3. Forum Kulturvermittlung in Basel
»Rettet Kulturvermittlung die (Kultur-)Welt?« – So lautete der Titel des dritten von insgesamt vier Foren zur Kulturvermittlung, die von der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia veranstaltet werden. Die Titelfrage war zwar offenkundig rhetorisch gemeint, aber sie hatte Interesse geweckt: das Literaturhaus Basel war bis auf den letzten Platz besetzt.
Eva Sturm, Professorin für Kunstvermittlung an der Uni Oldenburg, eröffnete den inhaltlichen Teil der Veranstaltung und überlegte, wie Kunstvermittlung ihren Auftrag zwischen Erfüllung und Störung wahrnehmen könne. Einerseits ist es Aufgabe der Kulturvermittler, die kuratorische Arbeit des Museums zu erklären – affirmative Vermittlung, wird das dann genannt. Andererseits haben sich in den letzten Jahrzehnten aber auch subversivere Formen der Vermittlung herausgebildet. Sturm berichtete hierzu vom StörDienst am Wiener Museum für moderne Kunst, der Kindern Kunst mit anarchischen Methoden nahebringen wollte. Ein anderes Beispiel sind die Gallery Talks von Andrea Fraser, in denen die Funktionsweise des Museums kritisch thematisiert, sprich dekonstruiert wurde. In diesem Sinne ist es Aufgabe der Kulturvermittlung, neue Denkräume und alternative Sichtweisen zu öffnen. Dies sei insbesondere durch einen »Trickster« möglich, der ein irritierendes, vernebelndes Moment in die Auseinandersetzung mit Kunst hineinbringe und so einen neuen Bewusstseinsschritt auslösen könne. Als Beispiel führte Sturm die von Marcel Duchamps um Schnurrbart und zweideutigen Untertitel bereicherte Mona Lisa an. Hier kam der durchaus einleuchtende Einwand aus dem Publikum, dass in der Irritation und der Eröffnung neuer Denkräume ja auch die Aufgabe der Kunst selbst gesehen werde, folglich die Kulturvermittlung mit diesem Verständnis selbst zur Kunst werde und damit möglicherweise wiederum eigener Vermittlung bedürfe. Nicht gerade verwunderlich aber von der Referentin durchaus beabsichtigt, dass sich in der Diskussion eine gewisse Ratlosigkeit unter den Zuhörern breit machte.
Einen in manchen Aspekten entgegengesetzten Standpunkt vertrat Mark Terkessidis in seinem mitunter etwas überpointierten, aber immer interessanten Vortrag »Wer vermittelt eigentlich was an wen?«. Terkessidis kam wortgewaltig auf die gesellschaftlichen, demografischen und ästhetischen Umwälzungen zu sprechen, die sich durch Migration und Digitalisierung ereignen. Diese Phänomene lassen es fraglich erscheinen, ob wir noch mit einem brauchbaren Kunstbegriff arbeiten. Dieser sei schließlich vor allem der Kunst des 19. Jahrhunderts verpflichtet, wo man beispielsweise von der Kunst als Selbstausdruck des Genies und Emanzipation des Individuums ausging. Heute lässt sich ein Kanon nationaler Kultur dagegen nicht mehr abgrenzen und die Menschen hätten nicht mehr nur den Anspruch zu rezipieren, sondern möchten auch partizipieren. Insofern sollte man ein zeitgemäßes Verständnis von Kultur und Kunst erarbeiten. Momentan wird es der Kulturvermittlung überlassen, diese Fragen zu beantworten und die Gräben zu schließen. Man überträgt ihr quasi die Aufgabe das Publikum zu ändern, damit man die Institutionen und ihr Selbstverständnis in Takt lassen kann. Terkessidis dagegen forderte, auch die Institutionen und ihren Anspruch anzupassen. Die Vorschläge, die er hierzu machte, blieben allerdings recht vage: Der Personalbestand der Kultureinrichtungen sollte die Migrationsrealität abbilden, die Räume der Einrichtungen sollten offener gestaltet werden und Barrierefreiheit sollte nicht nur im Rahmen von Behinderungen thematisiert werden, sondern auch im Sinne von Diversität der Gesellschaft und der Lebensstile.
Anschliessend wurde das Publikum in verschiedene Diskussionsrunden aufgeteilt. Hier wäre es wünschenswert gewesen, mit einer klaren Fragestellung in diese Diskussion hinein zugehen; so wurde es mehr zu einer Runde, in der jeder einmal loswerden konnte, was er schon immer zum Thema Kulturvermittlung loswerden wollte. Ich schließe mich da nicht aus.
In der abschließenden Podiumsdiskussion saßen zwei Politiker und eine Kulturschaffende auf der Bühne. Auch wenn die Runde inhaltlich nicht viel neues zu sagen hatte, wurde man doch einmal sehr grundsätzlich, als man auf die Idee von Kulturgutscheinen zur Kulturfinanzierung zu sprechen kam. Damit würde jedem Bürger ein gewisses Guthaben zur Verfügung gestellt, das er gemäß seinen kulturellen Vorlieben ausgeben könnte. Aus dem Publikum kam alsbald der Einwand, dass man das Kulturangebot damit dem Massengeschmack opfern würde und man ja am Fernsehen – wo nur Schrott laufe – sehen könne, wo das hinführt. Es war mutig von dem wahlkämpfenden Politiker sich vor einem ausgewiesenen Hochkulturpublikum klar gegen diese dünkelhafte These zu stellen. Das ließ den Verdacht aufkommen, dass die Politik eher bereit ist, im Sinne Terkessidis‘ umzudenken, als die Kulturschaffenden selbst. Somit wird es vermutlich bis auf Weiteres die Funktion der Kulturvermittlung bleiben, das Publikum passend zu machen und ansonsten möglichst wenig zu ändern.
