Noch im letzten Jahr wagte Frank Tentler in seinem Echtzeitgeist-Blog den Blick in die Glaskugel und stellte eine Reihe von Prognosen und Thesen zu Social Media-Trends im Jahr 2010 auf. Außerdem lud er ein, seine Aussagen um eigene Einschätzungen zu ergänzen, was ich hiermit tun möchte. Wohlwissend übrigens, dass der Blick in die Glaskugel natürlich umso klarer wird, je weiter das Jahr 2010 fortgeschritten ist.
Ein Begriff, der mir 2010 schon mehrfach begegnet ist, ist «Slow Media». Slow Media wird als die Entsprechung zum Slow Food bezeichnet, der qualitätsbewussten, genussvollen Zubereitung und Verzehr von Lebensmitteln. Wie zu jedem vernünftigen Trend gibt es inzwischen auch ein Manifest, das Slow Media-Manifest, verfasst von Benedikt Köhler, Jörg Blumtritt und Sabria David (nebenbei bemerkt: alle drei waren Referent(inn)en der stARTconference 2009). Die Idee dahinter: Nachdem im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts mit den partizipativen Medien eine technologische Revolution stattgefunden hat, wird es im zweiten Jahrzehnt darum gehen,
angemessene Reaktionen auf diese Medienrevolution zu entwickeln – sie politisch, kulturell und gesellschaftlich zu integrieren und konstruktiv zu nutzen.
Es geht um den bewussten, wählerischen Umgang mit den neuen Möglichkeiten, der wiederum Qualität, Perfektion, Konzentration, nachhaltige Vernetzung usw. nach sich ziehen soll — Dinge, die man momentan noch nicht unbedingt mit Social Media in Verbindung bringt. Ich finde diesen Gedanken äußerst plausibel und begrüßenswert und denke, dass er wichtiger Referenzpunkt für weitere Entwicklungen und Trends im Jahr 2010 und darüber hinaus werden kann.
Das heißt in meinen Augen zum Beispiel, dass Social Media zu einem selbstverständlichen Bestandteil der Medienlandschaft werden und der Hype langsam abklingen wird. Social Media wird ganz einfach in klassische Kommunikations-Konzepte integriert (oder anders herum), aus dem heutigen tendenziellen Entweder-Oder wird ein einvernehmliches Sowohl-als-auch und Je-nach-dem. Das wiederum setzt eine eine unaufgeregte, sachliche Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Grenzen von Social Media voraus. Bislang wurden kritische Überlegungen gerne mit emotionaler Wucht und fortschrittsgläubiger Empörung abgewiesen. Um es polemisch auszudrücken: Man wird feststellen, dass man mit Social Media nicht alle Diktaturen dieser Welt in die Knie bloggen und twittern kann, das auch Wikipedia nicht alles weiß und dass trotz Facebook nicht alle Menschen Brüder werden. Vermutlich heisst es auch das Ende der Gratiskultur, denn die zukünftige Bedeutung von Social Media wird auch davon abhängen, wie breit sich diese Medien über tragfähige Geschäftsmodelle absichern lassen.
Bei den Blogpiloten gibt es übrigens ein Interview mit den Verfassern des Slow-Media-Manifests.
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