählt, dass er ein Intellektueller ist und ich ein Trottel, dann darf ich das persönlich nehmen.“

Nennt man das in der Psychologie nicht Übertragung einer fremden Projektion oder so ähnlich? Muss ich mir jeden Schuh anziehen, den ein anderer hinstellt? Was ich damit sagen will: Ich muss mich bei seinem Artikel nicht gemeint fühlen. Er müsste sich bei Hassangriffen oder Schmäh aber auch nicht gemeint fühlen. Und schon hätte man einen weniger emotionsbeladenen Diskurs (auch das Bild des Intellektuellen wäre hinterfragbar).

Ich denke, CH hat etwas Wichtiges analysiert: Unterschiedliche mediale Formen fördern unterschiedliches Kommunikationsverhalten und eignen sich schlicht für gewisse Dinge nicht. Wir wählen im Alltag völlig selbstverständlich aus, ob uns eine Schaufel oder ein Bagger bei einer bestimmten Art von Loch eher hilft. Wir wählen zwischen Telefon und Büttenbrief, weil wir die Schwächen und Stärken beider Formen kennen.

Ich denke auch, es ist an der Zeit, das Internet ähnlich wie anderes Handwerkszeug zu entmystifizieren. Denn erst, wenn wir wissen, was es NICHT kann, lassen sich doch neue Möglichkeiten entwickeln? Und vielleicht lassen sich dann Büttenpapier und Internet eines Tages vernetzen?

beisasse · 30. Mai 2009 um 9:25

irgendwas an deinem eintrag motiviert mich dazu, mal wieder einen kommentar zu hinterlassen. vielleicht weil in der sparte meiner blogthemen (religion, kirche etc.) tatsächlich mir widerwärtig erscheinende unsinnigkeiten der öffentlichkeit vorgetragen werden. das führte u.a. dazu, dass ich meine blogroll aufgab – mit starkem bedürfnis nach autistischem bloggen.

C. Henner-Fehr · 30. Mai 2009 um 16:16

@Petra: ich muss mir nicht jeden Schuh anziehen, nein. Aber irgendwie kommt es mir komisch vor, wenn jemand in der ZEIT einen Artikel schreibt, der auf der Sach- und Beziehungsebene zumindest diskussionswürdig ist und alle raten einem, diesen Beitrag nicht ernst zu nehmen. Kann es sein, dass darin das Problem der Printmedien liegt?

Ansonsten hast Du natürlich Recht. Das Internet im Allgemeinen und Tools wie Blog oder Twitter im Besonderen sind nicht für jeden Zweck geeignet. Aber bestreitet das jemand?

Matthias · 30. Mai 2009 um 23:19

Adam Soboczynskis schreibt in seinem Artikel:“Was zu kompliziert scheint, wird verhöhnt. Gemeinschaft soll endlich wieder sein, wo noch Gesellschaft ist.“

Da hat er gar nicht mal unrecht. Intressant ist aber, dass diese Aussage nicht unbedingt das Internet betrifft sondern eine mögliche allgemeine Haltung zum Intellekt darstellt. Man muss sich generell erst mal beweisen um anerkannt zu werden, nicht nur im Netz.

Petra · 1. Juni 2009 um 9:36

@CHF: Ernstnehmen schon (wobei ich ihm immer noch dunkel-sarkastische Polemik unterstelle), aber nicht unbedingt persönlich nehmen…

Ich bin letzte Woche erschrocken, als ich das Wort „Intellektuellenhass“ live hörte. Auf Französisch, in Frankreich (keiner kennt hier Soboczynski). Künstler unterhielten sich bei der Woche der offenen Ateliers über das, was sie neuerdings von Kulturoffiziellen und Kleinpolitikern zu erleiden haben.
Und zu einem Theaterprojekt, das Kleinstformen zu den Bewohnern ins Haus bringt oder in Scheunen, meinte ein Bürgermeister wörtlich: „Das sind doch wieder nur Verschwörungzellen von den Intellektuellen. Dann haben wir sie gar nicht mehr im Griff.“ Und nein, das sind keine Einzelfälle. Ich fürchte sogar, das ist bereits ein europäisches Problem „effektiver“ Staaten.

CH · 2. Juni 2009 um 11:16

@beisasse Kann ich mir vorstellen, dass es bei deinen Themen hoch her geht. «Autistisches Bloggen» klingt gut, aber eigentlich ist es natürlich ein Widerspruch in sich.

@Petra @CHF Wie gesagt, mir kommt es so vor, dass auch die Möglichkeiten des Web 2.0 ideologisiert werden, wenn man von einer Demokratisierung spricht und freies Wissen für alle etc. Da wird das Internet zu einem Heiligen Gral der Kommunikation hochstilisiert, was sicher manchen nervt (zu Recht) und zu hässigen Polemiken inspiriert.

@Matthias Ich denke, im Netz kommt das besonders deutlich zu Tage, weil hier Personen aufeinander treffen, die sich im Real Life nie unterhalten würden.

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