Diese Vermutung bestätigte sich zudem durch die völlige Abwesenheit von Social Media an der gesamten Veranstaltung, sowohl inhaltlich als auch in der begleitenden PR. Es gab nicht einmal einen Hash-Tag für Tweets oder Fotos von der Veranstaltung. Auch Social Media wird die Kulturwelt nicht retten. Aber wenn explizit beklagt wird, dass die jungen Leute den klassischen Kulturveranstaltungen fernblieben, dann fragt man sich, warum Kulturschaffende nicht auf die naheliegende Idee kommen, mal »deren« Medien genauer anzuschauen. Und sei es, um im ersten Schritt einfach nur zu erfahren, was die überhaupt interessiert und worüber sie sprechen. Ohne das wird kein Vermittlungsprogramm je funktionieren.
Alles in allem war das Forum eine sehr gelungene, perfekt organisierte Veranstaltung, die inhaltlich wichtige Fragen und spannende Anstöße gab. Das Problem der Kulturvermittler wird jetzt sein, wirksame Antworten für die praktische Arbeit zu finden.
P.S.: Von Birgit Schmidt-Hurtienne gibt es einen interessanten Bericht über das 2. Forum Kulturvermittlung, das vergangenen November in Bern stattgefunden hat und auf dem Ulrike Schmid einen Vortrag gehalten hat.
6 Kommentare
Ulrike Schmid · 23. Januar 2012 um 12:04
Danke Christian für die Berichterstattung vom 3. Forum (und für die Erwähnung).
Social Media war auch beim 2. Forum abwesend, bis auf das, was Birgit und ich gemacht haben. Dafür wurden Social Media in meinen Diskussionsrunden lebhaft diskutiert und das, obwohl ich in meinem Vortrag keinen Schwerpunkt darauf gelegt hatte. Dass so viele Fragen zu Social Media kamen, zeigt zumindest, dass Interesse seitens der Kultureinrichtungen da ist. Aber wie wir auch wissen, twittern sie nur äußerst selten von Veranstaltungen; das sind immer die Externen. 🙂
Christian Holst · 23. Januar 2012 um 12:11
Ja, Interesse ist da, auf jeden Fall. Das sehen wir ja auch an der stART etc. Aber nach meinem Gefühl speist sich dieses Interesse auch aus der Hoffnung, man könne damit die Probleme der Kulturbetriebe in den Griff bekommen, ohne sich selbst ändern zu müssen und sein Selbstverständnis in Frage zu stellen. Ähnlich wie Terkessidis das über die Kulturvermittlung gesagt hat.
Eva Richterich · 23. Januar 2012 um 17:48
Lieber Christian Holst
Herzlichen Dank erst mal für den gelungenen Artikel, der die komplexen Themen verständlich zusammenfasst. Super!
Noch kurz was zu den social Media, damit wir nicht komplett veraltet wirken: Die Foren sind eine Veranstaltung auf Einladung und richten sich an Entscheidungstragende aus der jeweiligen Region. Sie waren wirklich als Austauschforum für die Leute gedacht, die im Rahmen ihrer Arbeit Entscheidungen über Kulturvermittlung fällen dürfen/müssen. Aufgrund des grossen Interesses der Fachwelt, haben wir die Foren dann auch für weitere Interessierte geöffnet. Es ging aber nicht um grösstmögliche Verbreitung oder Öffentlicheit sondern darum, einen (eher intimen) Denkraum für die eingeladenen Leute zur Verfügung zu stellen.
Am Schlussymposium, das wir gemeinsam mit dem Migros Kulturprozent veranstalten, werden wir dann anders vorgehen, versprochen!
Herzlich Eva Richterich, Projektleiterin Pro Helvetia
Christian Holst · 23. Januar 2012 um 18:11
Liebe Eva Richterich, herzlichen Dank für Ihren Kommentar und das Lob. Ebenfalls herzlichen Dank für die Erläuterung, was Social Media angeht. Wie sich das Publikum genau zusammensetzte, war mir nicht bekannt. Meine Beobachtung bezieht sich aber auch keinesfalls nur auf Pro Helvetia als Veranstalter, sondern mindestens genauso auf das Publikum. Mich wundert, warum Twitter, Flickr, Facebook etc. nicht selbstverständliches Handwerkszeug von Kulturvermittlern sind, die junge Menschen erreichen wollen. Wenn das der Fall wäre, würden Sie als Veranstalter allerdings auch davon profitieren. Wir haben diese Erfahrung an der startconference gemacht, wo es allerdings auch speziell um das Thema Social Media ging und insofern einfacher war.
Eva Richterich · 26. Januar 2012 um 9:36
Guten Morgen Herr Holst
Da haben Sie natürlich absolut recht. Das wird mit Sicherheit kommen ist aber – im Zusammenhang mit der allegemeinen „Scheu“ vieler kultureller Institutionen mit diesen Medien – noch in den Kinderschuhen. Diese Diskussion sollten wir übrigens auf http://www.kultur-vermittlung.ch als Thema des Monats lancieren. Ich werde mit unseren Partnern darüber sprechen!
Einen schönen Tag wünscht
Eva Richterich
Christian Holst · 3. Februar 2012 um 11:55
Hallo Frau Richterich, ja, es wäre sicherlich interessant zu erfahren, worin die Vorbehalte gegenüber Social Media bestehen. Oder vielleicht sind es gar keine Vorbehalte, es kommt den Vermittlern nur einfach gar nicht in den Sinn? Ich werde mich gern an der Diskussion beteiligen.